Sylter (W)Eindrücke 2007

Jeder hat seinen Lieblingsplatz auf dieser Erde. Den Einen zieht es nach Mallorca, den Anderen in die Karibik. Ich bin seit Jahrzehnten Syltfan. Das Reizklima dieser Insel, die Dünen, Strand und Meer, die im Sommer blühende Heide, die salzige Luft, der prächtige Himmel mit seinem Farbenspiel, einfach einmalig. Die Hälfte der Leute, die nach Sylt kommen, machen das nur einmal und nie wieder. Die andere Hälfte kommt von da an jedes Jahr. So einfach ist das. Wer Sylt nicht kennt, muss es ausprobieren. Da wissen Sie schon nach wenigen Tagen, ob die Insel zu Ihnen passt. Weinfans profitieren von dieser Insel ungemein. Nicht nur wegen der vielen Lokale und gut sortierten Weinkarten. Auch, weil das Klima viel verzeiht. Hier habe ich noch nie einen dicken Kopf gehabt, auch wenn ich mal über die Stränge geschlagen bin. Und Champagner schmeckt nirgendwo auf der Welt besser als in der würzigen Nordseeluft. Aber muss ich diese einmalige Insel wirklich weiter loben?

So voll wie in diesem Jahr habe ich Sylt noch nie erlebt. Keine Frage, die Insel ist angesagt. Fernab von Terrorangst, Waldbränden und lärmendem Massentourismus lässt es sich hier hervorragend urlauben. Noch nie war es dazu so leicht und preiswert, nach Sylt zu kommen. Lufthansa, Air Berlin und TuiFly überbieten sich mit immer neuen Verbindungen und attraktiven Tarifen. Und doch bietet die Insel mit ihrem 40 km langen, feinsten Sandstrand genügend Platz und zahllose, einsame Stellen.
Eng wird es in der Hochsaison nur in der Sylter Gastronomie. Dabei bietet die Insel eine schlichtweg einmalige, gastronomische Dichte. Vom hoch dekorierten Sternetempel davon hat Sylt alleine vier bis zum rustikalen Strandbistro, vom Chinesen über diverse Italiener bis hin zu den immer zahlreicheren Weinbars ist hier für jeden Geschmack reichlich dabei. Vier Wochen Urlaub machen und dabei mittags und abends jeweils in einem anderen Restaurant gut speisen? Auf Sylt kein Problem. Einen guten Überblick über die Insel Gastronomie bieten zahlreiche, spezielle Gastroführer. Einen Marcellino Sylt gibt es z.B. ebenso wie ein "Sylt geht aus" aus dem Überblick-Verlag. Mein Favorit ist das jährlich zu Pfingsten erscheinende Sylt à la Carte aus dem Eiland Verlag. Darin werden die Sylter Lokale mit Original-Speisekarten beschrieben. Sicherlich eine lohnende Investition für alle, die sich Sylt gastronomisch erschließen wollen.
Hochsaison ist auf Sylt über Ostern, Pfingsten, Himmelfahrt, Fronleichnam, von Anfang Juli bis Ende August und über Weihnachten/Neujahr. Wer zu diesen Terminen nach Sylt kommt und ein Wunschlokal hat, der muss wohl oder übel sehr lange vorausbuchen. Echte Sansibarfans z.B. buchen Ihren Wunschtermin teilweise schon im Vorjahr. Auch ich staunte diesmal nicht schlecht, als ich Mitte Juli für die zweite oder dritte Augustwoche einen Tisch bei Johannes King im Sölring Hof buchen wollte. "Vor Ende August geht gar nichts", bürstete mich eine hörbar entnervte Mitarbeiterin barsch ab. Kein Hinweis auf eine Warteliste oder darauf, angerufen zu werden, wenn sich doch noch etwas ergibt. Die war einfach nur froh, dass sie mich wieder los war. Ich habe halt meine Euros woanders hin getragen.
Leichter hat es in den vier begehrten Sternetempeln( Jörg Müller, Fährhaus Munkmarsch, Landhaus Stricker und Sölring Hof) wer dort wohnt. Alle vier Restaurants bieten eigenen Hotelbetrieb auf höchstem Niveau und bevorzugen natürlich ihre eigenen Hausgäste bei der Platzvergabe im Restaurant.
Gerade in den Sommerferien gefällt mir die Vorausbucherei überhaupt nicht. Soll ich mich sechs Wochen vor dem Urlaub schon entscheiden, worauf ich an einem bestimmten Tag Hunger habe? Das ist im Urlaub nicht mein Ding, mit einer Ausnahme. Traditionell verbringe ich den ersten und den letzten Urlaubsabend ebenso bei Jörg Müller wie meinen Hochzeitstag und meinen Geburtstag. Macht also mindestens vier Abende bei der für mich klaren # 1 des Nordens. Dabei lockt den Wineterminator neben der fantastischen Küche vor allem die zumindest für Deutschland einmalige Weinkarte.

Für alle, die es im Urlaub ruhiger und spontaner angehen lassen wollen, hier ein paar Tipps für ungetrübte Sylter Wein- und Gastrofreuden:

Ganz kurzfristig Buchen
Wer gegen 17 Uhr in den Restaurants seiner Wahl anruft, trifft mit etwas Glück auf eine zeitgleich eingegangene Absage

Spät kommen
Ab halb zehn leeren sich in fast allen Restaurants die ersten Tische. Und da es in der Hauptsaison meist bis 11 Uhr, teilweise bis Mitternacht warme Küche gibt, hilft dieser Tipp oft. Selbst in der Sansibar ist ab 10 Uhr abends fast immer noch ein Tisch zu bekommen, ebenso in der beliebten Kampener Vogelkoje

Selbst Kochen
Wer eine Ferienwohnung bewohnt (wenn Sie eine solche buchen, bitte unbedingt darauf achten, dass die Wohnung eine schöne Terrasse hat), kann sich auf Sylt spielend auf hohem Niveau selbst versorgen. Der frische Fisch der Sylter Restaurants kommt meist von Blum. Da können Sie auch einkaufen. Feinkost Meyer in Wenningstedt, im letzten Jahr zu Recht als bester deutscher Supermarkt ausgezeichnet, bietet alles, was das kulinarische Herz begehrt. Die schier unglaubliche Käsetheke schlägt auch die Käsewagen der Top-Restaurants um Längen. Sehr umfassend auch das Weinangebot, bis hin zu etlichen Jahrgängen der 1er Crus aus Bordeaux.

Am Strand bleiben
Schlechtes Wetter ist auf Sylt im Sommer eher die Ausnahme. Und so herrscht auf der Insel in den Monaten, in denen die Sonne erst meist weit nach 9 Uhr untergeht, eine Art nordfriesisch-mediterrane Lebensart. Das Leben spielt sich vorwiegend draußen ab, auch abends. Da locken z.B. in Kampen das Strandbistro Buhne 16 und das Grand Plage, in Wenningstedt Wonnemeyer, in List die Weststrandhalle und in Rantum das Seepferdchen. Alle bieten ein erstaunlich vielseitiges gastronomisches Angebot, interessante Weine, eine lockere, unkonventionelle Atmosphäre und last not least spektakuläre Sonnenuntergänge.

