Und wo ist der Pirat?

Eine feine Probe war das vom Kölner Weinkreis, zu der ich eingeladen war. Das Thema war Kalifornien. In vier Viererflights mit kalifornischen Raritäten war jeweils ein Pirat versteckt, den es rauszufinden galt. Das war schwerer als gedacht und machte als Probenidee viel Spaß.

Start waren zwei kalifornische Weißweine, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Der 2008 Mont Plaisir Chardonnay von Peter Michael zeigte sich sehr reif, eigentlich für den Jahrgang zu reif. Er war vollmundig, kräftig, sehr holzbetont mit immer noch etwas exotischer Frucht, aber auch viel Trockenfrüchten, Feigen und Datteln. Die Textur war cremig, buttrig mit etwas Popcorn, aber es fehlte die Finesse. Eigentlich so, wie man sich einen dicken, üppigen kalifornischen Chardonnay vorstellt. Trotzdem war das natürlich ein guter Wein, insbesondere für Fans dieser Stilrichtung – WT94. Ganz anders war der rassige, vibrierende und lebhafte 2016 Mayacamas Chardonnay mit schöner Frische und schlanken Konturen. Der war so präzise mit rassiger, frischer Säure, kalkiger Mineralität und kühler Zitrus und Grapefruit. Blind könnte dieser kräftige, elegante Wein auch als Meursault oder sogar Chablis durchgehen.

Und dann kam der erste Rotweinflight. Ein Gedicht war dieser 1976 Beaulieu Vinyard Cabernet Sauvignon, kein Reserve de Latour, aber trotzdem in dieser Liga. Die reife Farbe war ziemlich hell, und der Beaulieu hatte zu Anfang eine etwas irritierende Nase mit Aceton. Das verschwand aber mit Luft und es zeigte sich ein eleganter, sehr feiner, animierender Wein mit delikater Himbeere, Minze, Eukalyptus und generöser Süße – WT95. Ganz offensichtlich konnte nur der nächste Wein der Pirat sein, ein 1962 Vega Sicilia Unico. Der wirkte etwas seltsam, sehr vollmunidig mit viel Milchschokolade und etwas Pinot Typizität. Kenne ich anders und besser – WT93. Sehr gut gefiel mir dieser klassische 1981 Diamond Creek Gravelly Meadow mit feiner, minziger, Schwarzer Johannisbeere, mit Tabak, Kaffee und kräftiger, steiniger Mineralität – WT95. Als großer, unsterblicher Klassiker und Old School Kalifornier zeigte sich der 1983 Dominus, der Erstlingsjahrgang dieses Weines. Außer etwas Reife in der Farbe war da nichts, was auf Alter hindeutete. Der Dominus hatte eine sehr gute, eher an Pauillac erinnernde Struktur mit guter Säure und immer noch erstaunlich guten Tanninen. Sehr schön die minzige Frucht mit Zedernholz, etwas dunkler Schokolade und altem Sattelleder, so balanciert und immer noch kräftig mit nobler Rustikalität – WT96. Diese ersten Dominus Weine aus den 80ern haben ewig gebraucht, um sich zu entfalten und sind immer noch jede Suche wert.

Ganz schön auf dem Schlauch stand ich im zweiten Flight, denn das für Kalifornien eigentlich typische Thema Cabernet tauchte hier nicht auf. So tat ich mich natürlich auch mit dem außergewöhnlich schönen, perfekt gereiften Piraten schwer. Dieser rare 1985 Hill of Grace Shiraz von Henschke aus Australien hatte zwar eine reife Farbe, aber eine verschwenderische Nase mit Waldmeister, viel Minze, Leder und Lakritz. Er war perfekt gereift und blieb mit burgundischer Eleganz lang am Gaumen – WT96. Ein herrlicher Gaumenschmeichler war der 1997 Aida Vineyard Petit Syrah von Turley, sehr würzig, pfeffrig mit Schwarzer Johannisbeere und generöser, hedonistischer Fülle – WT96. Die größte Überraschung des Flights und vielleicht der ganzen Probe war ein Wein, den ich noch nie im Glas gehabt hatte. Dieser 1998 Lava Cap Winery Granite Hill Vineyard Petit Syrah brachte ein unglaubliches Pfauenrad an Aromen und Gewürzen mit viel minziger Frucht, Eukalyptus, gerdezu dekadenter, hedonistischer Fülle und enormer Kraft – WT98. Meine Bewertung war übrigens kein Ausreißer nach oben, sondern eher nach unten. Im Kölner Weinkreis erhält dieser eigentlich recht preiswerte Lava Cap regelmäßig in Blindproben, wo ihn stets praktisch niemand erkennt, 100 Punkte. Auf ähnlichem Niveau zeigte sich der sehr ausdrucksstarke 1995 Howell Mountain Zinfandel Black Sears Vineyard von Turley. Ich hatte den zuletzt 2009 im Glas, wo er sich als alkoholisches Monster zeigte. Jetzt, deutlich zivilisierter, war dieser sehr würzige Wein mit Rumtopffrüchten und großem Kräutergarten immer noch so etwas wie ein Hybrid aus Amarone und einemtrockenen Vintage Port. Mehr als ein Glas könnte ich davon nicht trinken, aber dieses eine Glas war WT97 wert. Sehr spannend also dieser Flight, auch ohne Cabernet und gerade auch als Blindprobe.

