Mythos Petrus

Ganz oben steht Chateau Petrus in der Bordelaiser Preishierachie, ultrarar und sündhaft teuer. Aber steht dem auch ein einigermaßen reeller Gegenwert gegenüber? Ist Petrus auch geschmacklich eine andere Liga? Eine große Petrus-Probe der Ungers in Aschau mit 26 Jahrgängen gab hierzu interessante Einsichten.

€ 3.950 kostet derzeit eine Flasche 2005 Petrus auf der Website eines großen Internet-Anbieters. Ein absurder Preis für einen jungen Wein und sicher außerhalb der Reichweite eines Normalsterblichen. Knapp darunter lag der Preis einer Probe mit 26 Jahrgängen dieses Chateaus, wobei die 22 Teilnehmer für diesen Preis nicht nur mit jeweils 2 Flaschen sehr großzügig versorgt wurden, sondern auch noch in den Genuss eines erlesen 9-Gang-Menüs, kommoder Unterkunft und des PS-starken AMG-Shuttles kamen.

Nehmen wir das Beste der Probe vorweg. Perfektionisten sind die Ungers. So war auch diese Probe entsprechend perfekt organisiert. Sehens- und eigentlich schon eine eigene Reise wert ist der Stammsitz des Unternehmens. Der Probenraum, eher schon eine Halle, ist schlichtweg eine Sensation mit der geräumigsten, bequemsten Probentafel, an der ich je gesessen habe. Perfekt nicht nur die Glaskultur mit insgesamt über 600 eingesetzten Riedel-Gläsern, sondern auch der Weinservice durch Josi Schreiblehner und Andy Wachter, die alle Weine mit Idealtemperatur auf den Tisch brachten(Merke: Idealtemperatur ist immer dann, wenn der Wein einigen Teilnehmern zu kalt ist. Warm wird er nämlich im großen Glas ganz schnell von alleine.) Dabei hatten sie noch das Glück der Tüchtigen. Unter 26 Weinen war nicht ein korkiger. Das ist nicht nur Glück. Auf Chateau Petrus herrscht ein extremes Qualitätsstreben, im Weinberg und im Keller ebenso wie bei der Ausstattung der Flaschen. Aber was ist mit dem Feuerwerk, der endlosen Parade von 100-Punkte-Stars, die natürlich viele für ihren Obolus erwartet hatten?

Zunächst einmal prickelte es im Glas. Zwei Jahrgangschampagner wurden gereicht, beide aus der Magnum. Mir gefiel dabei der cremige, aromatische 1998 Taittinger Comtes de Champagne deutlich besser(93/100) als der etwas unterkühlt, monolithisch und stahlig wirkende 1998 Pol Roger Winston Churchill(87/100).

Kleine Preise gibt es bei Petrus nicht, dafür aber kleine Weine. Davon hatten wir im ersten der stets blind servierten Flights gleich vier im Glas. So kann eben auch ein 1999 Petrus den eher kleineren, frühreifen, dafür aber charmanten und durch die Bank derzeit bereits gut trinkbaren Jahrgang nicht verleugnen. Ein recht schlanker, zugänglicher Wein mit schöner Nase, reife, dunkle Früchte, Bitterschokolade und Expresse, baute sehr gut im Glas und machte einfach Spaß 93/100. Und natürlich konnte man von 1997 Petrus keine Wunder erwarten. Der war von der Nase her noch ganz ok, am Gaumen aber eher fürchterlich, sehr laktisch, als ob hier der erste probiotische Wein im Stile eines Joghurts erzeugt worden wäre, dabei kurz und bitter im Abgang 85/100. Befindet sich bereits auf dem Abstieg. Wer den im Keller hat, sollte ihn bald und undekantiert trinken. Wer ihn nicht hat, braucht sich nicht zu grämen, er hat wahrlich nichts verpasst. Im Gegensatz zum Medoc war 1996 in Pomerol kein großes Jahr. Mit 1996 Petrus entstand ein kräftiger, etwas monolithischer Langstreckenläufer, bei dem in ein paar Jahren noch etwas mehr als die heutigen 91/100 ins Glas kommen könnten. Und dann war da noch ein sehr überraschender 1993 Petrus, der sich prächtig entwickelt hat. Die dichteste Farbe des Flights, aber am Gaumen weich, zugänglich und mit betörender Aromatik 94/100.

