August 2005

Einen grausamen Hochsommer hat die Nordseeküste in diesem Sommer erlebt, eher November als August. Trotzdem war Sylt gut gefüllt und die Stimmung der Urlauber gar nicht schlecht. Sylt ist inzwischen schon fast eine Art wetter-unabhängiges Ganzjahresziel. Grund ist das für einen Urlaubsort einmalige gastronomische Angebot. Der Marcellino widmet Sylt eine eigene Ausgabe. Sehr empfehlenswert ist auch Sylt à la carte, das jedes Jahr neu zu Pfingsten erscheint. In diesem Buch sind alle wichtigen Sylter Restaurants mit Original-Speisekarten vertreten.
Das prickelnde Sylter Champagner-Klima macht hungrig, gerade bei niedrigeren Temperaturen. So waren denn auch die Restaurants der Insel stets bis auf den letzten Platz gefüllt. Für mich war das eine gute Gelegenheit, viele neue Weine und etliche "alte Bekannte" zu probieren.
Den ersten Schluck Wein nach einer zweiwöchigen, alkoholfreien Phase leistete ich mir nach 340 km Fahrradfahrt bei meinem Zwischenstop in Worpswede im kuscheligen Eichenhof. Zu einer innovativen Küche gibt es in dieser, zum Hotel umgebauten, ehemaligen Künstlersiedlung ein nicht sehr umfangreiches Angebot an Bioweinen. Ganz akzeptabel war der 2002 Iselin Riesling Kabinett trocken aus dem badischen Ortenau, ein stoffiger, sehr erdiger Riesling mit feiner Aprikosen- und Pfirsichnote 83/100. Überhaupt nicht anfreunden konnte ich mich mit einem 2000 Casaloste Chianti Classico Riserva. Zwei frisch geöffnete Flaschen waren seltsam oxidiert, die dritte war dann einigermaßen passabel und zeigte wenigstens Reste von Frucht. Ich bin ein großer Fan von biologisch orientiertem Weinbau, aber Bio sollte und darf keine Ausrede für schlechte Kellerarbeit und Mist in Flaschen sein, in der besseren der drei Flaschen 78/100.
Nach weiteren 260 km, wie am Vortag durch reichlich sintflutartige Wolkenbrüche auf das kommende Urlaubswetter eingestimmt, landete ich triefend nass aber glücklich auf Sylt. Da kam zu einer ersten Stärkung die herzhafte Elsässer Küche in Hardy s Weinstuben gerade recht. Nicht nur die Küchenleistung dieses von André und Suzanne Speisser sehr persönlich und engagiert geführten Hauses hat sich in den letzten Jahren deutlich gesteigert. Auch das Weinangebot ist gewachsen. Neben der Standardkarte, die auf bezahlbare Tropfen und gute Schoppenweine konzentriert ist, gibt es zwei ständig wechselnde Raritätenkarten für weiße und rote Weine mit jüngeren und älteren Gewächsen. Sehr sympathisch schon der erste Wein, ein 2004 Riesling Kabinett trocken vom Weingut Kopp aus Sinzheim in Baden, ein knackig-frischer, fruchtiger Riesling mit klarer Frucht und guter Säure 86/100. Bei mehreren, weiteren Hardy-Besuchen immer identisch bewertet. Gut auch der 2004 Weißburgunder Alte Reben vom gleichen Weingut, etwas zurückhaltender, aber sehr finessig mit mehr Tiefgang, feiner Frucht und Terroirnoten 85/100. Beide Weine zeigten nicht nur die nach 2003 richtig wohltuende, klare, säurebetonte Struktur des Jahrgangs 2004. Sie waren auch mit dem neuen Vino-Lock-Glaskorken verschlossen, so dass alle von uns verkosteten Flaschen stets einen von Fehltönen ungetrübten Genuß boten. Gerade bei Weinen für den alltäglichen Genuss werde ich immer zum Fan dieser alternativen Verschlüsse. Der 2004 Neil Ellis Sauvignon Blanc aus Südafrika war ein frisch-fruchtiger Wein mit knackiger Säure und intensiver Stachelbeere, insgesamt aber etwas simpel und nicht in der Liga des 2003ers 86/100. Ein eher langweiliger Allerweltswein der 2002 Neil Ellis Chardonnay 84/100. Muss ich meiner armen Leber Beaujolais antun? Ich hab s trotzdem getan. Ein 2003 Beaujolais Village von Duboeuf entpuppte sich als überhaupt nicht trivialer, sehr fruchtiger Wein mit intensiver Anisnase, dazu reife Birne und Pflaume. Für einen Beaujolais erstaunlich kräftig, füllig und pfeffrig 87/100. Ähnlich überrascht war ich von einem 1996 Chinon Clos du Chêne Vert von Charles Joquet. Ein sehr charakterstarker, roter Loire-Wein mit rauchigen Tönen und feiner Beerenfrucht 88/100. Den 2000 Chateauneuf-du-Pape Bosquet des Papes fand ich sehr offen, aber auch etwas poliert und langweilig 87/100. Sehr angetan war ich von 1999 Trottevieille. Wunderbare Frucht und Fülle, samtige Textur, momentan wie viele 99er Bordeaux in einer bestechenden Frühform, der schönste Trottevieille seit 1955, das Gut ist wieder auf dem Weg zur alten Klasse 91/100. Enttäuscht war ich dagegen von 1999 La Lagune. Mit einem leicht grasigen Ton und etwas grünen Tanninen machte dieser insgesamt leichtgewichtige Wein wenig Spaß 84/100. Da war 1999 Leoville las Cases schon ein ganz anderes Kaliber. Ein noch verschlossenes, dichtes Konzentrat, das noch gut 5 Jahre brauchen dürfte, heute schon auf 91/100 Niveau antrinkbar(wenn lange genug vorher dekantiert), ab 2010 sind da sicher 93/100 drin. Probieren konnte ich bei Hardy auch zwei 2002er Bordeaux, die André Speisser während der Prowein-Verkostung als seine persönlichen Favoriten ausgesucht hatte. 2002 Canon-la-Gaffelière überzeugte mit Röstaromen und würziger Fülle, trinkt sich jetzt in der frühen Fruchtphase sehr gut und wird sicher mal nach 2010 ein sehr guter Wein 91/100. Ganz große Klasse 2002 Pape Clement. Jetzt in einer geilen, frühen Fruchtphase, kräftiges Schwarzrot mit Purpur, Röstaromen ohne Ende, satte, schwarzbeerige Frucht, Cassis, sehr mineralisch, Graphit, Teer, ähnelt in der Mineralität dem Aalto PS, baut toll im Glas aus, lang am Gaumen, Riesenpotential. Ich gehe davon aus, dass er sich im Laufe des nächsten Jahres wieder für einige Zeit verschließt, also unbedingt jetzt probieren 94/100. Eine große Überraschung war für mich auch der erstmals getrunkene 2000 Crognolo IGT von der Tenute Sette Ponte aus der Toskana. Dichte, junge Farbe mit Purpur, satte, reife Frucht von Schwarzkirschen und Brombeeren, ein üppiger, fülliger, ausdrucksstarker Wein, der jetzt unglaublichen Spaß macht und preislich deutlich unter anderen Super-Toskanern liegt 94/100. Sehr schön auch ein 1996 La Tour Blanche. Mir persönlich gefällt dieser etwas leichtere Sauternes-Stil mit weniger Boytritis und guter Säure, wie ihn dieser Wein zeigte, eigentlich gut. Feine Honigtöne, nicht unangenehme Bitternoten, die an engliche Orangenmarmelade erinnerten, sehr lang am Gaumen und überhaupt nicht süßlich klebrig 91/100.

