Latour räumt mal wieder ab

Chateau Latour war der Star von Elke Dreschers Raritätenprobe, die diesmal den Schwerpunkt 1928/1929 hatte.

Prächtige Stimmung herrschte an diesem letzten Mai-Wochenende. Man kennt sich, man mag sich und man fühlt sich in der familiären Atmosphäre von Elke Dreschers, extra für diesen Zweck wieder umgeräumten Wohnzimmers einfach sauwohl. Wozu natürlich auch die Weine beitrugen, die die liebe Elke mit ihrem bekannt goldenen Händchen wieder zielsicher ausgewählt und zusammengestellt hatte.

1928/1929 lautete das Thema einer zweiteiligen Probe, die im September mit dem Highlight Cheval Blanc fortgesetzt wird. Ein berühmter Zwillingsjahrgang war 1928/1929 in Bordeaux, qualitativ vergleichbar mit 1899/1900. Zwei große Jahre mit völlig unterschiedlicher Charakteristik. Die 28er kräftig, tanninbetont, sehr langlebig, die 29er früher reif, charmanter, aber auch mit gutem Standvermögen. Elke hatte die Flights jeweils mit jüngeren Weinen aus 1985 ergänzt.

Ein guter Griff waren als Einstieg die Weine von Poujeaux, einem sehr guten Cru Bourgeois aus Moulis, dessen Weine gut altern. Eine sehr dichte Farbe hatte der 1928 Poujeaux, der von harschen Resttanninen dominiert wurde und zu Anfang etwas säuerlich und laktisch wirkte. Wurde mit der Zeit im Glas offener, zugänglicher und zeigte immer mehr Ansätze von Frucht und Süße – WT87. Ein echter Knaller im anderen Glas der 1929 Poujeaux mit einer einfach geilen, schokoladigen, opulenten Nase und dazu herrlichem Schmelz am Gaumen, zeigte keinerlei Alter – WT94. Der steht ab sofort auf meiner Suchliste. Dicht und kräftig, dabei auch zu Anfang etwas karg und herb wirkend der 1986 Poujeaux, der mit Zeit und Luft etwas süßer und gefälliger wurde – WT90. Bei dem Wein scheint keine Eile geboten. Da lass ich meine Impi noch mal ein Jahrzehnt im Keller.

Aus der Burgunderflasche kam der 1929 Margaux Vandermeulen ins Glas. Das war für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich, denn in der Weltwirtschaftskrise nahm man einfach, was verfügbar war. Die Flasche passte aber auch zur geradezu burgundischen Eleganz diese schmeichlerischen, feinen, finessigen Margaux mit seinem süßem Schmelz, dessen spannender Gesamteindruck nur durch eine leichte Pilznote etwas getrübt wurde – WT95. Eine erstaunlich üppig-füllige Nase mit reichlich Ovomaltine hatte der überraschend gute 1929 Abel-Laurent in einer Ginestet-Abfüllung, nur die deutlich Säure am Gaumen störte etwas – WT92. Die Weinberge dieses heute nicht mehr existierenden Chateaus gehören heute übrigens mehrheitlich zu Chateau Margaux. 1985 Palmer wirkte mit seiner ebenfalls burgundischen Eleganz, seiner traumhaften Frucht und dem süßen Schmelz wie eine jüngere Variante des Margaux – WT95. Gleichzeitig zeigte er deutlich, wie viel Musik noch in den großen 85ern steckt.

Für die dann folgende Enttäuschung konnte die liebe Elke nichts. 1928 Lafite Rothschild ist und bleibt einfach ein Schrottwein, für den man den damaligen Kellermeister noch nachträglich rausschmeißen müsste. In der Nase Tapetenkleister und Essigsäure, auch am Gaumen trotz spürbarer Substanz eine herbe, säuerliche Enttäuschung – WT78. Dabei war das keine schlechte Flasche, sondern nur einfach 28er Lafite Standard, zum Abgewöhnen. Wie gut, dass da nebendran noch zwei dieser genialen 85er standen. Der 1985 Lynch Bages war ein immer noch so frischer Traum-Lynch, einfach sexy mit betörend süßer Frucht und noch genügend Rückgrat für längere Jahre – WT95. Nur ganz knapp dahinter die seidig-elegante,1985 Pichon Comtesse mit verführerischem Schmelz – WT95.

