Startschuss 2019

Zur ersten, größeren Probe des Jahres durfte ich beim Kölner Weinkreis mitmachen. Thema war Pauillac aus den 90er und 2000 Jahren in schönem Trinkfenster.

Eine feine Runde war das, dieser Kölner Weinkreis, der sich reihum bei einem der Teilnehmer trifft. Jeder bringt zum angesagten Thema Weine mit und auch jeweils eigene Gläser. Der Hausherr sorgt dann für das Rahmenprogramm. In diesem Fall hatte unser generöser Gastgeber Stevie Kimmig engagiert, der uns aufs köstlichste kulinarisch verwöhnte.

Start in den sehr gelungenen Abend war ein Lanson Black Label Champagner ohne Jahrgang, der aus dem Anfang der 60er Jahre stammte. Skepsis erst, als der gülden und mit leichtem Muff wie Omas alter Kleiderschrank in die Gläser floss. Doch Skepsis wandelte sich schnell in Begeisterung, als der Muff im Glas verschwand und einer prächtigen Fülle mit guter Süße Platz machte. Zwar war da Mousseux nur noch als leichtes Prickeln am Gaumen spürbar, dafür aber feinster Schmelz, nussig und mit schönem Brioche. Da waren locker WT95 für diesen Hochgenuss angesagt. Zwei Gründe waren wohl für die exzellente Performanz dieses Seniors maßgebend, beste, kühle Lagerung und eine seinerzeit sicher relativ hohe Dosage.

Schwer hatten es danach die hochkarätigen, trockenen Champagner aus dem großen Champagnerjahr 2002 im ersten, offiziellen Flight des Abends. Eigentlich bei aller Klasse verständlich, den trocken nach süß ist immer schwierig. Der gerade erst in 2017 degorgierte 2002 Champagne Jacquesson Dégorgement Tardif Extra Brut wirkte noch sehr jung, schlank und stahlig mit verhaltener Frucht, aber Rasse und Klasse – WT93+. Der sehr rare 2002 Le Vigne d´Antan Blanc de Blancs Brut Nature von Tarlant stammte aus einer kleinen, sandigen Parzelle mit wurzelechten Reben. Die Reblaus mag nun mal keinen Sand. So war diese Spezialität möglich. Auch der noch so jung, aber etwas reifer, fülliger und gefälliger als die beiden anderen, apfelige Frucht und etwas Ananas, nussig und mit feinem Brioche, sehr mineralisch und balanciert mit guter Zukunft – WT94. Erstaunlich reif wirkte beim 2002 Egly-Ouriet Brut Grand Cru nur die Farbe. Alles andere war vom strammen Mousseux, über die gute Säure, die präzise Struktur und die geradezu puristische Anmutung noch sehr jung. Der blüht wohl erst in ein paar Jahren richtig auf – WT93+.

Bei aller Dankbarkeit, dass ich in diesem wunderbaren Kreis verkosten durfte, gibt es aber auch etwas zu meckern, was bitte als Anregung für weitere Proben verstanden wird. Unser Gastgeber hatte die Weine lange vorher geöffnet, sie dann aber erst ganz kurz vorher dekantiert, dazu noch in sehr schlanke Karaffen eher vom Typ „Bettflasche“, die dem Wein kaum mehr Platz und Sauerstoff gaben als in der Flasche selbst. Das frühzeitige Öffnen der Flaschen ist eine völlig unnötige Unsitte, die dadurch nicht besser wird, wenn es viele Leute tun. Durch dieses kleine Loch kommt bei gut gefüllten Flaschen so wenig Sauerstoff, dass man es sich auch ersparen kann. Besser ist das rechtzeitige Dekantieren, je nach Wein reichen 1-2 Stunden meist, in eine Karaffe, in der der Wein auch atmen kann. Alternativ kann man die Weine auch dekantieren und sie dann in die vorher ausgespülte Flasche zurückschütten, aus der sie dann ausgeschenkt werden.

Damit waren wir beim ersten Flight. Hier begeisterte vor allem der 1990 Figeac. Ich kann mich noch gut an die jugendliche, wunderbare Fruchtphase dieses Weines, den ich seinerzeit für €22 subskribieren konnte, erinnern. Doch damit war es leider rasche vorbei. Der Figeac verschloss sich für längere. Zu allem Überfluss entwickelte er auch noch diesen fiesen, Kork-ähnlichen Ton, den viele Figeacs dieser Periode hatten. Doch diese Phase ist jetzt vorbei. Der Figeac zeigt sich wieder in voller Blüte. Junges Rubinrot, herrliche Nase mit schöner Beerenfrucht, Minze, Zedernholz, Tabak, Veilchen und etwas Unterholz, am Gaumen geradezu hedonistisch mit Pracht und Fülle, so kraftvoll und lang. Ein großer, immer noch jung wirkender Wein für mindestens zwei weitere Jahrzehnte – WT97.

