Alle Neune

Seit gut dreißig Jahren mache ich jetzt jedes Jahr im Freundeskreis eine Raritätenprobe mit alten, reifen Weinen. Reife Wein haben mich schon immer fasziniert. Nicht nur, weil diese Weine sehr schön von vergangenen Zeiten erzählen. Wenn man die verkostet, ist das quasi „Drinking History“. Ich mag aber auch das von tertiären Aromen geprägte Geschmacksbild reifer Weine, die in ihrer Aromatik nicht so aggressiv sind, wie junge Gewächse und sich meist durch eine wunderbare Eleganz auszeichnen. Nicht zuletzt sind reife Weine einfach deutlich bekömmlicher, was auch zuletzt daran liegt, dass früher die Alkoholgrade deutlich niedriger lagen. Heute reife, authentische Weine zu finden, wird immer schwieriger, wenn nicht fast unmöglich. Da zahlt es sich aus, wenn man auf einen in 40 Jahren gefüllten Keller mit perfekter Lagerung zurückgreifen kann

Auf Jahre mit der „9“ habe ich mich in diesem Jahr konzentriert, deshalb der Titel „Alle Neune“.

Als Apero starteten wir auf der Terrasse des Landhaus Mönchenwerth bei herrlichem Sonnenschein mit einer 2009 Wehlener Sonnenuhr Spätlese von Joh. Jos. Prüm. Jahrgangstypisch hatte dieser immer noch so frische Wein bei aller, filigraner Leichtigkeit eine schöne, traubige Fülle und eine reife Säure, die Süße gut eingebunden – WT93.

Ein großartiger Jahrgang war 1999 in Österreich, insbesondere in der Wachau. Die besten Weine sind immer noch und für längere Zeit in Topform und jede Suche wert.

Der 1999 Grüner Veltliner Honivogl Smaragd von Hirtzberger wurde am Tisch mal wieder für einen Chardonnay gehalten. Das ist nicht verwunderlich, ähneln doch große Grüne Veltliner in ihrer Reife immer mehr einem Montrachet. So auch dieser tiefgründige, komplexe, würzige und sehr balancierte Wein, der einen perfekten Piraten (und wahrscheinlich Sieger) für jede Burgunderprobe abgeben würde. Immer noch so frisch und brilliant mit faszinierender Länge – WT98. Eine großartige Statur zeigte auch der enorm kraftvolle 1999 Riesling Singerriedel Smaragd von Hirtzberger mit reifer Marille und feiner Honignote, wie der grüne Veltliner sehr mineralisch, komplex und tiefgründig, durch die inzwischen nicht mehr störende Botrytis mit enormer Fülle – WT97. Beide Weine dürften noch mindestens 10+ Jahre vor sich haben.

Traditionell verwöhnt uns mein Freund Jörg Müller aus Sylt mit seiner grandiosen Gänseleber, zu der ich natürlich entsprechend große Süßweine serviere, in diesem Jahr zwei sehr rare Trockenbeerenauslesen. Die 1959 Maximin Grünhäuser Herrenberg Edelste TBA zeigte bei aller Süße mit immer noch sehr guter Säure eine geradezu traumhafte Eleganz und Leichtigkeit, einfach edelsüßer Riesling vom allerfeinsten mit feinen Kräutern, Melasse, Bittermandeln und Minze, so balanciert und finessig, das kann nur die Mosel. Ein echter Jahrhundertwein – WT100. Die 1959 Steinberger TBA von den Staatsweingütern Eltville in der Versteigerungsversion des Kloster Eberbach im anderen Glas trug zusätzlich ein Halsetikett der Familie Hufnagel, die den Wein seinerzeit für ihre Krone Assmannshausen ersteigert hatte. Trotz tiefdunkler Farbe wirkte auch dieser Wein noch so frisch mit sehr guter Säure und zeigte eine enorme Kraft und Fülle. Sehr karamellig in der Anmutung, da kamen sofort die selbstgemachten Butterkaramellen aus der Pfanne in den Sinn, dazu Rosinen und ein wunderbarer Schmelz. Aber auch hier war bei aller Süße nichts klebriges, sondern nur feiner Schmelz mit Eleganz und Finesse – WT100. Auch diese TBA locker in die Kategorie Jahrhundertwein einzuordnen. Zwei Monumente, die uns alle noch überdauern werden..