Dann fangen wir doch gleich mit dem Strand an, wo ich in diesem Jahr gut die Hälfte der Abende verbracht habe, teilweise bis weit nach Mitternacht. Als einfacher Kiosk begann die Buhne 16 vor 26 Jahren. Inzwischen ist daraus ein respektables Strand Bistro geworden mit legendären Festen. Gut 30 preiswerte Weine werden inzwischen angeboten. Ein leichter(11,5%), frischer, fruchtiger Sommerwein mit Zitrusaromen und animierender Säure die 2006 Cuvée Fidelius von Joachim Heger 83/100. Sehr säurebetont der 2006 Sauvignon Blanc von der Insel Mariannenaue, der wohl in 2006 trotz dezenten Charmes und etwas Kiwi, Grapefruit und Zitrusaromen nicht so richtig reif geworden ist und etwas mager wirkt 80/100. Habe ich aus den Vorgängerjahren deutlich besser in Erinnerung. Ansprechend ein 2005 Asara b2 Sauvignon Blanc Chardonnay aus Südafrika mit exotische Früchten, frisch gemähter Wiese und knackig-bissiger Säure 84/100. Wenig anfangen konnte ich mit dem 2006 Chardonnay trocken Dürkheimer Steinberg "Höhenflug" von Hensel. Intensives, leuchtendes Bonbongelb, reife, gelbe und exotische Früchte, ein Wein, der trotz "bescheidener" 13% am Limit ist, möchte ich in 2 Jahren nicht mehr trinken müssen, wirkt wie ein überzüchteter Wein aus dem Chemielabor 82/100. Frisch und fruchtig mit guter Säure, apfeliger Frucht und Kiwis 2006 Hawke s Bay Sauvignon Blanc von Babich aus Neuseeland 84/100. Mein Favorit an der Buhne 16 war der geschliffene, mineralische 2006 Saar Riesling von Van Volxem, ein prachtvoller Sommerwein mit herrlicher Frucht und spielerischer Eleganz 87/100. Etwas heftiger die Roten Weine. Klar, outdoor zu steifer Nordseebrise passt nun mal kein intellektuelles, fein ziseliertes Tröpfchen. Da ist Power angesagt. Die fand sich z.B. in den beiden letzten Flaschen 2001 Foxen Cabernet Sauvignon, die wir vernichteten. Deutlich reifer als im Vorjahr, aber immer noch ein feiner, nicht überladener Fruchtcocktail mit viel Sex-Appeal 89/100. Satte Frucht, schwarzer Pfeffer, aber auch etwas üppig und alkoholreich der 2004 Bremerton Elderkirk Shiraz aus Australien 88/100. Zur "Beatlesmania", einem der vielen Feste der Buhne 16, tranken wir etliche Flaschen des 2005 Clos de los Siete aus Argentinien. Ein prächtiger Wein mit üppiger Frucht und sehr reifen Tanninen. Nicht sehr komplex. Kein Wein, über den man groß nachdenken oder Philosophieren muss. Einfach bezahlbarer Rotweinspass. Deutlich unter € 20 kostet der im Laden und unter € 40 an der Buhne 16. Da erspare ich mir Meckerei über internationalen Geschmack, wie ihn hier natürlich der omnipräsente Michel Rolland mit den Gebrüdern Lurton erzeugt hat. Solide, bezahlbare 88/100 kommen da ins Glas. Für die muss man nicht Wein studieren, keinen Keller bauen und keine Bank ausrauben. Einfach kaufen und trinken(oder was immer sich auf kaufen reimt).
Auf erstaunlich hohem Niveau in diesem Jahr die Küche im Grande Plage am Kampener Strand. Hier trank ich auch meine beiden Strandfavoriten. Traumstoff und für einen einigermaßen preiswerten Kabinett, erstaunlich wie erfreulich zugleich 2006 Hochheimer Hölle Kabinett trocken von Künstler. Diese geniale Mischung aus Kraft, mineralischer Eleganz, Länge und Fülle, aus feiner Frucht und rassiger Säure macht einfach an 91/100. Einfach herrlich auch der 2003 Louisas Vineyard von Mont du Toit aus Stellenbosch in Südafrika. 24 Monate lag diese Cuvée aus Cabernet, Merlot und Shiraz im Holzfass. Eine Sansibar-Spezialabfüllung mit einem netten Hintergrund. Die Weingutsbesitzerin Caroline du Toit, eine gebürtige Hamburgerin, verbringt seit ihrer Kindheit den Sommer am Rantumer Strand. Jetzt spielt da ihre Tochter Louisa, nach der dieser Wein benannt ist. Ein fruchtiger, fülliger, würziger, schokoladiger Wein, der pure Lebensfreude ausstrahlt, unkompliziert, aber nicht simpel, zugänglich, aber doch komplex. Wir haben ihn mehrfach mit Freunden und stets mit Freude getrunken 90/100. Ach ja, Bernd Philippi hat da auch seine Finger mit drin, was dem Wein sicher nicht geschadet hat.

Überhaupt wird auf Sylt im Sommer praktisch an jedem Tag irgendwo gefeiert. Ein Pflichttermin ist für mich stets der 1. August. Da zelebriert Pius Regli, Deutschlands nördlichster, aus Luzern stammender Schweizer, in seinem Kampener Restaurant Manne Pahl den Nationalfeiertag seines Heimatlandes. Einfach ein saugutes Fest mit Schweizer Küche und viel Schweizer Lokalkolorit, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Ich trinke dort natürlich dem Tag angemessen einen Gantenbein, in diesem Jahr den
2004 Gantenbein Pinot Noir. rote und blaue Beeren, cremige Textur, schlanker als in den Vorjahren, moderne Stilistik und etwas poliert wirkend, aber was soll s, einfach genial lecker zu trinken - 91/100. Mit großem Vergnügen machten wir uns im Manne Pahl auch über die letzten Flaschen 1985 Trotanoy her, der sich wieder wie im Vorjahr an gleicher Stelle offen, reif und schmelzig mit viel Schokolade zeigte - 90/100.

Gleich zweimal hatte ich in diesem Sommer das unverhoffte Glück, den Abend in der Sansibar verbringen zu dürfen. Gleich mit einem Paukenschlag begann der erste dieser Abende, die letzte 2005 Hubacker Riesling GG Magnum von Klaus Keller. Was für ein tolles Geschoß! Da kam Lebensfreude pur aus der Flasche. Rassig, sehr mineralisch, reife gelbe Früchte mit schöner Fruchtsüße, kräuterig-würzig. Ein komplexer, vielschichtiger Riesling, an dem man stundenlang riechen und probieren könnte wenn er denn nicht so unglaublich viel Spaß machen würde. So sind die Gläser immer rasch leer und die Magnum bei vier durstig-fröhlichen Menschen auch. Faszinierend, wie dieser Wein, der mich an die besten Weine von Emmerich Knoll erinnert, in harmonischer Art Kraft und Eleganz verbindet. Wie alle 2005er erstaunlich frühreif, aber da ist genügend Substanz für längere Lagerung 95/100. Danach begaben wir uns in Michael Hamanns bewährte Hände. Aus dem unerschöpflichen Sansibar-Keller schafft er immer wieder Überraschungen hervor. Dabei liegt die Stärke von Michael Hamann, der auch den Sansibar-eigenen Weinhandel zu ungeahnten Höhen geführt hat, eindeutig bei jüngeren Weinen. So ging auch der erste Versuch mit einem 1969 Beaune 1er Cru von Michel Ganoux ziemlich in die Hose. Ein in Ehren gereifter Burgunder, bei dem aber alles Farbe, Nase, Gaumen deutlich über den Punkt war. Noch trinkbar zwar, aber ohne viel Vergnügen 75/100. Dann aber kredenzte uns Michael eine 2005 Grous Reserva von Herdade Dos Grous aus dem Alentejo in Portugal. Voll da mit satter, reifer Brombeere und tiefer, undurchdringlicher Farbe. Erdig, mineralisch, aber auch mit etwas Schokolade. Am Gaumen Kraft und Fülle mit reifen Gerbstoffen 92/100. Sicher ein Name, den man sich merken sollte. In Südfrankreich war ich beim nächsten Wein. Der war bei aller reifer, schmelziger Frucht so unglaublich lakritzig. Doch es war ein 2004 Shafer Cabernet Sauvignon One Point Five. Auch der voll trinkbar, mit heftigen 14.9% - 92/100. Als letzter Rotwein kam 2002 Shafer Hillside Select auf den Tisch. Den habe ich zuletzt vor gut einem halben Jahr getrunken, als ich ihn noch ziemlich verschlossen fand. Diesmal zeigte er deutlich mehr. Ein Hillside Select vom Feinsten mit irrer Fruchtsüße, aber deutlich mehr Tanninen als 2001. Unglaublich, wie ein Wein mit dieser üppigen, reifen Frucht, mit diesem Extrakt und dieser Kraft so puristisch schön und eigentlich auch elegant wirken kann. Ich bin sicher, dass dieser Wein in 1-2 Jahren die Höchstnote wert ist, 99/100 hatten wir schon an diesem Abend im Glas. Unermüdlich versorgte uns die supernette, hochmotivierte Sansibar Crew mit der nötigen Grundlage für diese Hammerweine. Und als dann als Abschluss dieses schönen Abends noch ein herrlicher Kaiserschmarrn auf den Tisch kam, da musste auch noch ein passender Süßwein her. Mit Keller hatten wir angefangen, mit Keller hörten wir auf. Perfekte Begleitung unseres Desserts war eine 2005 Morstein Riesling Auslese***, ein üppiger Aprikosen-Turbo im BA-Bereich, recht süß mit guter Säure, dem vielleicht etwas die Struktur fehlte, um ihn solo zu genießen, zum Kaiserschmarrn passte er jedoch perfekt 93/100.

