Feine 71er Geburtstagsprobe

Solche Geburtstage liebe ich. Ein kleiner Kreis, sehr sorgfältig ausgewählte Spitzenweine und dazu ein grandioses „Stevie-Menü“, so verwöhnte uns der liebe René am Abend seines 50. Geburtstages.

Mit Drinking History ging es los. „Heute gibt es nur 71er“ meinte unser großzügiger Gastgeber beim Einstieg in diese wunderbare Probe. Und er hielt Wort. Nur stand bei diesem spannenden Apero halt keine 19 vor der 71. Eine klare, güldene Farbe hatte dieser Portwein aus dem Jahre 1871 noch. Die Nase dieses 150 Jahre alten Seniors erinnerte an einen gut gereiften Sherry, am Gaumen ein großer Heuschober, viel Karamell und immer noch eine schöne, generöse Süße ohne irgendwelche spritigen Noten, Freude pur - WT94. Von meinem Freund Dirk Niepoort kam zu diesem 1871 Vinho do Porto Garrafeira der Companhia Vinicola do Norte de Portugal per Whats App „Schnell austrinken, aber wundervoll zu trinken gell?“ Und genau so haben wir es gemacht. Ich liebe Weingeschichte.

Und schon kam der zweite Apero, eine 1971 Erdener Prälat Auslese von Christoffel-Berres. Dieser gut gereifte Riesling aus einer Top-Lage, die heute Dr. Loosen gehört, war noch erstaunlich frisch. In der Nase etwas Apfel- und Birnenmost, am Gaumen sehr balanciert und harmonisch mit niedriger Säure und feiner Süße – WT94. Ich liebe solch gereifte Auslesen, die sich über die Dekaden immer mehr Richtung „harmonisch-trocken“ entwickeln und hervorragende, vielseitige Speisenbegleiter sind.

In Bordeaux war 1971 ein uneinheitliches Jahr. In Pomerol war der Jahrgang hervorragend, in Pessac sehr gut. Aber auch in den anderen Appellationen lassen sich aus guter Lagerung spannende Weine finden. In unserem ersten Flight ging es los mit einem weitgehend altersfreiem, kernigen, ziemlich kräftigen 1971 Figeac mit pfaumiger, fruchtiger Fülle, bei dem lediglich die an alten Fahrradschlauch erinnernde Nase etwas irritierte – WT90. Aus besseren Flaschen ohne diesen Ton (hatte ich schon im Glas) verdient dieser Figeac eine höhere Bewertung und ist sicher noch eine Suche wert. Gut gefiel mir der 1971 Cheval Blanc, so seidig, elegant und schmeichlerisch, sehr balanciert und harmonisch. Baute im Glas aus und zeigte noch Potential für ein paar mehr Jahre, kein großer, aber ein sehr feiner Cheval Blanc – WT93. Erstaunlicherweise war der 1971 Palmer der Star dieses Flights. Etwas rauchig, ätherisch die Nase mit feiner Frucht, Tabak und viel Zedernholz, am Gaumen elegant und verführerisch mit burgundischen Konturen, aber auch ziemlich kräftig mit gutem Rückgrat für viele Jahre – WT94.

Absolut der zweite Flight dieser kleinen Geburtstagsprobe mit zwei meiner ewigen Favoriten. Ja, der gut gelungene 1971 L´Eglise Clinet aus einer Chateauabfüllung konnte einem angesichts dieser Giganten fast leid tun. Dabei war das ein gut gereifter, kräftiger, klassischer Pomerol, deutlich besser als die Händlerabfüllungen dieses Jahrgangs, aber eben noch nicht auf dem sehr hohen Niveau, dass dieses Chateau heute zeigt – WT95. 1971 Petrus war wieder in absoluter Topform. Das war einfach Hedonismus pur, so sinnlich und verführerisch mit verschwenderischer Süße. Ein großer, perfekter Petrus mit großartiger Struktur, so dass man hier von präziser Opulenz sprechen müsste. Aber Worte können diesem atemberaubenden Petrus kaum gerecht werden, WT100 ohne Wenn und Aber. Ähnliche Perfektion auch beim 1971 Lafleur im anderen Glas. Der wirkte wie eine jüngere Charakterversion des Petrus. Er hatte eine sehr dichte, junge Farbe, süße Frucht, frische Kräuter, Minze, etwas Eukalyptus, Lakritz, so ein gewaltiger, aromatischer Druck, gewaltige Kraft, aber auch göttlicher Schmelz – WT100. Da einen Favoriten zu küren ist praktisch unmöglich. Nur, dass der Petrus bereits seit langer Zeit in dieser Form ist. Ich durfte in den letzten 10 Jahren häufiger aus 1tel und Magnum genießen. Der Lafleur hat deutlich länger gebraucht, zeigte sich im letzten Jahr zum ersten Mal in dieser bestechenden, perfekten Form, und dürfte eine lange Zukunft haben.

Diese beiden Traumweine in absolut perfekten Flaschen aus sehr zuverlässigen Kellern nebeneinander verkosten zu dürfen, war auch für eine verwöhnte Weinnase wie mich ein einmaliges Erlebnis.

