Cellar Devils 2018

Klar ließ es sich unser amerikanischer Freund Jeff Leve (winecellarinsider.com) auch in diesem Jahr nicht nehmen, zur traditionellen Best Bottle mit den Düsseldorf Cellar Devils zu uns zu kommen.

Tief hatten wir für diese Probe im Berens am Kai wieder in unsere Keller gegriffen. Galt es doch, den legendären Ruf der Cellar Devils zu verteidigen.

Spektakulär gleich der Start. Schließlich sehen selbst verwöhnteste Gaumen nicht jeden Tag einen Le Montrachet, noch dazu von einem namhaften Produzenten. Demgegenüber stand der Topwein eines der besten Chardonnay-Produzenten der Neuen Welt. Ein Gigant war der 2008 Le Montrachet von Comte Lafon. Irre schon die explosive Nase. So dicht, so kraftvoll war dieser Wein, enorm komplex mit viel Tiefgang und großartiger Länge. Der baute nicht nur im Glas aus, sondern förmlich auch am Gaumen. Intensiv die Mineralität, fein der elegante, nussige Schmelz, ja, den haben wir Glücklichen jetzt wohl gerade im Optimum erwischt – WT98. Denn das ist die schlechte Nachricht. Im Hintergrund drohte bereits die Premox-Seuche, noch nicht deutlich wahrnehmbar, aber im Anflug. Wer also eine der wenigen Flaschen dieses Weines besitzt, sollte mit dem Genuss nicht warten. Sonst geht es ihm wie mir vor ein paar Wochen mit einer Flasche 2008 Meursault-Genevrières von Comte Lafon, bei der Premox bereits den möglichen Hochngenuss zunichte machte. Viel frischer und mit mehr Säure der sehr elegante, balancierte 2005 Peter Michael Chardonnay Point Rouge. Der zeigte noch Holz und in der Nase exotische Früchte und Kokosnuss, aber auch eine gewaltige Struktur und genügend Substanz für sicherlich eine weitere Dekade – WT97+. Wird sich weiter entwickeln und in ein paar Jahren sicher der größere der bessere Weiße Burgunder sein.

Und dann kam ein spektakulärer 100jähriger ins Glas. Als ich diese Flasche hier vor etlichen Jahren erwerben konnte, war ich schon zuversichtlich. Originalverkorkt mit top shoulder und intaktem Rot ließ zumindest Trinkbarkeit vermuten. Aber das dieser 1918 Gruaud Larose als Chateauabfüllung in der Faure Bethmann Version, der am Tisch deutlich jünger eingeschätzt wurde, noch so vital sein würde, das hatte ich nicht zu hoffen gewagt. Einfach perfekt gereift, aber alles andere als alt mit wunderschöner Nase, die immer noch Frucht zeigte und viel Leder, am Gaumen sehr stimmig mit feiner Süße, guter Mineralität und sogar Länge im Abgang – WT96.

Aus einem sehr schwierigen Kriegsjahr mit nicht sehr langlebigen Weinen stammte der Zweitwein von Lafite Rothschild, der 1941 Moulin des Carruades. Reife, bräunliche Farbe, oxidativ in Nase und Gaumen, mit malziger Süße immerhin noch trinkbar, aber eher von historischem Interesse – WT80. Völlig anders dieser 1928 Beychevelle aus einer perfekten Chateauabfüllung. Auch der spielte als 90jähriger eher noch den jugendlichen Liebhaber. Dichte, kräftige, voll intakte Farbe, Tabak, Leder, teerige Mineralität und vor allem noch so wunderbare frucht in der Nase, am Gaumen dicht, kräftig, enorm druckvoll mit immer noch spürbaren Tanninen und großartiger Struktur – WT98. Ein faszinierender, unkaputtbarer Beychevelle, der deutlich zeigt, was bei diesem Chateau machbar ist. Und die großen Weine der letzten Zeit aus 2015 und 2016 zeigen, dass Beychevelle „back to the roots“ auf dem Weg zu alter Größe ist.