Michael Hamann mit Sansibar-Weinschätzen

Michael Hamann mit Sansibar-Weinschätzen

Den zweiten Sansibar-Abend zwei Wochen später starteten wir dann mit der nun wirklich allerletzten 2005 Hubacker Magnum, es hatte sich doch noch eine gefunden, und die war genauso spektakulär wie die erste. Weiter ging es mit 2002 Charme Douro von Niepoort aus Portugal. Verbrannte Erde, rosinige Frucht, altes Sattelleder, aber auch etwas staubige Tannine, darunter bemühte sich die reife Frucht, trotz aller Süße nicht unterzugegen. Baut mit der Zeit enorm im Glas aus, wird gefälliger, süßer, fruchtiger. Ein Charakterwein, dem man Zeit und Luft geben muss - 90/100. Ganz schön stramm war 2001 Vigna l Apparita. Betörend die Nase mit satter, reifer und süßer Frucht. Wirkte exotisch, aber dann waren da auch die massiven Tannine, die nach massig Luft und noch mehr nach langer Lagerung schrieen. Das ist kein Allerwelts-Schmusemerlot, das ist hammerharter Stoff, eigenständig, mit gewaltiger Perspektive. L Apparitas aus großen Jahren wie 2001 brauchen gut 10 Jahre, um zu zeigen, was sie alles drauf haben 94+/100. Sehr positiv überrascht war ich von 1996 Houghton Jack Mann Cabernet Sauvignon Shiraz aus West Australien. Jetzt wohl ziemlich auf dem Höhepunkt, auf dem er wohl noch einige Jahre bleiben dürfte, reife, aber nicht überbordende Frucht, Leder, schwarzer Pfeffer, erdig, ein nachhaltiger, sehr stimmig wirkender Wein, der nichts vom Marmeladigen seiner Kollegen von der anderen Seite des australischen Kontinents hat 93/100.

Klaus und Muffel vor ihrem Wiin Kööv

Klaus und Muffel vor ihrem Wiin Kööv

Wer zumindest weinmäßig etwas Sansibar-Feeling sucht, im Original nicht zum Zuge kommt oder nicht so weit fahren möchte, dem empfehle ich das gemütliche Wiin Kööv in Kampen, gleich hinter dem Dorfkrug. Dessen Wirt "Muffel" Stoltenberg macht das Wiin Kööv zusammen mit Klaus, einem in Sachen Wein sehr kompetenten, ehemaligen Sansibar-Mitarbeiter. Einen eigenen, richtigen Weinkeller hat das Wiin Kööv nicht. Der größte Teil der Weine wird "just in time" von der Sansibar geliefert. Da sind dann immer einige, hochinteressante Tropfen drunter. Erstaunt und fast auch etwas erschreckt war ich von der 1996 Pichon Comtesse de Lalande. Die war schon so reif und zugänglich, ein saftiger Wein mit viel Schmelz und Schokolade, wirkte in diesem Stadium sehr Merlot-betont mit wunderbarer Fruchtsüße, die die durchaus vorhandenen, massiven Tannine gut maskierte 96/100. Eine moderne Kurzstrecken-Comtesse? Eher nicht. Ich habe meine Notizen der 86er Comtesse gecheckt. Die schmeckte mit 10 Jahren auf Sylt praktisch gleich. Möglich also, dass sich die Comtesse demnächst noch einmal verschließt. Aus einer 2 Tage vorher zu einer Veranstaltung geöffneten Magnum 1993 Malartic Lagravière erhielt ich auch einen Schluck. Ein unkomplizierter Wein, eher auf der leichteren Seite mit feinem Schokoton. As der 1tel wahrscheinlich kein Genuss mehr, mit Magnum-Bonus immer noch 84/100. Sehr schön dann zwei süße Weine. Eine 1975 Brauneberger Mandelgarten Riesling Auslese von Conrad-Schreiber wirkte noch erstaunlich frisch mit guter Säure, sehr harmonisch und in Richtung halbtrocken gehend, wird sich sicher noch länger auf diesem Niveau halten 90/100. Nicht ganz so fein, aber deutlich fülliger mit mehr dezenter Süße, ebenfalls noch recht frisch eine 1976 Brauneberger Mandelgarten Kerner BA vom selben Winzer 90/100.
Beim nächsten Wiin Kööv Besuch starteten wir mit einem 2005 Grauer Burgunder "R" von Klaus Zimmerling aus Sachsen-Pillnitz. Nur in halben Flaschen wird dieses mächtige Teil mit 14,5% Alkohol abgefüllt, das auch vom Kaiserstuhl kommen könnte. Sächsischer Landwein steht da bescheiden auf der Flasche. Für mich stände das für "dünn und sauer". Ganz anders bei diesem Qualitätsfanatiker, der durch rigorose Selektion und niedrigste Erträge reife Frucht, eine große Obstwiese und eine kräftige Struktur auf die Flasche bringt. Voll und kräftig am Gaumen mit langem Abgang 89/100. Sicher ein Name, den man sich merken sollte. Enttäuscht war ich von 1999 Roc de Cambes, der zumindest in dieser Flasche seine besten Tage schon hinter sich hatte. Reifetöne schon in der Farbe, in der Nase gemüsig wie ein älterer Rioja, balsamische Noten Soyasoße, am Gaumen etwas bitter und leicht säuerlich 84/100. Um so besser 1990 Vega Sicilia Unico. Der war wieder in Topform mit feiner, süßer, rotbeeriger Frucht, am Gaumen dicht, komplex und lang mit dem Besten aus Frankreich und Spanien 95/100. War das nur Glück? Vom 90er Unico kenne ich auch deutlich schlechtere Flaschen.. Sehr schön danach auch wieder 2001 Torre Muga. Würzige, süße Frucht, Leder, Tabak, Zedernholz, gute Struktur und Länge, dazu wie alle Muga-Weine ein sehr gutes Preis-/Leistungsverhältnis 94/100. Erschlagen wurde der Torre Muga allerdings von 2001 Amancio von Sierra Cantabria. Der hat von allem alles, fantastische, süße Frucht, reife Brombeeren, Schwarzkirschen und Blaubeeren, unerhörte Mineralität mit viel Graphit, trotz aller hedonistischen Offenheit eine Super Struktur und Länge, Röstaromen ohne Ende, Kakao, Schokolade, Kaffee, Tabak, viel reifes und süßes Tannin, cremige Holznoten. Könnte perfekt altern, aber der macht jetzt schon soviel Spaß, dass er in kaum einem Keller überleben dürfte 97/100

Feine Spanier & Co

Feine Spanier & Co

Bei einem weiteren, spontanen und späten Besuch im Wiin Kööv tranken wir einen 2005 Königsbacher Idig von Christmann, einen meiner Lieblings-Rieslinge. In 2005 ist auch der sehr offen und saftig geraten, trotzdem ein großer, faszinierender Wein 94/100. Es war schon kurz nach Mitternacht, als 1998 Masseto ins Glas kam, aber der machte uns sofort hellwach. Was für ein unglaubliches, hedonistisches Fruchtkonzentrat, dabei trotz aller Pracht und Fülle soviel Komplexität und Tiefgang, ein Weltklassemerlot in Topform, der mich spontan an große Pingus-Jahrgänge denken ließ 97/100.

