Bordeaux 1990 Gigantenprobe

Ganz anders als an den Hängen des Vierwaldstättersees, wo z.B. unterhalb meines Hotels Solaris-Reben geüpflanzt wurden, sieht es in den gut bestückten Weinkellern aus. Zu einer großartigen Probe war ich dort eingeladen. Mir blieb schlichtweg die Spucke weg bei dem, was dann da bei der Probe eines generösen Schweizer Weinfreundes in die Gläser kam. 1990 ist eines der ganz großen Bordeauxjahre überhaupt. Die Weine dieses sehr warmen Jahrgangs haben sich praktisch nie verschlossen und waren als modernes Remake von 1947 von Anfang an voll trinkbar, und das mit höchstem Genuss.
Wenn man dann fast alle Superstars dieses Superjahres gegen- und miteinander verkosten darf, dann ist das wie Ostern, Weihnachten und Geburtstag zusammen. Und genau das durften wir hier tun.
Ob ich noch einen Schluck vom erstaunlich reifen, aber so wunderbar schmelzigen Apero, dem 1990 Dom Perignon aus der Magnum, möchte, wurde ich zu Anfang gefragt. Nein habe ich gesagt, lieber noch drei Schlucke. In dieser Reife einfach unwiderstehlich – WT95. Als Alternative hatte unser Gastgeber noch einen göttlichen, sehr feinen und eleganten 2001 Chevalier Montrachet von der Domaine Leflaive vorgesehen. Passte zwar nicht zum Jahrgangsthema, aber zu allgemeinen Qualität. Was für ein großer, absolut stimmiger Burgunder mit Frische statt Premox, so hoch elegant, sehr fein die leicht florale und von Zitrusfrucht geprägte Nase, so fein, elegant und tänzerisch am Gaumen mit feinem, mandeligem Schmelz und großartiger Länge – WT96.
Und dann kamen im ersten Flight gleich nebeneinander die Überraschung und die Enttäuschung des Abends. Einfach nicht singen wollte der etwas dürr und verschlossen wirkende 1990 Lafite Rothschild - WT94. Muss ich dringend noch mal nachverkosten. Dafür brillierte der lange verkannte 1990 Mouton Rothschild mal wieder, nicht nur einfach hedonistisch und Mouton-sexy, sondern immer mehr Tiefgang und Komplexität zeigend - WT97. Damit war er jetzt voll auf Augenhöhe mit dem Blockbuster 1990 Pichon Baron. Der war wieder Pauillac pur mit superber Frucht, hoher Mineralität, Kraft und Länge ohne Ende, großartiger Struktur und einem stabilen Tanningerüst für noch sehr lange Jahre - WT97.
Als eine Art Lafite für Schlaue zeigte sich im nächsten Dreierflight 1990 Leoville las Cases (WT96). Ein großartiger, opulenter, fülliger Traum, einfach sexy, der 1990 Lynch Bages, auf dem Weg zurück zu früherer Größe mit gewaltiger Struktur und erster Süße der 1990 Montrose (WT97+).
Etwas außer Konkurrenz der leicht korkgeschädigte 1990 Ausone, der aber ohnehin in diesem Flight nicht mitgekonnt hätte. Zuletzt 2016 auf dem Chateau war dieser Ausone ein guter, solider Wein, dem die großen Höhepunkte fehlten – WT93. Was passiert, wenn man auf einem Chateau einfach alles richtig macht und dann sicher noch eine Portion Glück hat, das zeigte dieses irrsinnige, noch so jungen Geschoss namens 1990 Beausejour Duffau Lagarosse mit perfekter, dunkler Frucht und unglaublichem Druck - WT100. Ein legendärer Wein, den es trotz des hohen Preises zu suchen lohnt. Der 2009er ist in einer ähnlichen Leistungsklasse, und glaubt man James Suckling, liegt der 2015er noch drüber. Im dritten Glas eine weitere Lgende. 1990 Cheval Blanc ist einfach Perfektion mund mit seiner dekadenten, opulenten Süße, die mit viel Eleganz daher kommt und mit dieser fantastischen Nase mit dem einmaligen Cheval Blanc Parfüm für mich der neue 1947er – WT100.

