Vollmond und Wein

Vollmond und Wein. Für viele Winzer gehört inzwischen die Arbeit in Weinberg und Keller nach dem Mondkalender zum Standardrepertoire. Aber was ist mit dem Verkosten von Weinen?

Ich hatte für unsere feine Probe gestern im Passion du Vin im dörflichen Niederkassel bewusst auch in die Risikokiste gegriffen. Los ging es mit einem beeindruckenden 1984 Almaden Chardonnay aus San José in Kalifornien. Der war trotz güldener Farbe erstaunlich gut trinkbar mit Trockenfrüchten, Werthers Echten, feiner Bitternote und guter Säure, und dürfte noch lange nicht am Ende sein – WT92. Grandios der immer noch so jung wirkende 2004 Hipping von St. Antony aus der Glanzzeit des Gutes mit brilliantem Goldgelb, wunderbarer Frucht, Zitrus und Quitte straffer Mineralität und feinem Schmelz – WT96. Wurde am Tisch blind mit Kellers 2004 Kirchspiel verglichen. Und dann kam „Holy Shit“, ein 1969 Chambertin von Bassot, in dem wohl seit längerem der Korken schwamm. Doch die Kapsel hatte weitgehend dichtgehalten. Der Chambertin baute im Glas aus und entwickelte feine Süße, nicht die sonst erwartete Größe, aber immer noch gut trinkbar – WT88. „Holy Moly“ und sensationell gut dann mit erstaunlicher Kraft und Frische ein einfacher Pommard ohne Jahrgang, der seit fast vierzig Jahren in einem meiner Eurocaves lag. Schöne Tertiär Aromatik mit altem Sattelleder, fruchtige Fülle, feine Süße und immer noch enorme Kraft. Da lagen alle Bewertungen am Tisch für das, was wohl mal ein Supermarkt war, bei WT95 und höher. Kennt diesen Wein jemand? Auf ähnlichem Niveau, enorm kräftig, dicht würzig und deutlich jünger wirkend ein 1961 Paveil de Luze aus dem Haut Medoc – WT94. Sehr hoch bewertet wurde blind am Tisch der beerige, würzige, noch so jung, animierend und spannend wirkende 1979 Buena Vista Zinfandel Präsidenten Wein, der 1983 in den USA zum Weltwirtschaftsgipfel ausgeschenkt wurde – WT95. Das war mal wieder der Vorteil einer Blindprobe, in der solche Weine eine Chance und entsprechend hohe Bewertung bekamen, die sonst nie erreicht hätten. Sehr nahe der Perfektion mit der klassischen Mouton Aromatik aus Cassis, Minze, Sattelleder und Bleistift der jugendlich dichte 1970 Mouton Rothschild in einer RC Abfüllung. Wie viele andere der großen 70er aus Bordeaux hat der sich in den letzten Jahren prächtig entwickelt und dürfte noch eine gute Zukunft haben – WT97. Mit Kraft, Eleganz und Schmelz überzeugte dann aus einer Flasche mit lausigem Etikett 1982 Canon, der ewige, knappe Zweite hinter Cheval Blanc – WT96. Sehr jung und druckvoll zeigte sich aus perfekter Flasche der 1970 Ducru Beaucaillou der sich mit großartiger Struktur und langem Abgang hinter Mouton nicht verstecken musste – WT96. Gelungener Abschluss in erster(!) Trinkreife der enorm konzentrierte 1986 Gruaud Larose, ein gewaltiges Kraftpaket auf dem Weg zur Perfektion und in einer Liga mit 28 und 82 des Gutes – WT100.

Inzwischen war die spätsommerliche Oktobersonne längst vom prächtigen Vollmond abgelöst worden. Sollte der tatsächlich mit der überragenden Performance der Weine zu tun gehabt haben (ich bitte um Expertenrat) wurde die nächste Vollmondprobe, natürlich im Passion du Vin sofort geplant und vielleicht zum Fixtermin.