Sylter (W)Eindrücke 2008

Der erste Eindruck war leider der unsäglicher Fülle. Nicht nur der Flieger von Air Berlin, ein Airbus, war knallvoll. Gedränge auf dem kleinen Sylter Flughafen, übervolle Straßen, Menschenmassen wohin man blickte. Ende Juli und Anfang August ist Prime Time auf Sylt. Dann finden hier die großen Feste statt. Die MS Europa legt an, in Keitum wird Polo gespielt, in Kampen Volleyball. Bulgari, Bacardi und andere laden zu ihren jährlichen Highlights. Zu Massen an Touristen gesellen sich die Beautiful People, zahllose Promis und all die, die sich dafür halten. Und last not least ist die Insel von den Nordrhein-Vandalen besetzt, wie man die Urlauber aus Deutschlands größtem Bundesland hier nennt. Erst nach den NRW Schulferien wird es etwas ruhiger und entspannter. Wer Sylt wirklich genießen möchte, kommt im Frühsommer oder ab Ende August.

Nach zweiwöchiger Düsseldorfer Hitzewelle mit drückender Schwüle empfing mich Sylt mit einer kräftigen Abkühlung. Auch auf Sylt war es vorher auch untypisch und unerträglich heiß gewesen, doch jetzt blies ein kräftiger, erfrischender Westwind vom Meer und trieb vereinzelte Schauerböen vor sich her. Ein erstes, großes, stilles Wasser gönnte ich mir im Grande Plage nach einem ausgiebigen Strandspaziergang. Doch dann stellte sich großer Hunger ein, und ich hatte auch wieder Lust auf ein schönes Glas Wein.

Wineterminators erster Wein

Ich habe nicht nur eine Lieblingsinsel, sondern auch ein Lieblingsrestaurant. Wie schön, dass beide am gleichen Ort sind. Jörg Müller hat nicht nur eine der besten Weinkarten dieser Erde. Er kocht auch unglaublich gut. Den vielreisenden, mit Michelin und Gault Millau bewaffneten Profi-Goumet-Touristen, die immer auf der Suche nach dem ultimativen, neuesten Kick sind, mag seine Küche zu unprätentiös erscheinen. Hier wird nicht auf modische Effekthascherei gesetzt, auf molekulare Experimente oder auf "l Art pour l Art" Kreationen. Stattdessen beste Grundprodukte, handwerkliche Perfektion und geschmackliche Intensität mit hohem Suchtfaktor. Wer den Genussmenschen Jörg Müller mit seinem legendären Bart und den leicht barocken Außenmaßen kennenlernt, weiß, dass er seine gastronomische Philosophie lebt. Darüber hinaus ist er ein begnadeter Degustator und Weinkenner, der eben auch so kocht, dass Weine und Speisen eine wunderbare Harmonie eingehen und sich nicht gegenseitig erschlagen.
Wir nahmen in herrlicher Abendstimmung auf Jörg Müllers prächtiger, neu gestalteter Terrasse in einem kommoden Pullman-Strandkorb Platz. Schnell drei schöne Gänge geordert und dann auf die große Weinkarte gestürzt. Was sollte mein erster Wein nach vierwöchiger Abstinenz sein? Gleich mit einem großen Hammer einsteigen? Ich entschied mich für einen eher etwas sanfteren Einstieg, einen 1999 La Mission Haut Brion. Der wirkte etwas verhalten, ein feiner Wein mit eher dunkler Frucht, sehr mineralisch mit der typischen, leicht teerigen Cigarbox-Aromatik, gut trinkbar, aber mit für 99 erstaunlich dichtem Tanningerüst. Wird erst in 5-10 Jahren richtig zeigen, was er drauf hat 90+/100. Sicher eine Suche wert. Nicht vorbei konnte ich danach an einem 1997 Masseto. Das war ganz großes Rotwein-Kino. Edle Bitterschokolade mit fruchtigem Kern, ein gewaltiges, spannendes, hoch komplexes und am Gaumen forderndes Konzentrat, das dazu auch noch einfach hedonistisch schön wirkte 98/100. Ein Weltklasse-Merlot, der sich in dieser Form auch hinter Petrus nicht verstecken muss. Habe ich leider in den letzten Jahren schon deutlich anders und auch schlechter getrunken. Und da kommt dann leider die Kehrseite der Medaille. Nicht in jeder Flasche des international extrem gesuchten Masseto ist wirklich Masseto drin. Gerade Ebay-Junkies sollten sich das merken. Deutlich weicher, offener, schmelziger und ebenfalls sehr schokoladig, aber mit weniger Kakao-Anteil ein 1997 Ornellaia. So ein richtiger Schmusewein zum hemmungslos jetzt trinken 95/100. Leider konnte man das von der halben Flasche 1989 Lafite Rothschild nicht sagen. Die wirkte sehr spröde mit herbem Charme, kräuterig mit etwas dezenter Minze und massiven Tanninen 90++/100. Gehört eigentlich runter von der Karte und noch mal 10 Jahre weggelegt. Da ensteht mal ein riesengroßer, klassischer Lafite, dem man aber die unbedingt nötige Zeit gönnen sollte. Ein absolutes Gedicht dann ein 1997 Oberhäuser Brücke Eiswein Goldkapsel von Dönnhoff. Auch der immer noch sehr jung wirkend, aber einfach unwiderstehlich. Glockenklare Frucht, Mineralität pur, intensive Süße perfekt balanciert durch knackige Säure, ein Wein-Dessert vom Allerfeinsten - 96/100.

Abseits

Ja, Sylt ist voll im Sommer. Aber eigentlich nur dort, wo alle hinwollen und hingehen. Ich kenne genügend stille, ruhige Ecken auf dieser Insel, in die sich selbst beim größten Gedränge kaum jemand hintraut. Manchmal reicht schon eine Seitenstraße. Bestes Beispiel ist die Friedrichstraße in Westerland. Wer sich jetzt schon auf das vorweihnachtliche Gedränge und Geschiebe deutscher Großstädte freut, kann sich hier einen Vorgeschmack holen. Zwischen Bahnhof und Strand wogt hier eine riesige Menschenmasse hin und her. Unablässig von den Zügen ausgespuckte Tagestouristen mischen sich mit Sylt-Urlaubern, die die Staus der Anreise vermissen und sich hier einen Nachschlag holen. Dabei muss man nur zwei Ecken weiter gehen und hat fast paradiesische Ruhe. Da liegt dann z.B. das Weinhaus Schachner, das mit über 100 offenen Weinen und einer kleinen, feinen Bistro-Karte schon am Mittag in Versuchung führt. Wir wollten eigentlich nur einen Espresso und einen kleinen Snack, probierten dann aber auch noch zwei offene Süßweine aus der Karte- Eine reife Honignase hatte eine 2005 Untertürkheimer Gips Auslese von Aldinger, dazu eine an Muschelkalk erinnernde Mineralität 87/100. Weniger anfangen konnte ich mit einer sehr reifen, säurearmen und unspannenden, cognacfarbenen 1997 Freiburger Schlossberg Weißburgunder BA von Stigler 83/100.

Geheimtipp Wiin Kööv

Ein echtes Kleinod ist das in Kampen im Innenhof hinter dem Dorfkrug gelegene Wiin Kööv. Umfassende, gastfreundlich kalkulierte Weinkarte, gute kulinarische Versorgung durch die Küche des Dorfkrugs und herzlicher Service durch Nina und das Sansibar-Urgestein Klaus. Von dieser, sehr gemütlich eingerichteten Lokalität, in der selbst voll besetzt nie der sonst inseltypische Eindruck von Enge aufkommt, werde ich sicher in den nächsten Wochen noch öfter berichten. Wir fielen in größerer Runde zunächst über einen 2006 Idig GG von Christmann her. Der ist auch in diesem schwierigen Jahr recht gut gelungen, wenn auch nicht auf der Höhe des großartigen 2002ers. Reife, gelbe Früchte, gute Säure, florale Aromen und mineralische Würze, mit Magnum-Bonus locker auf 92/100 Niveau. Weiter ging es mit einem 2005 Herdade dos Grous Reserva aus Portgal. Eine spannende, schöne Cuvée aus Touriga Nacional, Alicante Bouchot und Syrah. Satte reife Brombeere, schwarzer Pfeffer, feinkörniges Tannin, gute Struktur, leicht rustikale, erdige Note, recht süß und nachhaltig. Wirkte wie eine Mischung aus Spanien und Australien - 92/100. Von diesem engagiert geführten Weingut, das der deutschen Familie Pohl gehört, wird man sicher in den nächsten Jahren noch viel hören. Nicht mit kam da der 2001 Batuta von Niepoort. Der wirkte etwas zurückhaltender, mehr Frankreich als Neue Welt, in seiner kräuterigen Art mit dem deutlichen Tanningerüst und der guten Struktur enfernt an einen Lafite erinnernd, scheint derzeit durch eine schwierigere, verschlossene Phase zu gehen 90/100.

Klassisch heftig(15%), australisch der 2005 Mitolo Shiraz G.A.M mit dunkler, pfeffriger Frucht, teerigen Aromen und etwas Bitterschokolade. Allerdings nicht ganz so erschlagend wie viele der modernen, australischen Shiraz und sogar mit etwas Eleganz 90/100. Und noch ein Neue Welt Shiraz kam auf den Tisch, diesmal aus Südafrika ein 2001 Laborie Jean Taillefert. Üppige Nase, Fruchtkompttt, Vanille, am Gaumen auch erst eine fruchtig-würzige, schokoladige Attacke, Opulenz, doch mitten am Gaumen brach dieser Wein total ab, von Abgang kaum eine Spur 87/100. Sicherlich ein Wein, den man jung genießen sollte und der, so blöde sich das anhören mag, schon etwas zu alt war. Ziemlich bitter platt und enttäuschend danach ein ebenfalls zu alter 1983 Fleur de Gay. Der schien schon länger auf dem Abstieg 80/100.
Inzwischen hatte uns heftiger Regen vom lauschigen Innenhof in den gemütlichen Gastraum vertrieben. Die Runde war längst größer geworden und auch der Wirt, "Muffel" Werner Stoltenberg, gab uns die Ehre. Ein Knaller sollte jetzt als Absacker noch her. Da fiel die Wahl eigentlich nicht so schwer, lockte doch ein 1998 Masseto. Ein üppiges, heftiges Fruchtkonzentrat mit viel Komplexität und Tiefgang, ein echter Weltklasse-Merlot, der deutlich jünger wirkte als am Vortag der 97er 97/100. Welches nun auf Dauer der bessere von diesen beiden Massetos ist, könnten nur spätere Vergleiche zeigen. Ich war schon froh, innerhalb von nur zwei Tagen überhaupt noch jeweils ein Exemplar dieses raren Stoffes zu einigermaßen erträglichen Preisen erwischen zu dürfen.