Ein traumhafter Jahrgang war 1971 in Burgund. Und trotzdem sind Burgunder auch aus großen Lagen nicht automatisch Selbstläufer. So war dieser 1971 Chambertin Clos de Bèze von André Bart eine herbe Enttäuschung mit Liebstöckel ohne Ende – WT82. Hoffentlich war das trotz gutem Füllstand nur eine schlechte Flasche. Ein Traum dagegen war der sehr finessige, hoch elegante 1971 Clos de Tart von Mommessin. Obwohl rechtzeitig dekantiert, brauchte der noch viel Zeit und Luft, und entwickelte sich fantastisch im Glas. Das war einfach ein großer, kompletter Burgunder mit betörender Frucht und feiner Kaffeenote – WT97. Geradezu fast jugendlich wirkte der enorm kräftige 1971 Richebourg von Remoissenet, der mit dichter, junger Farbe ins Glas kam. Sehr würzig und komplex, zeigte der enormen Tiefgang, eine sehr druckvolle Aromatik und Langstreckenpotential für noch mehrere Dekaden – WT96+. Perfekt gereift mit generöser Süße und mit der typischen Pracht und Fülle eines Chambertin zeigte sich aus einer Händlerabfüllung der 1971 Chambertin von G. Prieur – WT96.

Atemberaubend, was dann ins Glas kam, Shiraz aus Australien und Syrah von der Rhone, beide vom Allerfeinsten, im Vergleich miteinander. Ich glücklicher durfte den legendären 1971 Penfolds Grange schon häufiger trinken. Vor 22 Jahren auf der Grange Vertikale der Ungers war das noch ein unglaublich dichtes, tanniniges Monster. In den Jahren danach öffnete er sich immer weiter, blieb aber sehr jung. 2013 und in allen Flaschen danach konnte ich ihm dann die WT100 für Perfektion geben. Jetzt hier in dieser Probe war das wieder ein gigantischer, inzwischen perfekt gereifter Grange, immer noch mit gewaltigem Rückgrat, aber inzwischen so fein und elegant mit verführerischer Cassis Frucht, mit reichlich Minze und Eukalyptus, Obstkuchen und dunkler Schokolade. Dazu kam trotz großartiger Struktur eine generöse Süße. Mit dieser irren Finesse war das ein großer Shiraz, der dabei war, sich in einen Burgunder zu verwandeln – WT100. Angesichts der zahlreichen, vielgereisten und neuverkorkten Flaschen war es ein großartiges Erlebnis, diese Legende wieder aus einer perfekt gelagerten Flasche genießen zu dürfen. Eine große Überraschung war im anderen Glas meine bisher beste, jemals getrunkene Flasche 1971 Hermitage La Chapelle von Jaboulet Ainé. Der war noch so jung, so dicht, so geradezu wild mit explosiver Aromatik, mit den Kräuterdüften der Garrigue, mit reichlich Lakritz und Leder. Ein unglaublicher Kraftbolzen der wie ein potentieller Hybrid der beiden La Chapelle Giganten aus 1978 und 1990 wirkte, ein absolut suchenswerter Wein mit Langstreckenpotential - WT99. Diese Flasche hier stammte, inzwischen leider alles andere als billig, aber ihren Preis wert, vom Weintrüffelschwein aus Dorsel, bei dem ich die Zwillingsflasche erwerben durfte.

Was sollte jetzt als letzter Flight nach all diesen Highlights noch kommen? Mit drei Bordeaux Klassikern aus seinem Geburtsjahr, alle drei in sehr gutem Zustand, überraschte uns der liebe René. Sehr elegant zeigte sich der 1971 La Mission mit kühler Frucht, sehr ätherisch mit Minze, Teer, Cigarbox und Leder, dabei sehr balanciert, aber auch noch mit gutem Rückgrat für noch viele Jahre – WT95. Der meist eher enttäuschende 1971 Haut Brion zeigte sich hier aus einer überraschend guten Flasche mit ähnlicher Aromatik, etwas weicher, aber fast mit derselben Qualität wie der La Mission – WT94. Unsterblich scheint der 1971 Latour zu sein, der sich hier noch frisch und kräftig mit feiner Johannisbeere, der typischen Walnussaromatik und guter Struktur zeigte – WT95. Ist sicher in gut gelagerten Flaschen immer noch eine Suche wert.

Weit fortgeschritten war der Abend inzwischen, und mein Taxi wartete schon. Trotzdem ließ ich mir das Glas 1971 d´Yquem nicht entgehen. Auch der zeigte noch eine bemerkenswerte Frische und erstaunlicherweise mehr Säure als der Prälat am Anfang der Probe. Dazu feine Honignoten, Citrus, Ananas und Bitter Orange, nicht zu süß und mit seiner Finesse fast mit einer animierenden Riesling- ähnlichen Persönlichkeit – WT94. Sicher nicht der perfekte Gänseleberbegleiter zum Anfang eines Menüs, aber ein großartiger Farewell Schluck zum Ende.