Es tat schon gut, dass die Weine alle aus dem perfekten Keller eines Connoisseurs stammten. Dieser 1992 Shafer Hillside Select war zwar gut gereift, aber in sehr gutem Zustand ohne spürbares Alter mit süßer Brombeere, Minze und Eukalyptus, so geschmeidig, generös und stimmig – WT96. Der Pirat in diesem Flight war mit 2000 Haut Brion ein Gigant auf dem Wege zur Perfektion. Ein sehr kräftiger Wein mit enormer Substanz, komplex und sehr lang, der aber die jugendliche, offene Fruchtphase hinter sich gelassen hat. Warten lohnt hier – WT97+. Die zwei folgenden Weine machten derzeit auf sehr, sehr hohem Niveau einfach noch mehr Spaß. Die waren so gut, dass immer wieder in der Runde die Vermutung aufkam, dass hier mindestens ein Harlan dabei sei. Der 1995 Dalla Valle Maya war einfach Maya vom Allerfeinsten, noch so jugendlich mit tiefer Farbe, aber voll trinkbar, mit wunderbarer Schwarzkirsche, so präzise mit exzellenter Struktur, intensiver Graphit Mineralität und großartiger Länge, einfach perfekt – WT100. Auch der 1991 Ridge Monte Bello, den ich noch nie so gut im Glas hatte, war mit großartiger, nobler Struktur und mit für Monte Bello erstaunlich generöser Fülle einfach perfekt – WT100.

Konnte das alles im letzten Flight noch getoppt werden? Himmel und Hölle kamen zusammen beim ersten Wein, dem 1985 Heitz Martha´s Vineyard. Das ist einer der besten, jemals produzierten Marthas, ein Wein mit tiefroter, altersfreier Farbe, traumhafter, präziser Beerenfrucht, unerhörter Kraft und Substanz. Leider haben viele Flaschen dieses Weines, so auch diese hier, einen korkähnlichen Muffton, der sich wie ein dichter Schleier über diesen wein legt. Ohne diesen Ton, den auch viele andere Marthas aus der ersten Hälfte der 80er haben, ist das ein klarer WT100 Wein mit perfekter, präziser Frucht und reichlich Minze und Eukalyptus, der noch sehr lange perfekt altern wird. Ich habe selbst diesen 85er schon öfters in perfekten Flaschen erleben dürfen, auch und gerade aus eigenem Keller. Was wäre das für ein spannendes Duell mit dem Piraten im nächsten Glas gewesen, diesem außerweltlichen, atemberaubenden 1986 Penfolds Grange, einem der besten, jemals produzierten Grange. Mich erinnert er irgendwo an einen Tiger, diese faszinierende Großkatze. Mit seiner unglaublichen Eleganz schleicht er sich auf Samtpfoten an. Dann nimmt er plötzlich alle Sinne in Beschlag mit seiner fantastischen, präzisen und druckvollen Frucht, Cassis, Schwarze Johannisbeere und Himbeere. Dabei zeigt er seine unglaubliche Dichte und Kraft mit einer gewaltigen Struktur, die aber auch Grazie zeigt. Ein perfekter, riesengroßer Shiraz, der aber mit seinen eleganten Konturen durchaus blind auch für einen Giganten aus Burgund gehalten werden kann – WT100. Perfekt gereift, geschmeidig und elegant mit feiner Cassis Frucht, Minze, Eukalyptus und Leder der 2002 Colgin Herb Lamb Vineyard, kein Blockbuster, sondern ein sehr finessiger, stimmiger Wein – WT97. Und last not least war dann 2001 Harlan im Glas, die Kraft und die Herrlichkeit. Der zeigte sich dichter und voller als die Harlan Legenden aus den 90ern, blieb aber bei allem aromatischem Druck balanciert mit genialer Struktur, so eine Art 1994 Harlan mit Turbolader – WT100.

Wunderschöner Abschluss von der Krim aus der berühmten Massandra Collection ein 1943 Massandra White Muscat. Der war sehr elegant und balanciert mit feiner, würziger Note und gut eingebundener, nicht aufdringlicher Süße – WT95.

Insgesamt fünfmal habe ich an diesem Sonntagnachmittag in Köln die Höchstnote von WT100 gezückt. Einmal davon ging an den Hauptgang von Stevie Kimmigs großartigem Menü, einen fantastischen Steinbutt mit frischen Morcheln und hohem Suchtfaktor. So macht Sonntag richtig Spaß. Danke an den Kölner Weinkreis und insbesondere an das spendable Mitglied, das diese hochkarätige Probe ausgerichtet hat.