Nicht klar kam ich mit 2003 Petrus. Klar ist das Jammern auf sehr hohem Niveau, aber der war einfach genauso schlabberig wie viele andere 2003er aus Bordeaux auch. Eigentlich ein schön zu trinkender, leckerer, eleganter Wein mit viel Süße, aber da fehlte dann doch für einen wirklich großen Wein die Struktur 94/100. Wenn ich noch daran denke, wie die 2003er damals in der Subskription als Jahrhundertjahrgang mit neuen Preisrekorden in den Himmel gelobt wurden, nein, groß ist wirklich anders. Übrigens hielten viele am Tisch, ich gehörte auch dazu, diesen Wein, der nicht viel Petrus-typisches hat, für einen Piraten. Wir tippten dabei auf einen Kalifornier aus einem kleineren Jahr, was man nun nicht gerade als Kompliment bezeichnen kann. Da war 2000 Petrus schon eine ganz andere Liga. Das ist voll ausgereifter Merlot oberster Güte mit viel Kraft und Schmelz. Derzeit etwas verschlossen, aber die große Klasse dieses Weines schon deutlich zeigend. Und bei der Nachverkostung am Ende der Probe, also gut 5 Stunden später, hatte ich dann auch locker 98/100 und einen absolut prächtigen, üppigen, hedonistischen Petrus mit präzisen Konturen im Glas. Absoluter Star des Flights und der gesamten Probe war 1998 Petrus. Deutlich offener als auf der Best Bottle mit René Gabriel vor ein paar Wochen. Der zeigte auf höchstem Niveau einfach alles. Ein schlichtweg dekadent-geiler Saft, solch eine druckvolle Aromatik, eine traumhafte Kombination von Mokka, Perigord Trüffeln und Bitterschokolade, ein Monument, das sprachlos macht. Besser geht Petrus nicht, und dieser Wein hier wird für die nächsten 20-30 Jahre die neue Meßlatte für große Petrus sein 100/100.

So hätte nicht nur ich gerne weiter gemacht. Aber wir waren nun mal auf einer Vertikalprobe und die ähneln einer Bergtour. Es geht ständig rauf und runter. So landeten wir mit dem nächsten Flight wieder tief unten im Tal. Für den inzwischen weitgehend vergessenen Jahrgang erstaunlich gut gelungen 1987 Petrus. Gemüsige Nase in bester Rioja-Art. Am Gaumen als neue Zott-Kreation Paprika-Schokolade, aber auch eine feine Süße, hielt sich einwandfrei im Glas und scheint noch für etliche Jahre gut zu sein 89/100. Dafür roch 1986 Petrus nach Schuhcreme, war auch am Gaumen ziemlich daneben, dünn und ungenerös mit säuerlicher Note 83/100. Ein etwas ungehobelter Kraftbolzen der eckige, rustikale 1988 Petrus mit immer noch mächtigen Tanninen. Von Freude ist da noch nicht viel zu spüren, die Schokolade ist noch im Papier. Da hilft wohl nur Hoffen und Warten 88+/100. In der Stilistik durchaus ähnlich, nur deutlich offener, zugänglicher, schokoladiger, aber auch mit sehr guter Struktur ein als Pirat dazu gestellter 1988 Gazin 91/100. Ein völlig unterbewerteter Wein und ein potentielles Mega-Schnäppchen, kommt ab sofort auf meine Suchliste.

Nachdenklich machte mich dann 1989 Petrus. Vor drei Jahren auf René Gabriels großer Petrus Probe war das noch ein total verschlossener Riese mit massivem Tanningerüst. Und jetzt stand dieser Wein vor mir so offen, so reif, so weit, mit pflaumiger Frucht, sehr süß, sehr rosinig, entwickelte lakritzige Töne und ging schon etwas Richtung Amarone Großer, aber eigentlich viel zu reifer Stoff 97/100. Hatte die Kiste drei Jahre im Hamburger Freihafen draußen gelegen oder schon etliche Meere bereist? Wer so etwas auf einer Auktion kauft, sollte sich dringend vorher über Herkunft und bisherige Lagerung informieren. Einwandfrei wohl die Herkunft von 1990 Petrus. Ein sehr nachhaltiger, kräftiger Wein mit ewigem Abgang, aber auch noch sehr verschlossen. Von der 100/100 Legende, die da bei gut gelagerten Flaschen wie dieser in 10 Jahren mal zu erwarten ist, waren heute schon 96/100 im Glas. Großartig hat sich der immer noch jugendlich wirkende 1995 Petrus entwickelt, ein tolles, aber sehr ausgewogenes Konzentrat mit wunderbarer Frucht und fast burgundischen Konturen. Ein Wein mit viel Zukunft, der auch noch weiter zulegen kann 96/100.

Und schon waren wir im nächsten Tal. Hatte man beim leicht laktischen 1981 Petrus aus Sparsamkeitsgründen die Bitterschokolade durch Milchschokolade ersetzt? Ganz schön dünn, dieses Zeug, dabei im Abgang schwächelnd und mit grasig grünen Tönen 84/100. Dürfte deutlich auf dem Abstieg sein. Gefährlich lebt inzwischen auch der zumindest zu Anfang noch sehr feine 1980 Petrus mit seiner betörenden Frucht. Der Gaumen kommt mit der recht schönen Nase nicht mit, und im Glas baut dieser Petrus recht schnell ab. Da werden dann aus den anfänglichen 88/100 schnell 83/100 und weniger. Auch nicht gerade ein Ruhmesblatt 1985 Petrus. Dem fehlt einfach das Fett. Da ist zwar eine süße, auch leicht stallige Nase, aber am Gaumen fehlt es bei aller Kraft an Finesse. Auf niedrigem Niveau entwickelt sich der 85er im Glas und wird etwas schokoladiger, große Zukunft sehe ich da aber nicht 88/100.