Happy Birthday Mario

Unser portugiesischer Freund wurde 32. Da war die Wahl des Restaurants für das abendliche Festmahl nicht schwer. Bei Jörg Müller hatte ich einen 1991 degorgierten 1976 Moet & Chandon auf der Karte gesehen. An diesem prächtigen Champagner zeigte nur die goldgelbe Farbe Reife. Das Mousseux war noch recht kräftig und feinperlig. In der Nase frisches Brioche, geröstete Haselnüsse und ganz dezente Süße, am Gaumen und im langen Abgang eine angenehme Bitternote. Ein großer Champagner in perfekter Ausgewogenheit, der mich an den vor einigen Jahren getrunkenen 76er Dom Perignon erinnerte und kaum dahinter steht 95/100. Aus der Magnum kam dann ein 1999 Ruppertsberger Gaisböhl 1. Gewächs von Bürklin-Wolf. In der Nase jugendlich frisch mit feiner Aprikose, erdig-mineralisch und recht kräftig. Das Alter trat am Gaumen lediglich in Form höherer Komplexität zu Tage und besserer Harmonie der einzelnen Komponenten, einfach ein wunderschön (an)gereifter Wein, der im großen Format sicher noch 10 spannende Jahre vor sich hat 92/100. Mit zwei roten Trouvaillen aus dem unergründlichen Müllerschen Keller begaben wir uns dann wieder in den Jahrgang des Geburtstagskindes. 1976 Chambolle Musigny von Comte de Vogue überzeugte mit reifer, dezenter Kirschfrucht, am Gaumen totale Harmonie und feinste Seide vom ersten Auftreffen bis zum langen Abgang, eine perfekt gereifte Dorflage auf 1er Cru Niveau 93/100. Extrem positiv überrascht wurden wir danach von einem 1976 Haut Brion, von dem ich mir nicht mehr so viel versprochen hatte. Sehr dichte, fast altersfreie Farbe, ätherische Nase mit viel Cigarbox, am Gaumen mineralisch mit dezenter, reifer Süße und unendlicher Länge. Sicher wäre ich bei diesem Wein mit seiner klassischen, typischen Aromatik auf Haut Brion oder La Mission gekommen, nur hätte ich bei dieser Ausnahmeflasche eher auf einen großen Jahrgang wie 59 oder 61 getippt. Nur ganz am Schluss fehlte vielleicht etwas die Konzentration eines ganz großen Jahrgangs 95/100. Stürze ich mich jetzt bei den nächsten Auktionen auf 76 Haut Brion? Nur mit größter Vorsicht, denn die 95 Punkte sind eben auch durch 30jährige, perfekte Lagerung verursacht. Abschluss dieses herrlichen, von einem großartigen Menü begleiteten Abends war nicht nur wieder eines dieser genialen Weltklassedesserts von Herrn Schwarz. Wir tranken dazu noch einen 1976 Käfersberger Andreasberg Scheurebe TBA vom Weingut der Stadt Offenburg. Sehr reif, füllig, üppig und süß, vielleicht auch etwas banal, aber auf sehr hohem Niveau 91/100.

Überall Sansibar

Auf der Terrasse des Kampener Dorfkruges hatten wir es uns bei herrlichem Sonnenschein für ein kleines Mittagessen gemütlich gemacht. Selbst die überfülltesten Plätze der Insel kann man fast alleine für sich haben, wenn man es antizyklisch angehen lässt. Leer sind das Kampener Dorf und die Restaurants, wenn die Meute bei schönem Wetter am Strand ist. Der Strand wiederum ist einfach herrlich ab dem späten Nachmittag, wenn sich die Menschenmassen auf den Heimweg begeben.
Natürlich sollte es ein Schluck Wein zum Essen sein. Wir entschieden uns für eine Flasche 2007 Vom muscheligen Kalk von Klaus Keller. Lediglich "Weißwein" stand auf dieser Flasche, bei der es sich um eine Cuvée aus Weiß- und Grauburgunder handeln sollte. Ein feiner, frischer, fruchtiger Wein, der in seiner Mineralität perfekt an einen Spaziergang am mit Muscheln überdeckten Strand erinnerte. In seiner luftig-eleganten Art unterschied er sich wohltuend von den badischen Geschossen dieser Rebsorten 87/100. Von der Lage selbst hatte ich noch nie gehört. Das Rückenetikett offenbarte des Rätsels Lösung. Only Sansibar stand dort in dicken Lettern, also eine dieser Sansibar-Exklusivabfüllungen, die fast überall auf der Insel erhältlich sind. Selbst wer einen Bogen um die praktisch immer bis zum Limit gefüllte Sansibar macht, wird auf Sylt ständig mit den beiden gekreuzten Säbeln konfrontiert, dem an Meißner Porzellan erinnernden Markenzeichen der Sansibar. Sansibar-Stand im Supermarkt, Sansibar-Boutique in der Friedrichstraße, Sansibar-Weine nicht nur bei der Bundesbahn, sondern auch in vielen Lokalen.
Die Sansibar selbst habe ich mir in diesem Sommer (noch) nicht angetan, trotz gutem Essen und der über 1000 Positionen starken Weinkarte. Aber irgendwie erinnert mich diese Sansibar in der Hauptsaison an einen dicken, australischen Shiraz, einfach von allem zuviel. Und antizyklisch geht da auch nichts, denn leerer ist es in der Sansibar nur nachts, und da hat sie zu.

Zu den kaum frequentierten Mittagslokalen gehört in Kampen auch der kürzlich unter neuer Leitung wieder zum Leben erweckte Österreicher. Aus der derzeit noch sehr kleinen Weinkarte suchten wir uns dort einen 2006 Grüner Veltliner Ried Käferberg von Bründlmayer aus. Pfeffrige Frucht, animierende, frische Säure, tiefgründige, mineralische Würze, feine Kräuter, Minze, die 14% Alkohol gut verpackt, wirkte recht elegant mit schönem, langem Finish und ist ein gutes Beispiel für die Klasse des Jahrgangs in diesem Gebiet 91/100. Den gelungenen Kaiserschmarrn zum Nachtisch teilten wir uns mit einer großen Schar von Wespen, die derzeit auch auf Sylt gerade im Windschatten überall dort auftauchen, wo es etwas zu naschen gibt.

Glück muss man schon haben, zumal bei schönem Wetter, wenn man mittags wie abends einen Platz auf der Terrasse der Kampener Sturmhaube ergatttern möchte. Die scheint derzeit sehr angesagt zu sein und ist stets rappelvoll. Excellente Küche und sehr interessante Weinkarte, wobei letztere das Werk von Olaf Paulat war, der das Haus leider verlassen hat. Aus seiner Hinterlassenschaft tranken wir einen 2006 Grüner Veltliner Smaragd Honivogl von Hirtzberger. Ein Weltklassewein aus einem überragenden Jahrgang in erster, jugendlicher Trinkphase mit reifer Marille, ungeheurer, mineralischer Dichte und pfeffriger Würze, reitet am Gaumen eine Attacke nach der anderen und überzeugt gleichzeitig durch eine cremige Textur, ein großer Wein mit ebenso großer Zukunft, der uns die Sturzbäche, die links und rechts neben unserem Strandkorb niederprasselten, schnell vergessen ließ - 96/100. Kann durchaus noch zulegen. Am Himmel bestand keine Aussicht auf Besserung, also genehmigten wir uns noch eine Flasche 2004 Newton Chardonnay Unfiltered und ließen uns dazu kulinarisch weiter verwöhnen. Der Newton, der meinen Mädels - bekennenden Chardonnay-Fans - deutlich besser gefiel, wirkte insgesamt kräftiger mit reifen, gelben Früchten, Vanille und nussigem Schmelz. Dabei war er aber nicht kalifornisch-buttrig, sondern bei aler Opulenz durchaus burgundisch - 93/100.

Weinfans überall

Weinfans überall

Die Schleusen des Himmels

Recht launisch ist der August in diesem Jahr auf Sylt. Nachdem es im Frühling und Frühsommer auf der Insel drei Monate lang praktisch überhaupt keinen Regen und nur Sonne pur gab und der Juli sogar mit einer knackigen, zweiwöchigen Hitzeperiode mediterraner Art abschloß, öffneten sich bisher im August regelmäßig die Schleusen des Himmels. Frustriert meinte da neulich eine junge Dame am Handy zu den Lieben in der Heimat: Bei dem Wetter kannst Du nur von einer Kneipe in die nächste ziehen. Von denen bietet ja Sylt in überreicher Zahl. Nicht nur vier Sternetempel, sondern hunderte gastronomischer Betriebe aller Preislagen und Geschmacksrichtungen. Die kriegt man auch beim besten Willen selbst in einem sechswöchigen Urlaub nicht durch. Sylter Stammgäste haben ihre Stammlokale und wechseln kaum. Mir geht es eigentlich nicht anders. Zu vielen Gastronomen verbindet uns ein freundschaftliches Verhältnis. Statt an immer neuen Orten dieselben Weine zu trinken, mache ich es lieber genau andersrum.

