Tour de Latour

Unsere große Petrus Probe im Berens am Kai hatte Lust auf weitere Proben dieser Art gemacht. Große Chateaus in kleiner Runde als Best Bottle verkosten, beschränkt auf die besten Jahrgänge und statt Kampfnipperei einfach mehr ins Glas. So hatten wir dann auch diese Latour-Probe in feiner 8er Runde geplant. Aber, shit happens, zwei Teilnehmer fielen ganz kurzfristig mit gravierenden, gesundheitlichen Problemen aus. So kamen zwar etwas weniger Latours, von denen dann aber noch deutlich mehr ins Glas. Gut, dass Barbara, die ihrem Ruf als perfekte Sommeliere wieder alle Ehre machte und Holger, der geniale Küchen-Zampano als „ehrenamtliche Helfer“ einsprangen. Sonst wäre dieses stramme Programm nicht zu bewältigen gewesen.

Perfekter Einstieg in diese großartige Verkostung war ein 1999 Salon Brut Le Mesnil. Um den zu mögen, muss man kein Champagner-Liebhaber sein. Das ist einfach so ein geniales Verwöhnprogramm, dem Mann/Frau sich einfach nicht entziehen kann. Noch so frisch mit feiner Frucht, komplex und so harmonisch mit seidiger, cremiger Textur, gerösteten Nüssen und bestem Brioche. Wenn der mit seinem herrlichen Mousseux aus Mini-Bubbles (haben Die einen speziellen Bubble-Designer bei Salon?) über den Gaumen fließt, dann erzeugt das einfach Glücksgefühle – WT95, Champagnerfraks geben deutlich mehr. Straff, mineralisch, kernig danach der noch so junge 2008 Halenberg GG von Schäfer-Fröhlich, der noch Potential für lange Jahre hat und durchaus noch zulegen könnte – WT95+.

Von alt nach jung haben wir getrunken. Da kamen dann natürlich gleich im ersten Flight zwei Superstars ins Glas. 1945 Latour und 1959 Latour waren sich beide nicht unähnlich, außer, dass der 45er einen Tick reifer war. Aber der 45er legte im Glas enorm zu, baute aus und entwickelte einen irren Druck, sehr minzig, etwas Eukalyptus, Kaffee, erste, feine Süße, großartige Länge – WT99. Der 59er hatte die jüngere, sehr dichte Farbe, ein enormer Kraftbolzen, auch hier viel Minze und auch Eukalyptus, dazu Zedernholz, Tabak und Leder, der Mokka frisch geröstet, fantastische Dichte und Länge – WT100.

Ein Phänomen ist dieser 1970 Latour, der nicht nur in der superdichten Farbe völlig altersfrei wirkt. Da ist eine irre Dichte, Kraft und Länge. Baut im Glas enorm aus und hört bei mir erst auf, als das Glas leer ist, wie schade, denn zu den WT97+ wäre sonst im Laufe des Abends sicher noch was dazu gekommen. Diese klassische Version des 82ers (gegen den ich ihn schon mehrfach über einen ganzen Abend getrunken habe, wie Armdrücken zwischen zwei Giganten, das letztendlich unentschieden endet) braucht mehrere Stunden in der Karaffe und dürfte noch ein sehr langes Leben haben. Sehr positiv überrascht hat mich auch der 1978 Latour, ein sehr feiner, eleganter Latour in erster Reife mit dieser typischen Walnussnote und toller Mineralität. Dürfte noch eine längere Zukunft haben – WT94.

Ein noch schlafender Gigant war der 1982 Latour, so eine Art 70er in etwas modernerer Neuauflage. Hier aus einer perfekt gelagerten OHK so ein gewaltiges, blutjunges Monument, ein schlafender Gigant zum Witervereben – WT97+. Völlig anders der zugänglichere 1983 Latour, sehr fruchtig, geradezu saftig, vor allem im Vergleich zum 82er, aber auch mit sehr guter Struktur, viel Walnuss, kraftvoll im Abgang. Ein großartiger, (an)gereifter Latour zum jetzt und in den nächsten 10-15 Jahren genießen – WT96.

