Best Bottle vom Feinsten

An den ursprünglichen Geist einer Best Bottle erinnerte uns unser Kölner Freund Dieter, der mit einem über 100 Jahre alten Yquem unsere Probe bereicherte. Als diese Best Bottles Ende der 80er in Deutschland entstanden, waren das richtige, begehrte Wettbewerbe. Man konnte/musste sich mit einer hochkarätigen Flasche bewerben, und nur die besten wurden dann auch genommen. Dieser Gedanke verwässerte sich dann über die Jahre. Ich kann mich noch an etliche Proben dieser Art erinnern, wo bei manchem Teilnehmer eher die Motivation einer „Entsorga“ bei der Wahl seiner Flasche(n) im Vordergrund stand. Legendär vor langen Jahren, als wir zwei Kandidaten, beide mit der identischen Magnum aus dem aktuellen Mövenpick Sonderangebot, nachhause in den eigenen Keller zum Nachlegen schickten. Inzwischen ist das deutlich besser geworden. Jetzt in Coronazeiten sind diese Proben leider ohnehin weniger geworden und der Kreis meist kleiner, wobei letzteres nicht unbedingt von Nachteil ist.

In solch kleiner, dafür aber sehr feiner Runde trafen wir uns im Berens am Kai, wo uns Holger Berens wieder mit schlichtweg atemberaubender Küche verwöhnte. Restaurantchefin Barbara Beerweiler spielte wieder sehr gekonnt die Rolle der Sommelière. Sie sammelte unsere Flaschen ein, stellte sie für uns alt Blindprobe wieder sehr gekonnt zu spannenden und manchmal auch überraschenden Flights zusammen, und brachte die Weine perfekt dekantiert und in idealer Temperatur auf den Tisch.

A propos „Entsorga“. Ich hatte zusätzlich zwei Risikoflaschen mitgebracht, die nicht zum offiziellen Programm gehörten, in die ich einfach mal neugierig reinriechen wollte. Das erste war eine 1971 Westhofener Morstein Spätlese vom Weingut Fehlinger in Westhofen. Die hatte eine helle, ins güldene gehende Farbe, viel Bienenwachs, apfelige Frucht, feine Süße, gute Säure und Mineralität – WT92. Das andere war ein für wenig Geld vor längerem bei Ebay erworbener 1921 Wachenheimer Königswingert von einer Weingroßhandlung Karl Eberhardt aus Dresden mit etwa 10 cm Schwund. Von diesem 100jährigen Senior hatte ich mir in dem Zustand eigentlich überhaupt nichts versprochen. Der hatte die Farbe und Aromatik eines älteren Colheita Ports, kräuterig mit intensiver Säure und etwas Restsüße. Doch statt entgültig abzubauen legte der sogar noch zu, vielleicht ein letztes Aufbäumen, entwickelte eine feine Karamellnote und war noch erstaunlich gut zu trinken – WT86. Die dritte Flasche des Vorprogramms, einen 2012 Pierre Morlet Champagne Brut Millesimé, hatte unser Freund Burkhard aus den USA mitgebracht. Dort hat Luc Morlet, Sproß dieses kleinen Weingutes in Ay in der Champagne nach Stationen als Winemaker bei Newton und Peter Michael mit den Morlet Family Vineyards Karriere gemacht. Er importiert heute fast die komplette Ernte des französischen Familiengutes in die USA. So kam dieser französische Champagner, den man hier nicht kaufen kann, aus den USA zu uns. Ein sehr kräftiger, weiniger Champagner mit etwas Funk in der Nase – WT92.

Und dann ging es gleich richtig los mit dem überragenden, 102jährigen 1919 Chateau d´Yquem. Die immer noch klare, brilliante Farbe zeigte tiefes, dunkles Braun mit ersten Schwarztönen. Ein perfekt balanciertes Monument mit unglaublichem Tiefgang und Länge, mit feiner Süße ohne jegliches Gefühl von Klebrigkeit, dazu viel Spannung und immer noch gute, balancierende Säure, die sogar ein Gefühl von Frische verlieh. Sehr vielschichtig war dieser Yquem mit Aromen von Bitterorange, Crème Brulée, Bitterschokolade, dunklem Karamell und gegrillten Maroni. So wunderbar harmonisch und einfach komplett war dieser Yquem, dass sich bei aller Intensität fast ein Gefühl von Leichtigkeit einstellte – klare WT100. Wenn man so einen perfekt gereiften Wein vor sich hat, der sicher noch weitere 50 Jahre altern kann, dann macht das einfach nur sprachlos und glücklich.