Zurück zum Sylter August-Regen. Wir waren zu einem nachmittäglichen Strandspaziergang aufgebrochen. Als wir unten am Flutsaum das Grand Plage passierten, kam der Anruf guter Freunde, ob wir nicht auf ein Glas Wein zu Ihnen hoch kommen wollten. Am Himmel grummelte es bereits in der Ferne über dem Meer. Also widerstanden wir der Versuchung nicht und ergatterten auf der prall gefüllten Terrasse des Grande Plage die letzten Stühle. Was für ein gelungener Schachzug, denn was da kurz danach prasselte, war nicht der Wein im Glas, sondern der schnell stärker werdende Regen auf der Markise. Einen 2006 Singing Grüner Veltliner von Laurenz hatten wir im Glas, einen sogenannten, lagenfreien "Marken-Veltliner", eine Art Grüner Veltliner Liebfrauenmilch. Frisch, trocken, fruchtig, unkompliziert und gut zu trinken 84/100. Eine Ecke besser gefiel mir danach der etwas gehaltvollere 2007 Grüne Veltliner Frauenweingarten Federspiel von F.X. Pichler, der den Singing mit äußerst sympathischen 12% Alkohol sogar noch mal um ein halbes Prozent unterbot 86/100. Der Regen nahm zu, es krachte und blitzte gewaltig. Wir bestellten noch einen Wein, doch da kam schon das Kommando "Terrasse räumen". Mit sintflutartigem Regen kamen sturmartige Böen auf. Alle ab in den viel zu kleinen Gastraum. Was da vom Himmel kam, war schier unglaublich. In vielen Teilen der Insel liefen die Keller voll und in Westerland wurden Teile der Innenstadt wegen Überflutung gesperrt. Manni, der sympathische Grande Plage Wirt evakuierte uns schließlich mit seinem Land Rover.

Am Abend verwandelt sich das Grande Plage in eins der wenigen Lokale, von denen man einen unverbauten, direkten Blick auf Meer und Sonnenuntergang hat. Wir haben das schon häufiger spontan auf der Terrasse genossen. Wer den gemütlichen, kleinen Innenraum nutzen möchte, sollte rechtzeitig buchen. Wir hatten das an einem der anderen Abende in weiser Voraussicht getan, als wieder Strum und Schauer ihr Unwesen trieben. Sehr gut die Küche, ansprechend die kleine, klug zusammengestellte Weinauswahl. Wir starteten mit einem 2006 Maximin Grünhäuser Herrenberg Superior, einer Art feinherben Auslese mit hohem Extrakt, gut eingebundener, kaum spürbarer Restsüße und nur 11% Alkohol. Diese Restsüße stand dem Wein sehr gut und ließ ihn sehr ausgewogen und harmonisch erscheinen. Sicher ein Wein mit gutem Alterungspotential 90/100. Etwas strammer, trockener und mit mehr Potential war der an gleicher Stelle bei einem anderen Besuch getrunkene 2007 Maximin Grünhäuser Herrenberg Superior - 91/100. Sehr fein mit nachdrücklicher Mineralität und glockenklarer Frucht danach ein jugendlich-frischer 2007 Riesling Monzinger Frühlingsplätzchen von Schäfer-Fröhlich 90/100. Fast wie auf Bestellung riß der Wind die Wolken auf und wir konnten unerwartet noch einen dieser legendären Sylter Sonnenuntergänge genießen. Dabei stand auf unserem Tisch eine Magnum 1999 Asara Bell Tower Collection aus Südafrika. Eine Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc, Petit Verdot und Malbec mit viel Cassis und Schwarzkirsche, Vanille, Rauchtönen Mokka und Kaffee. Ein Spaßwein auf hohem Niveau, der trotz seiner kaum spürbaren 14,5% nicht überladen wirkte. Mit seinen seidig-weichen Tanninen ging er am Gaumen runter wie Öl- 91/100.

Krug aus großen Krügen

Sylt und Champagner ist eine ganz besondere Geschichte. Die jodhaltige, würzige Nordseeluft und Champagner vertragen sich bestens und lassen selbst einfachere Champagner am Strand zum Erlebnis werden. Ich selbst bin nicht der größte Champagner-Fan, kann mich aber hier auf Sylt durchaus immer mal wieder zu einem Glas hinreißen lassen. Insbesondere gilt das natürlich für reifere Jahrgangschampagner, bei denen sich für mich wieder die Brücke zum Wein schließt. So ein in der Sturmhaube genossener 1988 Krug. Den ließen wir uns in großen Burgundergläsern servieren, was diesem noch sehr jung wirkenden Champagner-Riesen ausgesprochen gut tat. Im großen Glas wurde er weicher, weiniger, zugänglicher und zeigte deutlich mehr Tiefgang und Komplexität, Krug in seiner besten Form mit etlichen Jahrzehnten Potential 96/100. Auch einen bei Pius Regli im Manne Pahl zu später Stunde getrunkenen 1986 Taittinger Comtes de Champagne genossen wir aus großen Gläsern. Ein perfekt gereifter Champagner-Traum ohne Zeichen von Alter oder Schwäche 95/100. Habe ich zuletzt 1996 mit Holger Bodendorf getrunken, damals im Veneto in Wenningstedt. Seitdem scheint die Zeit für diesen großen Champagner stillgestanden zu haben.
Deshalb unbedingt wenigstens einmal als Versuch empfohlen. Trinken Sie mal versuchsweise einen großen Jahrgangschampagner aus einem Burgunderglas. Eigentlich könnten sie die Versuchsanordnung wie folgt gestalten: ein normales, gutes Champagnerglas, ein Burgunderglas und einen Teil der Flasche à point dekantiert und dann ebenfalls aus dem Burgunderglas genossen. Gilt natürlich nicht für platte, überlagerte Champagner. Die saufen in größeren Behältnissen gnadenlos ab. Ich freue mich über Rückmeldungen.

Auf Sternekurs

Natürlich tranken wir auch im Fährhaus Munkmarsch den als Starter ausgewählten 1990 Taittinger Comtes de Champagne aus Burgundergläsern, ganz zur Freude von Restaurantleiterin und Weinexpertin Inga Mühlenbrock. So konnte dieser Traumchampagner aus dem großen Jahrgang 90 sich voll entfalten. Das war weit mehr als nur ein Aperitif, es war schlichtweg der Wein des Abends 97/100. Großartig an diesem Abend auch wieder Alessandro Papes Küche. Gegenüber dem letzten Jahr hat er noch mal deutlich eine Schippe draufgelegt und scheint eindeutig sehr hohe Ziele anzustreben. Gute Freunde, vielreisende, erfahrene Wein- und Feinschmecker, denen ich das Haus vor ein paar Wochen empfohlen hatte, behaupteten gar, sie hätten in den letzten Jahren in Deutschland niemals so gut gegessen.
Ein 2007 Rotliegendes von Werheim kam als nächstes in unsere Gläser. Der war trotz der knackigen Säure so weich, cremig und aromatisch mit satter, gelber Frucht, dass wir uns schon fragten, wie ein derart frühreifer Wein altern soll 93/100. Ausnehmend gut danach ein 2004 Ridge Monte Bello Chardonnay. Erstaunlich kräftiges Goldgelb, verschwenderische Fülle, üppige Frucht, eine große Tüte frisch gebrannter Mandeln, reichlich kandierte Früchte, und dabei mit guter Struktur, toller Frische und guter Säure. Genau wie der rote Monte Bello geht auch dieser Wein seinen eigenen Weg und verbindet in faszinierender Weise das Beste aus der Alten und der Neuen Welt, mein bisher bester Monte Bello Chardonnay 95/100. Und dann musste natürlich die letzte Flasche 1983 Lafite Rothschild aus der sehr umfassenden, gastfreundlich kalkulierten Weinkarte dran glauben. Wieder ein perfekt gereifter, klassischer Lafite mit viel Zedernholz und Minze, mit dem eleganten Stil früherer Lafites 95/100. Unbedingt eine Suche wert. Sehr frühzeitig hatten wir 1988 La Mission dekantieren lassen, doch dieser mineralische, teerig-tabakige Riese zeigte sich bei allen Qualitäten noch ziemlich bissig 94+/100. Perfekter Abschluss dieses herrlichen Abends war dann ein auf der traumhaften Terrasse des Fährhauses genossener 1945 Rivesaltes. Der wirkte deutlich jünger und frischer, sehr süß, selbst gemachte Butterkaramellen, dabei aber nicht klebrig, sondern durch die gute Säure eigentlich ausgewogen. Ein echtes Süßwein-Erlebnis außerhalb der ausgetretenen Pfade 94/100.

Servicewüste Sylt?

Höchst erstaunlich ist, wie freundlich Mann/Frau auf Sylt selbst zur Prime Time bedient wird. Das verdient allerhöchste Anerkennung. Um so ärgerlicher ist es dann, wenn man erwartungsvoll am frühen Nachmittag vergeblich in einem Stammlokal Platz nimmt. Von den Häuptlingen ist keiner zugegen, die Indianer haben schlichtweg keine Lust. Nach einer halben Stunde stand immer noch das Geschirr des Vorgängers auf dem Tisch, Karte hatten wir noch keine und unsere Bestellung wollte auch niemand. Wir sind aufgestanden und wieder gegangen.

Schlichtweg unmöglich ist, was sich der Flughafen Sylt derzeit leistet. Da wurde kürzlich der Parkplatz erweitert, um anschließend den gesamten, gebäudenahen Teil durch Schranken als Mitarbeiterparkplatz abzuteilen. Keine Möglichkeit mehr, Angehörige mit schwerem Gepäck am Gebäude abzusetzen. Unmögliches Gedränge auf dem restlichen, freien Parkplatz, wenn z.B. der große Flieger von Air Berlin kommt. Stellen Sie sich mal ein Hotel vor, bei dem die gesamte Vorfahrt für die eigenen Mitarbeiter vorgesehen ist und es nur noch heißt, Hotelgäste parken um die Ecke. Der Flughafen Sylt wird von den Sylter Gemeinden finanziell subventioniert, weil sie ihn als wichtigen Teil ihres touristischen Angebots betrachten. Ich in gespannt, wie lange diese Gemeinden noch die dreiste Selbstbedienungs-Mentalität der Flughafen Crew tolerieren.

