Sommernachtstraum

Den vielleicht letzten, erträglichen Abend vor der nächsten Mega-Hitzewelle hatten wir ausgesucht, um auf der Terrasse des Berens am Kai zu genialem Futter eine kleine, spontane Best Bottle zu machen. Brav hatten wir unsere Flaschen bei Barbara Beerweiler abgegeben. Die liebe Barbara brachte die Weine nicht nur gewohnt perfekt ins Glas. Sie stelle sie auch gekonnt zu spannenden Flights zusammen. Und da wir die Weine blind verkosteten, wusste zwar jeder, was er selbst mit hatte, aber nicht, was im Glas war.

Als Apero gab es einen immer noch erstaunlich frischen, altersfreien 1997 Riesling Kellerberg Smaragd von F.X. Pichler. Mit der dezenten Petrolnote erinnerte er an einen Clos St. Hune. Er zeigte enormen Tiefgang, gute Mineralität, war cremig, füllig mit mentholiger Frische und etwas hellem Toffee, dazu immer noch gute, aber reife Säure. Eindrucksvoll zeigte er, wie gut diese österreichischen Weine altern können, denn dieser hier macht es noch locker ein Jahrzehnt – WT96.

Totaler Ausfall im ersten Flight leider ein 1969 Chambertin Clos de Bèze von Thomas Bassot. Bei diesem, vermeintlichen Ebay-Schnäppchen (ja, der kam von mir) hatte der Korken Luft gezogen. Sehr schade, denn nach der Papierform hätte das aus diesem sehr guten Burgunderjahr eigentlich ein richtig guter Wein sein müssen. Umso größer war dafür die Überraschung im anderen Glas. Der immer noch so frische, würzige 1978 Zinfandel von Phelps zeigte den burgundischen Charme, den wir eigentlich vom Chambertin erwartet hatten. Startete in der Nase mit etwas Campher und Eukalyptus, dann kam immer mehr reife Erdbeere, etwas Kakao und feine Minze, dazu gute Mineralität und wunderschöner, generöser Schmelz, einfach ein Gedicht – WT96. Zinfandel, eine in Kalifornien etwas in Vergessenheit geratene Rebsorte, kann sehr gut altern, und wenn ich gut gelagerte Zinfandels aus den 70ern und davor finde, greife ich sofort zu. Dieser hier wurde übrigens von Weinlegende Walter Schug gemacht, der damals verantwortlicher Winemaker bei Phelps war.

Als so eine Art „Euer Merkwürden“ zeigte sich im nächsten Flight der 1986 Margaux aus einer absolut authentischen Flasche. Der edle Spender hatte den Wein drei Stunden lang dekantiert und dann wieder in die Flasche zurückgeschüttet und so mitgebracht. In der Nase hatte der Margaux intensiv Blaubeerjoghurt, was sich am Gaumen deutlich und sehr laktisch fortsetzte. Margaux als Smoothie, noch dazu mit etwas Banane? Hatte ich so noch nie. Mit der Zeit zeigte der Margaux wieder etwas mehr Herbe, Struktur und spürbare Tannine. Aber bewerten ließ sich so etwas mit gutem Gewissen nicht. Prächtig entwickelt hat sich der lange Zeit sehr unnahbare 1986 Lafleur, der noch eine lange, spannende Zukunft haben dürfte. Sehr maskulin, edel-rustikal, kernig und kräftig mit der klassischen, kräuterig-lakritzigen Lafleur Aromatik, am Gaumen enorm druckvoll mit immer noch massiven Tanninen, bei gerade mal 12,5% Alkohol – WT96. Die restlichen 8 Flaschen werde ich mir über die nächsten mindestens 20 Jahre gut einteilen. Könnte mal ein Wein werden, der den Stars vom linken Ufer voll die Stirn bieten kann.

