Ein(s)zigarting - Drinking History 2021

Reife Weinraritäten aus großen Jahrgängen mit der „1“ am Schluss waren das Thema der diesjährigen Drinking History Probe, wie immer perfekt orchestriert von Oliver Speh.. Ein Traumstart in diese Probe erfolgte auf der Terrasse des Landhauses Mönchenwerth mit einer perfekt gelagerten 2001 Idig Doppelmagnum von Christmann. Dieser großartige Wein aus dem großen Riesling Jahrgang 2001 zeigte immer noch eine tolle Frische, gepaart mit kraftvollem Auftritt und exzellenter Struktur. Sehr elegant mit geradezu burgundischer Pracht und Fülle und diesem dezent rustikalen, verführerischen Charme großer Pfälzer Weine zeigte der Idig eine enorme Trinkigkeit – WT97. Kein Wunder, dass sich diese Großflasche im Rekordtempo leerte. Große Weine wie dieser aus 2001, das als eine Art endgültiger Startpunkt für trockene, deutsche Rieslinge gelten kann, haben sicher noch 10+ Jahre Zukunft.

Weiter ging es an der großen Tafel mit einem raren 1971 Krug Vintage Champagne Collection aus der Magnum. Diese Flasche, die seitdem unbewegt in meinem kalten Keller lag, hatte mir mein Freund Jörg Müller 1995 mitgebracht. Wie schön, dass ich jetzt mit ihm mit diesem Traumchampagner anstoßen konnte. Dieses unglaubliche Elixier war noch so frisch mit brillianter, goldgelber Farbe. Ein noch sehr lebhaftes Mousseux, feine, gelbe Frucht, florale Noten, frischer Toast, Brioche, nussige Noten und eine intensive Mineralität machten diesen unglaublich komplexen, tiefgründigen und kräftigen Champagner mit seiner cremigen Texture zu einer Art purem, flüssigem Glück. Klare WT100 für den wohl bisher besten Champagner meines Lebens waren das und ein sehr bewegendes, berührendes Trinkerlebnis.

100 Jahre alt und noch kein bisschen müde zeigten sich danach zwei deutsche Auslesen aus dem deutschen Jahrhundertjahrgang 1921. Beide Rheingauer Weine mit ihrer tiefgoldenen, aber brillianten Farbe zeigten immer noch so viel Leben. Die 1921 Rauenthaler Pfaffenberg Auslese von der Gräflich-Eltzschen Kellerei startete mit einer feinen Honignase, zeigte rauchige Noten, dann kam das torfige eines guten Whiskys, entwickelte im Glas eine generöse Fülle ohne Altersnoten – WT97. Die 1921 Johannisberger Unterhölle Auslese von der Hermann von Mumm´schen Kellerei (2013 auf Schloss Johannisberg neu verkorkt) zeigte immer noch gute Frucht, Aprikose, dazu eine deutliche Petrolnote, die mit der Zeit verschwand, generöse Süße und gute, balancierende Säure und entwickelte eine schöne Fülle – WT96. Die Punkte des Weinbuchhalters können diesem einmaligen Erlebnis so lebendiger Zeitzeugen nicht gerecht werden. Beide Weine erwiesen sich dazu übrigens noch als hervorragende Begleiter eines wunderbaren Cevice von der Gelbflossenmakrele.

Ein absolutes Highlight meiner Raritätenprobe ist immer Jörg Müllers Gänseleber, die er jedes Jahr mitbringt und für uns zubereitet. Ich versuche natürlich jedes Mal, mit entsprechenden, großen Süßweinen da mitzuhalten. In diesem Jahr waren es natürlich ebenfalls zwei Hundertjährige, die sich von der allerbesten Seite zeigten. Absolute Perfektion und einfach außerirdisch gut die 1921 Erbacher Marcobrunn Goldbeeren Auslese von Schloss Reinhardshausen, die wie eine große TBA auftrat. Ohne Alterstöne, sehr kräftig und nachhaltig mit Karamell, Creme Brulée und intensiver Süße, perfekt balanciert durch immer noch gute Säure, so wunderbar harmonisch mit traumhafter Länge – WT100. Auf Augenhöhe und ebenfalls perfekt die 1921 Doisy Daene aus Barsac in einer Vandermeulen Abfüllung, die am Tisch aufgrund der außergewöhnlichen Qualität für d´Yquem gehalten wurde. Kein Wunder, mit ätherischen Noten, Minze, Kräutern, wunderbarer, generöser Süße, Bitterorange und immer noch guter Säure trat dieser spannende, vielschichtige Wein in großartiger Harmonie und Balance als Sauternes vom Allerfeinsten auf – WT100. Vor 10 Jahren hat er schon mal als jugendlicher 90jähriger in meiner Raritätenprobe in Perfektion brilliert. Mal sehen, ob die Drillingsflasche (eine habe ich noch) das in 10 Jahren als 110jährige das auch wieder schafft.

