Mouton Vertikale mit 1945
Er gehört zu den gesuchtesten, rarsten, teuersten Weinen dieser Erde, dieser 1945 Mouton Rothschild. Gleichzeitig ist er einer der besten, jemals erzeugten Weine. Aber noch längst nicht jede Flasche dieser Legende ist gut und wird den Erwartungen gerecht. Was gesucht und teuer ist, wird zunehmend auch gefälscht. Erst im letzten Jahr hatte ich auf einer Probe der 100 besten Weine der 40er Jahre in Helsinki das sehr zweifelhafte Vergnügen, diesen Wein gleich aus zwei unterschiedlichen Fälschungen erleben zu dürfen.
Und wenn dann mal auf einer Auktion eine dieser ultrararen Weine zu inzwischen absurden Preisen angeboten wird, dann ist immer noch kein Vergnügen garantiert. Auch ein 70 Jahre alter Mouton Rothschild macht nur aus einwandfreier Herkunft Spaß. Bei Flaschen, die bereits mehrfach um den Globus gereist sind, mehr Besitzer hatten als ein alter Gebrauchtwagen hatten oder als Trophäe jahrelang irgendwo auf dem Kaminsims gestanden haben, bei denen ist eine teure Enttäuschung vorprogrammiert.
Also haben wir vor zwei Jahren zugeschlagen, als Altweinpabst Jan-Erik Paulson eine garantiert echte Flasche in gutem Zustand aus seriöser Herkunft anbot. Wir haben den Preis der Flasche durch vier geteilt, so dass es noch halbwegs für jeden Einzelnen erträglich war. Jetzt war es endlich soweit. In kleiner, feiner Runde trafen wir uns für das große Ereignis. Einer aus unserer Runde stellte in seinem Haus die feine Tafel und engagierte einen Spitzenkoch, der uns mit einem hochklassigen Menü verwöhnte. Wir alle stellten aus unseren Kellern die „Begleitmusik“, die nur aus großen Mouton-Jahrgängen bestand.
Eintrinken auf hohem Niveau lautete das Motto des ersten Flights. Der 1983 Mouton Rothschild war ein großartiger, absolut stimmiger Charmeur mit feiner, reifer Frucht, Sattelleder, einem Hauch Minze, so seidig elegant und finessig, lang im Abgang und dabei absolut stimmig – WT95. Voll da war der 1985 Mouton Rothschild mit sehr präsenter Cassisfrucht, mit Minze, Leder und dem klassischen Mouton-Bleistift. Mit etwas mehr Abgang zur erotischen Fülle am Gaumen wäre das ein Riese – WT94.
Drinking History hieß das Motto des zweiten Flights. Wir wagten uns an einen 1917 Mouton Rothschild aus diesem sehr raren Kriegsjahrgang, 6 Jahre bevor Baron Philippe de Rothschild die Leitung des Gutes übernahm. Und wie schmeckt ein 98jähriger Mouton? Überraschend gut, was sicher auch daran gelegen hat, dass ich möglicherweise erst der zweite Besitzer dieser Flasche war. Mundgeblasen die alte Flasche, schrumpelig der alte Originalkork, der sich dank des Durand-Korkenzieher sicher entfernen ließ. Immer noch intakt die dichte Farbe, faszinierende Nase mit Minze ohne Ende, Waldboden, Jod, Perubalsam, Kräutern. Stand wie eine Eins im Glas, noch so vital mit guter Säure, feiner Süße und der bitteren Walnussnote, die man von Latour kennt. Unglaublich, wie der sich mit Luft im Glas entwickelte und immer mehr Länge am Gaumen zeigte – WT97. Das war ein großes, unwiderbringbares Erlebnis. Mit Ehrfurcht hatten wir uns diesem Weinsenior genähert, doch aus Ehrfurcht wurde pure Freude.
