Trainigslager

Auf der Terrasse des Berens am Kai trafen wir uns in feiner Runde zum „Abschlusstraining“ vor der großen Drinking History Probe. Aus dem Keller hatte ich dafür spontan und ziel- aber nicht wahllos gegriffen, was mir gerade vor die Flinte kam.

Mit kräftigem Goldgelb kam als Start die 1990 Scharzhofberger Auslese von Hubert Schmitz ins Glas. Die überzeugte mit apfeliger Frucht, guter Säure und feinem Süße-/Säurespiel. Ein sehr süffiger Wein spielerisch, elegant mit feinem Schmelz und schöner Schiefer-Mineralität - WT94. Noch so unglaublich jung der sehr feine und elegante, aber auch kräftige 2011 Chevalier Montrachet von Sauzet, der so etwas wie eine Art schlanke Fülle zeigte. Baute enorm im Glas aus mit Zitrusfrucht und floralen Noten, so geradlinig und präzise mit gut eingebundenem Holz, dürfte eine gute Zukunft haben – WT96+. Volles, kalifornisches Verwöhnaroma mit tropischen Früchten brachte danach der 2004 Ritchie Vineyard Chardonnay von Aubert ins Glas. Zu Anfang füllig mit viel Extraktsüße baute er deutlich im Glas aus, wurde schlanker, trockener und entwickelte irren Druck und Länge – WT96. Flaschenpech danach beim 1985 Gevrey Chambertin 1er Cru Les Champonnets von Heresztyn, der mit noch so junger Farbe und viel Druck ins Glas kam, aber rasch einen immer stärker werdenden Kork entwickelte. Dafür entschädigte der 1971 Vougeot Clos de la Perrière von den Domaines Bertagna, ein Gut, für das ich nie besonders begeistern konnte, mit großer Klasse. Enorme Spannung und Tiefgang mit toller Struktur zeigte dieser altersfreie, elegante Wein mit erstem, feinem Schmelz und sehr guter Länge – WT96. Als Musigny der anderen Art zeigte sich dieser gewaltige 1967 Musigny von Doudet-Naudin, der seine immerhin 54 Jahre deutlich verleugnete. So ein dichter, druckvoller und komplexer Burgunder war das mit enormer Länge, der in dieser Form noch Potential für Jahrzehnte haben dürfte – WT96+. Im Keller war dieser Wein vor langer Zeit schlichtweg verloren gegangen. Jetzt weiß ich, wo die noch verbliebenen zwei Flaschen sind, bei denen aber keinerlei Eile besteht. Große Überraschung dann aus perfekter Flasche der 1971 Gazin aus Pomerol. Ein absoluter Vollblut-Merlot war das, göttlicher Traumstoff mit dekadenter Fülle und hedonistischem Schmelz, durchaus in einer Art Petrus-Qualität, mit der niemand gerechnet hatte – WT97. War das nur eine atemberaubende Ausnahmeflasche? Ich gehe auf die Suche. 1971 war auch ein hervorragender Jahrgang im Piemont. Das zeigte beeindruckend dieser 1971 Barbaresco Riserva von Franco Fiorina. Die Weine waren klassischer Machart in dieser Zeit, nicht so poliert und modern in der Stilistik wie heute. Sie konnten und mussten altern. Diese fantastische Riserva hier war sicher in ihrer Jugend alles andere als ein Vergnügen. Jetzt zeigte sie sich hier als perfekt gereifter, aber immer noch altersfreier Barbaresco. Mit immer noch vorhandener Kirschfrucht, Rosenblättern, altem Leder und teeriger, erdiger Mineralität war der mit leicht rustikalem Charme wunderbar zu trinken. Gute Säure und immer noch vorhandene Tannine garantieren noch längere Alterung – WT95. Sehr positiv überrascht hat uns auch dieser 1978 Rubicon von Niebaum Coppola. Der war kräftig, dicht, klassischer Old School Kalifornier mit enormer Substanz. Baute schön im Glas aus, wurde immer minziger und dürfte noch eine gute Zukunft haben – WT94+. Seit längerem suchte ich diese Flasche 1979 Haut Brion. In vielen, sogenannt kleineren Jahrgängen liegt La Mission vor Haut Brion, aber nicht in 1979. Das beste Kellerprogramm taugt einfach nichts, wenn man irgendwann eine Flasche aus dem richtigen Fach zieht, sie bestaunt und dann später in Gedanken in das falsche Fach schiebt. Aber jetzt hatte ich sie gefunden, und sie war dran. Ein mineralischer, minziger Traum war das mit viel Cigarbox, Tabak und teeriger Mineralität, dazu altersfrei und noch so frisch – WT96. 1994 gehört in Kalifornien zu meinen Lieblingsjahren, aber leider nicht in Bordeaux. Und doch gibt es Ausnahmen, und eine solche kam jetzt ins Glas. Ein Kraftpaket mit lakritzig-kräuteriger Aromatik, viel Minze und immer noch sehr präsenten Tanninen war dieser 1994 Lafleur. Nicht gerade ein Charmebolzen, aber ein dichter, immer noch so junger, Wein mit Rasse und Klasse. Da spielt die Musik noch sehr lange und es dürfte auch noch deutlich mehr kommen – WT95+. Unverstanden war Dominus in den USA in den Anfangsjahren. Da kam einer aus Frankreich, so berühmt er durch seinen Petrus auch immer war, machte dort einen kalifornischen Pauillac bester Machart und setzte dann auch noch sein Konterfei aufs Etikett. Insbesondere die ersten Dominus aus den 80ern wurden komplett anders vinifiziert als heute. Stilistisch eher Bordeaux als Kalifornien brauchten sie lange zur Entfaltung. Ich habe noch Notizen zu diesem Wein von 1995 im Spago in Las Vergas und 1996 von einer Koppe Gala in Düsseldorf. Beide Male hat mir dieser 1987 Dominus überhaupt nicht gefallen. Trotzdem habe ich ihn gekauft und bin heute froh darüber. Denn jetzt zeigen sich diese Dominus Weine der 80er immer noch in bestechender Form. So wirkte dieser 87er wie ein kraftvoller, großartiger Bordeaux mit Leder, Tabak und Cigarbox alles andere als alt, sehr druckvoll mit beeindruckender Struktur, mit erster Süße und feinem Schmelz, aber und immer noch mit gewaltigem Potential - WT97. Last not least kam dann noch ein 1990 Pahlmeyer Proprietary Red Caldwell Vineyard ins Glas, einer der letzten Single Vineyard Pahlmeyers. Schlichtweg vergessen hatte ich diesen Wein im Keller. 1999 notierte ich „junges Purpur, intensive Frucht, etwas roh und rustikal, könnte aber ein toller Langstreckenläufer werden“. Und das Vergessen bei gleichzeitiger, perfekter Lagerung hat gelohnt. Jetzt war das ein großartiger Parade-Kalifornier, immer noch jung wirkend mit wunderbarer, präziser, nicht überladener Cassis Frucht, sehr minzig mit Leder, Tabak, enormer Kraft, sehr dicht, würzig und lang. Stilistisch war das ein Old School Kalifornier mit intensiver, modernerer Frucht und guter Bordeaux-Stilistik – WT96. Mir gefällt dieser Mix. Ich werde auf die Suche nach der letzten Flasche gehen, aber da besteht keine Eile.