Vollbad in Rotwein

Der liebe Rainer, der uns ja auf Facebook sehr rege an seinem chinesischen Leben teilhaben lässt, hatte es endlich mal wieder nach Düsseldorf geschafft. In schöner Runde öffnete er für uns an einem traumhaften Sommerabend auf der Terrasse des Berens am Kai zu einem großartigen Menü aus Holgers Küche spannende Schätze aus seinem Keller. Kann man an so einem warmen Abend Rotwein trinken? Na klar, er muss nur entsprechend kühl ins Glas kommen, das nicht zu voll werden darf und zügig geleert werden muss. Lieber häufiger Nachschenken, was dank überschaubarer 7er Runde jederzeit machbar war. Timing und Temperatur sind hier alles und stimmten an diesem Abend.

Wunderbarer Start mit einem 2008 Chevalier Montrachet von Bouchard. Sehr fein und elegant, etwas floral in derNase, fast spielerisch, typisch Chevalier halt. Am Gaumen überraschend kräftig mit er guten Struktur des kühleren Jahres, dabei mit feiner, mandeliger Fülle – WT96. So würde ich gerne in jede Probe starte.

Mit zwei Champagnern ging es weiter. Vom 2014 degorgierten Selosse Version Originale Extra Brut, einem Blanc de Blancs, gibt es in jedem Jahr nur 3600 Flaschen. Sehr jung, kräftig, kernig mit deutlichem Mousseux, furztrocken, auch am Gaumen sehr kräftig und lang mit dezent oxidativer Note – WT94. Der 2002 Billecart Salmon Cuvée Nicolas Francois war elegant, nachhaltig, füllig mit feinem Schmelz und guter Mineralität, wirkte aber im direkten Vergleich auch etwas brav – WT93.

Groß war das, was danach ins Glas kam. Und doch verkaufte sich dieser 1955 Clos de Tart Vandermeulen unter Wert. Der hätte sicherlich mindestens drei Stunden in eine Karaffe gehört. Dieser Gigant, der von der Substanz her auf Augenhöhe mit dem legendären 1947 Chambertin aus gleichem Stall ist, braucht das einfach zur Entfaltung. So passierte denn auch das Paradoxon, dass dieser Clos de Tart ziemlich reif scheinend, deutlich reifer als ich ihn kenne, ins Glas kam, um dann dort mit Zeit und Luft immer mehr zuzulegen. Wirkte füllig mit feinem, malzigem Schmelz, wurde minziger, sogar mit einem Hauch Eukalyptus, sehr viel Kaffee. Entwickelte immer mehr Kraft, Komplexität und Druck, wie der Riese aus der Flasche, der immer größer wird, erreichte aber nicht die vielen, perfekten Flaschen dieses Weines, die ich bisher getrunken habe – WT96+.

1977 gilt nicht als großer Kalifornien-Jahrgang, aber die Weine haben mich eigentlich nie enttäuscht und sind aus guter Lagerung immer noch die Suche wert. So dieser 1977 Beaulieu Private Reserve Georges de Latour, der sich seit der letzten Begegnung vor 20(!) Jahren auf einer Gabriel-Probe kaum verändert hat. Reif zwar, aber nicht alt, kräftig, kernig, ledrig mit feiner Minze, etwas rustikal, aber nicht ohne Charme – WT93.

Absolut zeitlos und ohne Alter der 1981 Ridge Monte Bello. Ein großer Bordeaux mit kalifornischer Frucht und toller Statur. Enorm kräftig und lang am Gaumen, ledrig und mit feiner minziger Süße. Hab ich blind erst für Gruaud Larose gehalten – WT96. Im anderen Glas 1981 Chateau Musar aus dem Libanon, der mal wieder als gut gereifter Burgunder durchging, so fein, elegant und balanciert, so weich und generös. Ein perfekter Pirat für jede Blindprobe – WT93.

Geduld ist angesagt bei 1988 Chateau Margaux. Zeigte sich sehr fein, sehr elegant und sehr mineralisch, sehr schön in der Nase und am Gaumen, aber etwas schwach im Abgang. Baute enorm aus und legte zu, wurde immer dichter, komplexer und länger – WT95+. Auch der hätte ein längeres Vollbad im Decanter gut vertragen, oder eben noch 5-10 Jahre im Keller. Beinahe so eine Art Tagesform scheint 1994 Dominus zu haben. In seiner jugendlichen Fruchtphase war dieser große Pauillac aus Kalifornien mehrfach nahe der Perfektion. Seitdem zeigt er sich immer wieder anders, mal hedonistisch und geradezu üppig, mal etwas ernster und verschlossener, mal animalisch, wie ein Pferd mit Sattel und Stall. Hier startete er auf hohem Niveau etwas verhalten, zeigte eine enorme Substanz und Struktur, so komplex, soviel Tiefgang, entwickelte mit der Zeit eine erste, feine Süße. Scheint aber von der entgültigen Trinkreife noch gut 10 Jahre weg zu sein – WT97+.

