Weinprobe mal anders

In kleiner Runde trafen wir uns im Familienkreis zur Voreinweihung einer neuen Küche an einer superlangen Tafel, an die ohne Corona sicher mehr als doppelt so viele Leute gepasst hätten. Als Thema hatte ich mir etwas Besonderes ausgedacht, zur Nachahmung unbedingt empfohlen. Aus jedem Geburtsjahr der Teilnehmer hatte ich eine Flasche ausgewählt. Aufgabe war es jetzt herauszufinden, welchem Teilnehmer – wir kannten natürlich alle unsere Geburtsjahre – der jeweilige Wein zuzuordnen war. Hat sehr viel Spaß gemacht, diese Verkostung, und war teilweise sehr überraschend.

Gestartet sind wir als Apero und Einstieg mit einem Wein, der eigentlich der Star einer jeden Weinprobe sein könnte, der 2010 Abtserde GG von Keller. Immer noch blutjung und unglaublich präzise mit traumhafter Frucht, rassiger Säure und intensiver, salziger, kalkiger Mineralität kam diese Abtserde ins Glas. Ein hoch spannender, fordernder Wein, der förmlich nach weiterer Lagerung schrie. Klar machte diese Abtserde schon verdammt viel Spaß. Aber 2015 bei Ingo Hillens großer Abtserde Vertikale im D‘ Vine notierte ich: „Dieser Wein hat einfach Potential für Perfektion und könnte in 5-10 Jahren mal die WT100 erreichen.“ Da bleibe ich bei, nur lassen wir die 5 mal weg. Hier und heute waren das locker WT96+, gerne auch etwas mehr. Aber meine restlichen 5 Flaschen kommen jetzt erst mal in eine hintere Kellerecke.

Natürlich kann diese Abtserde aus wärmerer Lagerung unterm Bett schon deutlich weiter sein. Und wem die Warterei, die bei großen Weinen nun mal nötig ist, auf den Senkel geht, der sollte seine 2010er Abtserden Klaus Peter Keller zum Kauf oder einem sicher hoch spannenden Tausch anbieten. KP weiß, was er an diesem Wein hat.

Schlichtweg atemberaubend kam danach der zweite Apero ins Glas, ein 2018 Chardonnay von Gantenbein, der vielleicht best ever. Bei aller Jugend schon so betörend und animierend mit feiner, leicht exotischer Frucht, so hoch elegant und balanciert mit sehr guter Mineralität und präziser Struktur, im positiven Sinne schlank mit dezentem Holz und in dieser Qualität auf Augenhöhe mit den größten, Weißen Burgundern. Hat enormes Potential, dürfte sehr gut altern, dabei zulegen und wird sehr nahe der Perfektion landen – WT97+.

Hochrisiko war dann der erste Ratewein unserer Verkostung, ein 1954 Carbonnieux Blanc aus Bordeaux mit brillianter, aber tiefer Farbe. Doch der war noch erstaunlich gut trinkbar. Reife Orange, cremige Fülle mit wenig Säure, etwas Nusscreme, wenig Alterstöne – WT90. Für Jahrgang und Alter war das höchst erstaunlich.

Hochrisiko Flasche Numero Zwei dann ein 1955 Cheval Blanc, dessen schrumpeliger, steinharter Korg sich schon gut 1 ½ Centimeter ins Flascheninnere bewegt hatte. Doch immerhin hatte er komplett gehalten. Und mit Hilfe des Durand konnte ich ihn gut aus der Flasche bekommen. Der war mit dichter, tiefroter Farbe mit wenig Orangenrand enorm kräftig im Auftritt. Klar war da auch Cheval Blanc typische Eleganz und Charme, aber mit seiner üppigen Fülle, der hedonistischen Opulenz und der leicht portigen Süße erinnerte er stark an den legendären 1947 Cheval Blanc – WT97.

Gute Erfahrungen habe ich bisher mit Burgundern auch aus meinem Geburtsjahrgang gemacht. Doch dieser 1950 Chambolle-Musigny in einer Negociant Abfüllung von Edouard Delanay war zwar noch gut trinkbar, zeigte aber schon deutliches Alter. Reife Nase mit etwas malziger Süße, aber auch oxidativen Noten, am schlanken, etwas kargen Gaumen deutliche Säure, die sogar noch den Anschein von Frische erweckte – WT86.

