Richter-Magnum-Raritäten-Probe

Zu einer sensationellen, in dieser Form sicher nicht wiederholbaren Probe mit erlesenen Wein-Raritäten aus der Magnum hatte Jörg Richter auf „seine“ Farnsburg geladen. Innerhalb kürzester Zeit war diese ein Jahr vorher ausgeschriebene Probe ausgebucht gewesen. Kein Wunder, lockten doch nicht nur Senioren wie 1918 Margaux und Latour, sondern auch begehrte, moderne Klassiker wie 1974 Heitz Martha´s Vineyard und 1985 Sassicaia.

Was ist eigentlich dran an dieser Faszination Magnum? Schließlich bekamen wir ja hier (leider) nicht mehr ins Glas als bei einer Probe aus 1teln, da doppelter Inhalt auch doppelte Zahl Mittrinker bedeutete. Aber Weine stellen sich häufig in der Magnum einfach besser dar. Ist also etwas dran an der immer wieder aufgestellten Behauptung, dass Weine in der Magnum besser reifen und länger altern? Nein, das ist schlicht und einfach ein Ammenmärchen, das durch häufigere Verbreitung nicht wahrer wird. Wein in der Magnum altert nicht besser als z.B. in der halben Flasche. Warum auch.

Und trotzdem präsentieren sich Weine aus der Magnum oft besser. Warum eigentlich? Einer der Gründe ist, dass Magnums früher meist etwas später abgefüllt wurden. Der Wein hat also mehr Holz gesehen. Dazu wurden für Magnums oft Weine aus den besseren Fässern benutzt. Es kann also gut sein, dass in der Magnum bei älteren Weinen schlicht und einfach was Besseres drin ist. Und dann wird die Magnum häufig besser gelagert. Die hebt man auf, für eine besondere Gelegenheit. Letztendlich gibt es auch noch einen nicht zu unterschätzenden Placebo-Effekt. Die Magnum mit ihrer imposanten Erscheinungsform macht äußerlich einfach mehr her als eine Normalflasche. So traut man hier einfach mehr zu und empfindet das dann auch so.

Los ging´s und ich Depp wäre zu Anfang fast einem Anfängerfehler erlegen. Nach Omas 5 Jahre nicht mehr geöffnetem Kleiderschrank roch der 1928 Cos d´Estournel. Aber das war nicht der Cos, das war mein Glas. Eigentlich rieche ich vor einer Probe immer an meinen Gläsern. Und wenn ein Glas richtig stinkt, dann hilft auch avinieren nicht wirklich, dann muss ein anderes, einwandfreies Glas her. Hatte ich diesmal leider nicht gemacht. Aber der perfekte Farnsburg-Sommelier Norman Weissbach versorgte mich sofort mit einem neuen, einwandfreien Glas. Und da war die Nase des noch so vitalen, lebendigen Cos einwandfrei und passte zur immer noch intakten, dunkelroten Farbe. Karamellig, immer noch Fruchtreste, rosinige Süße, am Gaumen durch die gute Säure fast noch etwas Frische zeigend und kaum gezehrt, feiner Schmelz und erstaunlicher Druck im Abgang – WT94. Deutlich reifer die Farbe des 1928 Gruaud Larose mit reifem Dunkelbraun. Erst rustikal in der Anmutung, immer noch etwas Frucht, aber auch deutliche Säure und Resttannine, baute enorm im Glas aus und pirschte sich mit feinem Schmelz am Gaumen immer mehr an die sensationelle Magnum der großen Gruaud Larose Probe 2014 auf dem Chateau heran – WT95. Ein schier unsterblicher, großer Gruaud, den es in sehr gut gelagerten Flaschen immer noch zu suchen lohnt. Um Klassen besser als die 1tel auf der großen Ausone-Probe im Frühjahr diesen Jahres (liefere ich noch nach) zeigte sich aus der Magnum 1929 Ausone. Ein reifer, aber sehr stimmiger, ausgewogener Wein, der am Gaumen immer noch eine enorme Kraft und einen langen Abgang zeigte. Sehr kräuterig und typisch Ausone die Aromatik, gepaart mit generöser, immer stärker werdenden Süße. Baute wie die beiden anderen Weine enorm im Glas aus und meine Bewertung kletterte mit bis auf WT96.

Gibt es für einen Gastgeber einen schöneren Start, als so einen beeindruckenden Flight mit drei fabelhaften Wein-Senioren?

Noch etwas älter wurde es im zweiten Flight mit zwei fast-hundertjährigen Weinen. 1918 Latour war meine bisher beste Flasche dieses nie enttäuschenden Weines, kernig, frisch, mineralisch und mit viel Druck, einfach reifer Latour pur – WT95. Feinduftig und elegant mit schöner Süße die vielversprechende Nase des 1918 Margaux, der deutlich uncharmantere Gaumen konnte dieses Versprechen nicht einlösen. Blieb trotzdem ein feiner Wein mit dezentem Schmelz und viel Trinkspaß – WT92. Sehr reif die Farbe des 1934 Haut Bailly, aber alles andere an diesem Wein war genial. Wunderbare, karamellige, rosinige Süße in der Nase, die sich verschwenderisch am Gaumen fortsetzte. Klar, der war nicht auf dem Punkt, sondern schon leicht drüber. Aber was für ein geiles Gesöff. Da würde ich auch eine Magnum von alleine schaffen. Haut Bailly, das heute wieder richtig durchstartet, war früher einfach eine Bank. Kein Wunder, dass die damals frech auf die Flasche „1er Grand Cru Exceptionel“ geschrieben haben.

