Wenn der Wunderbrunnen richtig sprudelt
Ganz in der Nähe des Züricher Flughafens liegt er, dieser Wunderbrunnen in Opfikon. Ein Gasthaus in bestem Sinne mit feiner Regionalküche und einer schier unglaublichen Weinauswahl. Gut 4300 sorgfältig ausgewählte und perfekt gelagerte Positionen zählte die Weinkarte bei unserem letzten Besuch. Bin gespannt, was eher passiert, der Grand Award des Wine Spectator, oder der Sprung der Weinkarte über die magische 5000er Marke. Beides dürfte nur eine Frage der Zeit sein.
In feiner Achterrunde haben wir uns diesmal getroffen, bestens betreut von Stefan Jost, der den Keller kennt wie kein anderer und alle feine perfekt ins Glas brachte. Als Apero starteten wir in einem der Keller mit 2008 Paul Roger Cuvée Winston Churchill, der wieder mit Rasse, Klasse, Fülle und feinem Nerv überzeugte, einer der besten dieser Cuvée bisher mit viel Potential. Gerade erst vor wenigen Tagen bei und mit Michelangelo Saitta getrunken, aber den kann man nicht oft genug ins Glas bekommen. Superbe Frucht, Grüne Äpfel, Limone, aber auch florale Noten, ein großer Korb frischen Backwerks, geröstete Haselnüsse, cremige Textur, feine Opulenz und eine ungeheure Trinkigkeit. Da scheiden sich jetzt die Geister. Den Filigranartisten graust es ob dieser Fülle, die Hedonisten bestellen gleich eine Magnum und lassen die zweite schon mal einkühlen. Trotz dieser Trinkigkeit lohnt es, von diesem Champagner, der viel Potential besitzt, ein paar Flaschen länger wegzulegen - WT96+. Kleiner Tipp: dekantieren und/oder große Gläser, es lohnt. Als Rarität folgte darauf einer der wenigen trockenen Prüm-Weine, eine 2008 Zeltinger Sonnenuhr Spätlese trocken. Ein eleganter, filigraner Wein mit wunderbarer Schiefermineralität, tänzelnd am Gaumen, die Prümsche Leichtigkeit des Seins in einer faszinierenden, trockenen Variante, die hier aber schon einen leichten Reifeton zeigte – WT93.
Einen ersten Chardonnay Flight, blind serviert, hatte Stefan Jost für uns vorbereitet. Dass der erste Wein ein 2008 Gantenbein Chardonnay sein sollte, konnten wir einfach nicht glauben. Dieser Wein hier stand mit deutlicher Restsüße und vegetalen Aromen, Kohl, Sauerkraut und Gurke völlig neben den Schuhen. Den 2008 Gantenbein Chardonnay hatte ich so oft im Glas. In den letzten Jahren war er auf WT95 Niveau auf dem Weg zum burgundischen Klassiker. Eigentlich hätten wir sofort in den Keller gemusst, um eine zweite Flasche zu holen. Leider nicht gemacht, dumm gelaufen. Der mittlere Wein sollte 2008 Penfolds Yattarna Chardonnay sein. Das ist gut nachvollziehbar, denn so, mit präziser, dezent exotischer Frucht, mit toller Frische und guter Säure, habe ich ihn schon erlebt – WT94. Und dann war da noch dieser 2008 Puligny Montraches 1er Cru Les Combettes von Carillon, für den wir uns nicht wirklich begeistern konnten. Mixed Pickles in der Nase, vegetale Aromen, wurde mit der Zeit etwas nussiger, blieb aber simpel – WT88. Wir haben lange diskutiert, ob die Reihenfolge der Flaschen gestimmt hat, denn beim mittleren Wein hatten wir alle auf einen Chardonnay aus der Bündner Herrschaft getippt. Aber einem Vollprofi wie dem Stefan würde solch ein Fehler nicht unterlaufen.
Weiter ging es mit einem ebenfalls blind servierten Pinot Noir Flight. Ganz großes Kino der 2008 Pinot Noir Hommage von Friedrich Becker, der mir ausnehmend gut gefiel. Ein sehr feiner, hoch eleganter Wein mit betörender, geradezu sinnlicher Frucht und guter Mineralität. Mit seinen burgundischen Konturen lag er noch über dem, erst wenige Tage vorher bei Jörg Müller auf Sylt getrunkenen „normalen“ 2008 Pinot – WT97. Blutjung noch zu Anfang der 2008 Gantenbein Pinot Noir mit viel Kraft, deutlichem Holz und jugendlicher Röstaromatik, brauchte viel Luft, glättete sich mit der Zeit im Glas und wurde eleganter und burgundischer – WT95. Eher Enttäuschend der 2008 Chambolle Musigny 1er Cru von Comtes de Vogüe. Zwetschgenkompott und Erdbeere, subtil und filigran, aber da fehlte irgendwie das Fleisch am Knochen. Wurde im Glas mit der Zeit etwas flacher und säuerlich – WT89.