Kaffee und Kuchen

Bei einheimischen Freunden waren wir an diesem Nachmittag eingeladen. Herrlicher, selbst gebackener Kuchen war zunächst angesagt. Ein drohendes Gewitter zog haarscharf am Haus vorbei. Der Hausherr tauchte plötzlich mit einer Flasche 1980 Berliquet aus St. Emilion auf. Die entsprach leider meinen Erwartungen. Nicht nur in seiner bräunlichen Farbe erinnerte er an ein verrostetes, altes Eisengeländer, beim Trinken hatte man das Gefühl, dieses Geländer ablutschen zu müssen. Man starb nicht unbedingt dran, aber der Wein war einfach platt und kein Genuss mehr 76/100. Wie gut, dass es da noch eine Magnum 2001 Eneo von Montepeloso gab. Statt rostigem Geländer jetzt also einen großen Karton fruchtiger Schokopralinen, einfach herrlich 92/100.

La Vie en Rose

Rosé Champagner ist deutlich rarer und teurer als sein weißes Gegenstück. Das macht ihn aber noch längst nicht besser. Trotzdem war der 1990 Dom Ruinart Rosé, den wir uns spätabends noch in der Kampener Sturmhaube genehmigten, schon faszinierend mit fruchtiger Fülle, cremiger Textur und kräftigem Mousseux 92/100. Zumindest wirkte er deutlich jünger und fruchtiger als der 1986 Dom Ruinart Rosé, mit dem wir ein paar Tage vorher ein weiteres, fulminantes Fährhausdinner einleiteten. Der hatte auch immer noch ein sehr kräftiges Mousseux, wirkte aber in der Farbe schon deutlich müder, kandierte Trockenfrüchte, immer noch kräftige Struktur und ein guter Essensbegleiter 90/100. Solo ziehe ich ganz im Gegensatz zu weißem Champagner beim Rosé jüngere Jahrgänge vor, halte aber insgesamt die "Rosa-Brause" für überteuert. Allerdings galten beide Aussagen nicht für einen wunderbaren 1985 Veuve Clicquot Rare Vintage Rosé. Der war 2007 degorgiert worden und entsprechend frisch mit sehr pikanter Frucht, einfach vollendeter, sehr animierender Champagner Genuss(93/100). Dazu war er sehr gastfreundlich kalkuliert.
Im Fährhaus machten wir weiter mit einem 2005 TOR Chardonnay Cuvée Torchiana von den Kenward Family Vineyards. Der startete überraschend fein und zurückhaltend mit floraler Nase und wirkte fast filigran. Das gab sich aber rasch im Glas. Unglaublich, mit welchem Tempo da aus der zu Anfang schüchternen Ballettschülerin ein rockender Tina Turner Verschnitt wurde. Wurde immer saftiger und üppiger mit reifer, exotischer Frucht und deutlicher Fruchtsüße, gute Struktur, aber kaum spürbares Holz, Weißwein-Spaß auf hohem Niveau, aber sicher eher für den zeitigen Genuss. Sicher kein Messwein für die Dienstagmorgen Andacht, obwohl man damit zweifelsohne die Kirche voll bekäme - 94/100. Beerig-fruchtig danach ein 2005 Gantenbein Pinot Noir, der mich an die reifen Blaubeeren aus dem morgentlichen Müsli erinnerte, aber auch an Amarenakirsche im Schoggimantel, herrlicher Schmelz, geht runter wie Öl. Klar kann man jetzt darüber diskutieren, ob der vielleicht etwas modern, poliert und international wirkt. Aber diese Diskussion wäre rein akademisch. Ich würde mir stattdessen lieber von diesem geilen Zeugs noch eine Flasche bestellen 92/100. Und dann war da auf der Karte noch der extrem gesuchte und über den Klee gelobte 2002 Harlan. Natürlich musste der jetzt in unser Glas, zumal der Preis sehr akzeptabel war und das Fährhaus nur 2 Flaschen besaß. Wer da zu lange überlegt, guckt hinterher in die Röhre. Wir schauten lieber tief ins Glas. Da fanden wir ein superdichtes, undurchdringliches Konzentrat mit Schwarzpurpur. Erinnerte in seiner offenen, ausladenden Art, seiner Kraft und Fülle sehr an den jungen 97er Harlan. Fruchtsüße und intensiver, dekadenter Schmelz überdecken die massiven, reifen Tannine. Völlig anders als der deutlich besser strukturierte 2001er. Hat Harlan mit dem 2001er einen perfekten, großen Bordeaux gemacht, so ist hier jetzt Kalifornien pur im Glas 98/100. Mit dem letzten Glas kam dann noch eine Überraschung. Wir genossen es auf der prächtigen Terrasse des Fährhauses, von der wir einen schönen Blick über den Munkmarscher Hafen auf das abendliche Watt hatten. Viele Weine saufen dabei ab, der hier legte an der frischen Luft sogar noch mal zu.

Feste Feiern

Gefeiert wird auf Sylt im Juli und August an allen Ecken und Enden. Jede Menge Partys und Veranstaltungen mit viel Promiauflauf. Davon halten wir uns fern, was leicht fällt, da wir in der Regel ohnehin nicht eingeladen sind. Genügend Anlässe für kleinere, eigene Feste haben wir trotzdem. Mit dem Geburtstag von Mario ging es los, und bevor dann weitere Geburtstage und auch mein eigener kamen, war erstmal mein Hochzeitstag dran. Unsere Party-Location war wieder ein von Barbara Müller liebevoll geschmückter Tisch bei JM, wie das Restaurant Jörg Müller auf Sylt in Kurzform heißt. Promis hatten wir auch dabei, aber nur im Glas. Auf unseren Hochzeitstag stießen wir mit einem grandiosen 1982 Salon S Le Mesnil Blanc de Blancs an. Was für ein Fest für die Sinne! Brilliante, goldgelbe Farbe, sehr gutes, feinperliges Mousseux, in der Nase die Kuste eines großen Bauernbrotes und etwas Biskuitteig, dazu Haselnüsse und etwas Aprikose und Physalis, sehr frisch mit guter Säure und von leichter, angenehmer Bitternote geprägter, langer Abgang 96/100. Viel gefeiert haben wir früher mit Clos des Mouches. Leider war dieser Wein in den Neunzigern selten wirklich gut. Aber der 2002 Clos des Mouches von Drouhin knüpft wieder an alte Zeiten an. Ist es eine Beleidigung, wenn man einen Burgunder als großen Kalifornier lobt? Der Clos des Mouches erinnerte mich mit weniger Alkohol, aber nicht weniger Kraft und aromatischen Druck an die besten Weine von Peter Michael. Opulent-üppige, sehr ausdrucksstarke Nase mit reifer, leicht exotischer Frucht, mit Mandeln und gerösteten Haselnüssen, am Gaumen hohe Mineralität und viel Tiefgang, ein großer, Weißer Burgunder mit Lebensfreude satt 95/100. Zurück in unserem Hochzeitsjahr waren wir mit einem außerweltlichen 1982 Richebourg von DRC. Sehr pikante, erstaunlich frische rot- und blaubeerige Frucht, kein Hammer, aber für das im Burgund eher schwächere Jahr mit erstaunlicher Dichte und Konstitution. Baute unglaublich im Glas aus und gewann deutlich an Statur und Länge, ein gewaltiger Burgunder mit noch langer Zukunft 96/100. Hedonismus pur dann ein 1982 Taylors Port Quinta Terra Feita. Konzentrierte Frucht, edles Marzipan in feinster Bitterschokolade, Finesse, Länge und vor allem Spaß ohne Ende. Sicher nichts für Miss Sophie aus Dinner for One und andere, scheintote Engländer, aber für mich!!! - 94/100.
Probiert haben wir danach noch einen 1979 Costa Russi von Gaja, den mir einer der Unger-Brüder ans Herz gelegt hatte. Recht helle, aber weitgehend altersfreie Farbe, von der Nase her waren wir da eher auf einer Landwirtschafts-Ausstellung, denn es roch nach Ställen der unterschiedlichsten Gattung. Am Gaumen sehr kräftig und lang, aber auch recht rustikal und mit doch ziemlich prägnanter Säure - 90/100. Fans dieser Stilrichtung sind da sicherlich deutlich großzügiger.