Was hat der Schweizer Nationalfeiertag, der 1. August, auf Sylt zu suchen? Den feiert natürlich Pius Regli, Deutschlands nördlichster Schweizer und ein inzwischen fest zu Sylt gehörendes, sympathisches Urgestein. Sein für sensationelle, riesengroße Schnitzel berühmtes Lokal Manne Pahl hat er für diesen Festtag stets in bestem Schweizer Lokalkolorit dekoriert. In diesem Jahr kam das gesamte Servicepersonal als Heidi daher, inklusive des Barmanns, der sich in dieser Rolle doch etwas komisch vorkam. Mit Pius Regli tranken wir zu fortgerückter Stunde 2000 Fläscher Blauburgunder von Gantenbein, der sinnigerweise aus dem sogenannten "Heidiland" stammt, dem Landstrich zwischen Malans und Fläsch in der Bündner Herrschaft. Das ist ein großer Pinot Noir internationalen Zuschnitts. Dichtes Schwarzrot, verschwenderisch-üppig-fruchtige Nase, süße Himbeer- und Erdbeerfrucht, reife Schwarzkirsche, würzig, ausladend und mit viel Schmelz, gut eingebundenes Holz und sicher gut lagerfähig 93/100. Deutlich schlanker mit spürbarerem Holz war der 2002 Fläscher Blauburgunder, den wir im Kampener Waltershof probieren konnten, trotzdem auch das ein faszinierender Pinot 90/100. Der Waltershof hat die vielleicht schönste Lage auf Sylt überhaupt. Sowohl von den Innen- wie auch insbesondere von den Außenplätzen des Restaurants hat man einen faszinierenden Blick über den gesamten Norden der Insel und über beide Meere. Zählt für mich zu den ganz großen Aussichtspunkten auf dieser Welt und zu den schönsten Plätzen, einen Wein zu genießen. Leider war die Küche des Restaurants, das Hotelier Detlev Tappe in diesem Jahr wieder in Eigenregie übernommen hat, nicht auf der Höhe. Ein Profi wie Tappe, der schon viele spätere Sterneköche geformt hat, sollte das aber kurzfristig in den Griff bekommen. Getrunken haben wir hier übrigens noch den 2001 Le Serre Nuove dell`Ornellaia. Der nicht gerade billige Zweitwein von Ornellaia, der von jüngeren Merlot- und Cabernet-Reben stammt, konnte voll überzeugen. Ein verführerrischer Wein mit dichtem Rubinrot, Cassis, reifen roten Beeren und faszinierender Röstaromatik, der spontan anmacht, sollte sicher innerhalb der nächsten 5 Jahre getrunken werden 90/100.

Wein kann man übrigens auch auf Kampens legendärer Whiskeystraße trinken. Sowohl Gretas Rauchfang als auch das Gogärtchen bieten eine passable Weinkarte. Im Rauchfang probierten wir den 2001 Magari von Angelo Gajas Weingut Ca Marcanda. Vom Erstlingsjahrgang 2000 war ich mehrfach sehr angenehm überrascht worden. Klar, das ist ein Lehrbeispiel für das, was man internationalen Wein nennt. Der kann praktisch überall herkommen. Während der 2000er aber auf 92/100-Niveau einfach sehr viel Spaß machte, enttäuschte der 2001er doch sehr. Ein netter, fruchtiger Wein ohne Höhepunkte und für die gut € 35,-, die so was im Laden kostet, einfach überteuert. Da scheinen eine Menge weiterer Rebstöcke unter Ertrag gekommen zu sein 87/100. Deutlich besser gefiel mir da der auch preislich interessantere 2000 Clos du Marquis. Der Zweitwein von Leoville-las-Cases mit einer ähnlichen Aromatik, nur etwas leichter und deutlich zugänglicher, ist bereits in einem Stadium erster Trinkreife. Mit dichter, junger Farbe, reifer Cassis- und Kirschfrucht, guter Mineralität und dezenter, erdiger Herbe ist das der schönste Clos du Marquis seit dem immer noch sehr gut trinkbaren(und als Leoville-las-Cases immer noch nicht trinkbaren) 82er 91/100.