Und damit waren wir beim Flight des Abends. Wie alt können Walnüsse eigentlich werden? Dieser schier unsterbliche, absolut perfekte 1928 Latour hatte natürlich diese Latour-typische Walnuss-Aromatik, war sehr mineralisch, komplex mit immer noch intaktem Tanningerüst und unglaublicher Länge, ein echter Jahrhundertwein halt – WT100. Der 1929 Latour war eleganter, gefälliger, süßer, vielleicht nicht ganz so dramatisch, aber auch der mit der klassischen Latour-Aromatik und enormem Druck am Gaumen, auch hier keine Spur von Alter – WT97. Und dann die Überraschung, 1985 Latour, ein Wein, der Jahrzehnte unterschätzt wurde und jetzt auf die Überholspur geht. Soviel Druck, soviel Kraft, so eine tolle Frucht und natürlich neben hoher Mineralität die klassische Latour-Walnussaromatik. Hatte ich noch nie auch nur annähernd so gut im Glas – WT96.

Wie dekadent ist das denn? Eine große Probe, in der ein Flight aus drei großen Moutons nicht auf dem Siegertreppchen landet? 1928 Mouton Rothschild war sehr kräftig, minzig und druckvoll, noch so jung wirkend und im besten Sinne kernig, hält in der Form noch Jahrzehnte – WT97. Für mich noch etwas drüber der offenere, hedonistischere 1929 Mouton Rothschild mit pikanter, aber auch süßer, verschwenderischer Frucht, mit Eukalyptus und Minze, am Gaumen grandiose Struktur und gute, stützende Säure – WT98. Auch nicht von schlechten Eltern der 1985 Mouton Rothschild, „lovely and charming“ war kürzlich Jan Erik Paulsons treffender Kommentar in einer großen Mouton-Vertikale. Dem muss man eigentlich nichts hinzufügen. Ein sehr eleganter, feiner, immer noch so frischer, typischer Mouton mit Cassis, Minze, Bleistift und Sattelleder – WT94.

Klares Fazit: sowohl die Weine aus 1928 als auch aus 1929 sind immer noch eine Sünde und die dazugehörige Suche wert. Smart Money investiert aber in die großartigen 85er, die mit traumhafter Frucht einfach sexy sind und unkomplizierten, hochstehenden Genuss bieten.

Generös wurde die Probe begleitet von drei Tischweinen aus Doppelmagnums. Sehr gefällig und ohne Alter der sehr gefällige 1985 Talbot mit feiner, rotbeeriger Frucht, am Gaumen weich, reif mit süßem Schmelz – WT92. Erstaunlich auch 1975 Giscours, ein wunderbar gereifter, klassischer Cabernet, fruchtig, elegant, sehr fein, dessen Genuss nicht mehr durch die harsche 75er Säure getrübt wird - WT90. Völlig aus der Art schlug aus der Doppelmagnum der 1975 Montrose. Der war so gefällig, so fruchtig und elegant, am Gaumen nachhaltig mit guter Säure, einfach nur schön – WT93.

Und natürlich durfte ein hochkarätiger, süßer Abschluss nicht fehlen. Den hatte Farnsburg-Besitzer und großer Sauternes Sammler Jürg Richter mitgebracht. 1929 Rabaud Promis hatte eine sehr tiefe, dunkle Farbe, Melasse, Cola, minzige Süße, Fülle, aber auch gute Säure, ein sehr guter Sauternes auf dem Höhepunkt – WT95.