The Parker 100 California Tasting

Und wie schmecken 2900 Parker Punkte, aufgeteilt auf 29 Flaschen?

Zu einer schlichtweg einmaligen Probe hatte „Mr. California“ Eugen Haefliger ins Restaurant von Franz Wiget eingeladen. 29 kalifornische, von Robert Parker mit 100 Punkten geadelte Weine galt es, begleitet von einem großartigen Menü, zu verkosten.

Über Bewertungen kann man natürlich streiten. Parker vergibt/vergab seine Bewertungen wie viele, andere Weinjournalisten auch in einem frühen Stadium der Weine, was dann einen gewaltigen Scheck auf die Zukunft darstellt. Ich war sehr gespannt, ob und wie viele der Weine diesen 100-Punkte Scheck jetzt und hier in dieser Probe einlösen konnten. Aber eines war schon von Anfang an klar. Hier in dieser Probe war hemmungsloser Genuss angesagt. Denn das ist das, wofür die modernen Kalifornier nach wie vor stehen. In den 60ern, 70ern und 80ern wurden in Kalifornien superbe Weine produziert mit niedrigem Alkohol und einer stark an Bordeaux erinnernden Stilistik. Das änderte sich in den 90ern. Die Weine wurden üppiger, fülliger, alkoholreicher und hedonistischer. Diese Stilrichtung muss man nicht mögen. Aber wenn man das mag, dann ist das der Himmel auf Erden, hemmungsloser, hedonistischer Genuss mit süßer, dekadenter Frucht ohne Ende. Wer Wein eher als intellektuelles Vergnügen sieht, wird sich vielleicht mit Grausen abwenden und die hohen Bewertungen dieser Weine als absurd bezeichnen. Aber Geschmäcker sind nun mal verschieden. Ich könnte nicht jeden Tag diese dicken Granaten trinken, aber wenn dann richtig. Und jetzt hinein in dieses Fest der flüssigen Wollust.

Hedonistisch gleich der Einstieg in diese einmalige Probe. 2002 Pol Roger Cuvée Winston Churchill gab es aus der Magnum. Einfach eine perfekte Einstiegsdroge, schon mal allerfeinsten, frischen Apfelstrudel als Champagner getrunken? Dieser Pol Roger wat ein wunderbar cremiger Gaumenschmeichler, jung und doch reif, mit viel frischem Brioche, gerösteten Mandeln und guter Mineralität, ging einfach runter wie Öl und machte unbändige Lust auf alles, was danach kam – WT95.

Vier großartige Chardonnays gab es im ersten Flight. Aber kann und darf ein kalifornischer Chardonnay eine perfekte Punktzahl bekommen? Ist das nicht den besten Weißen Burgundern vorbehalten? Kalifornischer Chardonnay gilt als offener, hedonistischer, buttriger. Aber das lässt sich nicht mehr so verallgemeinern. Enorm zugelegt hat die Qualität kalifornischer Chardonnays und in der Spitze müssen sie sich hinter den großen Vorbildern aus Burgund nicht mehr verstecken. Und mit dem sensationellen 2008 Marcassin Chardonnay Marcassin Vineyard kam gleich der erste Wein ins Glas, der die WT100 auch heute noch ohne wenn und aber verdient. Was für ein dichtes, heftiges Geschoß mit hoher Viskosität, so cremig, dicht und mit feinem, süßem Schmelz, mit großartiger Mineralität, unbändiger Kraft und toller Länge. Aber auch mit guter Säure und bei allem Druck so balanciert wirke Das war ein absolutes, großartiges Erlebnis – WT100. Noch etwas dichter, stoffiger und mächtiger wirkte der 2012 Cuvée Indigene von Peter Michael, wirkte anfangs auf hohem Niveau etwas plump, entwickelte sich aber im Glas, wurde balancierter und würziger, könnte mit den Jahren noch zulegen – WT97. Zulegen könnte auch noch der 2013 The Judge von Kongsgaard, dem aber auch jetzt und hier nicht viel zur Perfektion fehlte. Der kam bei aller Kraft und Dichte erstaunlich elegant und finessig rüber mit wunderbarem Schmelz und großartiger Länge – WT98. Aus einem mit Montrachet-Klonen bepflanzten Weinberg stammt der 2013 Eastside von Aubert, der mit viel exotischer Primärfrucht und intensiver Mandarine im Vergleich zu den anderen Boliden fast etwas schüchtern auftrat, sehr balanciert mit guter Säure, sicher der burgundischste der vier und mit noch viel Potential – WT95+.