Natürlich bekamen wir die Weine bei dieser Probe blind ins Glas. Und das war die große Chance dieses 1947 Pailhas, eines eher unbekannten St. Emilion Grand Vin (also nicht mal Grand Cru) in einer deutschen Abfüllung von/für Tesdorp. Was da im Glas abging, war schier unglaublich. Die dekadente Opulenz von 1947, dieses heißen Jahrgangs, mit der extrem reifen Frucht, füllig, üppig, süß, aber auch mit erstaunlich guter Struktur, Eleganz und Frische. Einfach ein traumhafter 47er ohne Alter in einer Qualität, für die sich selbst Cheval Blanc nicht schämen müsste – konservative(!) WT97. Einmal den legendären 1947 Cheval Blanc trinken zu dürfen gehört zu den inzwischen unerfüllbaren Wünschen vieler Weintrinker. Die wenigen, überhaupt noch angebotenen Flaschen sind zu absurd überhöhten Preisen wenn sie nicht ohnehin gefälscht sing vielgereiste Trophäen. Da ist sündhaft teure Enttäuschung vorprogrammiert. Da lobe ich mir doch diesen Wein hier, der für kleines Geld vorbildlich zeigt, wie 1947 Cheval Blanc aus authentischer, perfekter Lagerung schmecken könnte. Bei diesem Pailhas mit dem sensationellen Füllstand von ‚in’ und Originalkork war ich wahrscheinlich erst der zweite Besitzer. Und irgendetwas müssen die damals auf diesem Gut mit seinerzeit wohl alten Reben einfach richtig gemacht haben. Etikettentrinker wird das natürlich nicht befriedigen. Und so ist es dann immer bedauerlich, wenn ein solch überragender, in der Verkostung hoch gelobter Wein nach dem aufdecken plötzlich selbst (oder gerade) von Leuten, die es besser wissen müssten, niedriger bewertet wird. Viel diskutiert wurde der Wein im anderen Glas 1955 La Mission Haut Brion in einer belgischen Nony-Abfüllung. Tiefdunkle, altersfreie Farbe, ein Mörderteil mit gewaltiger Substanz und enormem Druck, aber irgendein korkähnlicher Schatten lag darauf. Schade, wir hätten den Wein zurück in die Karaffe gießen sollen. Vielleicht hätte es doch noch eine Überraschung geben können. So wie im letzten Dezember bei unserer großen Magnum Best Bottle, wo ein vermeintlich korkiger 1982 Latour sich nach 5 Stunden in der Karaffe wie verwandelt in Topform zeigte.

Schon ziemlich reif war 1955 Palmer aus einer Händlerabfüllung, aber immer noch sehr fein und elegant mit pikanter Frucht und viel Zedernholz – WT91. Aber er hatte auch massive Konkurrenz im anderen Glas. Was dieser 1955 Troplong Mondot, ebenfalls aus einer Händlerabfüllung, mit geradezu explosiver Aromatik da zeigte, das war schon irre. Superbe, deutlich jünger wirkende Farbe, unglaubliche Kraft und Dichte, viel Minze und auch Eukalyptus, einfach Freude im Glas und eher an einen großen Kalifornier aus den 70ern erinnernd – WT96.

Was ist das eigentlich, ein 100-Punkte-Wein? Beim 1978 Hermitage-la-Chapelle von Jaboulet-Ainé, der mit Parkers 100 Punkten fast auf die Welt gekommen ist, habe ich mich das lange und bei vielen Flaschen gefragt. 2011 konnte ich diese Bewertung erstmals nachvollziehen, obwohl das immer noch ein unglaublich dichtes, zupackendes Tier von Wein war. Danach wurde dieses Monster von Flasche zu Flasche zögerlich etwas offener. Diese hier hatte von allen bisher getrunkenen den höchsten Genussfaktor. Wunderbare, jugendlich-konzentrierte, beerige, präzise Frucht, ein riesiger Kräutergarten, Lakritz ohne Ende, am Gaumen so unglaublich druckvoll mit schier endlosem Abgang. Im Kreuzworträtsel wäre die Antwort auf „treffende Beschreibung des 78 La Chapelle mit sechs Buchstaben“: Hammer. Klare WT100. Schade dass die jüngere, modernere Version dieses Weines, der 1990 Hermitage-la-Chapelle durch einen üblen Kork nicht mitspielen konnte. Auch das ist sonst ein schon häufig auf perfektem Niveau getrunkener WT100 Wein. Und wer die inzwischen stratospärischen Preise dieser beiden Spitzenweine nicht mag und lieber für sehr viel weniger fast soviel im Glas hat, für den gibt es Alternativen. Eine davon ist der noch so jugendliche, göttliche 1989 Hermitage-la-Chapelle mit seiner traumhaften Frucht, der sich hinter den beiden anderen nicht verstecken muss. Ein intensiver, süßer, lakritziger Traum mit großartiger Struktur, ein richtig genialer 90er für Schlaue – WT97. Das gilt übrigens auch für die beiden, erst kürzlich wieder auf WT97 Niveau getrunkenen La Chapelles aus 83 und 85.