Als Start in den roten Teil der Probe und zum Gaumenspülen kamen jetzt zwei junge, 60jährige Magnums aus Bordeaux in die Gläser. Der 1961 l´Arrosée war ein immer noch frischer, eleganter Gaumenschmeichler voller Finesse, vielleicht nicht die allerbeste Flasche, denn insbesondere in der sehr zuverlässigen Barrière-Abfüllung kann dieser Wein eigentlich noch mehr – WT94. Aber das war Jammern auf verdammt hohem Niveau. Und wie schmecken 60 Parker Punkte? Diese mickrige Bewertung hatte Robert Parker persönlich am 1. Januar 1998 dem 1961 La Lagune verpasst. Ob da ein Kater von der Silvesternacht mit im Spiel war. Nachverkostet hat er diesen Wein nie mehr. Ich aber war natürlich neugierig und hatte diesen großartigen Wein inzwischen über 10mal im Glas. Aus dieser perfekten Magnum hier, ebenfalls eine Barrière-Abfüllung, war der La Lagune wieder ein großartiger Wein. Sehr kräftig und komplex mit ausdrucksstarker Aromatik, pikante, Rote Johannisbeere, Cola, Minze, Jod, etwas medizinale Noten, Kaffee und eine feine generöse Süße, dabei immer noch so jung erscheinend. Baute enorm im Glas aus – WT96. Ich bin persönlich großer La Lagune Fan. diese Weine können und müssen altern. In meinem Keller habe ich noch einige, ältere La Lagunes bis runter zum Jahrgang 1926.

Spektakulär der dann folgende Vergleich von zwei Latours. Auf den Altersunterschied von 60 Jahren zwischen den beiden Flaschen kam niemand. Der 1911 Latour in einer deutschen von Kapff Abfüllung, schlappe 110 Jahre alt, war ein großer, kompletter, komplexer Latour, immer noch so kräftig mit sehr guter Struktur und guter Säure. Er zeigte immer noch etwas feine, rotbeerige Frucht, die klassische Walnuss-Aromatik, dazu Mokka und Trüffel. Ein sehr beeindruckender Latour, der anscheinend ewig leben wollte – WT97. Im anderen Glas meine bisher beste Flasche des 1971 Latour, der sich bei aller Trinkbarkeit noch in geradezu jugendlicher Form präsentierte. 50 Jahre sind aber auch für einen Latour kein Alter. R zeigte eine sehr schöne Aromatik mit Schwarzer Johannisbeere, Zedernholz, Zigarrenkiste und ebenfalls dieser so typischen Walnuss-Aromatik., sehr kräftig, aber auch für einen Latour geradezu verführerisch mit viel Spannung – WT96. Ist mit Sicherheit aus guter Lagerung immer noch jede Suche wert.

Einen sehr heißen Sommer sah Bordeaux in 1921 und dazu dann natürlich eine sehr frühe Ernte. Erinnert alles irgendwie an 2003. In diesem Flight unseres Drinking History Tastings präsentierten sich aus diesem Jahrgang zwei gut gelagerte hundertjährige Weine aus St. Emilion. Ob die noch trinkbar waren? Oh ja, beides waren überraschend betörende Gaumenschmeichler, sehr gut trinkbare Weine, die im Glas nicht abbauten, sondern sogar noch zulegten. Der sehr elegant, feine 1921 Canon zeigte noch erstaunliche Kraft und gute Substanz. Und so verrückt das klingen mag, aus dieser Flasche hier bestand keine Eile ihn zu trinken, denn der Canon zeigte noch Potential für viele Jahre – WT96. Der sehr elegante, finessige 1921 Clos Fourtet zeigte sich weniger robust und eher etwas zarter mit burgundischen Konturen und generösem Schmelz am Gaumen – WT95. 100 Jahre und noch so lebhaft, einfach beeindruckend. Ob sich die 2003er nach 100 Jahren auch so präsentieren werden?