Ein Hammerflight gleich die ersten Roten mit nur einer, aber heben Enttäuschung. Der 1992 Dalla Valle Maya hatte seine 100 Parker Punkte 1995 bekommen. Ich kann mich noch an etliche, spektakuläre Flaschen dieses Weines z.B. 1995 im Spago in Las Vegas und 1996 bei Charlie Trotter in Chicago erinnern. Und auch meine einzige, eigene Flasche brillierte 2010 in der Wiin Kööv auf Sylt mit klaren WT100. Doch jetzt und hier zeigte sich der Maya schon sehr reif und auch ein stückweit welk. Ob es da noch bessere Flaschen gibt? – WT94. Unstrittig absolute Perfektion der 1994 Harlan, einer der größten, je erzeugten Kalifornier, der hier noch so frisch mit großartiger Struktur ins Glas kam. Das war wieder die Quadratur des Kreises a la Harlan, ein junger, reifer Latour. Einfach nur bildscvhön, dieser große Pauillac aus Kalifornien, der keinerlei Anzeichen von Alter oder Reife zeigte. Mehr geht nicht! – WT100. Nur durch eine Verwechslung stand daneben statt 1997 der 2007 Harlan, der als eine Art jüngere Version des etwas umstrittenen 97ers die Essenz des großen Kalifornien-Jahrgangs 2007 darstellte. Mit traumhaft dichter Frucht, gewaltiger Statur, süßem Schmelz, enormer Kraft und Fülle und gewaltiger Länge war das in erster (Früh)Reife ein Wein wie vom anderen Stern mit Mega-Potential, natürlich noch mit reichlich Babyspeck, aber in welcher Qualität – WT100. Da musste man schon aufpassen, dass man beim trinken vor lauter Aufregung und Begeisterung nicht Schnappatmung bekam. Völlig anders und trotzdem absolut perfekt der 2001 Abreu Madrona Ranch. Einfach genial die ultrafeine Nase dieses Weines mit superber, puristisch schöner Frucht, so stimmig und mit guter Säure einfach perfekt balanciert am Gaumen, da wurden die Kraft und die Herrlichkeit als Ballett getanzt – WT100. Dichter, fülliger mit wiederum grandioser Frucht und verschwenderischem Schmelz, bei aller Fülle aber wiederum so stimmig und harmonisch am Gaumen mit ewiger Länge dieser hedonistische Traum namens 2002 Abreu Madrona – WT100. Gleich viermal WT100 in einem Flight. So falsch kann Parker ja seinerzeit nicht gelegen habe. Es schien eine Probe wie im Rausch zu werde. Strahlende Gesichter überall am Tisch.

Das Problem all dieser Parker100 Boliden ist meist, dass sie sündhaft teuer und einfach nicht zu bekommen sind. Mit einer wohltuenden Ausnahme: Shafer. Hedonismus in seiner schönsten Form mit dekadent süßer Frucht und atemberaubender Fülle der 2001 Shafer Hillside Select – WT100. Und von allem noch etwas mehr hatte der noch etwas üppigere, fülligere, ebenfalls perfekte 2002 Shafer Hillside Select – WT100. Einfach eine Bank, diese großartigen Hillside Selects von Shafer mit dem riesengroßen Vorteil, dass man dafür keine Bank ausrauben muss. Mit kühler Mountain-Frucht und mit viel Eukalyptus zeigte sich der 2001 Lokoya Mount Veeder Cabernet Sauvignon rund, füllig und kräftig, aber mit immer noch deutlichen Tanninen noch längst nicht auf dem Höhepunkt. Da könnte aus guten Flaschen wie dieser noch mehr kommen – WT96+. Größer hätte sich hier im direkten Vergleich wohl der 2002 Lokoya Mount Veeder Cabernet Sauvignon gezeigt, aber hier verdarb leider der einzige, heftige Kork des Abends den Genuss. Nicht nachvollziehen konnte ich Parkers Bewertung des 2002 Larkmead Vineyard Cabernet Sauvignon Solari Reserve, der mit reifer, dunkelbeeriger Frucht schon sehr reif wirkte und dem es etwas an Körper und Dichte fehlte – WT94.