Sehr beliebt, nicht nur bei mir, und stets prall gefüllt die ganzjährig geöffnete Vogelkoje in Kampen. Besonders im Garten sitzt es sich dort sehr gemütlich. Wer will, kann hier sehr opulent frühstücken, bis 18 Uhr, und dann gleich zum Abendessen da bleiben. Im Sommer leistet sich die Vogelkoje immer den Luxus eines prominenten Gastkochs. In diesem Jahr war es Peter Scharff von der Wartenberger Mühle. Sehr angenehm auch im Service Markus Kutzelnig, ein Sommelier-Profi mit sehr profunden Weinkenntnissen, dem man sich blind anvertrauen kann.
Wir starteten mit einer 2005 Rüdesheimer Reiterpfad Spätlese trocken von Josef Leitz aus dem Rheingau. Ein großes Rad dreht Leitz derzeit mit seiner jungen, engagierten Kellermeisterin. Das ist kein klassisches Rheingau mehr, sondern mit aus perfektem Lesegut stammenden, satten, reifen Frucht und der druckvollen Aromatik schon eher Wachau. Für einen Wein mit derartiger Struktur und diesem gewaltigen Extrakt aber sympathisch niedrige 12,5% Alkohol. Und mit einer für 2005er erstaunlich knackigen Säure, einer der wenigen Weine dieses Jahrgangs, der gutes Alterungspotential besitzt 91/100. Dazu gelernt habe ich auch mit dem 2003 Blaufränkisch Alte Reben Neckenmarkt vom Weingut Moric. Das ist Blaufränkisch auf die Spitze getrieben, reife, blaubeerige Frucht, vanillig durch den deutlichen Holzeinsatz, am Gaumen trotz der darunter liegenden, kräftigen Säure samtig und weich wirkend, komplex und lang am Gaumen 92/100. Und dann kam mit einer Superfarbe schiere Wollust ins Glas, 2001 Pavie. In der faszinierenden Nase Estragon und frischer Oregano, reife Frucht, am Gaumen gewaltige, explosive Aromatik. Puristen mag dieser Wein zuviel des Guten sein. Ich finde ihn einfach hedonistisch schön, zum Reinsetzen. Da ist nichts Überladenes, einfach ein komplett ausgereizter Wahnsinnsstoff 96/100. Freude kam dann zum Schluss auch auf mit zwei Flaschen 2005 Oestricher Lenchen Spätlese 303 vom Weingut Spreitzer. Traumstoff in jugendlicher Frühform mit reifer, offener Frucht, toller Säure und Schmelz bis zum Horizont 93/100. Mit dabei(auf dem Foto unten von links) Markus Kutzelnig, Küchenchef Gerhard Diehm und Gastkoch Peter Scharff.

Geballte Vogelkoje-Kompetenz

Geballte Vogelkoje-Kompetenz

Einen weiteren, ungeplanten Vogelkoje-Besuch gönnten wir uns am(vorerst) letzten Syltabend. Eine Wolke trübte zu später Stunde am Strand den Blick auf einen möglichen Sonnenuntergang. Also spontan ab zur malerisch auf der Wattseite gelegen Vogelkoje, wo wir mit viel Glück einen Tisch bekamen. Diesmal starteten wir mit einem meiner weißen Lieblingsweine, dem 2002 Malterer von Huber. Rechtzeitig dekantiert wirkte er etwas offener als noch zu Ostern an gleicher Stelle, ein kraftvoller Wein mit reifer Frucht, nussigem Schmelz und deutlicher Holznote, wie eine hypothetische Mischung aus einem Chassagne Montrachet und einem kalifornischen Chardonnay. Durch seine Statur setzt er sich auch gegen stärker gewürzte Speisen durch 91/100. Völlig neu war für mich der 1999 Kurni von Oasi degli Angeli. Ein saftiger, üppiger Wein, Sauerkirschen und rauchige Noten in der ausdrucksstarken Nase, am Gaumen eher blaubeerig mit viel Lakritz, gute Säure, und im langen Abgang wieder die reife Sauerkirsche. Ein eigenständiger, spannender Wein, der in keine Schablone passt 93/100. Nicht vorbei konnte ich auch am noch einigermaßen human kalkulierten 2001 Latour. Der präsentierte sich, rechtzeitig dekantiert, etwas offener als vor 2 Monaten auf Chateau Latour. Ein Langstreckenläufer mit viel Potential und den klassischen, trüffeligen Walnussaromen. Könnte mal ein zweiter 71er werden 93+/100. Erinnern mich die trockenen Leitz Weine in der Stilistik eher an die Wachau, so war bei der restsüßen 2005 Rüdesheimer Magdalenenkreuz Spätlese Mosel angesagt, so fein und spielerisch elegant tänzelte dieser Wein auf der Zunge. Nur der satte, reife Pfirsich verriet die andere Herkunft 90/100.

Den mit Abstand schönsten Blick der Insel bietet die Terrasse des Waltershof in Kampen. Praktisch der gesamte Nordteil der Insel bis nach List liegt einem hier zu Füßen mit dem grandiosen Blick über beide Meere. Wer sich daran alleine nicht satt sehen kann, findet in der Küche des Waltershof beste Unterstützung. Aus der kleinen Weinkarte tranken wir einen 2006 Kamptaler Terrassen Grüner Veltliner von Bründlmayer. Auch das ein echter Sommerwein. Würzig, pfeffrig mit knackiger, frischer Säure und sympathischen 12,5% - 86/100. Runter wie Öl ging an gleicher Stelle zu anderer Zeit auch ein 2001 Luce, der mit Abstand beste, den ich bisher aus diesem ehemaligen Frescobaldi-Mondavi Joint Venture getrunken habe. Muskulös, diese Cuvée aus Merlot und Sangiovese, aber sehr aromatisch und weich, trotz dichter, gut verpackter Tannine 92/100. Viel zu jung waren die zwei Flaschen Krug Grande Cuvée, die wir an den Waltershof-Abenden getrunken haben. Die Grande Cuvée von Krug entspricht in der Qualität eigentlich einem Jahrgangschampagner und hat dessen Reifepotential und Bedürfnis, wird aber als Verschnitt mehrerer Jahrgänge hergestellt. Damit ähnelt sie vom Prinzip her dem Vega Sicilia Unico Reserva Especial. Fragen Sie also ruhig, wenn Sie in einem Restaurant die ansonsten sehr hochwertige Grande Cuvée bestellen, seit wann die Flasche dort liegt. Frisch eingekauft entgeht Ihnen ein Großteil des Vergnügens.

Sylt ist nicht billig. Aber es gibt sehr gute Häuser mit excellentem Preis-/Leistungsverhältnis. Da liegt Hardy s Weinstuben in Westerland ganz vorne. Auch die Weinauswahl ist wohlfeil und wem das nicht reicht, der greift nach der spannend sortierten Raritätenkarte. Unser erstes Getränk ein prickelnder Cidre Brut du Pay d Othe von der Société Betto aus Chaource. Schlappe 4% hatte dieser frische, animierende Cidre mit dem Geschmack reifer Äpfel. Champagner-Alternative mag etwas hoch gegriffen sein, aber den meisten Sekten und vor allem den vielen unsäglichen Proseccos würde ich ihn immer vorziehen. Leider schon deutlich über den Höhepunkt hinaus war der 1990 Blauer Spätburgunder SJ von Johner, der schon deutlich schwächelte 85/100. Sehr konzentriert 2002 Pape Clement, ein Kraftbolzen mit guter Frucht, massiven Tanninen und einem Touch Neue Welt, gut antrinkbar, aber da müsste noch mehr kommen 91+/100. Ein Erlebnis dann 1933 Pommard von Violland aus dem Geburtsjahr von Hardy s Weinstuben. Erstaunlich intaktes Himbeerrot, feine Nase, immer noch mit Frucht, auch am Gaumen feinfruchtig und sehr aromatisch, fragil aber nicht senil und mit der unnachahmlichen Eleganz großer, alter Burgunder 94/100. Danach wechselten wir in die edelsüße Abteilung. Schon eine erstaunlich reife, gold-güldene Farbe hatte 2001 Guiraud. Feine Orangen-Bitternote, Ledertöne, weich und schmeichelnd am Gaumen mit wenig Säure 91/100. Sehr zugänglich auch der Zweitwein 2004 Les Carmes de Rieussec, der bei Hardy s für kleines Geld glasweise ausgeschenkt wird. Feine Frucht, zugänglich, dezente Bittenote, nicht sehr süß 85/100. Als Abschluss tranken wir noch einen Klassiker aus älteren Hardy-Zeiten, einen 1983 Wolfberger Gewürztraminer. Der vor 15 Jahren mal sehr süße Wein war inzwischen fast furztrocken, aber immer noch mit einer faszinierenden, würzig-kräuterigen Aromatik. Mir gefiel er eigentlich besser als in seiner damaligen Blüte 88/100.