Mit zwei großen, legendären Moutons, die jeder für sich als Höhepunkt einer großen Verkostung hätten dienen können, ging es weiter. Noch so taufrisch wirkend der 1955 Mouton Rothschild mit herrlicher, pikanter Frucht und feiner Minze, so hoch elegant und absolut stimmig mit toller Struktur und guter Säure, tänzelt richtiggehend auf der Zunge – WT97. Der 1961 Mouton Rothschild wirkte etwas reifer als der 55er, aber was für ein gigantischer Weinriese. Süße Frucht, viel Minze, ein Hauch Eukalpyptus in der Nase unglaublicher Druck und Tiefgang am Gaumen, wiederum generöse Süße, immense Kraft, ein großer, hedonistischer Mouton – WT99.
Ja, unser unverschämtes Flaschenglück blieb uns erhalten. Von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt hatte ich beide Weine schon in allen Schattierungen über die Jahre im Glas. Und wenn die Literatur bei beiden Weinen von Flaschenvariationen spricht, geht das am Kern der Sache vorbei. Es sind eher Variationen in der Anzahl der Vorbesitzer und der Art und Weise, wie sie mit dem jeweiligen Wein umgegangen sind.
Und dann waren wir beim Solitär, dem Ziel unserer Weinträume, 1945 Mouton Rothschild. Unser Gastgeber hatte sich nicht einmal getraut, den gut zwei Monate vorher gaaaaanz vorsichtig und natürlich aufrecht stehend von Paulson zu ihm transportierten Wein auch nur richtig auszupacken. So hatte er ihn nur ebenso vorsichtig in den Keller transportiert und dort aufrecht stehen lassen. Das hatte immense Vorteile. Erst wunderte ich mich beim Dekantieren, dass da kein Depot kam. Doch das war reichlich vorhanden, saß aber bombenfest am Flaschenboden. Unglaubliche Spannung herrschte beim Öffnen und Dekantieren. Jetzt auch nur ein Hauch von Kork oder Oxidation, das wäre der Supergau gewesen. Nichts dergleichen, das war schon beim Dekantieren eine Traumnase.
Und dann endlich im Glas wurde der 45er seinem Ruf wie Donnerhall mehr als gerecht. Eine unbeschreibliche Orgie aus Minze und Eukalyptus, so eine geniale, perfekte Struktur, völlig altersfrei, so stimmig mit feiner Süße und intensiver Mineralität, bleibt ewig am Gaumen und macht sprachlos und glücklich zugleich. Da war sie wieder, diese „schwerelose Kraft“, die nur die allerbesten Weine zeigen. Dieser 1945 Mouton hat noch genügend Substanz für etliche Jahrzehnte. Ein Monument, dem man mit Worten kaum gerecht werden kann. Schlichtweg Wahnsinn und ein Jahrhundertwein ohne wenn und aber. Die WT100 – mehr geht nun mal nicht – sind für solch einen Wein schon fast eine Beleidigung.
Sehr schön hat es der Winzer und Weinblogger Dirk Würtz als Kommentar zu meinem Facebook-Post formuliert. „Ich durfte den dreimal probieren. Es war jedesmal wie Weltengelskonferrenz auf der Zunge!!!“
Hat dieser 1945 Mouton Rothschild Nachfolger, Weine, die diese großen Schuhe irgendwann mal ausfüllen können? Aber ja, vielleicht sogar zwei. Von Raoul Blondin, dem legendären Kellermeister von Mouton, der 60 Jahrgänge Mouton vinifizierte, stammt die Aussage, dass der 82er im Fass dem damaligen 45er sehr ähnelte. Nur muss man jetzt wissen, dass der 45er sich erst in der zweiten Hälfte der 80er, also nach über 40 Jahren, einigermaßen öffnete. Und dieser unglaubliche 1982 Mouton Rothschild, der durchaus das Potential zum Nachfolger hat, ist mal gerade zarte 33 Jahre alt. Ich habe noch einen Schluck des 45ers stehen gelassen und den dann mit 82 und 86 verglichen. Der 82er zeigte, natürlich