1914
Ein schwieriges Weinjahr. Chronisten berichten, dass die Ernte Frauensache war, denn die Männer zogen in den ersten Weltkrieg. Und da wohl auch ein Großteil der Pferde für militärische Dienste requiriert wurden, mussten Ochsen in die Weinberge.
In Bordeaux wurde die Ernte durch einen heißen August und gutes Wetter zur Erntezeit gerettet. Ich hatte bisher erst zwei Bordeaux aus 1914 verkostet, im September 2004 einen Lanessan. Der hatte eine Wahnsinnsnase, wie ich sie in dieser Form noch nie erlebt habe. Intensivstes Mokka ohne Ende! Am Gaumen wirkte er etwas kurz und leicht gezehrt, aber auf was für einem Niveau. Wirkte locker 50 Jahre jünger. 100 Punkte-Nase, 90 Punkte-Gaumen, machen wir doch der Einfachheit halber 95/100 draus. Allerdings kann Lanessan nicht als Maßstab für den Jahrgang gelten, denn dort wurden damals in fast allen Jahren außergewöhnliche Weine erzeugt. Eine echte Risikoflasche war Cos d´Estournel 2006 auf der großen Cos-Probe, nicht nur wegen des Füllstandes von ‚ms-ls’, sondern auch, weil beim Einräumen ins Hotel der Korken in die Flasche gefallen war. Mir ist das auch schon mehrmals passiert, doch solange die Kapsel dicht ist, kann man damit für ein Weilchen bei stehender Flasche leben. Braune Farbe, muffige Nase mit Dörrfrüchten und Datteln, am Gaumen eindimensional und kurz – 80/100.
2008 hatte dann in Paris ein Latour immer noch eine erstaunlich dichte Farbe und war von kräftiger Statur. Etwas verunsichert waren wir zu Anfang durch die kräftige, flüchtige Säure. Doch die verschwand mit der Zeit, der Latour entwickelte sich im Glas und in der Karaffe zu einem ganz und gar prächtigen, sehr nachhaltigen und komplexen Exemplar seiner Art – 95/100.
Rabaud Promis hatte eine tiefe, braun-goldene Farbe, karamellisierte Kumquats, Orangen Bittermarmelade, die Kruste einer Crème Brulée und zeigte eine feine, harmonische Süße, reif, aber ohne spürbares Alter – WT96.
Als sehr gutes Jahr gilt 1914 an der Loire. Erstaunlich frisch für das Alter war im September 2004 ein Bonnezeaux der Domaine Terrebrune. Helles Braun, gute, schon fast knackige Säure, feine Süße – 92/100.
Wunderdinge erzählt man sich vom Jahrgang 1914 an der Rhone. Ist mir leider bisher nicht untergekommen.
Der California Cabernet eines Bremer Importeurs namens F. Wilhelm Hadeler zeigte 2025 nicht nur eine erstaunlich gute, gesunde Farbe. Da war immer noch etwas Frucht und betörende Eleganz dieses Weines,der durch gute Säure fast noch den Eindruck einer gewissen Frische erweckte. Da war keinerlei Oxidation, dafür generöse Süße und wunderbare Länge. Und der 111 Jahre Kalifornier legte mit Luft unglaublich im Glas zu – WT97+.
Der Malaga aus der berühmten Massandra Collection war 2022 zunächst erstmal ein reifer, sauleckerer Malaga. Aber da tat sich mit der Zeit eine Menge im Glas. Zur intensiven Süße kamen getrocknete Datteln und Feigen und immer mehr Facetten - WT97.
Ganz außergewöhnlich gut muss der Jahrgang auch in der Champagne gewesen sein. Das zeigte 2025 ein Pol Roger Extra Cuvée Réserve, und das sogar in ziemlich beeindruckender Form, nur wenig Oxidation, stattdessen etwas, was man als eine Art gereifter Frische bezeichnen könnte, so harmonisch mit feinem Schmelz, am Gaumen sogar noch mit leichtem Prickeln, dabei sehr elegant mit burgundischen Konturen. Blind getrunken hätte man ihn auch für einen perfekt gereiften, älteren Weißen Burgunder halten können. Bei der Qualität und dem schönen Trinkgenuss waren locker WT95 fällig, für die Einmaligkeit dieses Erlebnisses natürlich auch beliebig mehr.