1971 ist derzeit ein gefragter Jubiläumsjahrgang. Die besten und bestens gelagerten 71er sind derzeit in gleich gutem Zustand wie die 50jährigen Geburtstagskinder aus diesem Jahrgang. Und da wir mit René ein solches Prachtexemplar in unserer Runde hatten, war es kein Wunder, dass auch einige Weine aus diesem Jahrgang dabei waren. Die Burgunder aus 1971 gelten nicht nur als groß, sie altern auch sehr gut. Der 1971 Echezeaux von Clos Frantin war kräftig, dicht und würzig mit feiner Süße und schönem Schmelz, baute enorm im Glas aus und hat sicher noch längere Zukunft – WT95. Sehr fein, elegant und altersfrei war aus perfekter Flasche mit lausigem Etikett der 1971 Mouton Rothschild mit guter Cassis Frucht, Leder, einem Hauch Minze und Bleistift Mineralität. Die große Überraschung auch hier, wie dieser nur kurz dekantierte Wein im Glas ausbaute und an Kraft und Substanz gewann. So kletterte unser Rating auf WT95. Hatte ich noch nie so gut im Glas. In Bordeaux galt 1971 eigentlich als guter Jahrgang das das rechte Ufer, insbesondere Pomerol, und weniger für Medoc. Aber im Medoc scheinen einfach ein paar Weine länger gebraucht zu haben. Überragend auch wieder der 1971 Palmer mit sehr dichter Farbe, schmusig wie ein Teddybär mit der klassischen, burgundischen Eleganz von Palmer, aber auch so dicht und kraftvoll, einfach ein großer, kompletter Margaux – WT95. Die Spitze unter all diesen wunderbaren 71ern war dann aber, wiederum aus perfekter Flasche, der 1971 Latour-à-Pomerol. Immer noch so kräftig zeigte der sich mit generöser Fülle, feiner, rotbeeriger Frucht, kandierten Kräutern und schokoladigem Schmelz, einfach flüssiger Hedonismus und Pomerol in Perfektion mit sicher noch 10+ Jahren Zukunft - WT97. Nur einmal, 2000, hatte ich den bisher in dieser großartigen Form, sonst meistens WT93-95. Es lohnt also, nach sehr gut gelagerten Flaschen in entsprechendem Zustand zu suchen. Latour-à-Pomerol steht zu Unrecht im Schatten großer Namen in Pomerol. Auf diesem Gut wurden in Jahren wie 47, 50, 59 und 61 Legenden erzeugt. Bei gut gelagerten, älteren Latour-à-Pomerols schlage ich nach wie vor gerne zu.

Einer meiner Lieblingsweine aus1964 ist der schon sehr häufig getrunkene 1964 Cheval Blanc. Aus gut gelagerten Flaschen (ich kenne leider auch andere) ist das einfach ein Traum. Aus dieser hier mit perfektem Füllstand war das Cheval Blanc wie ich ihn liebe. Alleine schon diese Nase mit diesem unglaublichen, unnachahmlichen Cheval Blanc Parfüm, da könnte ich stundenlang dran riechen. Wunderbare, feine Frucht, Waldboden, viel Trüffel, so seidig-elegant aber auch kraftvoll mit noch viel Substanz, viel Tiefgang, Komplexität und Länge, das war ein großer Cheval mit nobler Struktur, bei dem keine Eile besteht – WT97.

Traumhafte Weine wurden in den 70ern in Kalifornien produziert. Eigentlich waren diese Old School Kalifornier die besseren Bordeaux. Ich liebe diese Weine schon immer, aber leider machen das die Amerikaner inzwischen auch, was die Preise in astronomische Höhen treibt. Umso schöner war es, eine dieser damaligen Legenden, den 1978 Chateau Montelena Cabernet Sauvignon Estate aus einer perfekten Flasche ins Glas zu bekommen. Wunderbare, ausdrucksstarke Nase mit feiner Kirschfrucht, Cola, Minze und Eukalyptus, die an Heitz Martha´s erinnerte, sehr elegant, perfekt gereift und doch noch frisch mit feinem, süßem Schmelz, voll trinkreif, wird sich mit enormer Kraft aber auf sehr hohem Niveau noch länger halten – WT97. Im anderen Glas eine moderne, kalifornische Legende, der 2001 Colgin Herb Lamb Vineyard. Was für ein Tier von Wein mit unbändiger Kraft und explosiver, leicht opulenter Aromatik. Immer noch jugendlich mit Schwarzkirsche und Cassis, Minze, Eukalyptus, dunklen Oliven, Sattelleder und großartiger Struktur. Kraftvoll, und balanciert mit toller Länge, dabei erstaunlich elegant und geradezu betörend – WT97+.

Kraft schlägt Finesse, hieß es dann im nächsten Flight. Nicht etwa, dass der 1990 Cheval Blanc ein schlechter Wein wäre. Diese ursprünglich etwas wilde, opulente Wiedergeburt des legendären 47ers zeigte sich sehr fein, sehr elegant, immer noch enorm druckvoll, aber hier auf sehr hohem Niveau auch fast etwas zurückhaltend, als ob er sich etwas verschließen wollte – WT97(+?). Aber vielleicht lag es ganz einfach auch am späteren Abend, am langsam müde werdenden Gaumen und daran, dass dieser Finessenmeister im direkten Vergleich etwas unter die Räder dieses jugendlichen, kalifornischen Boliden kamen. Der 2009 Ridge Monte Bello, dieser großartige Pauillac aus Kalifornien war schlichtweg der absolute Wahnsinn. Schon fast ein Monster Bello zeigte sich dieser blutjunge Wein so explosiv, so druckvoll. Mag sein, dass er hier den Auftritt seines Lebens hatte. Vor zwei Jahren habe ich den noch mit WT94 bewertet, jetzt und hier waren das unglaubliche WT98. Den brauche ich unbedingt noch mal wieder ins Glas, da muss eine B-Probe her.

Den Abschluss unserer Best Bottle bildeten zwei großartige Bordeaux aus dem Jahrgang 1998. Für das rechte Ufer gilt dieser Jahrgang als sehr groß mit Jahrgangsspitzen wie 1998 Cheval Blanc. Ein hedonistischer Kraftbolzen war dieser 1998 Angelus, dicht, kräftig, üppig mit satter, reifer Frucht, aber auch mit Charme, könnte durchaus noch zulegen in den nächsten 20+ Jahren – WT97. Schlichtweg atemberaubend dieser junge, konzentrierte, dichte 1998 Haut Brion mit perfektem Spagat aus Kraft und Eleganz mit riesengroßer Zukunft. Macht schon so unglaublich viel Spaß, aber meine beiden OHKs bleiben noch zu, den der hier könnte in 5-10+ Jahren eine moderne Version des legendären 89ers werden – WT97+.