Was haben der Jürg und die Elke außer dem goldenen Händchen für gute Weine gemeinsam? Sie packen – wenn ich am Tisch sitze – nach Möglichkeit einen 50er aus Winterminators Geburtsjahr dazu. Und das ist eigentlich nie ein Fehler. Schon gar nicht, wenn es sich um den großartigen 1950 La Mission Haut Brion handelt. Der zeigte sich wieder in Topform und zauberte ein sehr zufriedenes Grinsen auf mein Gesicht. Das war einfach La Mission in Perfektion, nicht nur in der sehr dichten Farbe. Der hatte einfach alles, in der Nase Cigarbox, Kräuter, Minze und einen deutlichen Hauch Eukalyptus, am Gaumen unglaubliche Kraft und eine gewaltige Länge – WT99. Sicher ein Wein für noch lange Zeit. Und das ist gut so. Über 30mal hatte ich ihn bisher im Glas. Die 50mal wollte ich in den nächsten 10-15 Jahren schon noch voll machen. Der Zahn der Zeit scheint immer mehr am 1953 Margaux zu nagen. Das ist immer noch ein feiner, eleganter Wein, aber die Eisenfaust im Samthandschuh hat schon leichten Rost angesetzt – WT95. Sicher trugen zu diesem Eindruck auch die zwei Boliden links und rechts des Margaux bei. Der 1953 Ausone war noch so dicht und so kräftig mit der klassischen Ausone-Aromatik aus Lakritz und Kräutern, dazu etwas Minze, am Gaumen gewaltiger, aromatischer Druck und eine fantastische Länge – WT97.

Und weiter jagte ein Höhepunkt den anderen. Beim großartigen 1929 Gruaud Larose wurde viel diskutiert. Konnte der mit 28 mit, war er gar besser? Ich gehörte zu dedenen, die an diesem Abend dem 29er auf insgesamt hohem Niveau den Vorzug gaben. Das war einfach so ein unglaublich stimmiger Wein, so elegant, so fein, so finessig. Ein richtig schönes St. Julien-Gemälde – WT96. „There is no second chance for a first impression“ heißt es. Und damit hatte der 1929 Latour mit seiner leicht trüben Farbe sofort mit einem Vorurteil zu kämpfen. War der etwa zu alt, oder gar hin? Der entfaltete sich mit etwas Luft wunderbar im Glas. Ein eher femininer Latour, so fein und elegant, wie der größere Bruder des Gruaud mit Finesse, Eleganz und Mineralität satt, dazu am Gaumen mit feiner Süße, sicher auf dem Punkt, was bei Latour nicht viel heißt – WT97. Und dann war da noch einer der drei Weine des Abends, dieser fast schwarze 1929 Haut Brion. Eine richtige Wuchtbrumme war das, eine Nasenorgie aus Guiness, Tabak und teeriger Mineralität mit intensiver, malziger Süße, alles andere als dezent. Volles Rohr lautete hier das Motto, auch am Gaumen, wo dieser geile Pessac-Likör (O-Ton des mit gegenüber sitzenden René Gabriel) eine Attacke nach der anderen mit irrem Abgang ritt – WT100.

Schon deutlich besser hatte ich den 1950 Haut Brion im Glas, auch wenn der stets gegen La Mission nur zweiter Sieger war. Aber aus dieser Magnum hier war er schon verdammt reif mit oxidativen Noten und auch leichtem Essistich,.Mit der Zeit kamen da neben Tabak und Cigarbox Trockenfrüchte, aber auch Schwimmbad-Chlor. Am Gaumen zeigte sich dieser Haut Brion sehr reif, gefällig mit wenig Spannung, großzügige WT91. Der 1955 Haut Brion hatte alles, was dem 50er fehlte. Das war Pessac und Haut Brion pur, noch so frisch mit soviel Potential, aber nicht als Hammerwein, sondern eher auf der eleganten, finessigen Seite – WT97. Schlichtweg perfekt und ein Wein der Marke „sprachlos“ der praktisch altersfreie 1961 Haut Brion. Was für eine Aromatik, was für ein Druck in der Nase und am Gaumen. Das war keine Cigarbox, das war eine ganze Cigar-Halle. Dazu pflaumige Frucht und intensive Mineralität. Wird mit seiner perfekten Tanninstruktur noch ewig leben – WT100.