In absoluter Bestform zeigte sich der immer noch so frische, kraftvolle 1984 Ridge Monte Bello mit superber, saftiger Kirschfrucht, schöner Minze und einer sehr eleganten, balancierten Struktur, die eher an große Bordeaux erinnerte – WT97. Das war meine bisher beste, aber leider auch vorletzte Flasche. In dieser bestechenden Form sind für diesen Monte Bello noch locker 10+ Jahre drin

Der unbestrittene Superstar unserer Probe war der sensationell gute 1949 La Tour Haut Brion. Dieser 71jährige, perfekt gelagerte Senior mit altersfreier Farbe und sehr gutem Füllstand aus den Tiefen meines Kellers wurde am Tisch für Dekaden jünger gehalten. So frisch und noch so lebhaft zeigte er eine geradezu explosive Aromatik mit feiner, rotbeeriger Frucht, war so dicht und komplex, mit Teer, Lakritz und der klassischen Cigarbox. Dazu kam eine intensive Mineralität und eine großartige Länge, einfach Perfektion – WT100. Für mich kam das nicht überraschend, da ich diesen Wein schon mehrfach in dieser herausragenden Qualität erleben durfte.

Als Reserveflasche für den 1954 hatte ich noch einen 1954 Vina Real Reserva Especial von CVNE dabei in einer Flasche mit perfektem Füllstand dabei. Der zeigte sich altersfrei, nicht nur in der dichten Farbe, kräftig und unglaublich vital mit toller Struktur, hatte überhaupt nichts von reifen, älteren Riojas, und wurde am Tisch für einen Bordeaux aus den 80ern gehalten. Da waren am Tisch nicht nur von mir sofort WT96 fällig. Ältere Vina Reals und Imperials von CVNE von den 40ern bis in die 70er sind einfach eine sichere Bank. Voraussetzung ist allerdings eine einwandfreie Herkunft. Zahllose heiße Sommer im Erdgeschoss einer spanischen Bodega hält auch der beste dieser Weine nicht aus und zeigt sich dann oxidativ und rosinig. Ich habe selbst noch größere Bestände von CVNE Weinen bis in die Dreißiger und mache mir um diese Weine keine Sorgen.

Filigran, elegant mit betörender, rotbeeriger Frucht der sehr feine, kaum Alter zeigende 1971 Volnay 1er Cru Les Caillerets „Clos des 60 Ouvres“ von der Domaine La Pousse D´Or – WT93. Aus dem großen Burgunderjahrgang 1971 hätte ich hier noch mehr erwartet, aber in so einem großen Gemischwarenladen Bordeaux und Bordeaux-ähnlicher Gewächse tun sich solch ein eher schlanker Burgunder natürlich schwer.

Immer noch so jugendlich und frisch zeigte sich die 1983 Pichon Comtesse de Lalande aus einer perfekten Flasche. Ein seidig hoch eleganter Traum mit dem typischen Comtesse Charme und der Struktur eines großen Pauillac – WT96.

Geradezu sinnlich nicht nur die Nase dieses sehr feinen 2018 Pinot Noir von Gantenbein, wunderbares Spiel roter und blauer Beeren, so elegant und finessig mit der Pracht und Fülle eines großen Burgunders, dabei mit einer faszinierenden Leichtigkeit, dürfte sich erst in ein paar Jahren richtig öffnen, sehr gut altern und dabei deutlich zulegen – WT96+.

Und da noch Durst in der Runde bestand, aber hier noch kein fertiger Weinkeller war, bot sich ein kurzer Ausflug über die Straße ins Passion du Vin zu Michael Krieg an, der uns mit ein paar Flaschen aushelfen gut konnte. Gut entwickelt in erster Trinkreife zeigte sich der kräftige 2011 Figeac, immer noch mit etwas jugendliche Röstaromatik, Schwarzer Johannisbeere, gute Mineralität, Struktur und Säure, schöner Trinkfluss, könnte noch zulegen – WT92.

Reif mit guter Struktur und pflaumiger Frucht zeigte sich der 2000 Croix de Gay aus Pomerol, von dem ich allerdings in diesem großen Jahrgang mehr erwartet hätte – WT90.

Erstaunlich schön als Abschluss der 2010 Les Pagodes de Cos, der Zweitwein von Cos d´Estournel mit einer Qualität, wie man sieh bei Zweitweinen selten findet. Sehr schöne, dunkle Frucht, Zedernholz, Leder, erdige Mineralität, reife, weiche Tannine und mit viel Luft erster, feiner Schmelz – WT93 Mit dem lässt es sich gut auf die noch länger dauernde Reife des grandiosen Cos d´Estournel warten.