Als absolutes Unikat kam danach ein roter(!) 1919 Grand-Montrachet der Domaine Nié-Vantey von Jouan-Marcilleg ins Glas. Roter Montrachet? Es gibt heute immer noch Rotweine aus dieser Gegend in den Côte de Beaune, vor allem Chassagne Montrachet und Meursault. Da ist nicht auszuschließen, dass damals auch im Montrachet noch etwas Pinot Noir stand. Die alte Domaine Nié-Vantey besaß in der Mitte des 19. Jahrhunderts umfangreiche Besitzungen an der Côte de Beaune, so wohl auch in Montrachet. Übergegangen ist diese alte Domaine inzwischen über diverse Heiraten in die heutige Domaine Armand Heitz.

Mit deutlichen Reifetönen, aber noch intakter Farbe kam dieser Wein ins Glas, er blieb dort zart und filigran mit feiner, rotbeeriger Frucht und baute enorm aus. Wer diesem wein genug Zeit im Glas gab, erlebte einen noch sehr schön trinkbaren, am Gaumen sogar nachhaltigen Burgunder aus dem großen Burgundjahrgang 1919, der für einen Hundertjährigen noch erstaunlich vital war – WT94.

Noch deutlich rarer und ungewöhnlicher danach ein 1859 Schützen-Wein von Sigismund Friedbörig in Mainz, den ich vor einiger Zeit aus einem privaten Keller kaufen konnte. Die sehr alte Flasche war mit einem kleinen, alten, schrumpeligen, aber dichten Korken verschlossen. Der Inhalt war eine durchaus noch sehr gut trinkbare Flüssigkeit. Auf Madeira wurde erst getippt, dann auf Colheita, aber es waren keinerlei spritige Noten vorhanden. Es kann sich nur um einen sehr süßen Weißwein gehandelt haben, der von der Süße durch die Jahrhunderte getragen wurde. Süß war er immer noch mit einer güldenen Farbe, Trockenfrüchten und Rosinen. Ja, das war wirklich „Drinking History“, ein Wein aus einer sehr unruhigen Zeit noch vor der Gründung des deutschen Reiches. Absolut verrückt.

1899 und 1900 waren in Bordeaux berühmte Zwillingsjahre, und schon das erste davon brachte in Bordeaux große Weine. Zwei der wohl größten davon konnte ich jetzt hier in meiner Probe öffnen. Der 1899 Mouton Rothschild in einer Barton & Guestier Flasche mit gutem Füllstand übertraf meine kühnsten Erwartungen. Kann/darf ein 120 Jahre alter Wein noch geradezu sexy sein und wie ein großer Mouton schmecken? Dieser hier aus einer absolut authentischen, schon lange in meinem Keller liegenden Flasche mit Originalkork konnte das. Erstaunlich kräftig und voll intakt die Farbe, wunderbare, feine rotbeerige Frucht, Himbeeren und Erdbeeren. Der Mouton kam etwas sehnig und spartanisch ins Glas mit noch enormer Kraft, baute aber enorm aus, wurde fülliger, generöser und entwickelte eine traumhafte Süße, dabei sehr elegant und einfach Mouton-sexy. Der Buchhalter gibt WT97, für den Weinliebhaber sind WT100 noch zu wenig. Gleich daneben mit dem 1899 Margaux mit dem Original Pillet Will Label ein ähnliches Kaliber. Auch dieser Margaux, vor langer Zeit gekauft und seitdem unberührt in meinem Keller war aus dieser mid-shoulder Flasche noch voller Leben. Die Nase war zu Anfang etwas staubig, machte aber mit der Zeit immer mehr feiner Frucht Platz. Dazu kamen speckige Aromen und feines Handschuhleder. Auch hier war es wieder viel Luft, die diesem Margaux erlaubte, seine volle Schönheit zu zeigen. So elegant und finessig, klassisch Margaux halt. WT96 vom Buchhalter, sonst wie davor.

Diese beiden Weine nebeneinander, das war selbst für einen hart gesottenen, verwöhnten Altweintrinker wie mich ein einmaliges Erlebnis, das glücklich und demütig zugleich machte. Ich denke bei Weine aus 1899 immer an die Menschen, die damals lebte. An der Schwelle zu einem neuen Jahrhundert waren die voller Sehnsüchte und Hoffnungen. Wenn die geahnt hätten, was alles auf sie zukommen würde.

