Old versus New Age

Eine sehr ambitionierte Probe veranstaltete ein Schweizer Weinfreund im April 2015 am Vierwaldstättersee. Unter dem Motto „Bordeaux Special: Old versus New Age and Left versus Right Bank“ bot er eine schier unglaubliche Sammlung von Traumweinen.

Empfangen wurden wir mit 1988 Krug, einem Champagner-Giganten, der sich sehr komplex mit enormem Tiefgang und Länge in erster Trinkreife zeigte. Traumnase mit Apfel, Zitrusfrucht, Brioche, gerösteten Nüssen und strammer Mineralität, am Gaumen Kraft, Finesse und Potential für lange Jahre, könnte noch weiter zulegen – WT96. Wie schön, dass es davon nicht nur eine kleine Pfütze gab, sondern aus mehreren Flaschen großzügig nachgeschenkt wurde.

Dann ging es an die festlich eingedeckte Tafel. Kein geringerer als André Jaeger von der Fischerzunft in Schaffhausen sollte uns mit einem großartigen, perfekt auf die Weine abgestimmten Menü verwöhnen.

Das Motto des Abends spiegelte sich gleich im ersten Flight wieder. Der reife 1947 d´Yquem gegen den jungen Superstar 2001 d´Yquem. Und der Oldie hatte hier die Nase vorn. 1947 d´Yquem hatte eine tiefgüldene, aber brilliante Farbe, karamellisiertes Brioche, feine Süße, wirkte durch die erstaunlich gute Säure sehr balanciert mit gewaltiger Länge – WT99. Der 2001 d´Yquem war noch hell in der Farbe, sehr (honig-)süß, wie ein wandelndes Honigmuseum, lang am Gaumen und ebenfalls sehr balanciert, aber um Längen von der Dramatik der WT100-Jungweinphase entfernt – WT96+.

Traumweine können sich als Alptraumweine entpuppen, wenn in der Flasche nicht drin ist, was drauf steht. Hell die Farbe des 1947 Cheval Blanc Vandermeulen, vielKlebstoff, hatte weder mit Cheval Blanc noch mit 1947 etwas zu tun. Besser der wohl authentische 1949 Cheval Blanc in einer Calvet-Abfüllung, die allerdings nie die Klasse der Chateauabfüllung besaß. Druckvoll, kräftig, reif, auf dem Punkt, baute im Glas ab – WT95.“Livré en Barriques“ stand auf dem Etikett des großartigen 1950 Cheval Blanc, der in Belgien von einem Händler abgefüllt wurde. In der damaligen Zeit war es nicht ungewöhnlich, dass sich vermögende, belgische Familien jedes Jahr „ihr“ Fass vom Chateau kauften, und das dann von einem lokalen Händler ausbauen und auf Flaschen füllen ließen. Das war großer, reifer Cheval Blanc, Eleganz pur, sehr finessig, leicht portig in der Nase, auch am Gaumen feine Süße, sehr lang, durch die gute Säure immer noch erstaunliche Frische zeigend – WT97.

Durchaus gut trinkbar war der vermeintliche 1947 Petrus Vandermeulen, mollig, weich, aber auch druckvoll mit deutlicher Süße, dazu Minze, Schokolade und sogar Eukalyptus. War da Heitz mit drin? Zumindest hatte sich der „Erzeuger“ dieser Flasche Mühe gegeben. Nur 1947 Petrus war nicht in der Flasche und das Etikett ein Nachdruck. Der mit nagelneuem Etikett versehene 1949 Petrus hatte mit der Aufschrift nichts zu tun, metallisch, Klebstoff, daneben. Noch so frisch, so druckvoll der 1950 Petrus, bei dem wir wohl mit der Authentizität mehr Glück hatten, tolle Süße, baute enorm im Glas aus – WT97.

Schlimm wurde es dann bei Lafleur. 1947 Lafleur Vandermeulen und 1949 Lafleur Vandermeulen waren klar erkennbare Fakes. Den 49er hat es übrigens als Vandermeulen-Abfüllung nie gegeben. Der 1950 Lafleur als belgische Händlerabfüllung wiederum war gut gemacht mit Süße und Fülle, hatte aber mit Lafleur nicht viel zu tun und mit dem 50er ohnehin nicht.

Über alle Zweifel erhaben waren dann die reifen Latours. Die stammten alle aus Beständen des Chateaus, und Latour-Boss Frederique Engerer war persönlich in der Probe anwesend. Latour pur, sehr mineralisch mit toller Struktur, absolut stimmig und elegant der noch so frische 1947 Latour, der noch eine längere Zukunft haben dürfte – WT96. Auch bei 1949 Latour wieder diese immer noch schöne Frische, auch der tout-Latour mit der perfekten Struktur dieses Grand Vin, der aus dieser perfekten Flasche noch längst nicht alles zeigt – WT96+. Noch voll da war auch der deutlich reifer wirkende 1950 Latour, sehr generös mit feiner Süße – WT95.

Und dann kam völlig ungeplant als weiteres Highlight ein Wein, der sich als Star des Abends entpuppte. Unser sehr generöser Gastgeber, sichtlich geknickt angesichts der Flaschen, in denen nicht drin war was drauf stand, ließ zusätzlich einen 1961 Latour entkorken. Das war Bordeaux und Pauillac in Perfektion, ein Wie, der einfach sprachlos machte und dem man mit Worten kaum gerecht werden kann, klare WT100. Allein diese Ikone in dieser Perfektion trinken zu dürfen dürfte den weitesten Weg wert sein.

Auch das folgende Feuerwerk großer 1982er war nicht von schlechten Eltern. Als meine Weinleidenschaft Mitte der 80er explodierte, waren das Jungweine. Heute sind es moderne Klassiker. Sehr mineralisch, elegant, mit perfekter Struktur und immer noch deutlichem Tanningerüst der 1982 Lafite Rothschild, der unaufhaltsam auf die Perfektion zusteuert – WT97+. Da ist der großartige 1982 Mouton Rothschild, diese moderne Wiedergeburt des legendären 45ers, bereits angelangt – WT100. Und auch 1982 Latour, in diesem Flight auf Wahnsinnsniveau der Primus inter Pares, ist schlichtweg perfekt. So offen, so wild in bestem Sinne, so vielschichtig mit Tiefgang und Länge – WT100.

Da hatten die 82er des rechten Ufers richtiggehend Mühe, mitzukommen. Bei 1982 Cheval Blanc war es die verhaltene, etwas grasig wirkende Nase, die eine höhere Bewertung verhinderte. Am Gaumen war er offener und süßer, aber ebenfalls noch nicht voll da – WT96+. Erstaunlich süß, opulent und hedonistisch mit feiner Kräuternote der 1982 Lafleur – WT97. Sieger des Flights mit dekadenter Fülle der 1982 Petrus, der sich in den letzten Jahren unglaublich entwickelt hat und noch lange nicht am Ziel ist – WT98.

Abschluss der Probe zum Dessert ein 1900 Burmester Port, der auf der einen Seite ziemlich spritig und alkoholisch wirkte, aber auf der anderen Seite auch eine schöne Süße zeigte – WT94.

Klares Fazit dieser spannenden Probe: New Age wins. Wer seine Trinkfreude und auch den Wert seines Kellers maximieren möchte, rennt nicht den sündhaft teuren Ikonen der Vergangenheit hinterher. Von denen gibt es nur deshalb immer wieder welche, weil sie skrupellos „nachproduziert“ werden. Smart Money investiert in die modernen Klassiker, von denen es zwischen 1982 und 2000 reichlich gegeben hat.