Elsass auf Sylt

Zu den Sylt-Klassikern gehören Hardy s Weinstuben in Westerland. Im sehenswerten Rundbau aus dem Jahre 1933 wird zu Sylt-untypisch günstigen Kursen eine sehr aromatische, bodenständige, vom Elsass geprägte Küche angeboten. Auch das klug zusammengestellte Weinangebot setzt weniger auf große Namen, als auf bezahlbaren Genuss. Kein Wunder, dass der Laden in der Saison in beiden Besetzungen stets lange vorher ausgebucht ist und sehr viele Fans als Stammkunden hat, darunter auch uns. Zu den bemerkenswerteren Weinen, die wir dort in diesem Jahr getrunken haben, gehörte ein 2004 Chateauneuf-du-Pape Bosquet des Papes Blanc. Erdig-mineralisch, erstaunlich fein und bei aller Rustikalität fast elegant, sehr nachhaltig am Gaumen 87/100. Vor allem zum Essen kam ein solo nicht ganz so überzeugender 2006 Riesling Eichberg Grand Cru vom Weingut Gruss sehr gut. Da brachte dieser füllige, runde Elsässer mit seiner knackigen Säure gut 89/100 ins Glas. Feinwürzig mit floralen Noten und etwas verhalten startete ein 2005 Meursault Seigneurs de Blangny. Mit zunehmender Luft kam er besser und entwickelte feinen, nussigen Schmelz 89/100. Aus der kleinen, feinen Bordeaux-Auswahl tranken wir mehrere 2001er aus diesem zu Unrecht übersehenen und immer noch bezahlbaren Jahrgang, der sich momentan zum Geheimtipp mausert. 2001 Canon-la-Gaffelière ist ein derzeit sehr kerniger, dichter und kräftiger Wein mit (noch) wenig Charme, der wohl noch ein paar Jahre braucht, aber eine gute Zukunft haben dürfte 89+/100. Voll da hingegen ein betörender 2001 Trottevieille mit reichlich schwarzer Johannisbeere, samtig-weich und sehr elegant am Gaumen 90/100. Hin und weg waren wir auch von einem sehr bezahlbaren 2001 Cantemerle, der sich prächtig entwickelt hat. Dichte Farbe, reife Frucht, Blaubeeren, Pflaume und Schwarze Johannisbeere, sehr elegant und schmeichelnd mit seidiger Textur, aber auch gutem Rückrat. Erinnert mich an den 89er, dessen würdiger Nachfolger er werden könnte. Trinkt sich jetzt schon sehr gut auf 90/100 Niveau, wozu in den nächsten Jahren durchaus noch mal 1-2 hinzukommen könnten. Eher schwierig ein 2001 La Lagune mit viel trockenem Tannin. Ein kräftiger Wein mit ungewisser Zukunft. La Lagune trinkt sich in jungen Jahren immer ziemlich schwierig. Ob dieser hier mal austrocknet, oder doch noch ein zweiter 70er oder 78er werden könnte, lässt sich derzeit schwer abschätzen 87?/100. Ein attraktives Weinbaby mit viel Zukunft der 2003 Hermitage Gambert de Loche des Cave de Tain. Sehr dichte, junge Farbe mit viel Purpur, in der Nase Kräuter, dunkle Früchte mit erster Fruchtsüße, Röstaromen, am Gaumen straffes, bissiges Tanningerüst mit deutlicher Säure, lakritzig im Abgang, dürfte sich in den nächsten Jahren gut entwickeln 90+/100.
Sein Händchen für sehr gute, bezahlbare Weine bewies uns André Speisser mit zwei gelungenen, preiswerten Bordeaux aus 2005. Schlichtweg ein gelungener Parade-Pomerol war der 2005 Le Carillon. Samtig, weich, ausladend mit Schokolade ohne Ende, gutes Gerüst reifer Tannine und nicht so bissig wie derzeit noch viele 2005er. Einfach ein stimmiger, toller Wein, der jetzt und die nächsten 10 Jahre viel Spaß macht 92/100.
Der große Hit an unserem letzten Abend bei Hardy war aber ein schlichtweg geniales Sorbet von Sylter Heckenrosen. Traumhaft, wie hier das Aroma dieser Pflanzen herüber kam, die eigentlich aus Sibirien stammen, heute aber das Bild der Insel prägen.
Wer kurzfristig in Hardy s Weinstuben möchte, sollte an den Himmel schauen und bei Abwesenheit dicker Regenwolken einen Pullover mitnehmen. Auf der schönen Terrasse geht oft immer noch was. Das gilt auch für andere Lokale, die ihre Terrassen nicht länger vorreservieren. Eigentlich heißt es ja, nur die harten kommen in den Garten, aber es sind dann die schlauen, die kurzfristig noch einen Platz ergattern. Wer zu schnell friert, fährt ohnehin besser nach Mallorca.

Und noch mal Wiin Kööv

Zu verlockend ist dieses Wiin Kööv, natürlich auch, weil ich es zu Fuß erreichen kann. So trafen wir uns an diesem Abend mal wieder in größerer Runde mit einheimischen Sylter Freunden am großen Glastisch. Ein 2006 Kreuznacher Kahlenberg Riesling Spätlese trocken von Dönnhoff aus der Magnum machte den Anfang. Ein sehr feiner, mineralischer Riesling mit guter Säure, der eher mit leisen Tönen auftrat 89/100. Sehr viel älter wirkte danach ein 2000 Kanzlerberg Grand Cru von Lorenz aus dem Elsaß. Sehr reife Nase, in Petroleum eingelegter Weinbergpfirsich, wenig Säure, schon etwas gezehrt 84/100. Weiter ging es mit einer großen Portion Schokolade, einem prächtigen 2002 Shafer Merlot, dem für mich bisher besten seiner Art. Offen, voll da, schokoladiger Schmelz mit toller Länge, aber nicht offensichtlich, sondern bei aller Fülle sogar fein wirkend 93/100. Nicht so recht anfreunden konnte ich mich mit einem 2006 Antica Terra Williamette Valley Pinot Noir aus Oregon. In der Nase erst leicht animalisch, dann immer mehr polierte, etwas aufdringliche Frucht, ging auch als junger, deutscher Spätburgunder durch, für den wir ihn blind auch zuerst hielten. Durchaus kein schlechter Wein, aber da fehlte einfach der Tiefgang, brach am Gaumen abrupt ab, zu junge Reben ? 87/100. Zum Vergleich öffneten wir spontan einen 2005 Dalsheimer Bürgel Spätburgunder trocken "Felix" von Klaus Keller. Der wirkte zwar noch etwas jung und würde sicher von 5 Jahren weiterer Reife deutlich profitieren, war aber erheblich ausgewogener als sein amerikanisches Gegenstück, ein gelungener Spätburgunder aus einem Guss, bei dem von der Nase bis zum Abgang alles stimmte 89+/100. Sehr jung und etwas verhalten wirkte danach auch ein 2000 Solaia. In der Nase pflaumige Frucht und altes Sattelleder. Am Gaumen stimmig mit etwas Schokolade, aber auch geprägt von massiven Tanninen 92/100. Da kommt in den nächsten Jahren noch mehr. In bestechender Frühform war dagegen der Wein des Abends, ein 1998 Mouton Rothschild. Die klassische, von Leder und Bleistift geprägte Mouton-Nase mit konzentrierter Frucht und etwas Schoko, am Gaumen Kraft und irrsinniger aromatischer Druck, hedonistisch schön, aber auch mit toller Struktur und Länge, zusammen mit 2002 der wohl bis dato letzte, große Mouton 96/100. Würde ich so hochgelobten Jahren wie 2000, 2003 und 2005 vorziehen. Faszinierend auch der letzte Wein, ein eigentlich nur als Reparaturschluck vorgesehener 2007 Trittenheimer Apotheke Kabinett von Ansgar Clüsserath. Der kam mit traumhafter Frucht ins Glas und herrlicher Süße, die durch die knackige Säure perfekt balanciert wurde, dazu dann eine unbekümmerte, jugendliche Frische. Reparaturschluck ist für einen derart schönen Wein eigentlich eine Beleidigung 92/100.

Endlich wieder Sommer

Und dann riss endlich wieder der Himmel auf. Für drei Tage stellte sich herrlichstes, Sylter Sommerwetter ein mit strahlend blauem Himmel und sehr angenehmen Temperaturen. Plötzlich spielte sich das Leben wieder komplett draußen ab. Nach einem genialen Strandtag genossen wir mit einem 2006 Clos de los Siète aus Argentinien an der Kampener Buhne 16 einen dieser legendären Sonnenuntergänge. Die sind so schön, dass sie schon fast als kitschig durchgehen könnte. Das Farbenspiel des Sylter Abendhimmels wirkt fast wie künstlich nachkoloriert. Unkomplizierter, üppiger Genuss im Glas mit satter, dunkler, süßer Frucht und weicher, ausladender Textur, ein gut gemachter Spaßwein, der sicher jung getrunken gehört 88/100.

Auf dem späten Rückweg landeten wir kurz vor 11 noch in der Kampener Sturmhaube. Die bieten tatsächlich noch bis 11 Uhr das komplette Küchenprogramm, wovon wir gerne Gebrauch machten. Dazu genehmigten wir uns einen außerweltlichen 2004 Aalto PS. Der machte wie praktisch alle PS-Jahrgänge vorher schlichtweg sprachlos. Dieser unglaublich gelungene Spagat zwischen dekadenter Opulenz und Finesse, zwischen unbändiger Kraft und Eleganz, diese präzise, würzige Frucht und hohe Mineralität und der minutenlange Abgang sind einfach Weltklasse. Auch der 2004er wieder ein noch sehr junger PS, aber schon mit höchstem Genuss zu trinken und auf dem Weg zur Perfektion 97+/100.

Nach einem weiteren Traumtag war eine White Night angesagt. Sylter Freunde hatten eine große Werkstatt für diesen Abend in eine perfekte Party-Location umgebaut, in der über 100 begeisterte Gäste dieser tollen Fete bis zum frühen Morgen abrockten. Wineterminator durfte mit dabei sein und mit ihm eine 12 Liter Flasche 2003 Montepeloso Eneo. War es der Großflaschen-Bonus, der diesen Wein so speziell machte? 2003 war in der Toskana kein unproblematisches Jahr, in dem viele Weine etwas dick und unförmig mit eher kalifornischer Exotik gerieten. Der kurz vor Mitternacht geöffnete Eneo zeigte auch eine gewisse Form üppiger Exotik, behielt dabei aber klare Konturen. Einfach sexy war er, pralle Lebensfreude auf hohem Niveau mit viel schokoladiger Fruchtigkeit, die da ins Glas floss 93/100. So leerte sich diese grandiose Flasche zügig.

Und dann noch ein dritter, vorerst letzter Traumtag dieses viel zu kurzen Sommer-Ausbruchs. Wir hatten beschlossen, ihn wieder auf Jörg Müllers Terrasse ausklingen zu lassen. Schließlich gab es wieder etwas zu feiern. Auf dem Wege dorthin staubte ich bei guten Freunden noch einen Schluck 2006 Tatschler Chardonnay von Kollwentz aus der Magnum ab. Ein traumhaft schmelziger, weicher Chardonnay, der bereits einen immensen Spaß machte 91/100.