Mit dem großen Jahrgang 1929 ging es weiter. Vor 20 Jahren hatte ich in meiner Raritätenprobe den 1929 Pavie schon mal im Glas aus einer perfekten Magnum. Der schlug damals alle anderen Weine in die Büsche, einfach atemberaubend. Noch während der Probe versuchten 5 meiner Freunde, damals alles hochkarätige Weinsammler mit best bestückten Kellern, ganz hektisch per Telefon diesen Wein aufzutreiben. Those were the days, Internet war ja noch nicht so heftig, mobil ohnehin nicht. Aber sie waren so erfolglos wie wahrscheinlich heute auch. Nur ich hatte mit Glück noch in 1999 diese perfekte Flasche erwerben können, die seitdem in meinem Eiskeller lag. Und wie zeigte sich dieser 1929 Pavie jetzt 20 Jahre später aus dieser 1tel? Absolut perfekt, wie damals, ein echtes Déja Vue Erlebnis. So eine irre, junge, dichte, brilliante Farbe, fantastische Frucht aus einem Guß, grandiose, perfekte Struktur. Einfach eine unglaubliche Kombination aus der 1928er Kraft und der 1929er Eleganz und Finesse, die mit göttlicher Süße ewig am Gaumen blieb. Ein unsterblicher, atemberaubender Wein, mit Worten kaum zu beschreiben und mit „nur“ WT100 fast beschämt. Diese Legende, den vielleicht besten Pavie noch mal aus solch einer perfekten Flasche trinken zu dürfen, das trieb Freudentränen in die Augen. Nicht weniger rar im anderen Glas ein 1929 Petrus in einer Vandermeulen Abfüllung aus einer Burgunderflasche, was damals in der Weltwirtschaftskrise häufiger mal vorkam. Da nahm man halt, was man kriegen konnte. Der Petrus wirkte zunächst nicht nur in der Farbe deutlich reifer. Aber auch hier waren einfach nur genügend Zeit und Luft angesagt, dann legte der Petrus gewaltig zu. Generöse Fülle und Süße stellten sich ein, dazu Marzipan in Bitterschokolade und Rumtopffrüchte, Vergnügen pur am Gaumen – WT97.

Konnte das so weiter gehen? Oliver Speh, der die Weine wieder absolut meisterhaft ins Glas brachte, war angesichts der überragenden Qualität völlig aus dem Häuschen und sein nebenan beim Dekantieren aus vollem Herzen spontan gerufenes „Fick die Hühner“ sagte alles. 1929 Haut Brion war jetzt angesagt, was für ein Tier von Wein, was für ein irres Konzentrat. Tiefschwarz die Farbe, eine wahre Nasenorgie aus Guiness, Malaga, Cigarbox, Tabak und teeriger Mineralität, unbändige Kraft am Gaumen mit herrlicher Süße und traumhafter Länge, natürlich klare WT100, die ich diesem genialen Wein, den René Gabriel 2016 auf der Farnsburg zu recht als Pessac-Likör beschrieb, bestimmt schon ein Dutzend mal geben durfte. Eigentlich wäre jetzt der 1929 Corbin Michotte im Vergleich dazu ein ganz armer Wicht gewesen. Aber nur eigentlich, denn der zeigte noch geradezu jugendlichen Übermut und sogar gewisse Frische mit Eukalytus und Minze, was eigentlich einen Kalifornier vermuten ließ. Dazu so eine großartige Statur und eine wunderbare Fülle und Länge mit schöner Süße, WT99 hatte der locker verdient, ohne diesen außerweltlichen Haut Brion im Nachbarglas vielleicht noch den berühmten einen Punkt mehr. Komisch, dass er in dem ein oder anderen Glas nach dem Aufdecken abbaute. Bei mir blieb er lange auf diesem Niveau. Auf Corbin Michotte müssen die seinerzeit in 1929 alles richtig gemacht und einen Glückstreffer gelandet haben, so wie 1990 Beauséjour Duffau Lagarosse. Wobei ich nicht verhehlen möchte, dass ich diesen, vor langen Jahren schon mehrfach getrunkenen Wein noch nie in dieser Top Qualität im Glas hatte. Also nicht nur Ausnahmewein, sondern auch Ausnahmeflasche.

Jünger wurde es jetzt mit dem Jahrgang 1949. Den ersten Wein mit seiner tiefen Farbe und der irren Kraft konnte niemand einordnen. Ein junger, unglaublich druckvoller Power Barolo war das, dieser 1949 Barolo von Enrico Serafino – WT97. Ich hatte den im Keller neben die Barolo Riserva aus gleichem Jahr gehalten und mich dann aufgrund der erheblich dichteren Farbe für den „einfachen“ Barolo entschieden. War wohl nicht ganz verkehrt. Klar für einen Nebbiolo gehalten hatte die Runde den zweiten Wein, einen 1949 Villa Antinori Gran Vino del Chianti Riserva. Diesen Vorläufer des Tignanello hatte mir damals Herr Sedlmayr von der Munich Wine Company als hoch bewerteten Piraten für eine 49er Probe ans Herz gelegt. Hat geklappt. Ein sehr feiner, hoch aromatischer Wein, sehr elegant und balanciert und durch die gute Säure noch recht frisch wirkend – WT93.

