Boxenstopp

Tradition hat er inzwischen, unser Boxenstopp auf dem Wege ins Engadin im weihnachtlichen Bad Ragaz. Mit unseren Freunden, den Gantenbeins, und weiteren Freunden treffen wir uns im Rössli bei Doris und Ueli Kellenberger und genießen zu einem feinen Menü von Ueli feine Weine, wozu immer ein doppeltes Sixpack alter Burgunder aus Wineterminators Keller gehört. Doris brachte auch diesmal wieder die Weine gekonnt in bester Form ins Glas.

Start war blind ein großartiger 2008 Taittinger Comtes de Champagne Blanc de Blancs. Weine blind zu erraten ist nicht so ganz einfach. Außer Kenntnis und Verkostungserfahrung gehört auch eine Menge Glück dazu. Aber hier war ich mir absolut sicher. Dieser prächtige, noch so unglaublich junge Champagner hatte einfach alles. Feine Zitrusfrucht, fisches Brioche, die große Nuss- und Mandelmischung, sehr gute Säure, intensive, kalkige Mineralität und vor allem war er so unglaublich elegant und finessig. Dieser überragende Comtes de Champagne ist einer der besten, jemals produzierten. Ich bin großer Fan dieses Champagners und liebe ihn eigentlich reifer. So habe ich kürzlich erst wieder den großartigen 99er getrunken und habe auch den fantastischen 90er noch im Keller. Dieser hier war aber trotz seiner Jugend schon so zugänglich und machte soviel Spaß. Da waren WT97+ fällig, wobei ich mich nicht wundern würde, wenn das Rating in den nächsten 5-10 Jahren auf WT99 klettert.

Gleich beim ersten Burgunder stand ich wieder auf dem Schlauch. Ich wusste zwar ungefähr, was ich mitgebracht hatte. Aber selbst für den jugendlichen, 50jährigen 71er, den ich dabei hatte, schien mir dieser Wein hier fast zu jung. Aber es war meine älteste Flasche, ein 1921 Hospice de Beaune Savigny-Vergelesses, erworben und abgefüllt von Morin Père et Fils, in sehr gutem Zustand mit Originalkork. Nur die gesunde Farbe dieses fast altersfreien Giganten zeigte mit etwas Organgenrand gewisse Reife. Aber da war immer noch so schöne, klare Frucht, soviel Kraft, gute Säure und eine formidable Struktur, dazu wunderbare Fülle und generöse Süße. Ein burgundischer Traum war das mit großartiger Länge, hielt sich über Stunden ohne abzubauen im Glas bis auch der letzte Tropfen ausgetrunken war. Ja, dieser so vitale 100jährige Burgunder machte sprachlos. Der leidenschaftslose Weinbuchhalter in mir rechnete da mit WT98, aber da rückte ihn der begeisterte Weinliebhaber zurecht. Für dieses grandiose Erlebnis gab es nur eine mögliche Bewertung: WT100.

Sehr reif war schon die Farbe des 1937 Beaune Clos des Ursules von Jadot, reifes, helles Braun. Wirkte auch in der Nase und auch am Gaumen schon sehr reif mit Kaffee und Liebstöckel, dabei ziemlich fragil. Erstaunlich war, wie sich dieser Wein mit Luft zunehmend im Glas aufbäumte und dabei eine feine, generöse Süße entwickelte. Senil ist irgendwie doch anders. Trank sich ziemlich gut – WT93. Mich erstaunt immer wieder, wie selbst gebrechliche, alte Burgunder mit Luft immer nochmal zulegen. Das ist der Grund, warum wir aufgrund langjähriger Erfahrung alte Weine und natürlich auch Burgunder grundsätzlich dekantieren. Nicht stundenlang natürlich, sondern nur kurz vor dem Einschenken.

Was mich bei älteren Burgundern immer überrascht, sind sehr gute Weine auch aus schwächeren Jahren. Dieser 1938 Hospice de Nuits Cuvée Carnot von Reine Pedauque war so ein Beispiel. Mit erstaunlich dichter Farbe schien dieser wein erst korkig. Wir stellten ihn einfach in der Karaffe für einige Zeit weg. Danach zeigte er sich wie verwandelt ohne jeden Fehlton. Er zeigte sich noch mit erstaunlicher Kraft, würzig mit generöser Süße und schöner Fülle – WT94. Ob da eine Ladung des großen Jahrgangs 1937 mit drin war?

Sensationell die noch geradezu jugendliche, brilliante Farbe des 1945 Gevrey Chambertin von Pierre André aus einer Flasche mit sehr gutem Füllstand. Auch hier deutete sich zu Anfang ein korkähnlicher Fehlton an. Aber der verschwand mit der Zeit. Der Wein baute enorm aus, wurde dichter, kräftiger mit enormer Länge, blieb dabei aber sehr elegant und fein mit der schönen Süße eines reifen Burgunders – WT94.

Mehr versprochen hatte ich mir auch von einem 1949 Gevrey Chambertin von Piat versprochen. Der zeigte sich erst ziemlich reif mit bräunlicher Farbe, zeigte dann aber das enorme Standvermögen älterer Burgunder, baute enorm im Glas aus und entwickelte feinen Schmelz – WT92.