Bei Jörg Müller starteten wir mit dem Duell 2005 Norheimer Dellchen gegen 2005 Hermannshöhle, beides große Gewächse von Dönnhoff. Das Dellchen war ein offener, feinfruchtiger, eleganter und im Vergleich filigraner Wein 89/100. Wärend der Hermannshöhle das Dekantieren und der anschließende Genuß aus großen Bordeaux-Gläsern gut bekam, hatte ich beim Dellchen eher das Gefühl, dass der Wein leicht absoff und sich so unter Wert verkaufte. Die Hermannshöhle ist sicher noch ein paar Jahre von der vollen Reife weg, konnte aber trotzdem schon als sehr druckvoller, mineralischer, komplexer und sehr langer Wein überzeugen 92+/100. An meine eigenen Flaschen werde ich whl erst in ein paar Jahren gehen, aber in der Gastronomie muss man ja zunehmend insbesondere bei Weisweinen froh sein, wenn man nicht nur den jetzt gerade in der Auslieferung befindlichen Jahrgang bekommt. Als erstaunlich zahm und zugänglich erwies sich danach ein 1995 Pichon Baron. Erwartet hatte ich eher einen tanninigen Brocken. Etwas Kuhstall in der Nase, gute, rotbeerige Frucht, Zedernholz, auch am Gaumen fruchtig und erstaunlich weich 91/100. Vom Nachbartisch erhielt ich ein Glas 1985 Costa Russi von Gaja. Das war, trotz zehn mehr Jahren auf dem Buckel, schon eine andere Liga. Klar, auch der war reif und zeigte nicht mehr dieses säurebetonte, Kratzige, das ich bei vielen jungen Barbarescos nicht so gut haben kann. Stattdessen war da eine gewaltige, aromatische Dichte und eine große Aromenpalette, sher kräuterig, Anis, Fenchel, Süßholz, Lakritz bis hin zu mineralischen Noten und etwas Schokolade. Ein ungemein komplexer und spannender Wein mit schöner Länge am Gaumen 94/100. Aus der jüngeren Abteilung ließen wir danach einen 2002 Montepeloso Gabbro einfließen. Den hatte ich bisher erst einmal, 2004 als Fassprobe mit Fabio Chiarelotto, getrunken. Damals war er mir fast zu üppig. Inzwischen hat dieser kalifonische Italiener deutlich an Kontur gewonnen, fackelt aber immer noch ein gewaltiges Aromenfeuerwerk ab 95/100. Wird sich über die nächsten 2 Jahrzehnte weiter entwickeln. Sehr positiv überrascht war ich danach auch von einem 1978 Haut Brion aus Jörg Müllers perfektem Keller. Statt der nassen Wolldecke, die da zuletzt bei René Gabriels großer Haut Brion Probe im Glas, zeigte sich jetzt hier ein sehr feiner, eleganter, klassischer Pesac, sehr mineralisch mit Teer, Tabak und sehrguter Länge am Gaumen 93/100.

Auf der Rantumer Düne

Tradition hat es inzwischen, dieses kleine, informelle Dinner bei sehr guten Sylter Freunden in deren Rantumer Domizil. Empfangen wurden wir mit einem 2004 Pinot Rosé Brut aus der Magnum von Martin Waßmer. Handgerüttelt stand auf der Flasche, denn von Champagnerverfahren oder ähnlichem darf man ja aus markenrechtlichen Gründen nicht mehr sprechen. Trotz einer leichten Rustikalität kam dieser Sekt mit seiner delikaten Frucht zumindest einfacheren Rosé Champagnern schon sehr nahe 87/100. Vor allem, wenn man bedenkt, dass dieser vergnügliche Wein mal gerade ein Drittel des französischen Vorbildes kostet, ist das eine reife Leistung. Nach einer Flasche 2007 Rotliegendes von Werheim, die sich nicht dekantiert deutlich jünger und frischer als eine Woche vorher im Fährhaus präsentierte, kam eine 1999 Brauneberger Juffer Sonnenuhr Spätlese trocken von Fritz Haag als Magnum auf den Tisch. Begann sehr reif und petrolig, doch schien diesem Wein Sauerstoff ausgesprochen gut zu bekommen. Er wurde zunehmend jünger, frischer und entwickelte mehr Tiefgang mit guter Länge am Gaumen. So wurde aus meinen Bedenken ebenso zunehmend Begeisterung 91/100. Auf alles hätte ich beim ersten Rotwein getippt, nur nicht auf 1997 Chateau Latour. Feminin nennt man diese Stilrichtung, die so gar nicht zu Latour passt. Sehr elegant mit feiner, rotbeeriger Frucht und guter Säure. Ein durchaus gelungener Wein, der mich aber eher an einen Grand Puy Loste aus kleinerem Jahr erinnert, als einen 1er Cru aus dem Pauillac. Von letzterem hat er nur den inzwischen selbst für 97er wieder anziehenden, nicht gerechtfertigten Preis. Wird sich auf 90/100 Niveau sicher noch 5-10 Jahre halten. Deutlich jünger mit immer noch gewaltigem Tanningerüst präsentierte sich danach ein 1982 l Evangile. Der war zu Anfang bissig und verschlossen und ließ erst nach gut 2 Stunden seine wahre Größe erkennen 95+/100. So war er zunächst völlig chancenlos gegen einen atemberaubend schönen 1996 Pahlmeyer Merlot. Der war so füllig, schokoladig und süß mit herrlich reifer Schwarzkirsche, ein großer, hedonistischer Wein, der aber bei aller Opulenz eine gewaltige Struktur besaß. Ein 96er Kalifornier eben aus einem Jahr, das ich inzwischen dem hochgelobten Jahrgang 97 deutlich vorziehe und der sich hervorragend als Probensprenger für jede Merlot-Probe eignet 97/100. Da konnte einem der l Evangile in der heutigen Form richtig leid tun. Eine Risikoflasche war danach ein 1934 Haut Brion, dessen Korken leckte. Dabei war wohl auch bereits zulange Sauerstoff in die Flasche gelangt. Die rabenschwarze Farbe war immer noch ein Traum. Spuren von Teer und Cigarbox waren auch noch vorhanden, aber vor allem nasser Hund. Sehr oxidativ war dieser, eigentlich nur noch mit Schmerzen zu trinkende Wein. Na gut, also weiter mit einer Hochrisikoflasche, einem optisch einwandfreien 1938 Clos Vougeot von Noirot-Carrière aus weniger berühmtem Jahrgang. In der Nase war dieser 70jährige eher schwierig und erinnerte an kalte Gemüsesuppe. Am Gaumen entpuppte er sich aber als erstaunlich ausgewogen und sehr gut trinkbar mit feiner Süße. Strahlende Augen nicht nur bei der Gastgeberin, deren Vater aus diesem Jahr stammt 87/100. Danach war ein Geburtstagsgeschenk dran, das mir Käsepapst Gerhard Waltmann verehrt hatte, ein über 2 Monate mit der Pipette und weißem Port tröpfchenweise affinierter Stilton. Einfach ein Traumkäse, zu dem natürlich ein Traumport mit dem nötigen Rückrat gehörte. Unser Gastgeber öffnete einen noch sehr jungen, aber ungemein überzeugenden 2003 Taylor Vintage Port, der es auch bei offenem Visier voll mit dem sehr aromatischen und würzigen Stilton aufnahm. Eingekochte Schwarzkirsche, Marzipan ohne Ende, jung und mit Unmassen jugendlichen Schmelzes, sehr dicht, explodierte förmlich am Gaumen, geiler Stoff mit großartiger Zukunft 97+/100. Als wir dann zum Abschluss dieses wunderbaren Abends im Kreise lieber Freunde zu einem großartigen Dessert noch eine 1999 Brauneberger Juffer Sonnenuhr Auslese Goldkapsel #9 von Fritz Haag trinken durften filigran, auf der Zunge tänzelnd, feine Honigtöne, tolle Säure 93/100 da hing der Himmel voller Geigen. Dass es zudem mal wieder wie aus Kübeln goss, war uns zumindest in diesem Moment schlichtweg wurscht.

Ja ist denn schon Herbst?

Das Wetter setzte dort fort, wo es vor dem kurzen Sommer-Intermezzo aufgehört hatte. Von kräftigen Winden getrieben zogen regelmäßig massive Schauerböen über die Insel. Unterbrochen wurde diese deutlich herbstliche Stimmung, die ich in dieser wirklich üblen Form noch nie auf Sylt erlebt habe, nur von zeitweisem, ergiebigem Dauerregen. Früher hieß es, auf Sylt wird man im Winter entweder Alkoholiker oder man bringt sich um. Zusammengekauert saß ich bei Morsum auf einer Fahrradtour über den Osten der Insel hinter einer Hecke auf einer Gartenmauer und dieser Spruch kam mir in den Sinn, als wieder so ein gewaltiger Schauer über mich hinweg zog. Ich dachte sehnsüchtig an ein schönes Restaurant mit gutem Essen und an den passenden Wein. Als der Regen nachließ, trat ich kräftig in die Pedale, um vor dem nächsten Unwetter noch eine solch gastliche Stätte zu erreichen. Das Il Ristorante in Westerland war mein Ziel. Früher war dieses sehr persönliche geführte Restaurant mit seiner göttlichen Küche und seiner guten, italienischen Weinkarte eines unserer Stammziele in Kampen. Zumindest solange, bis in das Gebäude einer dieser unsäglichen Modeläden einzog, die Kampen genauso dringend braucht, wie noch einen Juwelier und den zwanzigsten Immobilienmakler. Vorbei an der gigantischen Fischabfütterungsstelle von Gosch in der Friedrichstraße fand ich das neue Il Ristorante mit dem altbewährten Team versteckt in einer kleinen Seitenstraße mit einem sehr gemütlichen Innenhof. Wenigstens hielten sich die Temperaturen auf Sylt trotz der himmlischen Sturzbäche bei akzeptablen 20 Grad, so dass wir es uns draußen, geschützt durch große Schirme gemütlich machen konnten. Zu bester Küche ließen wir uns zwei preiswerte Chardonnays aus dem großen Italien-Jahrgang 2006 munden. Schließlich hatten meine Mädels ja für den Abend ein schönes Menü in unserer Wohnung angekündigt. Füllig, fruchtig, aber auch etwas breit und offensichtlich ein 2006 Pojer e Sandri Chardonnay 83/100. Deutlich besser gefiel mir der sehr feine, elegante und geradlinige 2006 Cason Hischprunn Chardonnay von Alois Lageder 87/100. Bei einem weiteren, mittäglichen Besuch in diesem sympathischen Restaurant orderten wir einen 2006 Were Dreams Chardonnay von Jermann. Maßlos enttäuscht war ich vor Wochen von diesem Wein als 2005er aus der 1tel und aus der Magnum. Doch dieser 2006er war um Klassen besser, ein kraftstrotzender, sehr nachhaltiger, komplexer Chardonnay, an dem wir unsere helle Freude hatten 93/100. Da leerten sich unsere Gläser fast im Rekordtempo.Und da es wieder wie aus Kübeln goß, orderten wir auch noch einen Rotwein, den für ziemlich kleines Geld angebotenen 2006 Le Volte von der Tenuta de l`Ornellaia. Auch der zeigte, dass der Jahrgang 2006 in der Toskana insgesamt sehr gut geraten ist. Ein lebendiger Spaßwein auf hohem Niveau. Bringt für einen Bruchteil des Preises in solch einem großen Jahr fast soviel Trinkspaß ins Glas, wie ein Ornellaia aus einem schwächeren Jahr 90/100.