300 Punkte dann im nächsten Flight. Etwas unfertig zeigte sich der sehr kräftige, kräuterige 1990 Lafleur zu Anfang, doch gab der dermaßen Gas und entwickelte dann in der Nachverkostung eine schier unglaubliche Süße, die geradezu nach einer Erweiterung der 100 Punkte Skala nach oben schrie - WT100. Voll da mit Kraft, Süße und Eleganz der 1990 Margaux, die legendäre Eisenfaust im Samthandschuh in Perfektion (WT100). Und diese Perfektion zeigte dann auch der 1990 Petrus mit seiner atemberaubenden Pracht und Fülle, offen, hedonistisch, eine Art moderner 71er -WT100.
Im letzten Flight der hoch elegante 1990 Haut Brion, ein absolut stimmiger, großer Pessac, Finesse pur mit unendlicher Länge, dem legendären 89er dicht auf den Fersen, obwohl im vielleicht etwas dessen Dramatik fehlt - WT98. Mit etwas mehr Biss und Bumms lag diesmal der druckvollere 1990 La Mission Haut Brion mit seiner fantastische Cigarbox-Nase vorn, auch der vom eigenen 89er nicht mehr weit weg - WT99. Mit gewaltiger Struktur und Substanz überzeugte der 1990 Latour, der aus dieser Flasche aber noch im Übergang von der geilen Spaßnummer der frühen Jahre zum Charakterfach schien - WT96+. Grandiose zukunft, die WT100 nur eine Frage der Zeit.
Viel zu jung, aber mit Mörderpotential der sehr delikate, vielschichtige 1990 d‘Yquem (WT96+), der wohl für die Perfektion noch 30 Jahre braucht.
Und weil´s so schön war, kam dann das Abschluss und Vollbad für den Gaumen der atemberaubende 1990 Margaux in klarer WT100 Form noch mal, aber als Doppelmagnum.
Weshalb ich so eine Freude an jungen Weinen hätte, wollte jemand von mir wissen. Als ich Mitte der 80er mit der Eröffnung des Mövenpick Caveau heftig ins Weintrinken einstieg, waren die damals 24 Jahre alten 61er für mich gereifte, alte Raritäten. Die 90er sind, obwohl noch so jung erscheinend, heute 27 Jahre alt. Noch Fragen?

Und natürlich gab es noch zwei ungeplante Absacker aus dem Keller des edlen Spenders. Der 1997 La Mondotte war ein Spaßwein par Excellence, üppig mit dekandenter, süßer Frucht, durch die niedrige Säure voll da, nicht sonderlich komplex, aber einfach hedonistisch schön – WT94. Sehr schön auch 2003 Lynch Bages mit saftiger, betörender Frucht und erstaunlich guter Struktur – WT93.

Nach der überragenden Qualität der „Big Guns“ aus 1990 auf der großartigen Probe zwei Tage zuvor in der Schweiz war ich natürlich angefixt. Also nach der Rückkehr schnell in den Keller und ein paar 90er aus der Preislage darunter gegriffen, mit denen wir dann auf der kuscheligen Terrasse des Passion du Vin in Niederkassel (gegenüber von Meuser) gezaubert haben. Überragend auch hier die Qualität, was natürlich am großen Jahrgang liegt, aber auch daran, dass die Weine seit der Subskription unberührt in meinem kalten Keller liegen.
Wunderbarer Start mit 1990 Grand Puy Lacoste, diesem unwiderstehlichen Charmeur aus Pauillac mit viel Cassis, toller, nobler Struktur und guter Mineralität, der enorm im Glas zulegte - WT94. Mit tiefem Rubinrot, dekadent leckerer Kirschfrucht und wohldosierter Fülle legte der enorm kräftige, noch so junge 1990 Leoville Poyferré da noch eins drauf - WT96.
Und dann ging es ans rechte Ufer. Ein Parade-Pomerol war der 1990 L‘Evangile, seidige Eleganz, schokoladiger Schmelz und ewige Länge - WT97. Gemacht hat sich der früher so oft enttäuschende 1990 Le Gay. Immer noch so jung und kräftig mit gewaltiger Statur und viel Minze ging der blind eher als großer, beeindruckender Old School Kalifornier durch - WT96. Von ähnlichem Kaliber war der früher so monolithische 1990 Eglise Clinet, der sich endlich entschieden hat, auch reifer und offener zu werden. Dürfte noch eine lange Zukunft haben - WT96. Und das Beste kam zum Schluss, meine wohl leider letzte Flasche des überragenden 1990 Tertre Roteboeuf. Geradezu explosive, trüffelige, leicht portige Aromatik, ein üppiges, aber immer noch sehr frisches, hedonistisches Feuerwerk - WT98.