dramatisch jünger, eine unglaubliche Verwandtschaft und Ähnlichkeit mit dem 45er. Ein perfekter, sehr minziger Traummouton, den unsere Nachfahren in 20-30 Jahren so zelebrieren werden wie wir heute den 45er. Das ist heute ein so überwältigendes, perfekt strukturiertes Konzentrat, dicht, kraftvoll, Cassis pur, aber auch viel Minze und ein erster Hauch Eukalyptus, da geht auch heute "schon" nur eine Wertung – WT100. Aus der Magnum hatten wir hier den 1986 Mouton Rothschild. In seiner kurzen, knackigen Fruchtphase 1989 war das der größte Jungwein, den ich je im Glas hatte, ein schier unglaubliches Erlebnis, damals in dieser kurzen Phase über 50(!)mal genossen. Für € 25 gab es damals im Mövenpick Caveau die halbe Flasche eines Weines, wie ich ihn bis dato noch nie getrunken hatte, schwarz wie Ägyptens Nächte, sehr konzentrierte Frucht, hohe Mineralität, so präzise strukturiert mit einer unglaublichen Länge. Wir haben damals alle großen Weine, derer wir habhaft werden konnten, gegen Mouton verkostet. Doch der war immer obenauf. Und dann ging er plötzlich fast von einem Tag auf den anderen völlig zu und ließ lange Jahre nichts mehr raus. Jetzt kommt er so langsam wieder, ein beeindruckendes Kraftbündel mit Mörderpotential, die Frucht noch etwas verhalten, sehr mineralisch, Graphit, Sattelleder, wurde im Glas immer minziger und auch der erste Hauch von Eukalyptus stellte sich ein – WT97+. Auch dieser 86er zeigte deutlich Ähnlichkeit mit dem 45er. Er wird nur noch länger brauchen als der 82er.
Beide Weine sind nach wie vor jedes Suchen und Sparkontoplündern wert.
Und dann gibt es noch einen Geheimtipp, einen großen Mouton für Schlaue und Geduldige. Wir haben die zweite Hälfte der 1986 Mouton Rothschild Magnum gegen den über 5 Stunden vorher dekantierten 1988 Mouton Rothschild getrunken. Das war ein Duell auf Augenhöhe. Tiefe, undurchdringliche Farbe, Cassis mit Minze pur, Bleistift, Sattelleder, perfekte Struktur, immenses Tanningerüst und gewaltige Länge am Gaumen – WT97+. Kostet einen Bruchteil von 82 und 86, hat aber ebenfalls unglaubliches Potential. Braucht aber derzeit 5 Stunden in der Karaffe um ansatzweise zu zeigen, was er drauf hat. Vielleicht sollte ich weniger darüber schreiben und lieber noch weiter zukaufen.
Als Abschluss unserer Traumprobe kamen noch zwei „Modern Classics“ ins Glas, 2000 Mouton Rothschild ist ein riesengroßer, typischer Mouton mit gewaltigem Hedonismus-Faktor. Zu den klassischen Mouton-Zutaten wie Cassis, Minze, Bleistift und Sattelleder kommt ihr noch ein großer Schwung jugendlicher, schmelziger Röstaromatik – WT97+. Da kommt sicher noch mehr, aber dieser 2000er trinkt sich derzeit bereits so unverschämt gut, da fällt es verdammt schwer, davon zu bleiben. Das gilt auch für den 2005 Mouton Rothschild, der sich auch wieder als zwar noch jünger wirkender, sehr druckvoller, mächtiger Mouton präsentiert, aber auch jetzt schon diesen Mouton-typischen Jungweincharme versprüht, der ihn schon jetzt zu einem Gedicht im Glas macht – WT96+.
Was für ein fantastischer Mittag/Nachmittag/Abend war das. In unserer 6er Runde bekam jeder von jedem Wein reichlich ins Glas. Da konnte man immer wieder nachverkosten und auch mal ein Glas oder zwei stehen lassen, um die Weine mit dem nächsten Flight zu vergleichen. Ja, und dieser 1945 Mouton Rothschild, der hat sich fest in unsere Weintrinkerseele gebrannt. Das war ein unbeschreibliches Erlebnis.