Klar kam auch die oben angesprochene, private Gastlichkeit zu ihrem Recht. In unserer eigenen, kleinen Ferienwohnung mussten im Kreise netter Freunde 1998 und 1999 Palazzi von Tenuta di Trinoro dran glauben. Das waren beides nicht mehr die Hammerteile wie vor 3 Jahren, aber immer noch sehr fruchtige, schokoladige, spannende Weine auf 93-94/100 Niveau. Sollten aber sicher in den nächsten Jahren getrunken werden. Vorher hatten wir einen 2001 Grüner Veltliner Honivogl von Hirtzberger getrunken, einen Weltklasse Grüner Veltliner mit würziger, rassiger Frucht, cremiger Textur, deutlicher Extraktsüße, hoher Mineralität und enormem aromatischen Druck, noch sehr jung mit viel Potential 94/100. Einfach herrlich trank sich auch die sehr aromatische 2000 Chateauneuf-du-Pape Cuvée Reservé von Pegau, wirkt in ihrer offenen, hedonistischen Art sehr reif, steht aber erst ganz am Anfang 94/100. Mir war dieser Wein in den ersten Jahren fast zu süß. Mittlerweile gewinnt er an Struktur und legt zu. Sein Optimum wird er wohl erst in 5-10 Jahren erreichen und dann noch gut 10 weitere Jahre auf hohem Niveau verbleiben. Sehr gut auch wieder 1989 Talbot, ein eleganter Wein mit feiner, rotbeeriger Frucht, Leder, dezenter Süße und guter Länge am Gaumen 92/100. Auf ähnlichem Niveau, aber in seiner Art völlig anders 1986 Clerc Milon. Das ist klassischer Pauillac, wie aus einem Stück gemeißelt, immer noch mit sehr dichter, junger Farbe und massivem Tanningerüst, kraftvoll, fleischig, braucht viel Luft 91+/100. Bei den Arrivage-Proben vor 20 Jahren war das mein Preis-/Leistungssieger. Ich habe damals für ganz kleines Geld reichlich davon gekauft, übe mich dafür aber jetzt auch schon 2 Jahrzehnte in Geduld.

Private Sylter Gastlichkeit

Private Sylter Gastlichkeit

Traumhaft schön saßen wir(siehe Foto) auf der Rantumer Düne bei einheimischen Freunden. Da wurden wir mit einem 2005 Ruppertsberger Gaisböhl GG von Bürklin-Wolf aus der Magnum willkommen geheißen. Einer der schönsten Rotweine des Abends kam gleich zu Anfang, 1997 Paloma Merlot aus dem Napa Valley ist so ein weicher, schmelziger, schokoladiger, feiner Merlot. Den zur Sylter Abendsonne auf einer Terrasse genossen, da ist die Welt mehr als nur in Ordnung 94/100. Einen deutlichen Fehlton hatte leider 1986 l Eglise Clinet, kein richtiger Kork, aber irgendetwas war mit diesem Wein nicht in Ordnung. Schade, auf den Vergleich reifer Merlot Alte und Neue Welt hatte ich mich gefreut. Gut gereift und immer noch schön zu trinken 1987 Grgich Cabernet Sauvignon, ein langlebiger Kalifornier alter Machart 90/100. Klassisch, grandios und groß 1983 La Mission Haut Brion. Wieder sehr jung wirkend, dieser La Mission mit der perfekten, klassischen Nase mit Cigarbox, Tabak, Teer, aber auch etwas Kräutern, Minze und sogar einem Schuss Eukalyptus, so vielschichtig und komplex, am Gaumen sehr kräftig und lang. Dieser Wein fasziniert mich immer wieder. Das ist La Mission in Reinkultur, deutlich preiswerter als 82, aber mit derzeit mindestens vergleichbarem Trinkspass und sicher noch Potential für 1-2 Jahrzehnte - 96/100. Gelungener Abschluss eines feinen Abends ein 1968 Castillo YGAY von Marques de Murietta. Der wirkte schon sehr reif, mit den leicht gemüsigen Noten alter Riojas, aber auch mit karamelliger Süße, sicher nicht ganz auf dem Niveau der großen YGAYS, wie 25, 34, 42 oder 59, aber ein sehr feiner, eleganter Tropfen, bei dem keine Eile besteht, ihn auszutrinken 92/100.

Traumhaft schön auch wieder der Abend im idyllisch gelegenen Fährhaus Munkmarsch. Spannend die hocharomatische Küche von Alessandro Pape, kompetent und sehr freundlich der Service unter Leitung von Inga Mühlenbrock und eine Fundgrube die sehr umfassende Weinkarte, in der sich überraschend viele bezahlbare Weine fanden. Als Aperitif wählte ich eine 1998 Oberhäuser Brücke Auslese von Dönnhoff. Die zeigte zwar eine süße Fülle, aber auch genug Säure mit guter Frucht und Mineralik, ein immer noch sehr frischer Wein, perfekte Animation für den Gaumen 91/100. Weiter ging es dann mit einer 2003 Norheimer Dellchen Spätlese trocken von Dönnhoff. Ein für den Jahrgang sehr schlanker, fast filigran wirkender Wein, verspielt und fein mit floralen Aromen und viel Mineralität. Hier dominieren die leisen Töne, aber die haben es in sich 92/100. Natürlich musste ich zugreifen, als ich auf der Karte noch einen 1988 Sassicaia fand, den letzten großen Jahrgang dieses Weingutes. Immer noch so jung und kraftvoll mit perfekter Struktur, mit würziger, schwarzer Johannisbeere, etwas Minze, Zedernholz, sehr aromatisch mit guter Länge am Gaumen, sicher noch mit viel Zukunft 94/100. Leicht steigern konnten wir uns danach noch mit einem 1983 Lafite Rothschild. Lange, sehr lange wurde dieser Wein von etwas spröden Tanninen dominiert, doch in dieser Flasche zeigte er sich deutlich offener und von seiner besten Seite. Ein klassischer Lafite mit der unendlichen Eleganz und Finesse, mit der dieses Gut 2 Jahrhunderte lang weltweit Weinliebhaber faszinierte, sehr pikante, leicht pfeffrige Frucht, wunderbare Länge am Gaumen. Wer noch einen bezahlbaren Lafite im früheren Stil sucht, nicht die modernen, konzentrierten, überteuerten Latour-Imitate, der sollte sich auf die Suche nach diesem Wein begeben 95/100. Zum Abschluss tranken wir noch eine 2002 Scharzhofberger Spätlese von Egon Müller. Die war noch deutlich zu jung und präsentierte sich etwas diffus, Zitronensaft mit Schiefer, Limonade vom Elegantesten, dabei so leicht, luftig und elegant, leider 5 Jahre zu früh getrunken 89+/100.