Ein stimmiger Traum der 2002 Carter Cabernet Sauvignon Beckstofer To Kalon, der sich mit kühler Frucht und viel Minzfrische noch so jung zeigte, am Gaumen enorm druckvoll mit Süße und Länge, aber auch guter, balancierender Säure – WT100. Eine perfekte Harlan-Wuchtbrumme auch der 2002 Bond St. Eden mit wunderbarer, dichter, dunkler Frucht und enormer Kraft, aber auch sehr stimmig mit der von Harlan gewohnten Präzision – WT100. Ein geniales, sehr gelungenes Cuvée der 2002 Phelps Insignia mit süßer, dunkelbeeriger Frucht, viel Schmelz und Sex Appeal, aber auch gutem Rückgrat für eine längere Entwicklung – WT98. Wie aus einem Stück gemeißelt der 2006 Schrader CCS mit viel Cassis, feiner Minze, gewaltiger Statur mit guter Mineralität, enormem Druck und Länge – WT100. Etwas femininer der sehr ausdrucksstarke 2006 Colgin IX mit süßer Frucht, enorm stimmig und durchaus noch mit viel Potential – WT98.

Über den ein oder anderen Wein wurde am Tisch durchaus heftiger und auch kontrovers diskutiert. Einer der Gründe war sicher auch, dass sich der Gaumen sehr schnell an ein hohes Niveau gewöhnt. Wenn Perfektion plötzlich die Norm wird, dann erscheint Außergewöhnliches zu leicht plötzlich als gewöhnlich.

Und damit kamen wir zum Flight des Abends. Mit 2007 Harlan hatte sich die außergewöhnliche Qualität dieses Jahrgangs ja schon angedeutet. Jetzt kamen 5 weitere, schlichtweg perfekte Exemplare dieses Ausnahmejahrgangs ins Glas. Die waren nicht von Anfang an so und hatten ein paar Jahre gebraucht. Jetzt aber zeigten sie sich voll da und von ihrer allerbesten Seite. Da konnte man einfach nur noch staunen und ein hemmungsloses Vollbad in allergrößter Weinfreude nehmen. Schlichtweg traumhaft und immer noch blutjung mit kräftigen Tanninen für eine lange Zukunft der 2007 Colgin Carriad. Diese Cuvée, bei der sich zum überwiegenden Cabernet noch Merlot, Canernet Franc und Petit Verdot gesellten, war üppig, exotisch mit geradezu erotischer Frucht, zeigte aber auch eine geniale Struktur und gute Mineralität, kein Hammerteil – WT100. Kein Wunder, dass sich französische Luxuskonzern LVMH, zu dem so Perlen wie Cheval Blanc, Krug oder Yquem gehören, sich hier letztes Jahr eingekauft hat. Schlichtweg genial auch der 2007 Bond Veccina, von der Struktur her ein ganz großer Bordeaux vom rechten Ufer, von der Frucht her kalifornische Pracht und Fülle, aber alles so stimmig, so balanciert trotz dieses gewaltigen, aromatischen Drucks, mit guter Säure und Tanninstruktur für ein langes Leben, ein echtes Meisterwerk des Harlan-Teams – WT100. Völlig anders der 2007 Hunderd Acre Cabernet Sauvignon Kayli Morgan, der mit seiner dekadenten, üppigen Fülle und seiner schon fast überbordenden süßen Frucht und überhaupt nichts mit Bordeaux zu tun hat, das ist eher ein Kalifornier made in Hollywood. Muss man nicht mögen, aber Fans dieser Stilrichtung, von denen ich einige kenne, sind mit diesem Wein am Ende ihrer Suche endlich im Weinhimmel angekommen. Die geben dann locker WT100, und das ist auch gut so. Und dann dieser atemberaubende, überirdische 2007 Scarecrow, der jetzt schon eine moderne, kalifornische Weinlegende ist. Traumhaftes, verschwenderisches, aber so feines Bouquet, aber dahinter und darunter enormer Tiefgang und Komplexität, ein Wahnsinnswein, der fast am Gaumen beißt, superdicht und doch mit so genialer Struktur. Kein Wunder, stammt der doch von einem Rebberg mit – für Kalifornien derzeit ungewöhnlich – alten Rebstöcken – WT100. Das war erst der zweite Scarecrow in meinem Weintrinkerleben. Mit dem ersten, dem 2005, hatte mich meine Tochter vor ein paar Jahren durch Vermittlung über meinen Freund Jeff Leve zum Geburtstag überrascht. Jetzt muss ich die Zahl meiner Scarecrow Erlebnisse in den nächsten Jahren unbedingt steigern. Wer hilft? Ja und dann dieser schier unglaubliche 2007 Screaming Eagle, der mit Mörderpotential lange gebraucht hat. 2010 in der ersten Screaiming Eagle Vertikale in der Braui einfach noch zu jung, WT95+. 2016 auf Eugens großer Screaming Eagle Vertikale genau hier am selben Ort auf dem besten Weg – WT98+. Und jetzt war es angekommen, dieses unglaubliche Meisterwerk. So traumhaft elegant, so finessig, so stimmig, so perfekt balanciert mit superber Frucht, aber geradezu tänzelnd am Gaumen, der Romanée Conti unter den Burgundern – WT100.