Als sehr weich und reif präsentierte sich 1979 Petrus, der seinen Zenit schon länger überschritten hat 89/100. Das war vor 15 Jahren mal ein sehr schöner Wein. Da gefiel mir 1978 Petrus doch deutlich besser. Kein Blockbuster, aber ein ehrlicher, feiner, sehr aromatischer Petrus mit Leder, Trüffel und Bitterschokolade, ging am Gaumen runter wie Öl 93/100. Im Gegensatz zum 79er scheint der 78er noch reichlich Zukunft zu haben. Eine dichte Farbe hat 1976 Petrus noch, auch Tanninreste. Nur Charme oder Finesse besitzt er überhaupt nicht. Da war leider nie viel und es kommt auch nichts mehr 86/100. Bleibt noch 1973 Petrus, der für das schwierige Jahr außerordentlich gut gelungen ist, ein kleiner, feiner, eleganter Gaumenschmeichler 89/100.

Sehr gut, aber nicht wirklich groß in dieser Probe 1982 Petrus. Aus diesen Flaschen hier schon recht weit und reif mit deutlicher Süße, aber auch der kräuterigen Aromatik eines Lafleur 96/100. Zweimal hatte ich diesen sehr variablen Wein schon mit 100/100 im Glas, aber es gibt auch schlechte Flaschen mit deutliche, grünen Tönen. Erstaunlich dicht, kräftig und jung mit sehr langem Abgang war 1971 Petrus, dem aber etwas die unendliche Eleganz fehlte, die diesen Wein sonst auszeichnet 97/100. Als Pirat stand daneben ein 1971 Mondavi Reserve, nicht der erste Mondavi Cabernet, aber der erste mit der Bezeichnung Reserve. Mehr Bordeaux als Kalifornien, ging problemlos als perfekt gereifter Medoc durch. Alte Mondavi-Reserves sind einfach eine Bank, so auch dieser Wie, der wie eine Eins ohne Schwächen oder Runzeln im Glas stand. Sehr fein, elegant, viel Minze und schöne Süße 92/100.Und dann war da noch 1970 Petrus, der eigentlich zumindest einer der Stars der Probe hätte sein müssen. Die superdichte Farbe stimmte, aber das war es auch schon. Massig flüchtige Säure verdarb den Genuss dieses sonst so zuverlässigen Riesen, schade 85/100.

Blieben noch zwei große Petrus zum Abschluss. Perfekt und damit eigentlich noch etwas zu jung war 1975 Petrus. Noch sehr frisch und im besten Sinne ein exotischer, wilder Wein, sehr minzig und kräuterig mit immer noch massiven Tanninen, blieb ewig lang am Gaumen. Ging wieder als hypothetische Mischung von 1974 Heitz Martha s und einem großen Lafleur durch. Großer Stoff mit großer Zukunft und ein klarer 100-Punkte-Kandidat 98+/100. Absolut faszinierend im anderen Glas auch 1964 Petrus. Der konnte mit 1975 in jeder Beziehung mit. Superdichte Farbe, dichter als 75, kraftvoll, aber auch mit viel hedonistischem Schmelz und großartiger Länge am Gaumen. In dieser herausragenden Form können in 64 Geborene mit diesem Wein auch noch ihren 60. feiern 98/100. Der gewaltige Schlussakkord dieser beiden Weine ließ dann die zahlreichen Petrus-Täler, die wir durchschreiten mussten, rasch vergessen.

Erfrischend zum Abschluss eine 1983 Wehlener Sonnenuhr Auslese von Joh. Jos. Prüm. Geradezu leichtfüßig kam dieser goldgelbe Wein daher, mit faszinierendem Süße-/Säurespiel, mit feinen Honigtönen und mit schwereloser Eleganz, immer noch jugendlich frisch und belebend wie ein doppelter Espresso 94/100.

Ist Petrus nun das Maß aller Dinge? Mit Sicherheit nicht. Große Petrus wie 64, 71, 75 oder 98 sind Monumente und natürlich Höhepunkte im Leben eines Weintrinkers. Dazu zählen natürlich auch die großen, älteren Petrus wie 1945, 47,49,50 und 61. Aber sie müssen aus seriöser Quelle und zuverlässiger Lagerung kommen. Sonst teilen sie das Schicksal anderer Trophäenweine, wie z.B. Mouton, die oft schon vielgereist sind, durch viele Hände wanderten und zur Zierde in manchem Wohnzimmerregal standen. Ob diese Weine im sehr guten Zustand ihren sehr hohen Preis wert sind, darüber lässt sich trefflich streiten. Die absolute Spitze hat nun mal ihren Preis. Hoffnungslos überteuert sind in jedem Fall die Petrus aus kleineren Jahren. Wer € 500 und mehr für Weingenuss auf 90/100 Niveau und weniger ausgibt, der kann von sich mit Fug und Recht sowie etwas zweifelhaftem Stolz behaupten, dass er ein wahrer Etikettentrinker ist.

Interessant im Vergleich sicher auch die Ergebnisse von René Gabriels großer Petrus-Probe aus dem Jahre 2005.