Unverhofft

Eigentlich waren wir an diesem späten Nachmittag auf der Rückkehr von Westerland von Kampen. Doch wie so häufig in diesem verhexten August verfinsterte sich der Himmel, und ein gewaltiges Unwetter zog auf. Wie schön, dass da das Weinhaus Schachner ganz in der Nähe lag, und wir gastliches Asyl fanden. Ein 2004 Bugia von Bibi Graetz sollte als erstes unseren Frust vertreiben und die Herzen wärmen. Ein Künstler ist er im Hauptberuf, dieser Herr Graetz, so erfuhren wir von Martin Schachner. Ich hatte auf Holzfäller getippt, denn bei diesem sehr körperreichen Weißwein schmeckte man hauptsächlich jede Menge Holz, trotzdem kein schlecht gemachter Wein 89/100. Ein glatter Reinfall danach ein 1989 Coulée de Serrant. Der war einfach mausetot, was aber nur ein Problem dieser Flasche sein konnte. Deutlich mehr Glück hatten wir mit einem 2005 TOR Mast-Cimarossa Cabernet Sauvignon von den Kenward Family Vineyards. Der kam erst süß und offensichtlich als Himbeermarmelade ins Glas, ein simpler Wein fürs morgentliche Brötchen. Doch mit der Zeit kam da eine wunderbare, burgundische Fülle und auch mehr Struktur. Durch seine weichen Tannine ist dieser Wein bereits voll trinkreif, dürfte aber nicht sonderlich gut altern 93/100. Und dann kam etwas, das nicht so oft passiert. Ein 1945 Mouton Rothschild, absolut echt und authentisch in akzeptablem Zustand( upper shoulder) war Martin Schachner aus einem privaten Keller angeboten worden. Der zeigte die Flasche uns und den Weinfreunden vom Nachbartisch und war sie nach einer kurzentschlossenen, gemeinsamen Kraftaktion los. Nein, diese einmalige Chance, diese Weinlegende noch einmal aus einer nicht gefälschten Flasche trinken zu dürfen, wollten wir uns nicht entgehen lassen. Beim 45er Mouton gibt es eigentlich nur noch drei Sorten von Flaschen: prefekt gefüllte Fälschungen mit R.C.(Reserve du Chateau) statt der damals üblichen Seriennummer, viel bestaunte, kaum mehr trinkbare Wanderpokale, die schon ein Dutzend Besitzer hatten und auf etlichen Kaminsimmsen standen und dann die praktisch kaum noch anzutreffenden Flaschen aus privaten Kellern. Ein solches, rares Teil hatten wir vor uns. Bröselig der durchweichte Korken, schon leicht bräunlich die Farbe mit aber immer noch sehr dichtem Kern. Auch der erste Eindruck in der Nase war der von deutlicher Reife mit etwas Liebstöckel, doch machte der immer mehr Minze und auch Eukalyptus Platz, phänomenal, wie sich dieser gewaltige Wein entwickelte. Am Gaumen immer noch dichte, perfekte Tanninstruktur und unbändige Kraft. Ehrfürchtige Stille in unserem Kreise, als dieses, den gesamten Gaumen in Beschlag nehmende Monument tröpfchenweise die Kehle hinunterrann. Gaumen? Da war kein Gaumen mehr, da war nur noch Mouton! Schlicht außerirdisch war das Depot, das wir uns ebenfalls nicht entgehen ließen. Das war die Essenz dieses großen 45er Mouton und schrie förmlich nach der nach oben offenen 100 Punkte Skala. Auch, wenn draußen inzwischen die Sonne hervor gekommen war, wir merkten es nicht, denn im Glas schien sie deutlich stärker. Wir waren schlicht überwältigt von diesem einmaligen Erlebnis 45 Mouton, das wohl nicht mehr allzu viel Erdenmenschen zuteil werden dürfte, zumindest in ungefälschter Form. Eigentlich verbietet es sich danach, noch irgend etwas anderes zu trinken. Doch der Hausherr bot uns noch ein Glas 1999 Scharzhofberger Auslese von Egon Müller an. Bei diesem so unendlich feinen, eleganten Elixier, Finesse pur mit Honig, Mandeln und weßem Pfirsich, konnten wir nicht nein sagen 94/100.

Der Klassiker Vogelkoje

Zu den beliebtesten Restaurants der Insel gehört die Kampener Vogelkoje. Hier steppt schon morgens zum opulenten Frühstück der Bär, was sich dann über den nachmittäglichen Kuchen bis hin zur abendlichen, gastronomischen Oper fortsetzt. Wir starteten unseren diesjährigen Vogelkoje-Abend mit einem 2006 Grüner Veltliner Ried Lamm von Bründlmayer. Eigentlich ist dieser Wein ein Langstreckenläufer, aber er präsentierte sich an diesem Abend schon in bestechender Form mit viel Mineralität, cremiger Textur, aber auch Biß und sehr guter Länge am Gaumen 93/100. Erstaunlich verhalten dagegen der 2005 Malterer von Huber, den ich aus anderen Jahrgängen deutlich besser kenne. Ein Flaschenproblem? Das schien zumindest auch beim 2005 Cometa Planeta der Fall zu sein. Der hatte eine erstaunlich güldene Farbe, wirkte sehr reif mit Honignase und wurde am Gaumen zunehmend breiter, alkoholischer und belangloser. Kenne ich, wie auch den Malterer, deutlich anders und besser. Beide Flaschen schienen ein deutliches Lagerproblem zu haben. In Topform dann wenigstens zum Abschluss ein 2001 Pinot Noir Philippi. Der wirkte immer noch recht jung mit schöner rot- und bleeriger Frucht und gutem Tanningerüst, entwickelte sich sehr gut im Glas und dürfte noch Potential für etliche Jahre haben 90/100. Die Vogelkoje besitzt nach wie vor eine grandiose Weinkarte, aber leider in dieser Saison keinen kompetenten Sommelier, schade.

Kleine Best Bottle

Mit guten Freunden saßen wir dann noch mal im Kampener Wiin Kööv zusammen, um aus privaten Beständen und aus der Wiin Kööv Karte ein paar aufregende, aber leider auch ein paar grottenschlechte Weine zu trinken. Der erste Reinfall gleich ein 1995 Corton Charlemagne von Louis Latour. Gülden, total oxidiert, sehr gebremster Charme, noch trinkbar, aber ohne jede Freude 78/100. Als Einstimmung in diesen Abend völlig ungeeignet. Da griffen wir dann doch lieber zu einer 2007 Trittenheimer Apotheke Riesling Spätlese feinherb von Ansgar Clüsserath. Das war einfach ein herrlicher Saufwein mit deutlicher Restsüße, aber auch sehr guter Säure, die gemeinsam ein tolles Süße-/Säurespiel abgaben. Trinkt sich jetzt wunderbar, wird aber in den nächsten Jahren sicher noch an Komplexität zulegen 89+/100. Spannend danach ein 1993 Don Miguel Vineyard Chardonnay aus dem Sonoma Valley von Marimar Torres. Der war zwar schon so langsam am Ende seiner Genußphase angelangt, was sich vor allem an leichten Alterstönen in der eher verhaltenen Nase zeigte. Am Gaumen war er aber noch voll da mit feinem, nussigem Schmelz und guter Säure 91/100. Noch schön anzusehen war im Glas der 1994 Roxburgh Chardonnay Hunter Valley von Rosemount Estate aus Australien mit seiner brillianten Farbe von Orangenmarmelade. Das war es dann aber auch. Trinken konnte man dieses Zeugs nicht mehr. Versuchten wir es also mal mit Rotwein. Da kam zunächst ein 2003 Ernie Els aus Südafrika ins Glas. Der hatte mich vor zwei Jahren schon mal als 2002er gelangweilt und tat es jetzt wieder. Dickes, gemachtes, übertriebenes Zeugs mit ledriger Nase, Cassis ohne Ende, einfach zu fett, zu süß und zu üppig 86/100. Sicher ein Exportschlager Richtung USA für die Leute, die sich dort nach dem Motto "Thick, rich and creamy" ernähren. Und dann kam der Wein, der den Abend dreimal wert war, 1994 Harlan. Dieser kalifornische Super Pauillac machte wieder sprachlos. Es fällt schwer, diesem Monument mit Worten überhaupt gerecht zu werden. Die Quadratur des Kreises, der junge reife Latour nahm vom gesamten Gaumen Besitz. Da stimmte einfach alles, dichte, reife, dezent süße Frucht, unerhörte Mineralität mit leichten Bleistift-Anklängen a la Mouton, perfekte Struktur, wie aus feinstem Marmor gemeißelt, unglaubliche Länge. Mit seiner faszinierenden Aromatik und seiner Strahlkraft ist dieser Harlan jetzt schon eine Weinlegende, ein 100/100 Wein ohne Wenn und Aber. Zusammen mit dem 1945 Mouton der Wein des Urlaubs. Eigentlich sollte dieser Harlan ein gereiftes Gegenstück in einem 1978 La Tâche von DRC finden. Doch der war in dieser, aus einem Privarkeller stammenden Flasche nur ein Schatten seiner selbst. Wirkte etwas laktisch mit leicht metallischer Nase, und wo am Gaumen eigentlich burgundische Pracht und Fülle hätten herrschen müssen, war dieser verdammt teure Reinfall leider nur spitz 87/100. Bissig, tanninig mit kräftiger Säure kam danach noch ein 2001 Diamond Creek Greavelly Meadow ins Glas. Ein sehr mineralischer, schlanker Kalifornier "von früher", der sich aber mit schöner, blaubeeriger Frucht gut im Glas entwickelte und deutlich zulegte 91/100. Diamond Creek war mal in Kalifornien ein großer Name. Allerdings ist er angesichts der zahllosen, sofort trinkbaren Operettenweine etwas ins Vergessenheit geraten. Geduld ist halt nicht mehr angesagt. Bliebe noch ein hervorragender, 2007 degorgierter 1988 Veuve Clicqot Rare Vintage zu erwähnen, den wir dekantiert aus großen Burgunder-Gläsern genossen. Immer noch jugendlich frisch wirkend, sehr reichhaltig und komplex mit kandierten Früchten und einem großen Brotkorb 92/100.