Der legendäre Sylter Sonnenuntergang

Der legendäre Sylter Sonnenuntergang

Ein gutes Händchen hat der umtriebige Michael Hamann von der Sansibar nicht nur mit der eigenen Weinkarte. Über den Sansibar Weinhandel versorgt er inzwischen große Teile der Insel mit flüssiger Ware. Dazu gehört der 2004 Weißburgunder von Markus Schneider, von dem sich die Sansibar 4500 Flaschen exklusiv abfüllen ließ. Ein herrlich leckerer, schmelziger Sommerwein mit reifer, gelber Frucht und guter Säure. Unkomplizierter, hocharomatischer Genuss auf hohem Niveau 86/100. Ein Weinfreund meinte dazu Nase-rümpfend, das sei ein Allerweltswein. Da könne man zwar mit Genuß reichlich von trinken. Am nächsten Tag wüsste man aber nicht mehr, was da im Glas gewesen sei. Aber wo ist da das Problem? Wenn ich an Kampens legendärer Buhne 16 den in diesem Jahr viel zu seltenen, abendlichen Sonnenuntergang genieße, oder an eben dieser Stelle mit meinen friesischen Freunden in einen ausgiebigen Schnack über Gott und die Welt vertieft bin, dann brauche ich keinen hochintellektuellen Wein, auf den ich mich 100% konzentrieren muß, um ja keine Facette zu verpassen. Markus Schneider kann man viel vorwerfen, dass er Trauben zukauft(warum nicht?), dass seine Weine eine dezente Restsüße haben(steht ihnen gut!), oder dass seine Weißen unkomplizierte, traumhafte Spaßweine sind. Letzteres sind sie, und dass ich nach einem heftigen Abend mit "mehr" davon durchaus am nächsten Tag noch wusste, was ich im Glas hatte, aber keine negativen Folgen davontrug, spricht für die hohe Qualität dessen, was da aus der Pfalz kommt.

Meist waren die Abende so kalt und ungemütlich, dass die Terrassen völlig verwaist waren. So auch in Kampens weiterer Strandattraktion Grande Plage. Hier saßen wir während der Gastraum zum Bersten gefüllt war dick vermummt ziemlich alleine auf der Terrasse des Pfahlbaues mit dem tollen Meeresblick Hochsommer einmal anders! Doch wir wurden belohnt. Gerade rechtzeitig riss am Horizont der Himmel auf und schenkte uns einen Sonnenuntergang vom Feinsten. Die niedrigen Temperaturen schrien förmlich nach einem, das Herz wärmenden Rotwein. Den fanden wir in einem 1989 Mas de Daumas. Ein kantiger, eigenständiger, etwas rustikaler Rotwein alter Schule, der viel Zeit und Luft brauchte. Ein Wein, in den man sich reintrinken musste und der mit jedem Schluck mehr überzeugte. Tiefes Dunkelrot mit ersten Reifetönen am Rand, eingekochte, dunkle Früchte, Feigen, erdig, Waldboden nach einem Regenschauer, Trüffel, portige Töne, wirkt reif und hat trotzdem immer noch spürbare, trockene Tannine 91/100. Krasser Gegensatz dazu war aus der kleinen, aber klug zusammengestellten Weinkarte des Grand Plage ein 2001 Foxen Cabernet Sauvignon aus dem kalifornischen Super Wein- und Sonnenjahr, allerdings nicht im Napa Valley an den Rebstöcken gekocht, sondern aus dem klimatisch etwas kühleren Santa Ynez Valley bei Santa Barbara. Dadurch zeigte dieser sonst vor allem im Vergleich zum Mas de Daumas etwas polierte, neumodisch wirkende Cabernet, der aber sehr ansprechend war, eine erstaunliche Frische und Leichtigkeit. Ein roter Spaßwein im besten Sinne 89/100.

Kein Sylt-Besuch ohne Sansibar, doch im Sommer ist das leichter gesagt, als getan. Wenn dann noch wie beim diesjährigen, miserablen Wetter, die Außenplätze wegfallen, geht hier nichts mehr. Kluge Sylter Sommergäste buchen ihren Tisch meist schon direkt wieder für das nächste Jahr. Für all die Sansibar-Gefrusteten deshalb ein paar Tipps:tagsüber kommen, und bitte nicht genau um Eins. Dann geht immer wasmit dickem Pullover und Anorak anreisen. Falls es nicht regnet, findet sich draußen erheblich leichter auch spontan ein Platznach 21:30 kommen. Da sind häufig gerade Familien mit Kindern schon fertig und Sie kommen ungebucht doch noch zu einem schönen Sansibar-Erlebnis, auch drinnenAus dem unschlagbaren Kalifornien-Angebot der Sansibar probierten wir den wieder sehr überzeugenden 2001 Peter Michael Chardonnay Mon Plaisir. Das ist nicht die typische, fette kalifornische Chardonnay-Operette. Startete eher etwas verhalten und gewann dann ungemein mit Luft und Temperatur. Exotische Früchte, der nussige Ton großer Weißer Burgunder, dezentes Holz, gute Säure, ein sehr komplexer, vielschichtiger Wein mit toller Länge am Gaumen 94/100. Nach dem Mondotte-Strickmuster hat der Inhaber von La Dominique eine kleine, mit 100% Merlot bestückte Parzelle als Garagenwein ausgebaut. Mir wurde in der Sansibar der Erstlingsjahrgang, der 1998 Saint Domingue als Überflieger und Geheimtipp angeboten. Das war ein sehr schöner, recht komplexer, fruchtiger St. Emilion mit tiefem Rubingranat, schwarzer Johannisbeere und guter Länge am Gaumen, deutlich besser, als Parker ihn beschreibt, aber vom Überflieger meilenweit entfernt 91/100. Da war der 2000 Pavie, der von einem der Nachbartische kam, schon eine ganz andere Liga. Leider verschließt sich dieser Ausnahmestoff mit eindeutigem 100-Punkte-Potential zunehmend. Immer noch ein tiefdunkles, beeindruckendes Konzentrat, das aber seine Fruchtphase hinter sich hat. Da sind jetzt mindestens 5, eher 10 Jahre Warten angesagt. Wer, noch dazu für deutlich weniger Geld, jetzt einen großen Pavie im Glas haben möchte, sollte zum 2001er greifen, der sich momentan noch in der Fruchtphase befindet. Lange warten musste man auch auf 1982 Gruaud Larose, bei meinen eigenen Flaschen wohl noch mal gut 5 Jahre. Die Flasche von der Sansibar-Karte war bereits gut (an)trinkbar, Gruaud vom Allerfeinsten, sicher auf 96/100 Niveau, aber da kommt in den nächsten Jahren noch mehr. Trotzdem beeindruckt jetzt schon die perfekte Struktur dieses Weines, diese unglaublich harmonische Symmetrie aller einzelnen Teile. Das ist ein hochgezüchteter, lautstarker Weinprotz, sondern ein klassischer Wein-Aristokrat mit 2-3 Jahrzehnten großer Zukunft.