Schlicht weg ein Traum und Old School California in seiner besten Form dieser so unglaublich stimmige 1974 Simi Alexander Valley Cabernet Sauvignon Reserve. So elegant, minzig und voller Finesse, so komplex und von der Nase über den Gaumen bis zum unendlichen Abgang einfach perfekt – WT100. Nicht jede Flasche dieses Weines mag so gut sein, aber in dieser unbeschreiblich guten Form hatte ich diesen Wein aus gleicher Quelle schon mal vor zwei Jahren zusammen mit Rainer Schönfeld im Marli. Kräftiger, dichter, maskuliner der ebenfalls sehr minzige, absolut altersfreie 1974 Robert Mondavi Cabernet Sauvignon Reserve – WT98.

Nach so viel Eleganz, Stimmigkeit und Finesse polterten die beiden nächsten Weine wie ein Kulturschock ins Glas. Trotz aller unbestreitbarer Qualität wirkte der 2003 Shafer Hillside Select aus diesem eher schwierigen Kalifornien-Jahrgang üppig, mastig, portig und dich mit praller, süßer Frucht. Da fehlten für einen wirklich großen Hillside Struktur und Spannung – WT95. Übrigens ist das kein sogenannter 100-Punkte-Parker Wein. Nur einmal hat sich Parker 2013 zu dieser Note hinreißen lassen, was immer ihn da geritten haben mag. Alle weiteren Bewertungen danach und davor liegen da, wo sie hingehören, bei 95 Punkten. Erstaunlicherweise wirkte der mit 16% Alkohol noch mal ein Prozent über dem Shafer liegende 2003 Chateauneuf-du-Pape Vieilles Vignes von Marcoux deutlich feiner und stimmiger. Geniales Pfauenrad an Aromen mit Kirschlikeur, provencalischen Kräutern, sehr viel Lakritz und auch etwas Bitterschokolade, dazu immer noch kräftige, aber reife, süße Tannine – WT97.

Mit einem famosen, jugendlichen Drilling endete der offizielle Teil der diesjährigen Cellar Devils Probe. Da waren zunächst die beiden, mit ihrer betörenden Frucht immer noch so jugendlich wirkenden Caymus-Zwillinge. Der 1990 Caymus Special Selection bestach mit herrlicher, reifer Brombeere und viel Cassis, sehr minzig und mineralisch, dabei mit sehr präzisen Konturen – WT97. Noch etwas drüber der traumhafte 1991 Caymus Special Selection, der perfekt zeigte, wie man traumhafte, kalifornische Frucht mit Frische und Leichtigkeit rüber bringen kann, einfach sexy, dieser Wein und so elegant – WT99.

Blutjung noch und doch so unwiderstehlich der 2000 La Mission Haut Brion, diese moderne Wiedergeburt von La Mission Legenden wie 1961 und 1982. Ein Kraftbündel mit massiven, aber runden und nicht bissigen Tanninen, guter Säure, präziser, konzentrierter Frucht, Schwarze Johannisbeere und Blaubeere, aber auch so elegant. Natürlich ist dieser Wein noch nicht annähernd trinkreif, aber nur diese unglaubliche, innere Stimmigkeit, diese Balance, ist er trinkbar, vorausgesetzt man mag junge Weine. Dann sind auch schon jetzt die WT100 im Glas.