Schlichtweg ein Traum der 1949 l´Arrosée in einer Abfüllung für die Jurade St. Emilion mit nummeriertem Etikett. Angesichts dieses etwas grobpixeligem Jurade Etiketts kam am Tisch natürlich gleich die Frage auf, ob dieser Wein echt sei. Klar ist so eine Frage berechtigt. Aber zuerst gilt immer „the proof is in the bottle“. Und das war eindeutig. Diese letzte von 4 Flaschen, die ich vor langer Zeit aus sehr zuverlässiger Quelle gekauft hatte, war wie schon die drei davor lÁrrosée in Perfektion, wie der 61er mit Turbolader. So seidig, so elegant mit einfach betörender Aromatik, dabei mit seiner Finesse burgundisch wirkend, einfach ein perfekt balancierter, altersfreier Traum – WT97. Natürlich kann man so etwas fälschen, aber nur mit Cheval Blanc. Der stand übrigens nebendran. Livré en Barrique par Fourcaud Laussac stand auf dem Etikett dieses 1949 Cheval Blanc. Die Inhaberfamilie von Cheval Blanc war in Bordeaux auch als Negociant tätig, und hatte diesen Wein als komplettes Faß geliefert, wahrscheinlich nach Belgien. Damals war es nicht nur üblich, dass Händler solche Weine fassweise kauften und selbst abfüllten. Es gab auch in Belgien reiche Familien, die sich jedes Jahr „Ihr“ Fass Cheval Blanc kauften und abfüllen ließen. Und solch eine Flasche hatten wir jetzt vor uns. Sehr reif war diesr Cheval und man merkte sehr deutlich, dass inzwischen der Zahn der Zeit daran nagte. Immer noch ein feiner, eleganter Wein mit generöser Süße, weich, schmelzig und mit schöner Fülle, aber mit dem l´Arrosée konnte er nicht mit – WT96. Diese Erfahrung habe ich übrigens mit 1949 neben ein paar perfekten Flaschen schon häufiger gemacht.

Pech danach mit einem 1949 Mouton Rothschild aus der Magnum, den ich vor Jahren auf einem bekannten, belgischen Auktionshaus erworben hatte. Die Flasche war klar oxidiert, was ein Auktionshaus vorher kontrollieren sollte. Einfach eine starke Taschenlampe dahinter halten. Bleibt der Wein blickdicht, ist hängen im Schacht. Das Auktionshaus hat sich den Schuh nicht angezogen und behauptet, dass sei durch Transport passiert. Wir hatten die Flasche jetzt weit über ein Jahr senkrecht stehend, doch nichts hat sich getan. Transport-Aufwirbelungen hätten sich längst gelegt, Oxidation bleibt nun mal bestehen. Dumm gelaufen, ich habe Geld verloren, das Auktionshaus einen großen Kunden. Da lobe ich mir Auktionshäuser wie die Munich Wine Company in München. Da werden Farbe und Depot älterer Weine klar und deutlich beschrieben.

Rasch versöhnte uns aber 1959 Troplong Mondot aus der generösen Doppelmagnum, die für volle Gläser und die mehrfache Chance des Nachprobierens sorgte. Mit jetzt immerhin zarten 60 Jahren war das aus der Großflasche noch ein jugendlicher Held, so kräftig, so dicht mit wunderbar pikanter, rotbeeriger Frucht. Enorm viel Luft brauchte dieser Powerwein und baute von Schluck zu Schluck immer mehr aus mit großartiger Länge und exzellenter Struktur. Beim letzten Schluck war ich bei WT96, was für diesen, noch sehr langlebigen Wein noch nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten muss.

Anders als auf den vorher im Keller gemachten Fotos stand im nächsten Flight 1959 Figeac in einer deutschen R&U Abfüllung gegen 1959 l´Eglise Clinet in einer französischen Barrière Abfüllung. Große Flaschenunterschiede gibt es bei Figeac. Die R&U Abfüllung gehört zu den zuverlässigsten. Auch hier war das wieder ein Gigant mit dichter Farbe, traumhafter Frucht, enorm dicht und kräftig am Gaumen, aber auch sehr balanciert mit gewaltiger Länge, hat in dieser Form mit Saft und Kraft sicher noch ein paar Jahrzehnte vor sich – WT97. Noch eine Ecke drüber der unglaublich gute l´Eglise Clinet, dicht, üppig, kräftig und lang mit superber Frucht, so druckvoll mit perfekter Struktur, hatte ich mehrfach schon mit perfekter Wertung im Glas – WT98.