Wer übrigens in der Sansibar Ivo vermisste, lange Jahre Michael Hamanns rechte Hand, der konnte ihn dieses Jahr völlig unvermutet bei Retzke s finden, einem sehr sympathischen Nachbarschafts-Restaurant, das sich vom Insulaner-Anlaufpunkt immer mehr zum Geheimtipp entwickelt. Aus der kleinen, feinen Weinkarte tranken wir zunächst 2 Sauvignon Blancs aus Südafrika. Den 2004 Sauvignon Blanc Special Selection Laibach Cellars aus Stellenbosch fand ich einfach nur langweilig und wässrig. Der "Back-to-the-roots" Versuch des Winzers, einen klassischen Sauvignon Blanc nach französischem Strickmuster zu erzeugen, geht für mich voll in die Hose. Solo für sich getrunken völlig uninteressant, etwas besser zum Essen und dann zumindest auf 82/100 Niveau. Da gefiel mir der 2004 Steenberg Sauvignon Blanc aus Constantia deutlich besser. Der versteckte die frische, reife südafrikanische Frucht nicht, sondern präsentierte sie in einem sehr gut strukturierten Wein mit Feuerstein, knackiger Säure und guter Länge 89/100. Ein echter Preis-/Leistungssieger war der 1999 J. Lohr Hilltop Vineyard Cabernet Sauvignon aus Paso Robles, der für freundliche € 39,- auf der Karte stand. Ein tiefdunkler Rotwein mit feiner, schmelziger Frucht schwarzer Kirschen und feiner Süße. Da ist nichts Fettes oder Überladenes. Ein Klasse-Cabernet mit hohem Hedonismus-Faktor 92/100. Zum Schluss öffnete Ivo für uns noch einen 1997 Catena Zapata. Dieser erste Jahrgang der Luxus-Cuvée von Argentiniens bedeutenstem Weingut war auch der bisher beste. Ein Weinriese in klassischem Bordeaux-Stil, geht als großer Leoville-las-Cases durch mit toller Cabernet-Frucht, Cassis, Lakritz und irrer Länge am Gaumen, perfekt strukturiert und sicher langlebig, wirkt zugänglich, ist aber noch lange nicht auf dem Höhepunkt der Trinkreife 95/100.

Sehr positiv überrascht waren wir vom Restaurant Lässig im Strandhörn. Dirk Lässig gehörte einmal zu den Highflyern unter den Küchenchefs unseres Landes, doch verlor er vor ein paar Jahren den rasch erlangten Michelin-Stern wieder. Das scheint er inzwischen gut verkraftet zu haben. Die sehr überzeugende Küche des Strandhörn war bei unserem Besuch wieder voll auf Sterneniveau und ist unbedingt einen Besuch wert. Es mag nebensächlich sein, insbesondere für Kalorienzählende Gourmet-Tester, aber das Strandhörn hat die mit Abstand beste Brotkultur der Insel, und das alleine ist schon ein Grund, dieses Restaurant aufzusuchen. Sehr gut auch die klug zusammengestellte Weinkarte. Wir starteten mit einer 2003 Monzinger Halenberg Spätlese trocken von Emmerich-Schönleber. Einer der wenigen wirklich überzeugenden 2003er, reife, gelbe Früchte, feine Mineralität, knackige Säure, füllig, voll da, eben 2003, aber in seiner schönsten Art 93/100. Danach hatte es die 2003 Zeltinger Sonnenuhr Spätlese trocken von Markus Molitor sehr schwer. Wahrscheinlich noch deutlich zu jung, leichter Hefeton, für 2003 erstaunlich schlank und elegant, weiße Früchte, Lychees, Melone, weißer Pfirsich, feiner Schieferton, im Abgang leichte Bitternote 90/100. Natürlich ging mir dann das Herz auf, als ich auf der Karte zu vertretbaren Kursen einen 1985 Cheval Blanc fand. Das schönste an diesem Wein ist die faszinierende, für einen großen Cheval Blanc ganz typische Nase. An diesem Wein könnte ich stundenlang nur riechen! Am Gaumen nicht sehr konzentriert, eher ein etwas schlankerer Cheval Blanc mit feiner, rotbeeriger Frucht, aber mit unendlicher Eleganz und Länge 95/100.

Grosse Küche auch bei Holger Bodendorf im Landhaus Stricker. Die mit dem Best of Award of Excellence des Wine Spectators ausgezeichnete Weinkarte ist in der Tat sehr umfangreich. Nur um die Bordeaux sollte man einen größeren Bogen machen. Die sind schlicht und einfach zu jung und deutlich zu teuer. Also gingen wir in der Karte auf die Suche und fanden als erstes einen freundlich kalkulierten 2003 Riesling Herrmannshöhle Spätlese trocken von Dönnhoff. Einer der wenigen, wirklich großen, trockenen 2003 Rieslinge aus Deutschland. Etwas üppiger und saftiger als gewöhnlich, aber mit sehr guter Struktur und Säure. Jetzt schon sehr gut zu trinken, und während viele andere 2003er schon auseinanderfallen, ist hier keine Eile angesagt 93/100. Schließlich fanden wir auch noch einen bezahlbaren Bordeaux, sicher den mit weitem Abstand Preis-/Leistungssieger der Bordeaux-Abteilung, 2000 Aighuilhe aus Côtes de Castillon von Stefan Graf Neipperg. Das ist eigentlich in allen Jahrgängen seit 1998 ein sicherer Tipp, doch der 2000er ragt noch einmal deutlich über die anderen hinaus. Mit tiefer, dunkler Farbe stand er wie eine Eins im Glas, mit üppiger schwarzer Beerenfrucht, Röstaromen ohne Ende, guter Mineralität und toller Länge am Gaumen 94/100(Meine bisher höchste Bewertung. Ich lag sonst immer konstant bei 92-93/10). Das ist Bordeaux mit einem Schuss Kalifornien und so gut, so süchtig auf Mehr machend, dass meine eigenen 24 Flaschen schon im Frühjahr letzten Jahres ausgetrunken waren. Da kam dann selbst der zum Abschluss mit Holger Bodendorf getrunkene 2001 Numanthia nicht mit. Selbst kein Leichtgewicht, wurde der Numanthia vom der Wucht des Aighuilhe schier erdrückt. Der Gerechtigkeit halber muss man aber sagen, dass der Numanthia nicht allzu viel Zeit in der Karaffe verbracht hatte, zu Anfang sehr verhalten wirkte und dann im Glas immer besser ausbaute. Trotzdem konnte ich ihm im direkten Vergleich nicht mehr als 92/100 geben.