So ziehen wir mit Gesang in das nächste Restaurant

Völlig anders sahen vergangene Sylt-Urlaube aus. Da waren wir häufig bis weit nach Mitternacht am Strand. Mittagessen in einem Restaurant kannten wir überhaupt nicht, und unsere Abend-Termine waren begrenzt. Doch in diesem unterirdischen August war alles anders. Da wurde schon beim Frühstück diskutiert, wo wir denn mittags essen sollten und was für den Abend geplant wäre. Wie gut, dass Sylt gastronomisch so eine riesige Auswahl bot. Klar, bei den Sternetempeln brauchte man gar nicht erst anzufragen. Wer da kein Haus- oder Stammgast war, hatte keine Chance. Doch die Insel bot ja genügend Alternativen. Manchmal habe ich mich trotzdem schon gefragt, was ich denn überhaupt in den Resraurants der Insel zu suchen hatte. Schließlich war nicht nur aus eigenen Beständen ein Schwung guter Weine mit auf die Insel gereist. Ich wurde auch von zwei hochtalentierten Köchinnen nach Strich und Faden verwöhnt. So verbrachten wir einige Mittage und Abende in unserer Urlaubswohnung und brachten zu herrlicher Küche interessante, eigene Tropfen ins Glas.
Dreimal 2001 hieß es da an einem Abend. Den Anfang machte ein 2001 Isoceles von Justin aus Paso Robles in Kalifornien. Das war die große Cassis Operette, aber mit der fröhlichen Leichtigkeit der amerikanischen Westküste. Wunderbare, delikate Frucht und für 15% Alkohol erstaunlich leichtfüßig, einfach animierend lecker 94/100. Danach hatte es der hochgelobte 2001 Giusto di Notri von Tua Rita verdammt schwer. Ein sehr nachhaltiger Wein mit viel dunkler Frucht, der aber im Vergleich zum fröhlichen Isoceles eher schwermütig wirkte. Natürlich war das keine Profi-Verkostung an diesem Abend, denn wir hatten viel Spaß. Und gerade deshalb wirkte der Giusto di Notri eher wie eine Art Spielverderber, bei dem wir nicht mehr als 91/100 im Glas hatten. Vielleicht einfach nicht lange genug dekantiert. Der bekommt zuhause in Düsseldorf noch eine zweite Chance. Da war der 2001 Nebro von Finca Villacresces schon ein ganz anderes Kaliber. Immer noch sehr dichte Farbe mit Purpur. Ein gewaltiges Konzentrat mit würzig-mineralischer Dichte, Cassis, rauchige Töne, Graphit, Leder und ein Schuß Tabak. Nahm den gesamten Gaumen in Beschlag nahm, gewaltige Länge, großer Stoff 97/100.
An einem anderen Abend starteten wir mit 1995 Angelus. Ein großer Wein mit erster Trinkreife, aber noch viel Entwicklungspotential, reife Kirschfrucht, schwarze Johannisbeere, Minze, fleischig mit reifen und runden Tanninen, sehr druckvoll am Gaumen 94+/100. Immer mehr Sorgen macht mir der nachfolgende 1997 Harlan. Klar ist das Meckern auf höchstem Niveau, aber schließlich hatte ich diesen Wein aus meinen Top 100 früher häufiger mit 100/100 im Glas. Inzwischen entwickelt er sich aber in die falsche Richtung. Immer noch tiefes Schwarzrot, in der Nase überbordende, überreife Frucht, auch am Gaumen Fülle, Überreife und fast aufdringliche Süße. Der Eindruck der Überreife verstärkt sich mit der Zeit, gärender Apfelmost, flüchtige Säure kommt hinzu. Harlan geht deutlich besser mit mehr Präzision und Struktur. Es muß ja nicht gleich der außerweltliche 94er sein, auch 95 und 96 präsentieren sich derzeit um Klassen besser als dieser 97er 95/100. Und während sich meine Stirn runzelte und ich böse Kommentare in mein rotes Buch schrieb, stellte mir meine Tochter einen Teller scharfes, asiatisches Gemüse hin. Wo jeder normale Rote in die Knie geht, stellte sich hier mit diesem Harlan sogar so etwas wie Harmonie ein. Klarer Favorit dieses Abends war dann aber ein wunderbarer 1982 Figeac. Ein reifer Bordeaux klassischer Machart, eher St. Julien als St. Emilion mit viel Zedernholz, einfach stimmig von vorne bis hinten 96/100.
Die Harlan-Nummer wiederholte sich übrigens an einem anderen Abend, diesmal deutlich schlimmer mit 1997 Pahlmeyer. Auch das ein dicker, dichter, massiger, aber auch mastiger Stoff, der inzwischen deutliche Zeichen von oxidativer Überreife zeigt. Dunkle, dumpfe Aromen, das ist nicht mehr die Operette der Anfangszeit, diese geile, hedonistische Überschwenglichkeit, die diesen Wein auszeichnete. Jetzt ist er Schwermut angesagt mit Bruckner am Klavier. Brutal und überzeichnet ausgedrückt ist hier aus dem Wein für Lebenskünstler eher einer für potentielle Selbstmörder geworden. Auch hier Meckern auf immer noch hohem 91/100 Niveau, aber der Trend zeigt deutlich weiter abwärts. Auch den muß ich dringend noch mal zuhause nachverkosten. Deutlich besser gefiel mir im Vergleich der 1994 La Jota Howell Mountain Selection. Ein unendlich weicher, zugänglicher Wein mit feiner Minze, voll auf dem Punkt mit toller Länge, einfach betörend schön 94/100.
Zu den anderen, zuhause getrunkenen Weinen gehörte zweimal 1990 Les Forts de Latour, der sich wunderbar trank, ein feiner Wein, der sich aber erstaunlich reif präsentierte und auf 90/100 Niveau nach baldigem Verzehr schreit. Einfach schön an einem der wenigen, sonnigen Mittage auf heimischer Terrasse eine 2001 Brauneberger Juffer Sonnenuhr Spätlese #7 von Fritz Haag, frisch, filigran mit subtiler Eleganz, ein grandioser Sommer Grand Cru mit wenig Alkohol 91/100. Etwas reifer und fülliger im Vergleich, aber ebenfalls noch fast taufrisch mit faszinierendem Süße-/Säurespiel eine 1994 Wehlener Sonnenuhr Spätlese von JJ Prüm 92/100. Beide Weine auch bei praller Sonne durch den niedrigen Alkohol fast reueloser Genuss. Ich hätte gerne mehr davon gehabt, sowohl von den Weinen als auch von der Sonne.

Bye Bye Sylt

Nach drei Wochen feinster Kulinarik und ziemlich üblem Wetter hieß es Abschied nehmen von Sylt. Und deshalb ließen wir den Urlaub auf meiner Lieblingsinsel so enden, wie er angefangen hatte, in meinem Lieblingsrestaurant, bei Jörg Müller. Zu einem großartigen Menü tobten wir uns noch mal in der Weinkarte aus, diesmal allerdings eher mit jüngeren Weinen. Sehr schön gleich zu Anfang ein 2006 Sauvignon Blanc Zieregg von Tement. Traumhafte Frucht, Stachelbeere, Litschis, frische Kräuter, cremige Textur, gut eingebundenes Holz und schöne Länge, für mich nach wie vor einer der mit Abstand besten Sauvignon Blancs dieser Erde 94/100. Hin und weg waren wir danach von einem 2006 Riesling Singerriedel Smaragd von Hirtzberger. Der hatte nicht ganz die Kraft des Zieregg, aber dafür eine derart explosive Aromatik, da brannte ein komplettes Feuerwerk am Gaumen ab. Mit Beschreibung der einzelnen Komponenten wird man diesem großen Wein nicht gerechnet. Natürlich ist da reife Frucht mit schöner Fruchtsüße, viel Mineralität, delikate Würze und ein gutes Säuregerüst, aber das Zusammenspiel aller Komponenten, diese totale Harmonie ist hier das Erlebnis. Wer schon immer von einem großen Meursault mit perfekt gereifter Rieslingfrucht geträumt hat, hier ist diese Mischung, ein großartiger, schlichtweg atemberaubender Weltklassewein 97/100. Wir bewegten uns, trotz junger Weine, auf einem derart hohen Niveau, dass sich die nachfolgenden Rotweine mächtig ins Zeug legen mussten. Kein Problem für den 1992 Dominus. Dieser große Pauillac aus Kalifornien, den ich hier schon so oft getrunken habe, präsentierte sich in diesem Jahr noch ein stückweit offener. Ein Traumpirat für jede Bordeauxprobe 96/100. Auf gleichem Niveau, aber etwas fruchtiger, kalifornischer ein sehr überzeugender 1996 Les Pavots von Peter Michael 96/100. Und auch meine allerletzte Flasche dieses verregneten, aber dafür weinmäßig um so spannenderen Sylt-Urlaubes war ein absoluter Traum. Zu jung und erst ganz am Anfang war 1963 Taylor Vintage 1995, als ich ihn zum ersten mal bei Jörg Müller trank. Jetzt, 13 Jahre später aus derselben OHK war das einfach ein Bilderbuch-Port mit verschwenderischer Marzipan-Süße, ein großes, komplettes Dessert für sich alleine 97/100.

Das war s für diesen Sommer aus Sylt. Inzwischen sitze ich längst wieder an meinem Düsseldorfer Schreibtisch. Zwischendrin werde ich die Sylt-Notizen noch mal überarbeiten und um fehlende Weine ergänzen.


Und hier finden sich die Sylter (W)Eindrücke aus 2005, 2006 und 2007