1959 l´Arrosée in einer Barrière-Abfüllung war die leicht jüngere Variante des großartigen 49ers, wiederum Eleganz pur, dabei so druckvoll mit der kräftigen, hier aber reifen 59er Säure – WT97. Leider stand er gegen einen weiteren, perfekten Bewerber für den Wein des abends, einen atemberaubend schönen 1959 Cheval Blanc in einer Händlerabfüllung. Auch bei diesem Wein gibt es so viele unterschiedliche Abfüllungen und Qualitäten. In dieser außwerweltlichen Form hatte ich den 59er erst einmal, 2006 im Glas. So eine feinduftige Nase mit diesem klassischen, unnachahmlichen Cheval Blac Parfüm, so eine betörende, immer noch frische Frucht, so eine unendliche Eleganz, die enorme Kraft in feinster Seide verpackt. Einen Cheval in dieser Qualität erleben zu dürfen, schafft Glücksgefühle ohne Ende – WT100.

Korkig leider der 1959 Clinet, der eigentlich zu den großen Pomerols dieses Jahrgangs gehört. Dafür war der 1959 Lagrange-à-Pomerol in einer Händlerabfüllung wieder in bestechender Form. Ich hatte diesen vermeintlich kleinen Wein vor über 30 Jahren mal in einem mixed Lot in Belgien erworben und war seit der überragenden Qualität in 1994 (WT98) auf der Suche. Schließlich war es Wein-Trüffelschwein Uwe Bende, der für mich zwei Flaschen organisierte. Die erste war im letzten Sommer auf Sylt fällig, die zweite jetzt. So eine brilliante, junge Farbe, burgundische Pracht und Fülle, Opulenz und Hedonismus pur, viel Druck mit feinster Bitterschokolade, so fein, cremig und frisch mit enormer Länge - WT97 Auf dem Etikett steht übrigens Jean-Pierre Moueix von Petrus als Administrateur. Der wusste sicher, was er tat.

Sehr zuverlässig eigentlich 1959 Latour Haut Brion in einer R&U Abfüllung, aber diese Flasche hier hatte leider einen Schlag. Sehr schön dafür 1959 Latour Haut Brion in einer schwedischen Abfüllung für AB Vin & Spritcentralen in Stockholm. Das war ein großer Wein aus der Haut Brion Familie, der sich hinter Haut Brion und La Mission nicht zu verstecken braucht. Enorme Kraft und Druck, ätherische Noten, Minze, kein Alter, Cigarbox und Tabak, intensive, teerige Mineralität, wunderbarer Schmelz und Potential für noch lange Jahre - WT96.

Kein guter Wein in 1969? Für Bordeaux mag das mit kleinen Ausnahmen gelten (siehe den Tag danach). In Burgund wurden reichlich große Weine erzeugt. Aber in Italien? Dieser eigentlich überraschend 1969 Barbaresco von Gaja aus einer perfekten Flasche zeigte eine wunderbare, zeitlose Eleganz, dunkle Frucht, Rosenblätter, teerige Mineralität, so balanciert und sicher in dieser Form noch länger haltbar – WT95. Mit gereiften Nebbiolos habe ich schon so viele gute Erfahrungen gesammelt, selbst aus ganz schrägen Jahren wie 1965. Gut, dass sich da nur wenige ran trauen. In begeisternder Form 1969 Chateau Musar aus dem Libanon mit der Bezeichnung Grand Cru, der uns edel-rustikal aber auch mit burgundischer Eleganz verwöhnte, und in dieser Form in 69 Geborenen auch noch zum 60. und vielleicht länger Spaß machen dürfte – WT97.

Zwei spannende Flight hätte es noch gegeben. Aber dank unendlichen Flaschenglücks war es Zeit, die Gaumen nicht zu überstrapazieren. Nicht, dass irgendjemand betrunken war. Das habe ich bei meinen Proben reifer weine noch nicht erlebt. Aber wenn es Zeit ist, dann ist Zeit. Muss ich betonen, dass am nächsten Morgen alle von gutem Schlaf berichteten und niemand einen Kater hatte. Schon Wilhelm Busch hatte es gesagt. „Rotwein ist für alte Knaben, eine von den besten Gaben.“ Und was den Alten gut tut, kann den Jungen erst recht nicht schaden.