In Deutschland ist es derzeit Mode, die Weine von DRC jung zu trinken, was wohl auch auf die seltsame Politik des deutschen Importeurs zurückzuführen ist. Ich kann das verstehen, insbesondere, wenn diese Weine wie z.B. bei Jörg Müller auf Sylt zu erstaunlich attraktiven Preisen angeboten werden. Und doch erschließt sich die wahre Magie der Weine der Domaine Romanée Conti eigentlich erst nach 20+, besser sogar nach 30+ Jahren. Sehr eindrucksvoll zeigte das dieser unglaubliche, außerirdische 1971 Richebourg von DRC. Das war DRC Richebourg und Burgund vom Allerfeinsten und absolut perfekt. Ein unendlicher, perfekt balancierte, ätherischer und geradezu süchtig machender Traum diese fantastische Nase, so hoch elegant und finessig, so komplex, würzig mit enomem Tiefgang und Spannung der Gaumen mit großartiger Länge – WT100. Und die andere Flasche? Ein doppelt so alter, 100jähriger 1921 Richebourg in einer Vandermeulen Abfüllung. Und wenn auch die Nase dieses Seniors nicht so ganz mithalten konnte, war das immer noch ein so ungemein kräftiger, druckvoller Wein mit schier unglaublicher Vitalität, sehr elegant und würzig, voller Harmonie mit der generösen Süße eines perfekt gereiften Burgunders und mit sehr guter Länge – WT98.

Für viele meiner Freunde war das, was dann kam, der beste Flight des Abends. Ich habe diesen Traumflight in den letzten 30 Jahren häufiger genießen dürfen und war sehr glücklich, dass ich ihn hier aus meinen beiden letzten, perfekt gelagerten Flaschen noch mal wiederholen konnte. Beide, sowohl der 1961 Haut Brion und der 1961 La Mission zeigten sich absolut perfekt als Jahrhundertweine auf klarem WT100 Niveau. Immer, wenn ich diesen Flight erleben durfte, zog eine Hälfte des Tisches den Haut Brion vor, die andere den La Mission, was keine Frage der Qualität, sondern des persönlichen Geschmacks war. Der Haut Brion war auch hier bei aller Kraft der elegantere Wein mit perfekter Struktur. Der La Mission mit seiner explosiven Aromatik von Cigarbox, Tabak, Minze und sogar Eukalyptus zeigte sich etwas wilder. Diese beiden, schier unsterblichen Weinlegenden in einem Flight noch einmal zusammen erleben zu dürfen, war einfach ein Traum. Ich kann nur hoffen, dass irgendeiner meiner Weinfreunde das irgendwann noch mal wiederholt.

Weiter ging es mit großartigen Weinen aus dem legendären Bordeaux Jahrgang 1961, in dem es auch unterhalb des Premier Grand Cru Levels fantastische Weine gab. Der 1961 La Fleur Petrus zeigte echte Petrus Qualität. Traumhafte Aromatik, ein Wein, der förmlich auf der Zunge schmolz, so weich und rund mit süßer Kirschfrucht und Minze, sehr elegant und finessig, aber auch dicht mit großartiger Länge. Da brauchte man nur die Augen zu schließen um förmlich zu fühlen, wie der ultrarare 1961 Petrus über den Gaumen fließt – WT97. Nicht weit dahinter der fabelhafte 1961 Clos de l´Oratoire, ein Saint-Emilion, der mit seiner Kraft, dem Tiefgang und der verführerischen, generösen Fülle wie ein großer Pomerol wirkte – WT96.

Canon-la Gaffelère gehört zu meinen Favoriten aktuellerer Bordeaux Jahrgänge. Stephan Graf Neipperg leistet dort hervorragende Arbeit. Aber auch aus der Zeit vor der Übernahme des Gutes gibt es hervorragende Weine, von denen ich schon viele getrunken habe, bis zum grandiosen 1928er. Auch in diesem Flight hier zeigte der 1961 Canon-la-Gaffelière seine Klasse. Ein feiner, sehr eleganter, altersfreier Gaumenschmeichler, weich, geschmeidig und balanciert – WT95. Ältere Weine von Canon-la-Gaffelière sind ebenso eine Suche wert wie die von Gaffelère-Naudes. Dieser 1961 Gaffelière-Naudes in einer Bordelaiser Vedrenne Abfüllung war ein absoluter Gigant, sehr nahe der Perfektion. Er erinnerte mich an die großartigen Weine aus den 40er und 50er Jahren. Die stellten wir in mehreren Proben gegen Cheval Blanc, in denen der Gaffelière-Naudes gut mithalten konnte. Auch dieser sensationelle, immer noch so junge und kräftige, aber auch hoch elegante 61er hatte absolute Cheval Blanc Qualität, ohne den Preis natürlich – WT99. Da tut es richtig gut, davon noch ein paar Flaschen im Keller zu haben, bei denen keinerlei Eile besteht.

