Wein-Speed-Dating

Wie pervers ist das denn? Sogenanntes Vorglühen für die Raritäten-Magnumprobe am Tag danach war angesagt. Eigentlich war das so eine Art Best Bottle, zu der alle Teilnehmer beitrugen. Da kam schon teilweise unglaubliches Zeugs auf den Tisch. Wobei eben nicht alle Weine zur Kategorie „Best“ gehörten. Da reicht nämlich nicht das tolle Etikett. Der Wein muss natürlich auch eine entsprechende Herkunft haben, Und natürlich gehört auch etwas Flaschenglück dazu. Den ersten Schreck bekam ich, als ich in der Küche der Farnsburg eine Magnum(!!!) 1961 Latour sah. Kannst gerne mal probieren, meinte Norman, der Top-Sommelier des Hauses zu mir, und reichte mir das neben der Flasche stehende Glas. Schon die Nase war daneben, der Gaumen erst recht. Diese Flasche muss vom Vorbesitzer irgendwann mal ziemlich misshandelt worden sein. So zog der Korken wohl Luft und der Wein fing zu allem Überfluss beim Transport noch an, auszulaufen. 1961 Latour, diese Legende, noch dazu aus der Magnum und dann fertig. Auf diesen Schreck hin brauchte ich erst einmal einen großen Schluck des auf der wunderschönen Terrasse der Farnsburg gereichten Aperos, eines 2007 Dumol Chardonnay Isobel Green Valley aus der Magnum. Ein ganz schön fettes, üppiges Teil dieser Kalifornier, mit enorm viel Holz vor der Hütte, mit reichlich exotischer Frucht und viel gerösteten Haselnüssen. Fans dieser Stilrichtung geben sicher deutlich mehr als meine WT92. Sehr viel feiner der schlanke, rassige, mineralische 2012 Reiterpfad von Winning – WT91.

Und dann wurde zum Aufbruch geblasen. Nehmt Eure Plätze ein, es geht los. Da kam zunächst einmal ein weiterer Schock. Ein 2004 Laville Haut Brion Blanc aus der spendablen Doppelmagnum, die weiße, sehr delikate, burgundische Variante von La Mission, hatte einen üblen Kork. Ausschütten, Gläser spülen, auf ein Neues. Und dann begann etwas, was ich nur als Wein-Speed-Dating bezeichnen kann. Der Hausherr machte dermaßen Dampf. Kaum hatte ich mich in zwei Weine vertieft, geschnüffelt und verkostet, da hieß es schon wieder „zwei Gläser freimachen“. Und wie macht man zwei Gläser frei, wenn man nur zwei hat? Ob Jürg Richter einen neuen Tasting- Zeitrekord fürs Guiness Buch der Rekorde anstrebte? Da war jetzt volle Konzentration gefragt. Für ein vinologisches Schwätzchen mit Nebenmann oder Nebenfrau blieb da keine Zeit. Also schnell die Nase rein ins Glas, dann einen großen Schluck nehmen, mehrfach durch den Mund kreisen lassen und dann – nein, nicht spucken, dazu waren die Weine zu schade – schlucken und ganz schnell genießen, denn schon hieß es wieder „zwei Gläser freimachen“.

Den roten Anfang machte ein spannendes, reifes Pärchen aus St. Emilion. Sehr fein und elegant mit viel Finesse und Charme, dazu mit generösem, süßem Schmelz der 1953 Gaffelière Naudes in einer Mähler-Besse Abfüllung, wieder ein echter Cheval Blanc für Schlaue – WT94. Der 1955 Gaffelière Naudes in einer Chateauabfüllung, den ich schon mit bis zu WT97 im Glas hatte, kam da nicht mit. Er wirkte kompakter, kräftiger mit deutlich weniger Charme – WT91.

Weiter ging es mit zwei Magnums. Beim 1959 Pichon Baron war sehr schön und vielversprechend die Nase mit karamelliger Süße. Der ziemlich fruchtlose, spröde und von Säure dominierte Gaumen konnte das Versprechen der Nase nicht einlösen – WT87. Jammerschade auch die Performance des 1978 Hermitage-la-Chapelle von Jaboulet-Ainé aus der Magnum. Dieser eigentlich legendäre, große Wein war hier nur ein Schatten seiner selbst. Statt eines sprungbereiten Tigers hatten wir da eher eine lammfromme Hauskatze vor uns. Schade.

Deutlich besser geht auch 1961 Vieux Chateau Certan, der hier etwas zurückhaltend und auch metallisch wirkte – WT92. Dafür zeigte sich der 1961 Gaffelière-Naudes in Bestform, ein großer, schmelziger 61er mit viel Schokolade und geradezu burgundischer Fülle – WT97.