Ein einmaliger Flight, fünf Meisterwerke, jedes anders, aber für sich gelungen. Moderner Kalifornier geht vielleicht anders, aber nicht besser. Diese fünf hier in diesem Flight erleben zu dürfen, das machte unglaublich glücklich, dankbar und auch ein wenig demütig.

Schwierig, sehr schwierig wurde es dann im letzten Flight. Denn nach diesem 2007er Cabernet Feuerwerk war das, was jetzt ins Glas kam, einfach ein Kulturschock. So blieben auch viele Gläser am Tisch weitgehend gefüllt, was diesen großen Weinen nicht gerecht wurde. Aber nach dieser Cabernet-Orgie wurde es für die Californian Rhone Rangers einfach schwierig.

Sehr jung noch der 2004 Sine Qua Non Pokerface, der noch fast primärfruchtig schien, ein Wein trotz süßer Fülle mit enormem Tiefgang, der wohl noch zulegen wird – WT96+. Reifer und wohl jetzt auf dem Punkt der 2005 Sine Qua Non Atlantis Fe 2003 1A mit süßer Frucht, Lakritz, salziger, an Holzkohle erinnernder Mineralität und spürbar hohem Alkohol – WT96. Sehr würzig, komplex und mit cremiger Textur der 2006 Alban Syrah Lorraine Vineyard, der mit seiner speckigen Nase an Guigals LaLas erinnert, dürfte eine große Zukunft haben – WT97. Da kam der heftige, sehr alkoholisch wirkende 2006 Alban Syrah Reva Vineyard nicht mit, der muss erst noch zu sich finden und gehört dringend weggelegt – WT94+. Mehr Grenache und Mouvedre als Syrah im 2007 Saxum James Berry Vineyard, sehr würzig, pfeffrig, dunkle Frucht, der Kirschlikeur großer Chateauneufs, gute Mineralität, machte mit noch sehr präsenten Tannine einen stückweit verschlossenen Eindruck und verkaufte sich deutlich unter Wert – WT94+.

Schlichtweg einmalig war sie, diese Probe. Tausend Dank, lieber Eugen. Ich bin gespannt, womit Du uns hoffentlich wieder im nächsten Jahr an gleichem Ort überraschst.

Diesen Probenbericht habe ich noch schnell fertig gestellt, bevor ich jetzt zur American Beauty XI in die Schweiz düse. Ein paar Fotos liefere ich noch nach. Alle Flaschen finden sich aber auch mit detaillierten Fotos und Beschreibungen auf der Seite www.mybestwine.ch meines Freundes Baschi Schwander, der diese Probe wieder mustergültig organisiert hatte.