Wie groß Burgunder aus dem hervorragenden Jahrgang 1949 sein können, zeige in beeindruckender Form ein 1949 Vosne Romanée 1er Cru von Altmeister René Engel. Das war ein traumhafter, großer, kompletter Burgunder mit noch fast jugendlicher Frische, mit feiner Frucht, einer geradezu betörenden Leichtigkeit, mit feiner Süße, so elegant und finessig mit schöner Länge, gestützt durch gute Säure – WT99.

Das Problem eines wohl nicht komplett schließenden Korken schien leider trotz guter Farbe der 1953 Chambertin Cuvée Heritieres Latour von Louis Latour zu haben, der zeigte zwar Ansätze von der Pracht und Fülle eines Chambertin und auch feine Süße, aber eben auch viel flüchtige Säure und war dadurch eher schwierig zu verkosten – WT87. Das war schade, denn ich habe mit diesem Wein schon sehr gute Erfahrungen gemacht. Selbst eine halbe Flasche aus dem schwächeren Jahr 1952 war vor ein paar Jahren absolut grandios.

Ein Highlight sind in unseren Burgunderproben immer die Weine aus dem Jahr 1959. Nicht nur, weil das Martha Gantenbeins Geburtsjahr ist, sondern weil 1959 zu den ganz großen Burgunderjahrgängen des letzten Jahrhunderts gehört. Unsere „59er Festspiele“ begannen mit einem 1959 Pommard Les Noizons von Jean Michelot. Ein sehr gefälliger Wein war das mit schöner Frucht, mit feiner Schokolade, Schmelz und Fülle, der sich sicher noch etliche Jahre auf diesem Niveau halten dürfte – WT94.

Einer der absoluten Stars unserer Verkostung war ein 1959 Chambertin in einer belgischen Abfüllung von Grafé Lecoq. Daniel Gantenbein brachte es auf den Punkt. „Das ist ein TGV – ein Très Grand Vin“. Mit traumhafter, betörender, süßer Frucht hatte dieser noch so jugendlich und frisch wirkende Wein die Pracht und Fülle eines großen Chambertin, zeigte enorme Kraft, göttlichen Schmelz und so unglaublich viel Charme. Ein flüssiger Traum, der am Gaumen kaum aufhörte. Ganz vorsichtig gab ich erst WT99, aber die dann folgenden Giganten zeigten deutlich, dass das hier der Obergigant war, klare WT100.

Und dann kamen diese beiden Giganten, zwei Weine von Leroy, wie man sie heute kaum noch findet und wenn, dann nur zu absurden Preisen. Ich hatte zu unserem Boxenstopp diesen 1959 Chambertin Clos de Bèze von Leroy mitgebracht. Der war so elegant, so filigran und voller Finesse mit so feiner delikater rotbeeriger Frucht, immer noch so unglaublich frisch, ein femininer Charmeur allererster Güte – WT98. Und als perfekter Zufall landete im Glas daneben ein ebenso rarer 1959 Grands Echezeaux von Leroy. Der war deutlich kräftiger, sehr würzig mit großartiger Struktur, dabei ebenfalls noch so frisch und praktisch altersfrei – WT97. Beide Bewertungen sind absolut konservativ, sind so an diesem Abend erfolgt und orientieren sich daran, dass es auf höchstem Niveau noch bessere Weine gab. Eigentlich kann ich darüber heute nur noch den Kopf schütteln. Wenn ich vergleiche, auf welchen Standards heute von den professionellen Weinschreibern im Rennen um Aufmerksamkeit und zahlende Leser über junge Weine das 100 Punkte Füllhorn ausgeschüttet wird, dann müsste für solche Legenden die 100 Punkte Skala nach oben deutlich geöffnet werden.

Und während sich Daniel Gantenbein und sein Freund, beide 1960 geboren, darüber unterhielten, dass sie nicht Marthas Glück hätten und es aus ihrem Jahrgang kaum vernünftige Weine gäbe, da kam für die beiden blind ein großartiger 1960 Hospice de Beaune Beaune Cuvée Hugues et Louis Bétault, abgefüllt von Patriarche, ins Glas. Der war etwas maskuliner als die so fruchtbetonten 59er, aber ein Wein mit viel Kraft und Druck, mit großartiger Struktur und enormer Länge am Gaumen, natürlich auch mit feinem Schmelz – WT95. Wohl doch nicht so schlecht, der Jahrgang.

Wunderbarer Spagat aus der Kraft eines großen Volnay und burgundischem Charme beim 1971 Volnay 1er Cru Clos d´Audignac von der Domaine de la Pousse d´Or, dem jüngsten Wein unserer Burgunderrunde, der trotz immerhin 50 Jahren noch eine betörende Frische und feine Frucht zeigte – WT95.

Und dann hatte der liebe Jürgi, edler Spender des grandiosen 2008 Taittinger, noch einen 1983 Pinot Noir du Valais Rives du Bisse eingeschmuggelt. Das war jetzt kein echtes Highlight, aber immerhin war er noch gut trinkbar.

Für einen grandiosen Schlussakkord sorgte dann Daniel Gantenbein mit einem 1989 Lafite Rothschild. Das war ein gewaltiges, konzentriertes Kraftpaket, immer noch mit massiven Tanninen, aber man spürte den großen Lafite, Perfektion im Werden, feine, superbe rotbeerige Frucht, enorme Statur und Länge, der Bleistift von Mouton und die unnachahmliche, noble Eleganz klassischer Lafites – WT98+. Hat das Potential, mal der legitime Nachfolger des legendären 59ers zu werden.