Klein & Fein aber Groß

Ich bin ja eigentlich kein Fan all dieser künstlichen Feiertage. Aber wenn dieser Valentintstag auf einen Sonntag fällt, und gleichzeitig Karneval ausfällt, dann kann man den ruhig als Ausrede oder Anlass für ein gepflegtes, kleines Besäufnis nehmen. So stießen wir also in sehr kleiner Runde mit einem knackig-frischen 2019 St. Valentin Sauvignon Blanc von der Kellerei St. Michael in Eppan auf den Valentinstag an. Ein spannendes, druckvolles Kraftpaket war das mit saftiger Frucht, Holunder, Stachelbeere, aber auch tropische Früchte mit schöner Präzision und guter Säure – WT92. Und mit geradezu unverschämtem Flaschenglück ging es danach weiter.

Nochmal Valentin war angesagt mit einem perfekt gereiften 1955 Clos Valentin aus St. Emilion in einer Hanapier Abfüllung. Der zeigte sich noch erstaunlich frisch ohne Runzeln mit leicht rauchiger Nase, würzig, mit guter Säure und balanciert – WT93. 1955 ist einer meiner Lieblingsjahrgänge in Bordeaux und der letzte, große, klassische Jahrgang bevor die 56er Fröste viele Rebanlagen mit altem Rebbestand vernichteten.

Jetzt wird es etwas jünger, hieß es am Tisch, als der nächste Wein ins Glas kam. Dieser 1928 Desmirail aus Margaux in einer französichen Händlerabfüllung von Eduard Mahler zeigte sich erstaunlich frisch und elegant, minzig mit feiner, rotbeeriger Frucht, dabei filigran und tänzerisch, mit dieser betörenden Eleganz, die man von einem großen Wein aus der Appellation Margaux erwarten darf – WT95. Das ist nicht die erste Flasche dieses 93 Jahre alten Weines aus einem Lot, das ich vor längerer Zeit erwerben konnte, und wird auch nicht die letzte bleiben. Wobei für die nächste Flasche keinerlei Eile besteht, denn die großen 28er brauchten ewig zur Trinkreife und haben dafür eine sehr große Lebenserwartung.

Und noch einmal kam „Drinking History“ ins Glas. 1954 Vina Real Reserva Especial von CVNE. 1954 war ein sehr schwieriges Weinjahr, aus dem es nicht viel Trinkbares gibt, mit Ausnahme Rioja. Gerade die Weine von CVNE aus der damaligen Zeit wiesen eine überragende Qualität und ein unglaubliches Standvermögen auf. So war es kein Wunder, dass am Tisch bei diesem kräftigen, altersfreien Wein mit seiner tiefdunklen Farbe alle meinten, wir seien jetzt wohl in den 80ern angekommen. Noch so lebhaft zeigte sich dieser Vina Real wunderbarer, dunkler Frucht, sehr kräftig mit fruchtiger Fülle und sehr guter Länge, aber auch mit viel Eleganz und Finesse. Das war einfach perfekt gereifter Rioja vom allerfeinsten. Für meine bisher beste Flasche dieses 54ers mit gutem Füllstand und Originalkork waren da locker WT96 fällig. Alte Weine von CVNE sind einfach eine Bank. Sie tauchen immer wieder auch auf Auktionen und im Internet auf. Trotzdem, oder auch gerade deshalb ist es wichtig, auf einwandfreie Herkunft und Lagerung zu achten. Eine Flasche, die etliche, heiße Sommer im Regal einer spanischen Bodega verbracht hat, macht einfach keinen Spaß mehr.

Spannend danach der seltene Erstlingsjahrgang 1977 Barbaresco Crichet Paje des heute so angesagten und gesuchten Gutes Roagna. Der zeigte sich zu Anfang etwas zurückhaltend mit leicht bräunlicher und auch etwas trüber Farbe. Doch mit viel Luft ging auch hier die Post ab. Der Roagna baute enorm aus und zeigte sich sehr mentholig mit kräuteriger Hebe und Lakritz, blieb dabei kräftig mit edler Rustikalität – WT94. Der Wein stammt aus einer kleinen, nur 0,5 ha großen Parzelle von alten Reben, die 1953 Von Giovanni Roagna erworben wurde.

Großes Kino und in absolut bestechender Form danach der 1982 La Fleur Petrus. Den hatte ich in den letzten 30 Jahren schon oft getrunken und kannte ihn nur reif, weich und gefällig mit nie mehr als WT93. Aber aus dieser Ausnahmeflasche hier zeigte er sich noch so jung, dicht und druckvoll, einfach komplett mit göttlichem Schmelz – WT96. Wenn ich wüsste, dass es noch mehr solcher Flaschen gäbe, würde ich diese Petrus Qualität zum La Fleur Petrus Preis sofort nachkaufen.

Als gewaltiges Geschoss erwies sich wieder der 1983 Cheval Blanc, der sich in dieser bestechenden Form hinter dem 82er und anderen, großen Chevals nicht verstecken muss. Das war wieder ein Traum in Seide mit dem unnachahmlichen Cheval Blanc Parfüm, mit dekadent süßer, leicht portiger Fülle, Eleganz pur, so druckvoll in der Aromatik mit feiner, rotbeeriger Frucht, Tabak, Trüffel, Unterholz, Kaffee und so unglaublich lang, dabei altersfrei mit sicher noch großer Zukunft – WT98.

Ein außergewöhnliches, beeindruckendes Erlebnis war für mich 1987 im Düsseldorfer Mövenpick Caveau der mit 100 Parker versehene 1982 Leoville las Cases. Doch schon kurz danach verschloss sich dieser Gigant hinter einem massiven Tanningerüst. Immer wieder habe ich ihn über all die Jahre wieder probiert, und erst in den letzten Jahren blitze immer mehr die alte Klasse auf. Reif war er auch aus dieser Flasche hier noch nicht, aber verdammt beeindruckend. Sehr puristisch die Frucht mit präzisen Konturen, soviel Dichte und enormer Tiefgang, sehr druckvolle Aromatik, klassische Bleistift Mineralität, aber immer noch massive Tannine - WT97+.

Als großer Bordeaux ging danach der 1987 Dominus aus Kalifornien durch. Perfekt gelagert stammte er aus einer Anfang der 90er gekauften und erst kürzlich geöffneten OHK. Insbesondere die ersten Dominus aus den 80ern wurden komplett anders vinifiziert als heute. Stilistisch eher Bordeaux als Kalifornien brauchten sie lange zur Entfaltung und zeigen sich heute noch in bestechender Form. So wirkte dieser 87er wie ein ein kraftvoller, großartiger Bordeaux mit Leder, Tabak und Cigarbox. Alles andere als alt, sehr druckvoll mit beeindruckender Struktur und immer noch mit gewaltigem Potential - WT96.

Deutlich offener als der 82er zeigte sich als Abschluss der 1985 Leoville las Cases, immer noch so frisch mit feiner, rotbeeriger Frucht, sehr elegant und balanciert, mit wohldosierter Kraft und Länge, ein St. Julien Klassiker mit sicher noch längerer Zukunft – WT95.