Ja und dann waren da noch die genialen Müller-Abende. Große Küche, sensationelle Weinkarte, wunderbare Atmosphäre. So ein Abend ist die ganze Reise wert. Wir starteten am ersten Abend gleich mit Rotwein, denn wir kamen vom Strand(umgezogen natürlich!), wo wir schon einen frischen Riesling genossen hatten. 1981 Lafleur war der Auftakt. Da zeigte nur die Farbe erste Reifetöne, der Wein selbst aus diesem vergessenen Jahrgang zeigte keinerlei Schwäche. Ausdrucksstarke Nase, großer Kräutergarten, rote Johannisbeere, aber auch deutlich jodige Töne, die an eine steife Nordseebrise erinnerten, dazu kam immer mehr Minze. Auch Fishermans Friend passt ja gut zur Nordsee. Baute sehr schön aus und entwickelte feine Süße, im Abgang viel Lakritz, beeindruckend und noch lange nicht am Ende 93/100. Enttäuscht war ich zu Anfang von 1988 Masseto. Der startete mit klassisch-schweißiger Merlot-Nase und wirkte erst etwas dünn. Zeit und Luft brauchte er und von beidem reichlich. Baute im Glas dann immer besser aus, wurde dichter, kräftiger mit sehr guter Struktur und viel Bitterschokolade. Beim 88er Masseto warte ich schon seit ewigen Zeiten auf das Wunder, das Farbe, Tanninstruktur, der große Name und das hervorragende Italien-Jahr 1988 versprechen. Nach 2 Stunden bekamen wir einen Ausblick auf das, was sich da möglicherweise in ein paar Jahren tun könnte, ein gewaltiger Wein mit viel Potential, völlig anders als die heutigen Massetos, klassischer, langlebiger 93+/100. Weiter ging es mit einem anderen Langstreckenläufer, 1989 Trotanoy. Ein dichtes, üppiges, leicht portiges Geschoß, mit pflaumiger Frucht, viel Bitterschokolade, erdig, sehr muskulös und kräftig, mit den Anlagen für eine längere Zukunft 93/100. Trotanoy ist ein meist völlig unterschätzter Wein, der lange zur richtigen Entfaltung braucht. Mit dem mächtigen 89er Tanningerüst ist mir um diesen Wein in den nächsten 20 Jahren nicht bange. Reif, aber noch lange nicht am Ende war ein herrlicher Wein, den ich dann noch bei einem Weinfreund probieren durfte, 1983 La Landonne von Guigal. Ein klassischer La Landonne, der sich in seiner erdig-rustikalen Art deutlich von den beiden anderen LaLas abhebt, würzig, speckig, trüffelig und einfach wunderschön zu trinken 96/100. Bleibt mit der im eigenen Kraft sicher noch gut 15-20 Jahre auf diesem Niveau. Zum Abschluss tranken wir dann in größerer Runde noch eine 1969 Wehlener Sonnenuhr feinste Auslese von Hauth-Kerpen. Güldene Farbe, in der Nase Honig, Sherrytöne und auch etwas Möbelpolitur, am Gaumen immer noch knackige Säure, die Süße war schon in teilen aufgezehrt und der insgesamt recht gefällige und immer noch gut zu trinkende Wein wirkte eher halbtrocken 87/100.

Müller-Abend #2 war nach obigem Rezept(Ganz kurzfristig Buchen) eingeschoben und fand bei herrlichster Abendstimmung auf der schnuckeligen Terrasse des Restaurants statt. Da gönnten wir uns erst einmal eine 1999 Brauneberger Juffer Sonnenuhr Spätlese trocken aus der Magnum von Fritz Haag. So eine lange Schlegelflasche, die ist alleine optisch schon ein Hochgenuß. Auch der Inhalt war nicht von schlechten Eltern. Ein perfekt balancierter, trockener Moselwein mit nur zu Anfang ganz dezentem Petrolton, der aber rasch verflog. Danach wirkte der Wein taufrisch mit delikater Frucht 91/100. Im Anschluss dann Höhen und Tiefen aus dem Jahrgang 1989. Aus unerfindlichen Gründen ist mir bisher der 1989 Domaine de Chevalier noch nicht ins Glas gekommen. Das werde ich in Zukunft nachhaltig ändern. Klar, das ist kein Hammer wie La Mission oder Haut Brion, dafür aber der große Finessenmeister. Ein sehr tiefgründiger Wein, eine perfekte Mischung aus Eleganz, aromatischer Dichte und unglaublicher Länge, feine rotbeerige Frucht, Maulbeeren, auch Teer und Tabak, cremige Textur 94/100. Und dann die Megapleite 1989 l Evangile. Irgendetwas muss da in 89 in Weinberg und/oder Keller massiv schiefgelaufen sein. Wie kann ein und dasselbe Weingut einen großen 90er und so einen erbärmlichen 89er erzeugen? Gut, hier wird schon auf hohem Niveau gejammert, denn trinkbar ist der l Evangile natürlich, aber auf dem Preisniveau muss deutlich mehr ins Glas. Nicht so ein dünnes, medizinales Zeugs mit wenig Frucht, mit den grünen Tönen unreifer Tannine im Abgang 86/100. Keine Zukunft, kann nur noch schlechter werden. Da haben wir dann gleich mit einer halben Flasche 1997 Taylor Vintage Port nachgespült. Und schon war die Welt wieder in Ordnung. Einfach ein genial leckerer Port, so eine supergeile Mischung aus Petrus und Niederegger Marzipan, ein immer noch sehr junges Wahnsinnsteil mit gewaltigem Potential 97+/100. Der Kreis wurde zu später Stunde deutlich größer und wir fuhren noch einmal Wein-Achterbahn. Ganz oben mit einem grandiosen 1992 Caymus Special Selection. Unglaublich, wie diese ehemalige Fruchtbombe inzwischen an Struktur und Statur zugelegt hat. Immer noch sehr jung mit reichlich Eukalyptus und toller Länge am Gaumen, kommt dem außerweltlichen 91er immer näher 97/100. Ganz unten mit einem fruchtlosen, enttäuschenden 1982 Ducru Beaucaillou, der einen dieser üblen, schleichenden Korkfehler zu haben schien.

Super-Magnums zum Strahlen

Super-Magnums zum Strahlen

Müller-Abend #3 war einer meiner jährlichen Festtage und gleich ein ganz besonderer, mein 25. Hochzeitstag, den wir ganz en Famille verbrachten. Damit war auch gleich der Jahrgang der Weine festgelegt, 1982. Statt des Glases Champagner zum Anstoßen entschieden wir uns angesichts der Bedeutung des Tages für die große Nummer, 1982 Krug aus der Magnum. Was für ein Riese. Aus Jörg Müllers perfektem, eiskaltem Champagner Keller eigentlich noch deutlich zu jung. Wir tranken ihn schon aus großen Weißweingläsern, doch Dekantieren hätte diesem Riesen auch nicht geschadet. Ein Traum Champagner mit gewaltigem Potential. Kraft ohne Ende, aber alles sehr distinguiert. Perfekte Textur und Struktur, cremige Frucht, so vielschichtig und komplex, irre Länge, noch ganz am Anfang, wurde von Glas zu Glas immer besser und zum Schluss waren da locker 97/100. Kein Wunder, dass ich ungern "normalen" Champagner trinke. Ich bin einfach durch die großen, gereifteren Jahrgangschampagner versaut. Dann die Rotwein-Magnum. Lange habe ich gezögert. Jörg Müller hat da noch ein paar Superraritäten auf der Karte. Doch schließlich brauchten wir unser Auto noch für die Rückfahrt. Das konnte und wollte ich nicht in Zahlung geben. Also entschied ich mich für einen wohlfeilen 1982 Taillefer aus Pomerol in der Magnum. Ein großes, aber ziemlich unbedeutendes Gut, das ich noch nie im Glas hatte. In René Gabriels Bordeaux-Buch kommt es gar nicht vor, bei Parker findet sich nur die Adresse. Erst später fand ich bei Peppercorn eine Notiz über einen gelungenen 82er. Aber da wusste ich es ja selber schon. Das Risiko hatte gelohnt. In der etwas verhaltenen Nase leicht animalisch, Pferdestall, Heu. Am Gaumen geht dann die Post ab. Kräuterig im besten Lafleur-Sinne, Anis, Fenchel, sehr weich, reif, dabei trotzdem nachhaltig mit druckvoller Aromatik und schöner Länge am Gaumen, ein faszinierender Gaumenschmeichler, der von der großen Flasche und der perfekten Lagerung sichtlich profitiert hatte 93/100.