Und dann kam der Flight dieses Abends, für den ich mir gerne deutlich länger Zeit genommen hätte. 1990 Montrose war schon erstaunlich offen und zeigte sich in voller Pracht mit gewaltigem, aromatischem Druck am Gaumen – WT99. Da muss ich jetzt wohl mal an meine eigenen Kiste dran gehen, bevor ich noch den Höhepunkt dieses Weines verpasse. Ein Gigant auch im anderen Glas der 1990 Haut Brion, den ich am Vorabend bereits bei einem Schweizer Freund aus der Magnum trinken durfte. Das war Haut Brion und Pessac pur. Sehr mineralisch, kräuterig mit viel Tabak und Cigarbox, am Gaumen mit viel Kraft, Rasse und Substanz, ein noch taufrisch wirkender Wein mit noch enormem Potential. Muss sich sicher hinter dem 89er des Gutes nicht verstecken – WT99.

Nur ein Glas mussten wir danach frei machen – eine verdammt schwere Entscheidung – um Platz zu machen für 1989 Palmer aus der Magnum. Auch das ein immer noch so jugendlicher Riese mit Langstreckenpotential. Da ist die unnachahmliche Eleganz eines großen Palmer, da ist geradezu burgundische Pracht und Fülle, da ist feiner Schmelz, aber auch enormer Druck und gewaltige Länge – WT97+.

Kalifornisch wurde es jetzt mit einem gut gereiften 1991 Heitz Trailside Vineyard. Der zeigte süße Frucht, Blaubeere und Brombeere, Minze, Leder, eine schöne Fülle und durchaus auch noch Kraft, ließ aber etwas Spannung vermissen – WT91. Während der Martha´s Vineyard des Hauses noch eine gewaltige Zukunft hat, wird es hier wohl bald Zeit. Ob es vom 1991 Mayacamas unterschidliche Flaschen gibt? Aus dieser hier zeigte er sich verdammt anstrengend und karg mit immer noch deutlichen Tanninen und hoher Säure – WT87.

Aus einem schwierigeren Kalifornienjahr zeigte sich der 2000 Ridge Monte Bello dicht mit schöner Fülle und saftiger, süßer Scharzkirsche, am Gaumen rund mit ester Reife. Für einen großen Monte Bello fehlte etwas die Spannung – WT93. Mit konzentrierter, junger Frucht, jodig, mit zupackenden, präsenten Tanninen und enormer Substanz zeigte sich der 1999 Dunn Howell Mountain, der leider undekantiert in unsere Gläser kam. Mit 2-3 Stunden in der Karaffe hätte er deutlich mehr gezeigt – WT88+.

Und dann kam ritt wieder dieses Pferd samt Sattel durch unser Glas, der 1994 Dominus, ein großer Kalifornier mit bester Bordeaux-Stilistik und viel Zukunft – WT97. Da hätte sicher der 1997 Pride Mountain Claret Reserve gut gegen gepasst, aber der hatte aus dieser Flasche die grenzwertige Aromatik eines vergorenen, alten Apfels, und war nicht trinkbar.

Als Solitär kam dann aus der Magnum ein immer noch so wunderschöner 1999 Gantenbein Pinot Noir, der sich in bester Burgunderart so balanciert und harmonisch zeigte mit feiner Frucht – WT95. Damit wäre auch die Frage beantwortet, ob die großen Weine der Bündner Herrschaft altern können. Sie können das gut, und es schadet ihnen nicht.

Abschluss unserer Probe waren zwei Sauternes. Der 1947 Rabaud Promis hatte eine tiefe, gügene Farbe intensive, karamellige Süße, aber auch Klebstoff und leichte Oxidation – WT88. Deutlich besser der zwar längst nicht so kräftige 1947 Coutet, der aber sehr fein und harmonisch wirkte und dessen Süße gut durch die Säure balanciert wurde – WT90.

Kann ich mich an Wein-Speed-Tasting gewöhnen? Nein kann ich nicht. Für Jungweinproben , wo in überschaubarer Zeit 100 Weine verkostet und gespuckt werden müssen kann das angehen. Für solche Raritäten, wie wir sie hier hatten, geht das nicht. Möge unser Gastgeber beim nächsten Mal falls er so zeitig ins Bett muss deutlich früher anfangen. Dann bliebe auch Zeit für rechtzeitiges Dekantieren, was vielen der Weine sicher nicht geschadet hätte.