Überraschend dann die nächsten Latour, in der Weinliteratur nicht gerade als Erfolgsstory beschrieben. Das wird vor allem daran gelegen haben, dass beides Spätstarter sind, bei Latour nichts Ungewöhnliches. Fast wie eine Art Schm,use-Latour kam der sehr feine, elegante, sehr stimmige 1985 Latour ins Glas, doch da ging dann die Post ab. Baute enorm aus, wurde immer besser und druckvoller, ein vergessener Latour mit Zukunft – WT95. Das gleiche dann auf nochmals deutlich höherem Niveau in Form des 1989 Latour, der die größte Überraschung unserer Probe war. 89 Punkte von Parker und 90 von Neil Martin, zuletzt im Jahr 2000 mit keiner neueren Notiz sind für einen Premier Cru wie Latour im Superjahr 1989 quasi eine Hinrichtung gewesen. Da konnte man immer noch gut nachkaufen, was ich auch getan habe. Denn für mich war das von der gelungenen Fassprobe 1990 auf dem Chateau an immer ein großartiger Latour mit Mörderpotential, der einfach nur Zeit brauchte. Für mich ist das schön länger ein WT100 Kandidat mit intensiver, präziser Frucht, Walnuss pur, tiefer Mineralität und irrer Tannin- und Säurestruktur, die aber hier mit fantastischer, typischer Latour-Aromatik endlich ein werdendes Monument freigab, begeisternde WT98+.

Ins Charakterfach war eigentlich der geniale, einst so dekadente 1990 Latour gewechselt. Aus dieser Flasche hier machte er, warum auch immer, eine Rolle rückwärts und präsentierte sich mit Süße, Frische und Dekadenz als einfach oberaffengeiler Super-Latour und Top-Kandidat für den Welt-Hedonismus Award – WT100. Ich mag beide Varianten dieses einmaligen Latours. Deutlich klassischer ging es da beim 1995 Latour zu, präzise Frucht, großartige Struktur und immer noch deutliche Tannine, aber viel Potential, ein großer Latour im Werden – WT96+.

Irgendetwas schien beim 1996 Latour nicht zu stimmen, sehr herb die Anmutung mit sprödem Charme und bitteren Tanninen. Der geht dramatisch besser, da war wohl zumindest ein leichter Kork mit im Spiel. In Bestform zeigte sich der 1998 Latour, wobei wir echtes Flaschenglück hatten. Von offen bis komplett zu ist bei diesem wein alles drin. Hier war er sehr generös, fast üppig, mit wunderbarer, dunkler Frucht und erstaunlicher Fülle, die immer noch mächtigen Tannine gut verpackt. Ein unterschätzter Latour, der noch eine lange Zukunft haben dürfte – WT96.

Und dann gab es als Abschluss noch ein erstes Feuerwerk. 2000 Latour ist ein gewaltiger Brocken mit erstem Charme, der sicher das Potential für Perfektion hat, nur könnte das noch 10-20 Jahre dauern. Sehr beeindruckend ist dieses Monument mit irrer Substanz, konzentrierter Frucht und Kraft ohne Ende trotzdem – WT96+. Völlig anders der 2003 Latour aus diesem warmen Jahrgang. Der zeigte sich erstaunlich offen, dabei süß, geradezu üppig und dekadent, immer noch mit jugendlicher Röstaromatik. Also austrinken? Keinesfalls, auch hier ist genügend Substanz für eine längere Entwicklung und ich bin sicher, dass dieser Latour, der heute vielleicht so schmeckt, wie vor 50 Jahren der 47er, noch deutlich an Struktur gewinnt – WT96+.

Wir waren gerade durch hier auf der herrlichen Terrasse des Berens am Kai, als heftige Blitzlichter irritierten. Doch die kamen nicht, wie erst vermutet, von der gegenüber liegenden Disko, sondern von oben. Unser Latour-Feuerwerk fand seine Fortsetzung in einem Himmelsfeuerwerk, das von massivem Regen begleitet wurde. Wir schafften es noch so gerade nach drinnen. Und da fanden wir auf der umfassenden Weinkarte noch zwei durchaus wohlfeile, erfrischende Absacker. 2012 Hubacker und 2012 Kirchspiel, beide von Keller, waren auf WT94 Niveau beide sehr schön trinkbar, auch wenn da mit den Jahren noch etwas mehr kommen könnte. Der Hubacker der etwas fülligere von beiden, das Kirchspiel wieder so elegant und unendlich fein.