Jörg Müller konzentriert bei der Arbeit

Jörg Müller konzentriert bei der Arbeit

Natürlich wurden wir auch wieder gewaltig bekocht. Als Hauptgang machte uns Jörg Müller ein Gericht, dass sich wohl nicht viele Spitzenköche trauen. Eine fangfrische, große Makrele, die am selben Tag vor Sylt an die Angel gegangen war, im Salzteig gebacken auf Schmorgemüse. Einfach ein Traum. Da können alle Butts dieser Welt gerne weiter schwimmen. Ein Hammer auch das Dessert. Der Mohr im Hemd auf neue Art war für mich ein umwerfendes 100/100 Dessert. Dabei hätte eigentlich schon der 1982 Quinta de Terra Feita Vintage Port von Taylor als Dessert gereicht. Ein sehr kraftvoller, jugendlicher Port mit wunderbarer, süßer Frucht und Marzipan ohne Ende, einfach oberlecker 94/100.

100 Punkte Dessert - Mohr im Hemd mal anders

100 Punkte Dessert - Mohr im Hemd mal anders

An Müller-Abend #4 feierten wir gleich weiter, denn das war Wineterminators Geburtstag. Gelungener Auftakt nach Maß war die letzte Flasche 2002 Rüdesheimer Schlossberg von Breuer. Das war wieder absolute Weltklasse, ein sehr mineralischer Riesling, bei dem alles stimmte, schon oft bei JM getrunken und ausführlich beschrieben 96/100. Gespannt war ich auf 1995 Shafer Hillside Select. Von diesem faszinierenden Konzentrat habe ich im Sommer 2000 auf Sylt für kleines Geld eine ganze Kiste geleert. Würde er noch in der bestechenden 98/100 Form von damals sein, oder ist da, wie bei vielen Kaliforniern, der Lack ab? Die Farbe war immer noch superdicht und wirkte sehr jung. Aber was war mit dem Wein los? Verschlossen und etwas dumpf, sowohl in der Nase als auch am Gaumen. Ich musste spontan an mein eigenes Alter denken, zu dem ja an diesem Tag auch ein Zähler mehr dazu gekommen war. Wirke ich jetzt auch so? Da war mehr Priorat im Glas als Kalifornien, mehr Schwermut als Lebensfreude. Da half nur eins: stehen lassen. Nach gut 2 Stunden in der Karaffe tat sich dann endlich etwas. Plötzlich kam die üppige Frucht wieder zum Vorschein, dazu reichlich Eukaplyptus und rauchige Barrique-Aromatik. Aber das war trotzdem nicht mehr der jugendlich-überschwengliche Hillside von damals. Gereifter, etwas ernsthafter, mit mehr Profil. Sicher ein großer Wein und auf 95/100 Niveau. Genügend Substanz für eine Weiterentwicklung hat er. Einfach 5+ Jahre warten, da könnte noch mal deutlich mehr kommen. Noch so ein Risiko wollte ich nicht eingehen, nicht an meinem Ehrentag. Also orderte ich 1989 La Mouline von Guigal. Da lag ich goldrichtig, das war Mouline vom Allerfeinsten. Die komplette Würze des Orients und eine unglaublich druckvolle Aromatik am Gaumen, in der Nase auch etwas geräuchert und speckig, unendliche Eleganz, großer Stoff, sehr balanciert und mit Potential für noch gut 2 Jahrzehnte 97/100.

Gipfeltreffen

Gipfeltreffen

Jörg Müller setzte einen Wein dagegen(danke lieber Jörg, für diese tolle Geburtstagsüberraschung!), bei dem ich nur freudig schmunzeln konnte. Das Lieblingsgetränk vieler Leute mag ja Freibier sein, meins ist 1947 Chambertin Vandermeulen, und genau den hatten wir im Glas. Dichte Farbe, verbrannte Trauben, man roch und schmeckte den heißen Supersommer 1947, rosinige Frucht, Kaffee ohne Ende, schöne Süße. Aber der Chambertin, ganz vorsichtig aus der Flasche von Herrn Höhne eingeschenkt, schrie nach Luft. Also ab in eine große Karaffe. Danach explodierte er förmlich. Ein Wahnsinnswein, der den armen La Mouline an die Wand nagelte 100/100. Eine andere Note gibt es für solch einen Ausnahmestoff nicht. Die Runde wurde immer größer. Da musste dann noch mal eine große Flasche her. 1971 Krug Collection aus der Magnum hieß die richtige Antwort. Vor sechs Jahren habe ich den schon einmal aus der 1tel getrunken, da war er mir noch viel zu jung. Aber jetzt, aus der Magnum, war das ein unglaublich faszinierendes Elixier, immer noch mit fantastischem Mousseux, goldgelbe Farbe, reif und frisch zugleich, Frucht, frischer Toast, nussige Töne, so irre lang und komplex, so druckvoll, Champagner geht anders, aber nicht besser. Da konnte man bei jedem Schluck nur vor Freude glucksen 98+/100. Hat noch Potential für Jahrzehnte. Was für ein schönes Gefühl, davon selbst noch eine im Keller zu haben! Da konnte man nichts mehr draufsetzen. Aber einen feinen Absacker gab es trotzdem noch, eine 1975 Ürziger Würzgarten Auslese von Eymael. Ein wunderbarer, erfrischender Abschluß, so fruchtig und immer noch frisch wirkend mit knackiger Säure und nur dezenter Süße 92/100.

Spitzenkoch mit Spitzenweinen

Spitzenkoch mit Spitzenweinen

Nachschlag

Trist war die erste Nachurlaubswoche in Düsseldorf. Regnerisches, frühherbstliches Wetter, Arbeit bis zum Dach, literweise Mineralwasser, denn schließlich hatte es im Urlaub genug Wein gegeben.
Um so größer war die Freude, als ich mir meinen Urlaubs-Nachschlag abholen konnte. Am Freitag Nachmittag ging es mit dem Flugzeug noch mal nach Sylt. Unvergleichlich dieses Gefühl, auf Sylt anzukommen und diese frische, würzige Luft riechen zu dürfen. Natürlich ist es bei der frischen Luft, einem langen Strandspaziergang und einem ausgiebigen Bad in der angenehm temperierten Nordsee nicht geblieben. Am Abend war ein schönes Essen in Hardy s Weinstuben angesagt. Dazu starteten wir mit einem 2000 Gloria aus St. Julien. Ein mächtiger, fleischiger Wein mit tiefdunkler Farbe und gewaltigem Tanningerüst. Kräftig, nachhaltig mit dicht gewobener, würziger Frucht. Braucht sicher noch ein paar Jahre zur entgültigen Entfaltung 90+/100. Da kam der anschließend getrunkene 2002 Canon-la-Gaffelière nicht mit. Ein feiner, frühreifer, samtig-weicher Tropfen mit guter Frucht, kräuterigen Noten, aber wenig Rückrat. Gehört in den nächsten Jahren getrunken 88/100.