Sehr beliebt, auch bei den Einheimischen, ist die Kampener Vogelkoje. Hier fällt insbesondere abends kein Stein zu Boden, also rechtzeitig reservieren. Der sympathische Gerhard Diehm kocht eine sehr aromatische Regionalküche. Wenn er dann noch, wie im August, durch so einen renommierten Gastkoch wie Christian Lohse unterstützt wird, hängt der kulinarische Himmel voller Geigen. Klar, dass wir da nicht nur einmal waren. Auch die Weinkarte der Vogelkoje gewinnt immer mehr an Format. Der
2001 Bründlmayer Chardonnay hatte eine gute, exotische Frucht, Zitrusaromen, stützende Säure, Röstaromen und feinen Schmelz. Vor allem bestand er die Nagelprobe großer Chardonnays, er wurde mit steigenden Temperaturen immer besser 92+/100. Ich war noch nie ein Fan trockener Mosel-Auslesen, doch bei der dann folgenden 2001 Graacher Domprobst Auslese* von Markus Molitor musste ich Abbitte leisten. Die war stoffig, kräftig und dabei doch mit schöner Mineralität und spielerischer Eleganz, ein perfekter, großer Essensbegleiter mit noch viel Zukunft 92/100. Ein prächtiger Riesling, jetzt voll auf dem Punkt, war die 2001 Hochheimer Kirchenstück Spätlese trocken von Künstler, sehr aromatisch, mineralisch mit knackiger Säure 92/100. Enttäuscht war ich von 2003 Ruppertsberger Gaisböhl G.C. von Bürklin-Wolf. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieses schlabberige Gewächs wie so viele trockene 2003er schon zerfällt 84/100. Sehr gut entwickelt hat sich 1999 Troplong Mondot, der sich wie viele 99er momentan wunderbar trinkt und mit fruchtiger Fülle überzeugt 91/100. Höhepunkt war eine eigene Flasche 1964 Cheval Blanc. Das war Cheval Blanc in Reinkultur, perfekt gereift ohne jede Schwäche mit der schwerelosen Cheval Blanc-typischen Aromatik, druckvolle Eleganz, sehr lang am Gaumen 97/100. Worte können einem solchen Wein eigentlich kaum gerecht werden. Ein reifer Cheval Blanc aus gutem Jahr ist so ein eigenständiges, unkopierbares, großes Erlebnis. So etwas gehört zu den Höhepunkten im Leben eines Weintrinkers.

Sehr gut gefallen hat es uns auch im Munkmarscher Fährhaus, wo mit Alexandro Pape ein ganz großes Talent am Herd steht. Aufmerksamer, charmanter Service und eine sehr umfangreiche Weinkarte. Hier lassen sich auch für verhältnismäßig wenig Geld gute Weine finden. Natürlich sind hier auch Preishits wie Montepeloso Eneo und der griechische Trilogia vertreten. Eine Karte, die zum Experimentieren auffordert. Bei mehreren Besuchen im Fährhaus der Kerl kocht wirklich "saugut" probierten wir z.B. einen 1996 Sanford & Benedict Chardonnay Reserve von Au Bon Climat. Eigentlich sind die Weißweine von Au Bon Climat sehr langlebig. Dieser hier aus dem eher schlechteren Kalifornien-Jahr 96 hatte schon einen deutlichen, oxidativen Ton. Er wirkte eher wie ein größerer, Weißer Burgunder aus den 40ern, kein schlechter Wein, aber Genuss schreibt man anders 82/100. Grandios hingegen 2002 Sauvignon Blanc Zieregg von Tement aus der Flasche. Ein großer Sauvignon Blanc mit wunderbarer Frucht und Fülle, gute Säure, durch den Barrique-Ausbau schöner, nussiger Ton, viel Schmelz, sehr lang am Gaumen 95/100. Der 2001 Muga Barrel Fermented aus 90% Viura und 10% Malvasia hatte eine goldgelbe Farbe, war etwas oxidativ ausgebaut, furztrocken, sehr "spanisch", roch und schmeckte wie ein 30 Jahre alter Corton Charlemagne und bewahrte sich trotzdem eine gewisse Frische. Baute im Glas mit Temperatur schön aus und wurde etwas gefälliger mit dezenter, feiner Fruchtsüße 86/100. Unkomplizierter Genuss der 2000 Lynch Bages Blanc. Helles Gelb, sehr frische, fruchtige Nase, Lychees, blumig, am Gaumen jung, frisch mit guter Säure, aber ohne viel Tiefgang 87/100. Natürlich kann Emmerich Knoll auch üppige, fleischige Weine. Das zeigt er eindrucksvoll mit seinen Vinotheksfüllungen. Doch eigentlich ist das nicht sein Ding. Seine Weine sind feiner, eleganter, geradezu subtil. Die springen nicht aus dem Glas, die muß man sich erschließen. So ist es nicht erstaunlich, dass Knoll selbst in 2003 Weine erzeugt hat, die seinem Leitbild entsprechen. Der 2003 Grüner Veltliner Kreutles Smaragd ist ein für 2003 erstaunlich schlanker Wein, mit würzig-pfeffriger Nase, gelbe Früchte, Tabaknoten, frische Kräuter, am Gaumen sehr mineralisch, rassig, dürfte im Gegensatz zu vielen anderen 2003ern gut altern 92/100. Von ähnlicher Frische die 2001 Monzinger Frühlingsplätzchen Spätlese trocken von Emrich-Schönleber, glockenklare Rieslingfrucht, klar, wunderbar definiert, weißer Pfirsich, schöne Mineralität und knackige Säure, sehr frisch und pikant 91/100. Zum ersten Mal getrunken habe ich einen weißen Grange des Pères. Der 2001 Grange des Pères Blanc hatte ein sehr blumiges, expressives Bouquet, am Gaumen viel Kraft, Terroir, spürbares, aber gut eingebundenes Holz, Fülle und Länge, sehr überzeugend, aber auch nicht ganz billig 91/100.
Mit 1997 Chateau Musar kam die auf Sylt in diesem Sommer so vermisste Wärme ins Glas, Trauben, die am Stock wohl schon leicht gekocht haben, Aromen von Rumtopf, eingekochte Früchte, feine Fruchtsüße und gute Länge am Gaumen. Ein Winter-Kamin-Wein als Glühweinersatz 91/100. Groß war auch der endlich einigermaßen trinkbare 1990 Corton Clos des Cortons von Faiveley, immer noch sehr jung und kraftvoll mit feiner, rotbeeriger Frucht, dabei aber sehr elegant und finessig mit einer wunderbar seidigen Textur 94/100. Ein Wein, der sicher noch spielend mehrere Jahrzehnte weiter altern kann. 1999 Treana Red Table Wine aus Paso Robles war ein ausgewogener Traum von Frische, Frucht und Länge. Brombeere, etwas Anis und Leder, reichlich Minze in Bitterschokolade 92/100. Zu recht annehmbarem Kurs fand sich auf der Karte auch noch ein 1988 Sassicaia, der vielleicht letzte große Wein dieses Gutes. Immer noch sehr dichte Farbe, schwarze Johannisbeere, Minze, die zu Anfang stark dominierende und störende Säure tritt mehr und mehr in den Hintergrund, am Gaumen kommen Veilchen und Lakritz 94/100.
Der 2001 Chardonnay Eiswein von Weinrieder war füllig, süß, mit viel Boytritis und Honigtönen, ein fettes Teil, aber auch etwas eindimensional, da fehlt einfach die Finesse eines restsüßen Rieslings 91/100. Sehr interessant der S 2001 von Pasler & Strohmeier aus Österreich. Diese versektete TBA war süß und spritzig zugleich, ein tolles Experiment mit faszinierender Nase, wirkte am Gaumen wie eine TBA-Schorle 92/100.

