Last Call?

War das, was wir da im Berens am Kai erleben durfte, die vielleicht letzte, größere Probe in diesem Jahr? Irgendwie erinnerte das im voll besetzten Restaurant nicht nur wegen der 23 Uhr Sperrstunde in einer Art Endzeitstimmung an die letzte Probe im März vor dem Corona Lockdown. Sei es drum, wir haben diesen Abend mit Tobis traumhaften Weinen und großartiger Küche in vollen Zügen genossen.

Als Apero schenkte uns unser spendabler Gastgeber ein 2004 Krug Vintage Champagner ein. Die Bubbly-Experten unter uns, allen voran Alper, haben den sofort erkannt. Ich hab mich da etwas schwerer getan. Der war sehr schlank, sehr präzise und sehr mineralisch. Erst mit viel Luft im Glas und steigenden Temperaturen zeigte sich da mit mehr Fülle und mit Röstaromatik der klassische Krug als Champagner für Rotweintrinker. Und meine Bewertung ging sprunghaft nach oben und landete schließlich bei WT95. Merke: gute Jahrgangschampagner und vor allem Krug darf man rechtzeitig dekantieren.

Als Solitär kam danach ein famoser 2011 Montrachet Grand Cru von Bouchard ins Glas. Der hatte erst eine leicht irritierende Spontinase, die aber rasch verflog. Ein gewaltiger Wein mit enormer Substanz, der dem großen Namen und der Lage voll gerecht wurde. Kam schlank, präzise und finessig ins Glas, brauchte aber zur vollen Entfaltung Luft und Temperatur. Wurde voller und kräftiger mit glockenklarer Frucht, guter Mineralität und schönem Schmelz. Hat durchaus noch Potential für mehr – WT96+.

Ein Traumflight danach zwei gereifte Champagner aus perfekten Flaschen, natürlich dekantiert. Tiefes Goldgelb, aber auch noch lebhaftes Mousseux zeigte der 1979 Roederer Cristal. Der war bei aller Zugänglichkeit noch so frisch mit cremiger Textur, mit Apfel, Zitrus und Toffee, sehr elegant und fein, einfach der große Finessenmeister – WT97. Etwas tiefer die Farbe des sehr kräftigen, im besten Sinne kernigen 1982 Krug Vintage Champagner, auch der noch mit sehr guter Perlage und toller Struktur. Verwöhnte mit gerösteten Haselnüssen, dicker Bauernbrotkruste und war sehr komplex und lang. Von den vielen Flaschen dieses großen Champagners, die ich bisher getrunken habe (1982 ist mein Hochzeitsjahr), war das eine der allerbesten und qualitativ auf einem Level mit Clos des Mesnils – WT98.

Für einen Chablis hielt ich blind den 2004 Batard Montrachet von Pierre Yves Colin, der schlank, präzise, mineralisch und mit guter Säure ins Glas kam und wenig von der eher opulenteren Fülle eines Batard zeigte. Eine feine Vanillenote und etwas Popcorn zeigte dieser Wein, der noch viel Potential besitzt und sich über viele Jahre weiterentwickeln dürfte – WT96+. Im anderen Glas der Montrachet unter den Rieslingen, dieses gewaltige, unkaputtbare 2004 Kirchenstück Riesling GC von Bürklin-Wolf, das in einem großen Spannungsbogen Rasse, Präzision und Frische mit der aromatischen Pracht und Fülle eines großen, weißen Burgunders verbindet. Kein Wunder, dass dieser große Wein mit seiner kalkigen Mineralität, seiner druckvollen Aromatik und seiner feinen Extraktsüße als der Montrachet unter den Rieslingen bezeichnet wird. Aus gut gelagerten Flaschen wie dieser dürfte er sein gewaltiges Alterungspotential voll ausschöpfen und über die nächsten 15-20 Jahre durchaus noch weiter zulegen – WT98+.

Was für ein Traum diese zwei Riesling Giganten von Keller. Die atemberaubend schöne, hoch elegante 2010 Abtserde mit ihrer intensiven Mineralität und der laserscharfen Präzision ist in einem einfach bestechenden Trinkstadium mit unerhörter Brillianz, noch immer so jugendlich mit gewaltigem Potential – WT99+(!). Da entsteht eine echte Weinlegende. Das verleitete mich in unserer Blindprobe zu der Aussage, dass ich diese Abtserde gerne mal gegen den ebenfalls legendären 1990 Pettenthal trinken würde, den ich, nicht wissend natürlich, dass genau dieser Wein im anderen Glas war. Auf sehr hohem Niveau konnte diesmal der etwas fülligere, reifer wirkende Pettenthal, das Beste vom Roten Hang mit einem gefühlten Schuss Corton Charlemagne, nicht ganz mit – WT97. Aber das könnte sich innerhalb der nächsten 20+ Jahre bei weiteren Vergleichen dieser Giganten jeweils wieder ändern.