Entsteht derzeit in Kampen ein neuer, kulinarisch-vinologischer Fixstern? Wir machten uns zu später Stunde noch zur Kampener Sturmhaube auf. Vor etlichen Jahren war dieses markante, direkt am legendären Roten Kliff gelegene Gebäude aufwändig umgebaut worden. Doch zwei Betreiber mussten nacheinander jeweils das Handtuch werfen. Jetzt ist der Berliner Koch und Gastronom Markus Semmler mit einem ungenannten Finanzier angetreten, die Sturmhaube endgültig wachzuküssen. Erneut wurde kräftig in die Sturmhaube investiert, wobei das wohl erst der Anfang sehr weitgehender Pläne ist. Ambitioniert die Küche und nicht von schlechten Eltern die derzeit etwas über 300 Positionen umfassende Weinkarte. Letztere soll bis zum nächsten Frühjahr noch mal mindestens verdopelt werden, wobei es auch gewaltige Pläne für Vinothek und Weinkeller gibt. Der Wein liegt in der Verantwortung des sehr kompetenten, sympathischen Olaf Paulat, den ich noch aus der Sansibar kenne. Mit ihm tranken wir zu später Stunde auf der neu gestalteten, prächtigen Terrasse der Sturmhaube die letzte Flasche 1988 Dominus. Die stammte noch aus deutlich zu warm gelagerten Beständen des Vorgängers. Gerade das hatte dem Dominus aber sehr gut getan. Aus dem tanninreichen, sperrigen Monster, dem ich zuletzt 2005 auf einer großen Dominus Probe mit ach und krach 88/100 geben konnte, war ein verdammt aromatischer, fülliger Wein geworden, der mit seiner pflaumigen Frucht, der Bitterschokolade und dem alten Sattelleder gut ins Bordelais gepasst hätte 93/100. Und schon wieder habe ich einen unterbewerteten Wein, nach dem ich suchen werde! Nicht suchen werde ich hingegen nach dem 1993 Cos d Estournel, den wir anschließend tranken. Von der tiefen Farbe her konnte der voll mithalten, von den Tanninen her auch. Aber er litt am klassischen 93er Syndrom. Zuwenig Fleisch, zuviel Knochen. Da fehlte einfach die Frucht. Wie viele andere 93er wird auch der Cos langsam aber sicher austrocknen und immer bitterer werden 87/100.
Auf die weitere Entwicklung der Sturmhaube bin ich gespannt, nicht nur, weil ich es von dort aus nur 500m durch die Heide ins eigene Bett habe.

Und dann war da natürlich noch Müller-Abend #5. Hier begleitete uns zum 5teiligen Amouse Bouche und den ersten Vorspeisen ein prachtvoller 2005 Bernkasteler Doctor Erstes Gewächs von Wegeler Deinhard. Eigentlich bin ich kein großer Fan trockener Moselweine, doch war dieser Wein eine wohltuende Ausnahme. Sehr schöne, reife Frucht, hohe Mineralität, cremige Textur, präsente, aber reife Säure, für einen trockenen Moselwein erstaunlich füllig, dabei erfrischend und animierend am Gaumen. Hält mit großen Gewächsen aus anderen Gebieten locker mit 92/100. Etwas zwiespältig der Eindruck bei 1989 Pavie. Verhaltene Nase, am Gaumen Kirsche, viel Kraft und immer noch deutliches Tanningerüst. So richtige Freude wollte bei dieser Flasche aus bester Lagerung nicht aufkommen. Mit den heutigen Pavies aus der Perse-Ära(ab 1998) hat dieser Wein ebenso wenig zu tun wie mit den großen Pavies aus der Zeit vor 1955 89/100. Ungewöhnlich danach auch 1993 Mouton Rothschild. Das war nicht mehr die große Röstaromen-Oper, nicht mehr diese dekadente Fülle. Wir hatten hier einen sehr jung wirkenden, eher etwas schlanken, eleganten Wein mit viel Cassis im Glas 92/100. Muss ich demnächst unbedingt noch mal nachverkosten. Geht der eventuell den Weg des ebenfalls lange sehr hedonistischen 85ers, der sich dann vor gut 7 Jahren plötzlich verabschiedete? Interessant danach der Vergleich von 1989 Lafite Rotschild und 1989 Pichon Comtesse de Lalande aus halben Flaschen. Der Lafite zeigte bei aller Kraft und immer noch mächtigen Tanninen sehr viel Eleganz, Zedernholz, kräuterige Noten, etwas Minze. Ein klassischer Lafite, der in gut gelagerten Flaschen wie dieser erst in 5-10 Jahren zur Hochform auflaufen wird 94+/100. Wer seine Flaschen auf dem Dachboden statt im Keller lagert, wird dies sicher anders empfinden. Da machte die deutlich offenere, schokoladige, füllige Comtesse im direkten Vergleich deutlich mehr her. Einfach jetzt der zugänglichere, hedonistischere Wein, allerdings mit weniger Zukunft als Lafite 95/100. Und da wir noch einen kleinen Schluck vom 89er Pavie hatten, verkosteten wir ihn dagegen, doch er soff gegen diese Boliden völlig ab. Ein herrlicher Wein mit großer Strahlkraft 2005 Hochheimer Hölle Auslese Goldkapsel von Künstler. Was da an reifer, brillianter Frucht, Aprikose, Pfirsich und auch Äpfel, an hoher Mineralität, an gewaltigem Extrakt bei nur 7,5% Alkohol aus der Flasche kam, noch dazu mit für 2003 erstaunlicher Säure, das war schon beeindruckend. Natürlich ein sehr ernst zu nehmender, vielschichtiger und tiefgründiger Wein, aber mit unglaublichem Spaßfaktor 96/100. Nicht minder begeistert war ich von einem 1955 Cockburn Vintage Port. Der präsentierte sich einfach so dekadent lecker, mit so süßer, herrlicher Frucht und Marzipan-Anklängen. Da war nichts brandiges oder spritiges. Einfach ein perfekt balancierter, gereifter Traumport, jetzt und hier vielleicht in seiner schönsten Phase 95/100. Wer Port wirklich liebt, der sollte natürlich nicht in einem Restaurant nach einem Glas fragen. Selbst wenn es heißt, die Flasche sei "kürzlich" erst aufgemacht worden, so geht dann doch zuviel verloren. Port schmeckt drei Klassen besser aus einer ganzen, frisch dekantierten Flasche. Und wenn Sie alleine sind oder zu zweit(wir waren deutlich mehr) und auf der Karte diese wunderbare Flasche entdecken, dann spielen Sie doch einfach den großen Gönner, laden Sie den Sommelier, den Chef, andere nette Leute aus dem Restaurant einfach auf ein Glas mit ein. Wetten, das da auch noch der ein oder andere, interessante Schluck "zurückwächst"?
Ach ja, wenn ich nicht der Wine- sondern der Gourmetterminator wäre, könnte ich mich jetzt noch seitenweise über ein weiteres Traumdessert von Herrn Schwarz auslassen. Kalorien für eine ganze Woche zwar, aber auch Freude für einen ganzen Monat und jede Sünde wert.

Und was tut man dann, wenn man Sonntag Abend wehmütig im Flugzeug sitzt und auf diese einmalige Insel zurück schaut? Buchen natürlich. Habe ich gleich am nächsten Tag getan. Sylt sieht mich im September noch mal für ein Wochenende wieder.

Begrüssungsschluck

Zurück in Düsseldorf. Alles hat irgendwann ein Ende, auch ein schönes Wochenende. Für die nächste Woche ist alkoholfrei angesagt, doch an diesem Abend brauche ich noch einen Begrüßungsschluck. Nichts Großes, einfach nur einen Schluck Bordeaux. Also greife ich zu einem 1993 Troplong Mondot, der ja auch irgendwann weg muss. In den letzten Jahren hat mich dieser Wein schon häufiger zur Verzweiflung getrieben, verschlossen, bissige Tannine, wenig Freude. Also keine hohen Erwartungen, aber was war das? Pure Freude war da plötzlich im Glas, pfeffrige, beerige Frucht, Röstaromen, Kaffee, Mokka, die Tannine weicher, schöne Länge am Gaumen. Machte immer noch einen jungen, aber inzwischen deutlich zugänglicheren Eindruck. Endlich mal ein 93er aus Bordeaux auf dem Weg nach oben 92/100.

Und zu guter Letzt wieder meine Bitte um Ihre Stimme. Mit über 3000 "Votes" ist der Wineterminator jetzt auf einem soliden Platz 3 bei großen, internationalen Blograce der Weinseiten. Platz 2 ist nur noch gute 500 Stimmen weg. Da möchte ich natürlich gerne hin. Darf ich auf Sie zählen?
Einfach diesen Link anklicken und dann auf der sich öffnenden Seite auf VOTE klicken. Tut nicht weh, hat keine Folgen und ist für mich so etwas wie der wohltuende Applaus für den ehrenamtlich auftretenden Künstler. Danke!

Und hier geht es zu den Sylter (W)Eindrücken 2005 und 2006.