Und wieder kam eine Legende ins Glas. Chateau Musar aus dem Libanon ist ein großartiger, einzigartiger Wein, der seine volle Klasse erst nach langjähriger Reife zeigt. Dieser 1961 Chateau Musar hier war meine letzte und bisher beste Flasche dieses Jahrgangs. Einfach unglaublich, was da ins Glas kam, sehr elegant, aber auch wild zur gleichen Zeit. So würzig war dieser Musar, so dicht mit fantastischer Länge, aber gleichzeitig auch mit begeisternden, burgundischen Konturen. Das war absolute Perfektion und ein Ausnahmewein, der noch über lange Jahre gut altern dürfte – WT100. Da konnte der ebenfalls fantastische 1961 Cos d´Estournel trotz seiner Klasse nicht mit. Ein sehr maskuliner, straffer und sehr kräftiger Wein mit großartiger Struktur, der noch eine große, lange Zukunft hat und aus guten Flaschen wie dieser hier durchaus noch zulegen könnte – WT96.

Höhen und Tiefen im nächsten Flight. 1971 Petrus gegen 1961 Latour-à-Pomerol, das hätte eigentlich ein Superflight sein müssen. Der 1971 Petrus aus einer perfekten, über Jahrzehnte in meinem Keller unberührt gelagerten Flasche war der erwartete Superstar. Oliver Speh öffnete den Petrus vor der Probe, wir beide verkosteten ihn, verdrehten vor Begeisterung die Augen und beschlossen, dass dieses unglaublich dichte, jugendliche Monument noch ein paar Stunden in der Karaffe vertragen könnte. Eine weise Entscheidung, denn das, was wir dann später ins Glas bekamen, war ein flüssiger Traum allererster Güte. Er explodierte förmlich im Glas mit dekadenter, hedonistischer Frucht und Fülle, zeigte aber auch eine großartige Struktur, was sich als präzise Opulenz zusammenfassen ließe. Da war so viel Spannung, Tiefgang und Länge, einfach Rotweinhimmel voller Geigen – WT100. Von den mehreren(!) 71 Petrus, die ich in diesem Jahr ins Glas bekam, war das auf allerhöchstem Niveau die beste Flasche. Wie heißt es so schön? Storage is King. Leider galt das nicht für diesen 1961 Latour-à-Pomerol in einer belgischen Händlerabfüllung. Diesen so oft gefälschten, legendären Wein, habe ich aus authentischen Flaschen stets mit WT100 bewertet, wobei er in der bisher letzten Flasche 2016 schon eine spürbare Überreife zeigte. Diese Flasche hier hatte ich erst vor ein paar Jahren auf einer Auktion erstanden, mit gutem Füllstand (high shoulder) und solider Farbe. Doch der Wein zeigte eine mehr als deutliche Überreife und wirkte ziemlich mostig. Absolut kein Vergnügen mehr. Da musste wohl ein Lagerproblem und/oder ein nicht perfekt schließender Korken vorliegen. Shit happens. Aber wenn man im anderen Glas so einen Ausnahme-Petrus hat, verbietet sich eigentlich jede Jammerei.

Gereift und doch noch so jung zur gleichen Zeit sind die besten Weine aus 1971, und das 50jährig. Einer meiner Favoriten aus diesem Jahrgang, 1971 La Mission Haut Brion, zeigte sich in unserer Probe wieder in Bestform. Sehr elegant und balanciert mit kühler Frucht und ätherischer Aromatik, Minze, Teer, Tabak, Leder und Cigarbox, zeigte sich dieser altersfreie Bordeaux immer noch mit gutem Rückgrat für längere Alterung – WT95. Ein klassischer La Mission, der aus guter Lagerung immer noch jede Suche wert ist. Ein großartiger Jahrgang war 1971 auch an der Rhone. Sehr deutlich zeigte das der grandiose 1971 Côte Rotie Les Jumelles von Jaboulet Ainé. Ein sehr kräftiger, dichter, würziger und animalischer Wein mit noch unglaublicher Vitalität, der es noch locker bis zum 60. Geburtstag von in 1971 Geborenen schaffen wird – WT97. Übrigens ist der auf einem Niveau mit dem ebenfalls spannenden 1971 Hermitage la Chapelle von Jaboulet Ainé, den ich kürzlich erst wieder trinken durfte.

Eine große Überraschung im letzten Flight unserer Probe war der 1971 Tignanello, der erste Jahrgang dieses Super Toskaners. Seinerzeit noch hauptsächlich aus Sangiovese gemacht, zeigte dieser Wein 50jährig noch so viel Leben und war so kraftvoll. Er überzeugte mit wunderbarer Kirschfrucht, altem Leder, rauchigen Noten, Bleistift Mineralität und war mit immer noch sehr guter Struktur so balanciert. Ein sehr beeindruckender Old School Tignanello war das – WT96. Im direkten Vergleich kam da in diesem Flight der 1971 Cheval Blanc nicht mit. Das war kein großer Cheval, aber ein sehr feiner, eleganter, stimmiger und schmeichlerischer, aber auch reif – WT93.