Boxenstopp 2017

Es ist traditionell meine letzte, große Probe des Jahres und immer eine der schönsten. Mit den Gantenbeins und weiteren Freunden trafen wir uns auf dem Weg in die Berge zum Boxenstopp im Rössli in Bad Ragaz. Klar kamen da zu großartiger Küche hochkarätige Weine auf den Tisch.
Mit dreimal Weiß sind wir gestartet. Sehr präzise der 2010 Chablis 1er Cru Vaillons von Raveneau mit guter Säure und straffer Struktur, aber auch für Raveneau ziemlich breitschultrig mit cremiger Textur und guter, reifer Zitrusfrucht – WT94. Luft, Luft und noch mal Luft brauchte der kernige, immer noch so junge 1994 Hermitage Blanc von Chave. Zu Anfang kam er untypisch als gut gereifter Burgunder aus den 80ern ins Glas. Wer ihn so z.B. im Restaurant undekantiert ins Glas bekommt, wird ihn als reif und nicht besonders empfinden. Erst nach längerem Dekantieren kam da der kernige Rhone-Tiger aus dem Tank, baute enorm aus mit feinen Kräutern und Bitternote und zeigte die kräftig-kernige Rhone-Art. Der lebt nicht nur noch lange, da kommt auch noch richtig was – WT94+. Absolut betörend danach der sehr burgundische 2008 Gantenbein Chardonnay, der jetzt fast zehnjährig sich wieder entfaltet und auf dem besten Weg zum Burgunder-Klassiker ist – WT94+. Ich liebe die Chardonnays von Gantenbein in ihrer ungestümen Jugend. Doch verschließen sie sich meist nach ein paar Jahren und zeigen dann erst nach 10 Jahren und später ihre volle (Ra)Finesse – WT94+. Gut kann ich mich noch an eine 2002 Gantenbein Chardonnay Magnum auf der Farnsburg im letzten Jahr erinnern. Das war ganz großes Burgunderkino ohne jedes Alter, und da kommt der 2008er auch noch hin.
Wunderbarer, roter Start ein 1937 Musigny Cuvée Mugnier von Louis Latour, der zwar eine reife, von Liebstöckel geprägte Nase hatte, am Gaumen aber sehr viel Biss und Tiefgang zeigte mit schöner, generöser Süße – WT95. Da sollte dann eigentlich ein 1928 Tâche Romanée von Chevillot richtig eins drauf setzen. Doch der vermeintliche Star des Abends mit dem wohlklingenden Namen aus einem großen, langlebigen Burgunderjahr entpuppte sich als Rohrkrepierer. Kein Wunder, war doch dieser mickrige, alte Schrumpelkorken nicht geeignet für das luftdichte Verschließen der Flasche. Eigentlich bleibt für so etwas nur der Ausguss. Doch der Jürgi hatte eine bessere Idee. Er machte damit am nächsten Tag seinen Feldsalat an.

Absolut fantastisch danach der 1934 Bourgogne Grand Vin und der 1937 Bourgogne Reservée Privée von Colcombet Frères, beide so frisch, so komplex, druckvoll und lang. Diesmal hatte der 34er (WT97) die Nase vorn vorm 37er (WT96). Im Frühjahr war es genau andersrum gewesen. In jedem Fall muss in beiden Flaschen großer Wein aus sehr renommiertenr Lage gewesen sein. In der damaligen Zeit waren auch bekannte Winzer froh, wenn ihnen überhaupt jemand ein Fass oder mehr abkaufte. Heute wäre das in dieser Form nicht denkbar. Und bei aller Klasse bleiben derartige Weine auch heute noch auf Auktionen bezahlbar, denn die Etikettentrinker dieser Erde kann man damit nicht hinter dem Ofen herlocken, selbst wenn sich hinter solch einem Bourgogne ein Richebourg verbirgt.

Das volle Verwöhnaroma brachte dann der 1947 Corton Clos des Chaumes von Louis Latour mit generöser Fülle und Süße ins Glas, 1947 pur halt und so ein richtiger Schmuseburgunder – WT96. . Nahe der Perfektion danach der sehr balancierte 1949 Gevrey Chambertin 1er Cru in einer Abfüllung von Daniel Sanders mit betörender Frucht und Süße. Ein riesengroßer, kompletter und immer noch so frischer Burgunder mit wunderbarer Länge, der sich auch hinter klangvollen Namen aus 1959 nicht verstecken müsste – WT98. Völlig aus der Art schlug mal wieder der zum fast ungläubigen Staunen verführende 1955 Clos de Tart Vandermeulen. Ein tief dunkles Mörderteil und gewaltiges Konzentrat, das den gesamten Gaumen mit Beschlag belegt – WT100. Auf gleichem Niveau übrigens mehrfach aus 1955 der Gevrey Chambertin und der Latricières Chambertin von Vandermeulen. Unglaublich, dieses Abschieds-Furioso der Vandermeulen Brüder mit ihrem letzten Jahrgang.
Und natürlich durfte auch das große, unsterbliche Burgunderjahr 1959 mit zwei traumhaften Weinen nicht fehlen, schließlich ist das ja Martha Gantenbeins Geburtsjahr. Sehr fein mit geradezu spielerischer Eleganz der 1959 Clos Vougeot Reserve du Bastion des Dames von Patriache, der sich in allererster Reife zeigte – WT95. Groß, komplett mit superber, frischer Frucht und balanciert durch gute Säure der dichte, füllige 1959 Volnay Clos des Chènes von Comte de Moucheron mit generöser Süße am Gaumen – WT97.
Verdammt gut und einer der Weine des Abends aus einem oft übersehenen, aber im Burgund sehr guten Jahrgang, der 1969 Bonnes Mares von Bertheau. Was für eine betörende Frucht, was für ein feines Spiel roter und blauer Beeren, so stimmig und frisch mit guter Säure, einfach göttlich – WT97. Ein wunderbarer, aber auch kraftvoller Charmeur mit viel Substanz für eine noch längere Entwicklung war als Abschluss der Burgunder der 1971 Charmes Chambertin in einer englischen Berry Brothers Abfüllung – WT95.
Nach all dieser Charme-Offensive tat sich natürlich der sehr rustikale, kräftig-kernige 1978 Hermitage von der Union des Producteurs etwas schwer – WT88. Doch die Ehre der Rhone rettete als würzig-fülliger Paukenschlag noch der geniale 1990 Beaucastel, ein immer noch so frischer, geradezu jugendlicher Wein, der bei aller Kraft und Opulenz durchaus auch burgundische Pracht und Fülle zeigte – WT96.
Als sehr feiner, filigraner Gaumenschmeichler beendete ein immer noch so taufrischer 1995 Scharzhofberger Kabinett von Egon Müller (WT94) diesen schönen Abend in bester Gesellschaft, der gleichzeitig sehr gelungener Abschluss eines großartigen Wein- und Probenjahres war.