In erstaunlich guter Form zeigte sich 1924 Haut Brion aus der Doppelmagnum, der nicht nur mit der dichten Farbe als deutlich jüngerer Wein durchging. Gut, die Cigarbox war eher eine Blechkiste, aber die Aromatik war für einen Wein dieses Alters schon faszinierend. Auch am Gaumen war da mit schöner Süße und etwas Waldboden noch richtig was los. Schnell war ich bei einer hohen Punktzahl, doch dann begann der rasante Abstieg. Aus meinen geradezu euphorischen WT96 für den ersten Schluck wurde rasch weniger. Da half statt warten nur das rasche Austrinken. Noch so frisch der 1974 Heitz Martha´s Vineyard, der sich einfach stimmig in totaler Harmonie präsentierte, mit reichlich Minze und Eukalyptus, mit schwarzpeffriger Würze und etwas Lakritz, bleibt ewig am Gaumen und wird seinem Legendenstatus voll gerecht – WT100. Und ausgerechnet 1985 Sassicaia, der eigentlich als vierter WT100 Wein aufs Siegertreppchen gehört hätte, war nicht in Ordnung und hatte einen Stich. Schade, man spürte die gewaltige Substanz dieses Weine, aber mehr eben auch nicht.

Jürg Richter wäre nicht Jürg Richter, wenn jetzt nicht noch ein süßes Feuerwerk gekommen wäre. Denn die edelsüßen Weine aus Bordeaux sind seine wahre Leidenschaft. Der 1924 De Rolland Vin de Tête hatte Karamell und Schokolade in der recht gefälligen Nase und war sehr süß am voll intakten, altersfreien Gaumen – WT94. Klassisches Beispiel dafür – und das zeigt Jürg Richter in seinen Verkostungen immer wieder – dass es nicht unbedingt einen Yquem braucht. Der war im Nebenglas, der 1924 d´Yquem. Sicher mit der schöneren Farbe, dunkles Bernstein, aber das seltsame Nasenbild war nicht ok, leicht oxidativ, Schuhcreme, eine seltsame Mischung aus Madeira und Wermut. Am Gaumen besser mit schmelziger, karamelliger Süße – WT90. Mit Abstand der beste Wein dieses ersten Sauternes-Flights war 1920 Guiraud mit tiefdunkelbrauner Farbe, in der Nase Kräuter, Trockenfrüchte und vor allem üppige Schokolade, am Gaumen feiner, gereifter Schmelz, die Süße wunderbar balanciert durch eine erstaunlich gute Säure, die diesem Wein sogar noch Frische verlieh. Ein großer, stimmiger Sauternes, der noch lange nicht ans Aufhören denkt – WT97.

Fröhliche Weihnachten hätte als Banderole auf dem 1945 La Tour Blanche stehen können. Das war die volle Süßwein-Dröhnung, karamellig, malzig und einfach nur genial lecker – WT95. Da passte der 1950 Coutet dazu, der zwar etwas schwierig in der Nase war, am Butterscotch-Gaumen aber das volle, dekadente Süßwarenprogramm abzog, dabei aber erstaunlich elegant und überhaut nicht klebrig wirkte – WT94. Noch sehr jung wirkte trotz tiefer, dichter Farbe der 1955 d´Yquem, bei dem spontan Assoziationen zur bitterer, englischer Orangenmarmelade, Crême Brulée und bretonischen Salzkaramellen kamen, dabei sehr elegant – WT96.

Ja, dann war dann da noch dieser Tischwein, ein 1964 Meyney aus zwei unterschiedlichen Doppelmagnums. Die erste davon etwas blechern und zwar trinkbar (ohne Bewertung), aber ohne viel Freude, die zweite dramatisch besser, reifer Bordeaux mit Zedernholz und feiner Süße am Gaumen – WT90. Bleibt die Frage, warum es bei dieser und anderen Proben überhaupt einen Tischwein braucht. Die Antwort ist einfach. 40 Teilnehmer waren wir hier, aber nur 30 Gläser. 20 Personen haben sich jeweils zu zweit ein Glas geteilt, ganz nach dem Motto „Dabei sein ist alles“ Die bekamen dann natürlich jeder nur 1/60tel einer Magnum ab, was nicht gerade viel ist. Und damit die dann auch ihr Grundrecht auf einen gescheiten Rausch verwirklichen können, dafür gibt es dann den Tischwein. In der DDR nannte man das früher Sättigungsbeilage, für all die, die nur ein halbes Stück Fleisch hatten. Kannte ich bisher von privaten Proben nicht und musste ich erst bei kommerziellen Proben lernen, bei denen die Zahl der Gläser pro Flasche immer weiter steigt, um den Preis im Rahmen zu halten. Ich persönlich bevorzuge das lobenswerte Gegenbeispiel, aber das geht wohl nur noch im privaten Kreis.

Die nächste Magnum-Orgie hat Jürg Richter für den 1. April 2017 angesetzt. Wahrscheinlich ist sie längst ausgebucht, aber es lohnt immer ein Eintrag auf der Warteliste. Was noch mehr lohnt, ist ein Bubenausflug zu sechst oder acht auf die Farnsburg. Mit dem, was da sehr wohlfeil in allen Flaschengrößen im Keller liegt, lässt sich spielend eine eigene, sicherlich nicht viel schlechtere Probe arrangieren.