Die zweite Überraschung war der 1989 Clerc Milon, auch der fast altersfrei mit sehr kräftigem Auftritt. Würzige Nase mit schöner, rotbeeriger Frucht, Cassis und Kräutern, am Gaumen eher etwas schlank mit nobler Struktur, erdige Mineralität und gute Länge – WT95. Sicher aus guter Provinienz immer noch ein sehr schlauer Kauf. Als gewaltiges, noch stückweit unfertiges Kraftpaket mit sehr präsenten Tanninen und guter Säurestruktur, aber auch sehr schöner, präziser Frucht zeigte sich der 1989 Latour mit viel Tiefgang und guter Mineralität – WT95+. Ein Wein mit enormem Potential und großer Zukunft, der sicher auch von längerem Dekantieren profitiert hätte. Auch der ist, besonders angesichts mieser Parker-Bewertung („late, 89/100“) ein schlauer, preiswürdiger Kauf. Für mich wird das in 10 Jahren mal ein ganz großer Latour, der noch etliche Dekaden vor sich hat. Deutlich besser als hier in dieser Probe kenne ich den 1989 Lynch Bages. Rauchig die Nase mit saftiger Frucht, Schokolade, aber auch ein für diesen Wein irritierender Paprikaton, vielleicht war es auch hier die fehlende Dekantierzeit, den dieser normalerweise grandiose Lynch Bages geht besser als WT95.

Ein sehr spannendes Bordeaux-Jahr ist 1995, das erste gute nach der langen 1991-1994 Durststrecke. Gleich vier wunderbare Weine aus diesem Jahrgang hatten wir im Glas. Frisch und jugendlich zeigte sich der 1995 Latour mit präziser, rotbeeriger Frucht und sogar etwas Süße, sehr fein und finessig wirkend, mal ein eleganter Latour. Doch da waren auch die sehr präsenten, immer noch etwas bissigen, mächtigen Tannine und – oh Graus – der Latour schien im Glas etwas zu zu gehen – WT95+. Da schadet es nicht, die Kiste noch ein paar Jahre zu zu lassen. Sehr kraftvoll auch der Auftritt des 1995 Mouton Rothschild, der ebenfalls noch über ein strammes Tannin- und Säuregerüst verfügt. Dunkle Früchte, Minze und ein Hauch von Eukalyptus, am Gaumen jugendlich mit feiner Fülle, auch das ein Wein mit enormem Potential – WT95+. Zugänglicher die 1995 Pichon Comtesse de Lalande mit feiner, rotbeeriger Frucht, Kräuter, mit feinem Schmelz und Fülle, aber auch viel Kraft und spürbaren Tanninen, das ist (noch) keine Schmuse-Comtesse, zeigt noch etwas Ecken und Kanten und wird wohl ähnlich dem 86er noch eine ganze Weile dafür brauchen – WT95. Der von der aktuellen Trinkbarkeit schönste Wein dieses Flights war der 1995 Pichon Baron. Kräftig, druckvoll, aber auch stimmig und elegant mit Kaffee und immer noch feiner Röstaromatik – WT96.

Dar unbestrittene Star dieser Probe, noch etwas über Figeac, war der 2002 Mouton Rothschild. 2002 gehört nicht zu den großen Bordeaux-Jahrgängen, aber auf Mouton haben sie in diesem Jahr wohl alles richtig gemacht. Ein großer Mouton aus einem Guss, enorm kräftig mit der klassischen Struktur eines großen Pauillac, aber auch mit der verschwenderischen Mouton Aromatik. Cassis, Minze, Sattelleder und Bleistift, dazu jugendliche Röstaromatik kombiniert mit einem kräftigen Gerüst reifer Tannine ergeben einen flüssigen Traum, der sich über etliche Dekaden weiterentwickeln und entfalten wird – WT97+. Erstaunlich gut auch 2003 Clerc Milon, der deutlich zeigte, dass Qualität und Langlebigkeit in Pauillac auch für deutlich weniger Geld zu bekommen sind. Trotz des reiferen, wärmeren Jahres zeigte der eine schöne Frucht und eine gute Struktur. Ein sehr gelungener, absolut stimmiger Pauillac – WT94. Warum die beiden Clerc Milons so gut waren? Neben der unbestreitbaren Qualität liegt es wohl auch daran, dass beide Weine aus hervorragenden Kellern kamen, in denen ihnen die gleiche Pflege zuteil wurden, wie den großen Gewächsen.

Und dann waren da noch die beiden Comtesse-Zwillinge. Die 2003 Pichon Comtesse de Lalande war voll da mit üppiger, leicht laktischer Beerenfrucht, ein echter Charmeur, wie man es von diesem Gut gewöhnt ist. Da fehlt vielleicht etwas die Struktur, aber dafür macht dieser Wein einfach hemmungslosen Spaß und wird das sicher noch gut 10 weitere Jahre tun – WT94. Die 2005 Pichon Comtesse de Lalande habe ich früher nie gemocht und z.B. in den Arrivage-Proben 2008 mal gerade mit WT87 bewertet. Aber inzwischen ist überraschend aus dem hässlichen Entlein ein stolzer Schwan geworden. Mehr Pauillac als der 2003er mit traumhafter Frucht, aber auch großartiger Struktur und Mineralität, und der Comtesse-Charme wird vielleicht noch irgendwann in den nächsten 20 Jahren nachgeliefert – WT95.

Zu Stevies genialem Dessert gab es als Abschluss dann noch einen feinen Sauternes. Der 1990 Guiraud wirkte deutlich frischer als die Parkersche Papierform mit reifer, gelber, leicht exotischer Frucht, feinem, süßem Schmelz und guter Säure – WT92.

Sehr wohl gefühlt habe ich mich in dieser Kölner Runde, der ich nur ein großes Kompliment machen kann. Prächtige Stimmung, sehr viel Wein Know How und echte Kennerschaft, was Hege und Pflege von Weinen angeht. Keine Wanderpokale, Ebay-Schnäppchen oder sonstige Ausreißer, hier kamen nur top-gelagerte Weine ins Glas. Würde ich sehr gerne mal wieder hin, in diese Runde.