Und dann war ein Vollbad in großen Rotweinen angesagt. Wenn man sich zu siebt zwei Weltklassemagnums teilen und immer wieder nachschenken darf, was ich ausgiebig getan habe, das hat was. Der 1996 Leoville las Cases scheint die Versprechungen der Jungweinphase erfüllen zu wollen und ist auf dem besten Wege zur Perfektion. Als modernere Version des 86ers geht er mit dieser genialen Struktur und der Bleistift-Mineralität auch als großer Lafite durch. Ein absoluter Riese mit präziser, dunkler Frucht und viel Cassis, aber auch genügend Tanninen für ein weiteres, halbes Jahrhundert – WT98+. Völlig anders, aber für mich auf gleichem Level der Wein im anderen Glas. Dieser 2000 Angelus ist so sexy, wie Bordeaux nur sein kann. Ein großer Kalifornier aus Bordeaux mit einfach traumhafter, hedonistischer Frucht, ein einfach geiler Stoff zum beidhändig trinken. Klar hat auch dieser Angelus eine großartige Struktur, hat Tannine und kann noch lange altern, aber warum eigentlich? Auch das sind ohne wenn und aber WT98. So wie die denkwürdige Magnum dieses großartigen Angelus, die ich letztes Jahr mit Herrn Ben auf Sylt getrunken habe. Wo immer ich diesen Wein in Zukunft sehe, werde ich gnadenlos darüber herfallen.

Muss ich erwähnen, dass am Tisch inzwischen allerbeste Stimmung herrschte. Und es ging hochklassig weiter. 1990 Leoville las Cases war angesagt. Der war nicht ganz auf dem Niveau des 96ers, aber er ist jetzt da, wo der 96er mal hin will. Einfach betörende, rotbeerige Frucht, Zedernholz, etwas Tabak, die Eleganz eines großen St. Julien, die großartige Struktur und das alles so balanciert und stimmig mit wunderbarer Länge – WT96. Im anderen Glas der etwas reifere, weichere 1990 Beringer Private Reserve. Sehr fein, elegant, schmelzig mit balsamischen Noten, guter Frucht und viel Minze, dürfte sich auf diesem Niveau noch länger halten – WT94.

Leider war dem wunderbaren 1990 Caymus Special Selection im letzten Rotwein Flight der Gegner abhanden gekommen. Die Flasche 1990 Shafer Hillside Select war einfach nicht in gutem Zustand und wirkte überreif und völlig außer der Spur. Ist mir mit diesem Weein vor 8 Jahren schon mal passiert, aber meine vorletzte Flasche vor ein paar Jahren war wieder in Topform. Und wer Doug Shafers ersten Wein, den 78er jemals probieren durfte (war zuletzt im letzten Jahr in wieder mal bestechender Form mit WT100 in meinem Glas), der weiß, dass diese Weine perfekt altern können. Warum die dann zwischendurch mal so schmecken, als ob sie Migräne haben, ist mir noch schleierhaft. Dafür war dieser Caymus in prächtiger Form. Ich liebe diese süchtig machende, jugendlich frische Cassisnase mit Minze und Eukalyptus, diese Fröhlichkeit und Unbeschwertheit, die Caymus ausstrahlt. Kein Zeichen von Alter hier, stattdessen feiner Schmelz und schöne Länge – WT97. 90, 91 und 92 sind bei Caymus einfach legendäre Weine entstanden.

Ich war inzwischen längst auf Rotweinwolke 7 angelangt, dankbar für diese wunderbare Probe und voller Weinseligkeit. Da konnten mich jetzt auch die beiden, hochkarätigen Champagner nicht mehr dran hindern, die sicher besser an den Anfang der Probe gepasst hätten. Der sehr kraftvolle, mineralische 2011 Cuvée Avizoise von Agrapart war eigentlich als Absacker viel zu schade, ebenso wie der 2002 Presidence Vieilles Vignes von Legras. Und als die kleine Runde sich dann noch an einem Chablis delektierte, war ich schon in Richtung süßer Träume abgeschwebt.

Für das Foto unten der noch gefüllten Flaschen ebenso herzlichen Dank an Rainer wie für die großzügige Probe. Solche Weine nicht in einer zwei Dutzend Mitglieder umfassenden Kampfnippergruppe verkosten zu müssen, sondern in kleiner, feiner Runde in großzügigen Schlucken genießen und erleben zu dürfen, das macht einfach unglaublichen Spaß. Der liebe Rainer sollte öfter nach Düsseldorf kommen.