Damit komme ich zum Höhepunkt eines jeden Sylt-Urlaubes, dem Restaurant Jörg Müller. Da war ich gleich mehrere Male, nicht nur der großen Küche wegen. Ich kenne auf der Welt derzeit keine Weinkarte, die sich mit der von Jörg Müller messen kann. Klar gibt es in einigen Sternetempeln heute Weinkarten mit 2000 und mehr Positionen, aber hauptsächlich mit viel zu jungen, überteuerten Gewächsen. Welcher Gastronom kann es sich heute noch leisten, über Jahrzehnte einen großen Keller aufzubauen. Genau das aber hat Jörg Müller getan, und seine Gäste profitieren davon. Perfekt gereifte Weine garantiert einwandfreier Herkunft aus bester, langjähriger Lagerung, da wird man als Weinfreak schnell ein Fall für den Suchtberater.
Viele Bekannte habe ich bei Jörg Müller getroffen. So hatte ich immer die Möglichkeit, Gläser auszutauschen und von Weinen anderer Tische zu profitieren.

Jörg Müller und Wineterminator

Jörg Müller und Wineterminator

Bei meinem ersten Müller-Besuch hatte ich den Sommelier nach einer Alternative zur 2002 Herrmannshöhle von Dönnhoff gefragt. Der mir blind vorgesetzte Wein konnte da voll mit. Ein ganz großer Riesling, sehr mineralisch, Zitrusaromen, feine Säure, cremige Textur, am Beginn einer langen Entwicklung. Wenn ich dann noch auf dem Etikett des 1999 Rüdesheiner Berg Schlossberg von Bernhard Breuer die für einen solch großen Wein mit einer derartigen Geschmacksdichte bescheidenen 12% Alkohol sehe, dann wird der Verlust durch den frühen Tod dieses Weltklassewinzers um so schmerzlicher 94/100. Eine 1997 Kallstädter Saumagen Auslese trocken von Philippi hatte ein kräftiges Goldgelb, satte, reife, aber auch etwas stahlige, gelbe Früchte, dazu die barocke Fülle des Winzers, deutlicher, aber nicht unangenehmer Reifeton, leichte Bitternote im Abgang 89/100. Mein Favorit unter den bei JM getrunkenen Weißweinen war aber der zweimal getrunkene 1994 Singerriedel Riesling Smaragd aus der Magnum von Hirtzberger. Große Wachauer Weine haben die Tendenz, sich ähnlich großen Bordeaux nach einer kurzen Fruchtphase für ein paar Jahre zu verschließen. So auch dieser Wein, der im letzte Jahr hier noch etwas unfertig gewirkt hatte. Jetzt war er, rechtzeitig dekantiert, voll da. Kräftiges Goldgelb, reifes, gelbes Steinobst, Marillen, mineralisch, schmelzige Frucht, irre Länge am Gaumen. Man glaubt gar nicht, wie klein bei so einem Weinriesen eine Magnum sein kann 96/100.
Voll da war auch 1982 La Mission Haut Brion. Wie oft habe ich schon frustriert auf diesem verschlossenen Weinriesen rumgekaut, etwas von "zugenagelt" und "irres Potential" gemurmelt und frustriert festgestellt, dass ich schon wieder eine Flasche davon viel zu früh geöffnet hatte. Jetzt war es endlich soweit, vor mir stand La Mission in Reinkultur mit der klassischen Cigarbox-Aromatik, unglaublich druckvoll am Gaumen, ein würdiger Nachfolger für die 100-Punkte Zwilling 59+61, wird in den nächsten 10 Jahren weiter zulegen und sicher auch die 100 Punkte erreichen 98/100. Voll daneben derzeit 1978 Margaux. Immer noch sehr junge Farbe ohne Reifetöne. Wenig Nase, am Gaumen staubige, trockene Tannine, wirkt sperrig, ungenerös, abweisend, etwas bitter im Abgang 88/100.. Da kann man, sofern man ähnlich gut gelagerte Flaschen besitzt, den Margaux eigentlich nur noch mal 10 Jahre weglegen und auf ein Wunder hoffen, auf die Gefahr natürlich, dass er statt zu reifen austrocknet.
Entsetzt hingegen war ich von einem blind servierten 2002 Trilogia. Der Wein steht derzeit völlig neben den Schuhen. Marmeladige, bonbonhafte Süße eines billigen, australischen Shiraz, wenig Struktur, diffus, da passten die Einzelteile nicht zusammen. Eine weitere, gleich nach der Rückkehr aus eigenen Beständen verkostete Flasche machte denselben Eindruck. Das kann eigentlich nur ein Übergangsstadium sein. Ich bleibe dran und berichte.
(wird fortgesetzt)