Klarer Wein des Abends war dieser atemberaubende 1998 Penfolds Grange. Wirkte sehr sexy mit verführerischer Frucht, Schwarzkirsche und Brombeere und zeigte neben Eukalyptus eine mentholige Frische. Wirkte zu Anfang auf sehr hohem Niveau etwas zahm, baute aber mit Luft aus und wurde etwas wilder und animalischer. Das war schon beeindruckend, wie dieser Grange bei aller Fülle sehr viel Eleganz und eine sehr gute Struktur zeigte – WT98. Ein sehr komplexer Wein, bei dem es viel zu entdecken gibt, vor allem, wenn er nur auf 5 Gläser aufgeteilt wird. So ließ er sich über längere Zeit verfolgen. Ich freue mich auf die nächsten Flaschen, denn die Musik spielt hier sicher noch 2-3 Jahrzehnte. Dekantieren (mindestens 2 Stunden) und große Gläser kann ich unbedingt empfehlen. Klar hatte es der eigentlich großartig gelungene 2009 Fleur Petrus dagegen schwer. Viele 2009er aus Bordeaux sind ziemlich üppig und opulent geraten. Ausgerechnet dieser Fleur Petrus als Pomerol zeigte sich mit dichter, dunkler Frucht und immer noch deutlichen Tanninen sehr kräftig und maskulin. Aber die gewaltige Substanz deutete an, dass hier etwas Großes, Langlebiges entsteht – WT94+. Da lass ich meine OHK noch eine Weile zu. Von seiner besten Seite zeigte sich in erster Trinkreife der 2005 Clos des Lambrays, der im Glas enorm ausbaute und zulegte. Sehr elegant mit feiner, himbeeriger Frucht und etwas Cassis, zeigte schönen Schmelz und immer mehr burgundische Pracht und Fülle, wurde kräftiger und länger, behielt dabei aber seine leichtfüßige Eleganz – WT95. Leider wurde die Domaine des Lambrays 2014 vom Luxusgüter Konzern LVMH gekauft, was sicher keinen dämpfenden Einfluss auf die Preise hat. Da freue ich mich, dass es im Keller noch viele, reifere Lambrays gibt.

Eigentlich fehlten jetzt nur noch zwei Weine, aber der Rainer hatte dankenswerterweise eine Reserveflasche dabei, so dass der Abend mit einem weiteren, gelungenen Dreierflight endete. Eigentlich noch viel zu jung war dieser großartige 2012 Dominus, machte aber schon unglaublichen Spaß. Blind war ich bei diesem focussierten Stil und dieser einfach geilen, aber so unglaublich präzisen Frucht bei Togni, was als großes Kompliment für diesen Wein verstanden werden darf. Ich hatte bei diesem Wein hier den Eindruck, dass man sich bei Dominus, nachdem der Wein zwischendrin deutlich kalifornischer wurde und leicht aus den Fugen geriet, wieder auf alte Tugenden besinnt. Ein sehr gelungener Dominus, der ohne Ecken und Kanten eine hervorragende Struktur und reichlich Substanz für lange Alterung besitzt – WT97+. Schlichtweg ein Traum dieser 1995 Phelps Insignia, der einfach nicht altern will. Dekadent süße Frucht und üppige Fülle, dabei aber nichts überladenes, sehr elegant mit großartiger Struktur, das ist einfach ein genialer Spaßwein auf allerhöchstem Niveau, der auch jetzt noch jede Suche wert ist, denn dieser Insignia macht es noch deutlich über 10 Jahre – WT97. Schwer, sehr schwer hatte es Rainers Reserveflasche, ein 2000 Leoville Barton. Da saßen die beiden Kalifornier vor uns mit Cowboyhut, Jeans, Reitstiefeln und aufgeknöpftem Hemd und der Leoville Barton wirkte formal und zugeknöpft mit Anzug und schlichter Krawatte wie ein Finanzbeamter, der die nächste Betriebsprüfung ankündigt. Der Wein hat Struktur, Substanz und gewaltiges Potential, aber eben immer noch ein strammes Tanningerüst - WT93+. Wann er sich endlich öffnen wird? Schwer zu sagen, aber der 1990 Leoville Barton aus einem ähnlichen, großen Jahrgang fing vor 2(!) Jahren an zu singen. Übertragen auf den 2000er hieße das, in 8 Jahren ist es soweit. Meine eigenen OHKs bleiben in jedem Fall noch länger zu.