Noch nie so richtig anfreunden konnte ich mich mit den La Grande Rue von Lamarche aus dieser, an La Romanée und Romanée Conti angrenzenden Monopollage. Etwas irritierend beim 2009 La Grande Rue zu Anfang die grüne Banane in der Nase. Üppige, süße Kirschfrucht, enorme Fülle und gute Mineralität, aber an Struktur und Tiefgang mangelte es etwas – WT94. Deutlich besser der 2010 La Grande Rue von Lamarche. Blutjung wirkend, sehr präzise, puristische Aromatik, fast wie eine rote Abtserde, irre Spannung, Energie und Zukunft, da kommt noch deutlich mehr – WT96+.

Ein echter Gigant und eine kalifornische Legende dieser immer noch so jung und lebhaft wirkende 1974 Ridge Monte Bello, der uns mit süßer pflaumiger und kirschiger Frucht verwöhnte, sehr minzig, aber auch mit etwas Eukalyptus und der gewaltigen Struktur eines großen Pauillac. Tiefe, altersfreie Farbe, geradezu athletische Proportionen, dabei so balanciert und schlank mit gewaltigem, aromatischem Druck, das war einfach Monte Bello vom feinsten und ein klarer WT100 Wein. Das hat mich richtig begeistert, aber eigentlich nicht überrascht, den ich Glücklicher hatte diesen unsterblichen Wein in den letzten Jahren mehrfach perfekt im Glas. Und die nächste Flasche hat sich fürs nächste Jahr schon angekündigt. Überrascht hat mich hingegen der hervorragende Auftritt des 1984 Ridge Monte Bello. Der hat schon wieder zugelegt und zeigte sich hier aus meiner bisherbesten Flasche mit saftiger, minziger Kirschfrucht, fantastischer Frische und der Strutur eines großen Latour wie eine jüngere Version des 1974ers. Da waren jetzt WT98 fällig, durchaus noch mit weiterem Steigerungspotential.

Und natürlich gab es an diesem Abend auch einen absoluten GAU, einen größten, anzunehmenden Unfall. Ausgerechnet der legendäre 1982 Latour hatte einen immer stärker werdenden Kork. Da halfen auch keine Wiederbelebungsversuche. Wir hätten ihn alle gerne gegen diesen überragenden 1982 Lafite Rothschild im anderen Glas getrunken. So brillierte dieser so unglaublich stimmige, perfekt balancierte Lafite mit seiner geradezu aristokratischen, noblen Eleganz als schlichtweg perfekter Solitär – WT100. Das war jetzt übrigens dir dritte Flasche, die ich aus einer perfekten OHK unseres spendablen Gastgebers trinken durfte. Da kann ich nur hoffen, dass ich auch bei einigen der nächsten Flaschen dabei bin. In meinem eigenen Keller ist nämlich beim 82er Lafite-Ebbe.

Und auch im nächsten Flight war wieder ein immer noch so junges Mörderteil, das auf dem Wege zur Perfektion sein dürfte. Dieser immer noch jugendlich wirkende 1989 Hermitage von Chave zeigte einen sehr gelungenen Spagat aus Kraft und Eleganz. Traumhafte rote und dunkle Früchte mit viel Minze und auch Eukalyptus, sehr würzig, pfeffrig mit feinen Kräutern, ätherisch wirkend und mit burgundischen Konturen, die enorme Kraft gut verpackt, Das waren locker wieder WT99, und ich bin sicher, da kommt in ein paar Jahren noch ein Punkt dazu. Der 1989 La Turque von Guigal war sehr offen, exotisch, erotisch, würzig, explosiv und füllig am Gaumen, ein sensationelles Feuerwerk der Aromen, wirkte aber auch reif und kam auf hohem Niveau mit der druckvollen Aromatik des Chave nicht ganz mit – WT98.

Genialer Schlussakkord dann zwei Vega Sicilia Unicos. Die beiden besten, je produzierten Unicos dürften 1968 und 1970 sein, die ich aus eigenem Keller schon mit allergrößtem Vergnügen gegeneinander getrunken habe. Hier jetzt also als erste Flasche der immer noch so jugendliche, spektakuläre 1970 Vega Sicilia Unico. Sehr elegant und kraftvoll zugleich mit würziger, rotbeeriger Frucht und einer geradezu aristokratischen, noblen Struktur, mit tiefer Mineralität, dabei ein so balancierter, kompletter, großer Rotwein mit gewaltiger Komplexität und Länge. Absolute Weltklasse, würde in jeder Art von Rotweintasting eine hervorragende Figur machen und kann noch einige Dekaden weiter altern – WT100. Vega Sicilia ist Ribera del Duero und hat aromatisch mit Rioja nichts zu tun. Vega Sicilia war seiner Zeit immer voraus und ist seit ewigen Zeiten ein Musterbeispiel für große Weine dieser spannenden Region. Der 1990 Vega Sicila Unico im anderen Glas ist bei ähnlicher Stilistik eine kleinere, etwas leichtere Version des 70ers, etwas voller, offener, mit süßer, würziger Frucht und feiner Kräuternote. Aber es fehlt ihm etwas der Tiefgang und die Länge des 70ers. Wobei, er ist 20 Jahre jünger, da könnte also noch einiges kommen – WT95+.