Große Küche bei Jörg Müller

Große Küche bei Jörg Müller

Gar nicht einverstanden war ich auch mit 1989 Fleur de Gay. Der Wein scheint langsam zu zerfallen. Dumpfe. Portige Aromen, Rumtopf, natürlich noch trinkbar, aber der Lack ist ab 84/100. Sehr positiv überrascht war ich hingegen von 1989 l Eglise Clinet. Dieser Wein, der sehr kontrovers und im Jahrgangs-Kontext meist relativ schlecht beurteilt wurde, hat sich verdammt gut gemacht. Teer, Lakritz, Bitterstoffe, kräuterig, in seiner Aromatik Richtung Lafleur tendierend mit viel Kraft und grandioser Länge am Gaumen, wird sich noch etliche Jahre weiterentwickeln 93/100. Begeistert hat mich 1995 l Evangile. Dichte, undurchdringliche Farbe, Schokolade ohne Ende, wird langsam trinkbar, aber noch mit gewaltigem Potential 95/100.
1945 Gruaud Larose in der Magnum auf einer Restaurant-Weinkarte? Bei Jörg Müller ganz normal. Was für ein Geschoß. Reifer Cabernet vom Feinsten ohne Alterston mit unendlicher Eleganz und Finesse. Ging locker als großer 78er durch und hat in der Magnum noch Reserven für 20+ Jahre 97/100. Gut auch ein 1966 Richebourg von Noellat aus der Magnum. Helle Farbe, in der Nase Zitronenrolle, feine Aromatik, etwas spitze Säure, schöne Länge am Gaumen 93/100. Sehr schön auch ein 1953 Haut Brion. Kein Hammerteil, eher etwas schlank, dabei sehr elegant mit viel Finesse und der klassischen Haut Brion Aromatik 96/100. Leider schon auf dem Weg ins Jenseits war ein 1950 Brane Cantenac. Immer noch dichte Farbe, sehr reif, Kaffeetöne, sehr viel Säure, die schnell Oberhand gewinnt 83/100. Da war der an einem anderen Tag getrunkene 1950 Calon Ségur in einer R&U Abfüllung deutlich besser. Leicht ins rostige gehendes Dunkelrot mit deutlichem Orangenrand, sehr reifer Bordeaux, sicher schon über den Punkt, aber immer noch mit viel Charme, feine Fruchtsüße, dürfte in guten Flaschen wie dieser sicher noch ein paar Jahre auf 87/100 Niveau Freude bereiten.

Echt gegen falsch - Latour 1953

Echt gegen falsch - Latour 1953

Den 53er Haut Brion hatte ein Gast mitgebracht, der auch einen merkwürdigen 53er Latour dabei hatte. Letzterer gab dann zu viel Diskussionen Anlaß. Auf den ersten und auch auf den zweiten Blick war diese, aus einer Sauerländer Quelle stammende Flasche echt. Erst die Gegenüberstellung mit einem Original aus dem Müller-Keller(rechts im Bild) zeigte einige Unstimmigkeiten. Und dann war da natürlich noch deutlich in der Kapsel und von unten am Korken ein verdächtiges Einstichloch zu erkennen. Über den Inhalt der Flasche, die der Gast öffnete, brauchen wir hier nicht reden. Das war weder Latour noch gut, sondern einfach nur ärgerlich. Solche gut gemachten Fälschungen überschwemmen derzeit den Markt und sind für Laien äußerlich kaum zu erkennen.
Aus dem Müller-Keller gab es an diesem Abend noch einen nur kurz vorher dekantierten 1959 Latour. Blind eingeschenkt hielt ich ihn für deutlich jünger und wähnte mich bei 82 Leoville las Cases. So jung, auch in der Farbe, so dicht, so massive Tannine, so kompakte Frucht. Ein für die Ewigkeit gemachter Wein, der in perfekt gelagerten Flaschen wie dieser unbedingt ein paar Stunden vorher dekantiert, besser aber noch ein paar Jahre weggelegt gehört 97/100.
Erst einmal durfte ich den 61er Palmer nach sehr vielen schlechten und mittelmäßigen Flaschen im Bestzustand erleben, Anfang 2004 auf einer Probe, auf der er 61 Petrus ebenbürtig war. Das zweite Erlebnis dieser außerirdisch guten Weinart war der Schlusspunkt eines denkwürdigen Müller-Abends. 1961 Palmer aus perfekter Lagerung ist ein dekadent leckerer Traum mit unendlicher, burgundischer Eleganz. Ein Wein der mit spielerischer Leichtigkeit auf der Zunge tänzelt, und dabei eine unglaubliche, aromatische Dichte und Länge zeigt. Sicher in dieser Form der beste, je erzeugte Palmer und eine der Weinlegenden unserer Zeit 100/100.