Und dann ging es ins eingemachte. Spannung war angesagt, als der dekantierte 1923 Tâche Romanée von Chevillot ins Glas kam. Dieser Wein aus der Zeit, bevor La Tâche 1933 eine Monopollage von DRC wurde, hat einen Ruf wie Donnerhall, gerade auch in der Negociant-Abfüllung von Chevillot, wird aber auch oft gefälscht. 2013 hatte ich bei Uwe Bende mit dem perfekten 29er das 100 Punkte Erlebnis einer perfekten, echten 100 Punkte Flasche. Und jetzt und hier wiederholte sich das aus dem guten Burgunderjahr 1923. Mit dezent ätherisch-minziger Note und nur einem Hauch Möbelpolitur, der aber schnell verflog, und etwas Leder kam der Wein ins Glas. So elegant, so fein, geradezu leichtfüßig, und doch mit Druck, zeigte immer neue Facetten. Mit der Zeit kam sogar noch etwas rotbeerige Frucht dazu. Nein, dieser 97jährige Senior starb nicht im Glas, der baute sogar noch aus, war dabei so unglaublich harmonisch und stimmig, und die gute Säure verlieh ihm das Gefühl von Frische. Reifer Burgunder vom Allerfeinsten war dieser Tâche, ein einmaliges Erlebnis und klare WT100. Eine große Überraschung war auch der 1990 Gantenbein Blauburgunder Der war damals als letzter (von 1991 gab es zwei Versionen Stahl und Holzfass, ab 1992 wurde Holz Standard) komplett im Stahltank ausgebaut worden. Dieser Blauburgunder war altersfrei und erstaunlich kräftig und druckvoll, aber auch sehr feinfruchtig und elegant. Ich hatte diesen Wein zuletzt 2009 auf dem Gut in einer großen Gantenbein-Vertikale. Damals gefiel er mir schon gut, hat sich aber unglaublich weiterentwickelt. Das waren hier locker WT95 und eine perfekte Antwort auf die Frage „Und wie altert eigentlich Gantenbein?“. Deutlich mehr hatte ich vom 1959 Vosne Romanée Les Malconsorts von Pierre Bourré erwartet. Eigentlich zeigen die 1959er Burgunder noch so viel Jugend und traumhafte Frucht. Aber hier hat wohl, was bei jedem Wein passieren kann, der Korken etwas Luft gezogen, was den Wein über die Zeit oxidieren ließ. Man spürte die ursprüngliche Klasse, aber viel mehr auch nicht.
Darf man einen 28er und einen 75er neben einander stellen? Warum nicht, wenn beide noch solch ein unglaubliches Kaliber sind. Dieser noch so kraftvolle, altersfreie 1928 Léoville Poyferré war ein Musterbeispiel für diesen, von massiven Tanninen geprägten Jahrgang. Nach 92 Jahren endlich perfekt gereift mit dichter, gesunder Farbe, so elegant und balanciert mit verführerischer Süße, aber auch druckvoll mit genügend Rückgrat für weitere Alterung. Ein unkaputtbarer Wein, der im Glas weiter ausbaute – WT98. In Bestform präsentierte sich der immer noch so jung wirkende 1975 Mondavi Cabernet Sauvignon Reserve. Präsente, glockenklare, rotbeerige Frucht mit viel Minze und einem Hauch Eukalyptus, leicht jodig, Sattelleder, sehr druckvoll und mit geradezu unbändiger Kraft am Gaumen. Wirkte fast etwas wild und weckte Assoziationen an den 1975 Heitz Martha´s Vineyard. Das war Old School California in klassischer Bordeaux Stilistik vom Feinsten – WT97. Die faszinierenden Mondavi Cabernets aus den 70ern und davor (der erste war 1966) sind immer noch eine Bank, wobei es nicht mal der Reserve sein muss. Ich konnte in den letzten Jahren vom normalen Cabernet noch 1968, 1969, 1970 und 1971 nachkaufen, die ausnahmslos überzeugten.
Klar, die gigantische Weinauswahl hat der Roger Hirzel nicht komplett selbst gesammelt. Und da passiert es schon mal, dass sich ein vermeintlicher Kellerfund als Dachbodenfund entpuppt. Dieser 1986 Gruaud Larose war erstaunlich offen, sehr süß und auch etwas offensichtlich. Wohl eine zu warm quasi zwangsgereifte Flasche – WT94. Anders der sehr kräftige, dichte 1986 Lynch Bages mit immer noch kräftigem Tanningerüst, der derzeit mehr Bitterstoffe als Frucht zeigt. Da könnte aber mit Geduld noch mal richtig was draus werden – WT94+.
Ein absoluter Ausnahmewein und ein immer noch so jugendlicher Traum der „best ever“ 1989 Lynch Bages. Ein großartiger Pauillac mit präziser Cassis Frucht, Zedernholz, Leder Bleistift Mineralität und fantastischer Struktur, zeigte gewaltige Länge und war mit wohldosierter Opulenz Vergnügen pur im Glas, jetzt und für die nächsten 20+ Jahre – WT99. Etwas klassischer der 1989 Leoville las Cases, den ich noch nie so gut im Glas hatte. Brilliante, junge Farbe, puristisch schöne dunkle und rote Beerenfrucht, Leder, Tabak, auch der mit großartiger Struktur und kühler Eleganz, ein charismatischer Wein mit immenser Strahlkraft und sicher langer Zukunft, könnte durchaus noch zulegen – WT97.
Perfekter Abschluss ein 2010 Chambertin Clos de Bèze von Joseph Drouhin, der mit nobler Eleganz etwas Understatement zeige, aber sicher noch zulegen dürfte. Betörend die warm-würzige Kirschfrucht, dazu feiner Schmelz, sehr balanciert, aber auch mit viel Spannung, gutes Tannin- und Säuregerüst, gute Länge – WT95+.
Wenn so ein Weinfanatiker und Gesinnungstäter wie Inhaber Roger Hirzel und seine bezaubernde Nadja, deren Herz der hervorragenden Küche gehört, solch ein Objekt wie diesen Wunderbrunnen verwirklichen, dann muss einfach etwas ganz Besonderes dabei rauskommen. Ich war jetzt zum dritten Mal da und freue mich schon auf den nächsten Besuch. Der Flughafen liegt ja quasi direkt ums Eck, und dieser Wunderbrunnen ist jeden Flug wert.