Der Herr der großen Flaschen

Der Herr der großen Flaschen

Strohwitwer unter sich

Wie schön, wenn man Weinfreunde hat, die gut kochen können. So trafen wir uns nach dem Urlaub spontan in kleiner Strohwitwer-Runde zur genialen Küche von Bernd Wirtz. Programm und Vorgaben für die Weine gab es nicht. Jeder brachte mit wonach ihm gerade war.
Der Start in einen wunderschönen Abend begann mit einem meiner persönlichen Weißwein-Favoriten, dem 2002 Königsbacher Idig GG von Christmann. Der Gastgeber hatte den Wein rechtzeitig dekantiert und dann in großvolumigen Bordeaux-Gläsern ausgeschenkt. Auch so brauchte er im Glas noch gut eine halbe Stunde und eine etwas höhere Temperatur um seine volle Qualität zu zeigen. Ein Weltklasseriesling mit satter, reifer gelber Frucht, unerhörter Mineralität und perfekter Struktur. Sehr balanciert mit guter Säure und toller Länge am Gaumen, noch ganz am Anfang 96/100. Wer diesen Weinriesen bisher nur als winzigen Probeschluck frisch aus der Flasche aus viel zu kleinem Weinglas probiert hat, dem ist etwas entgangen.
Die vielleicht spannensten Rotweine der Welt werden derzeit in Spanien erzeugt. Ganz anders als in Kalifornien, wo mit überreifer Frucht aus viel zu jungen, wegen der Reblaus neu bepflanzten Rebbergen sehr alkoholreiche Monstren erzeugt werden. In der Regel sind es alte, teilweise über 100 Jahre alte Rebberge, derer sich die neuen spanischen Superstars bedienen. Dabei steht nicht Allerwelts-Cabernet im Vordergrund, sondern Tempranillo. Mit sehr strenger Selektion im Weinberg und sorgfältiger Kellerarbeit, bei der der Erhalt der frischen Frucht im Vordergrund steht, werden große, früher trinkbare Weine erzeugt, die für Spanien einen krassen Stilbruch darstellen.
Mit dem ultrararen 2001 Finca Villacreces Nebro hatten wir einen der höchstbewerteten Vertreter der neuen spanischen Generation im Glas. Ein sehr fruchtbetonter, kräftiger Wein, dunkles Purpur, würziges Tannin, reichlich Cassis, dunkle Beerenfrüchte, rauchige Töne, Graphit, Leder und ein Schuß Tabak. Ein sehr komplexer, dichter Wein mit toller Länge am Gaumen, aber bei aller Power und Konzentration sehr zugänglich, fast weich und voll trinkbar. Erstaunlich dabei die Frische, die dieser Wein zeigt 97/100.
In starkem Kontrast dazu stand ein älterer Rioja klassischer Machart, der 1958 Marques de Riscal. Dunkles Braun mit deutlichem Orangenrand, deutliche Alterstöne, oxidative Note, malzige Süße, etwas bitter im Abgang, aber immer noch mit Genuß zu trinken. Wird sich auf diesem Niveau sicher noch etliche Jahre halten 91/100.
Ein weiterer spanischer Klassiker ist der 1970 Marques de Murrietta Castillo YGAY. Mit diesem Wein hatte ich zum wiederholten Male Probleme. Kräftiges Dunkelrot ohne Alterstöne, Säure ohne Ende. Wird im Glas mit der Zeit etwas weicher, milder und entwickelt eine feine Süße. Die massive Säure aber bleibt und macht mich etwas ratlos. Derzeit ist dieser 35 Jahre alte Rioja kein großer Genuß. Ich würde noch 10 Jahre warten und auf ein Wunder hoffen.
Als sehr kraftvoller, reifer Bordeaux, der insgesamt jünger wirkte, erwies sich ein 1955 Lanessan aus einer nicht optimalen (us) Flasche.. Immer noch kräftige Farbe, Amarone- und Malaga-Töne, etwas exotisch, reife Süße, wird sich sicher noch etliche Jahre halten 88/100. Von älteren Lanessans bin ich noch nie enttäuscht worden. Im Gegensatz zu den kurzlebigen Durchschnittsweinen, die heute auf dem Gut erzeugt werden, erweisen sich ältere Lanessans als sehr langlebig und zuverlässig.
In einer ganz anderen Liga spielte natürlich 1955 Lynch Bages. Auch von diesem Wein habe ich schon etliche schlechte, sogar grausame Flaschen getrunken. Perfekte Lagerung ist hier das A und O. Mit dieser Flasche, meiner bisher besten, hatten wir großes Glück. Das war reifer Bordeaux vom Allerfeinsten. Dichte Farbe mit wenig Alterstönen, immer noch Frucht, dazu Minze ohne Ende, wie ich sie von großen Kaliforniern aus den 80ern oder von 47 Mouton kenne. Rauchig, Röstaromen, feine Süße. So eine delikate Frische, aber auch soviel Kraft am Gaumen. Ein finessiger, riesengroßer Wein, der es in guten Flaschen wie dieser noch gut 10+ Jahre macht 98/100.
Eine klassische Bordeaux-Stilistik wies auch 2000 Montepeloso Gabbro auf. Der Publikums-Sieger der 2002 Weinwisser Welt-Cabernet-Degustation wirkt immer noch etwas unfertig. Sehr junge, dichte Farbe, in der Nase deutlicher "Cordier"-Stinker, am Gaumen konzentrierte Cassis-Frucht, massive Tannine. Wirkt insgesamt noch sehr verschlossen und baut nur zögerlich im Glas aus. Ich würde den 2000er Gabbro noch ein paar Jahre weglegen und dann auf sicher 94+/100 Niveau trinken, wenn all die hochgelobten Supertoskaner aus diesem Jahr längst das Zeitliche gesegnet haben.
Natürlich gibt es in Kalifornien neben dem riesigen Angebot alkoholreicher, überreifer Brühe auch ein paar echte Klassiker von Weltformat. Einer davon ist 1997 Peter Michael Les Pavots. Die heftigen 14.5 % Alkohol merkt man diesem erstaunlich frisch daherkommenden Wein erst am nächsten Morgen an. Junges, dichtes Purpurrot, Cassis, reife Brombeeren, Zedernholz-Noten und massig Lakritz. Geht auch als großer Bordeaux aus einem der heißeren Jahre durch. Wenn Harlan als junger-reifer Latour die Quadratur des Kreises darstellt, dann wiederholt der Pavots dieses als junger-reifer Leoville-las-Cases 97/100.

So sehen glückliche Weinfreunde aus

So sehen glückliche Weinfreunde aus