Vor der Probe und nach der Probe
Vor der Probe
Die Cellar Devils, zu denen wir auch gehörten, und Jeff Leve waren für den nächsten Tag und das große Cellar Devils Dinner angesagt. Zur besseren Vorbereitung und weil schon ein Schweizer Kellerteufel angereist war, machten wir im Berens am Kai eine kleine, sehr feine, spontane Vorprobe. Gelungener Start war der grandiose 2019 Hudson Vineyard Chardonnay von Kistler. Noch sehr jugendlich war der eine schöne Verknüpfung aus burgundischer Eleganz und Präzision mit kalifornischer, cremiger Fülle mit schöner Zitrusfrucht und leichter Exotik, mit der jodigen Frische einer Meeresbrise, feinem nussigem Schmelz und Popcorn, getragen von guter Säure – WT95+. Sollte gut und lange reifen und auch noch zulegen. Aus dem großartigen Burgunderjahr 1971, das sich immer mehr zur Klasse von 1959 aufschwingt, genossen wir eine perfekte (2cm Schwund) Flasche 1971 Beaune Grèves 1er Cru von Moillard. Der hatte eine voll intakte Farbe, feine Kirsch- und Himbeerfrucht, wunderbare Fülle, feinen, generösen Schmelz und langen Abgang. Einfach ein großer, perfekt gereifter Burgunder, dem man seine 53 Jahre nicht anmerkte – WT97. Der 1964 Bilbainas Rioja Gran Reserve Vendimia Especial hatte noch eine erstaunlich dichte, junge Farbe, frische Frucht, war sehr elegant und stimmig mit guter Säure und Länge. Nur der dezente, metallische Ton in der Nase verhinderte eine deutlich höhere Bewertung – WT93. Große Überraschung aus diesem guten, aber nicht überragenden Kalifornien Jahrgang war der 1981 Chateau Montelena Estate Cabernet Sauvignon. Der wirkte mit kräftiger, dunkler Farbe noch geradezu jung mit delikater Kirsche und Brombeere, viel Minze und altem Sattelleder. Enorm kräftig zeigte sich dieses prächtige Exemplar eines Old School Kaliforniers noch, dicht und lang – WT96. Ein sehr eleganter, flüssiger Traum war natürlich wieder der 1983 Palmer, in erster Reife sehr elegant, finessig, seidig mit schöner Süße und burgundischen Konturen – WT97. Schlichtweg atemberaubend war die 1982 Pichon Comtesse de Lalande, die erfolgreich an glorreiche alte Zeiten anknüpft. Nicht mehr ganz so hedonistisch wie in den Anfangsjahren ist das jetzt ein großartiger, typischer Pauillac in erster Reife mit enormer Wucht, Kraft, Dichte und vollem Körper. Hat immer noch kräftige, aber reife Tannine, dazu feinen Schmelz und diesen wunderbaren, typischen Comtesse Charme - WT100. Großartig zeigte sich als Abschluss auch der1990 Angelus, immer noch so jung und frisch, allein schon von der Farbe. Wunderbare, süße, dunkle Frucht, so minzig, druckvoll und kräftig und lang am Gaumen, Trinkspaß auf sehr hohem Niveau und Potential für sicher noch zwanzig Jahre – WT97.
Nach der Probe
Und weil es am Vortag beim Cellar Devils Dinner so schön war, trafen wir uns im Passion du Vin in kleinerem Kreis zur Nachprobe. Angesagt war als erstes eine Verkostung der gerade eingetroffenen 2022 Gantenbein Weine. Klar waren alle drei Weine noch sehr jung und frisch erst aus der Schweiz vom Weingut zum deutschen Importeur Heger und von dort zu mir geliefert worden. Aber wir bekamen einen schönen, ersten Eindruck von einem weiteren, großen Gantenbein Jahrgang mit der Gewissheit, dass das, was da jetzt in meinem Keller lag über lange Jahre noch deutlich zulegen wird. Der 2022 Gantenbein Riesling täuschte mit erstaunlich reif wirkender Säure volle Trinkbarkeit vor. Mit traubiger, blutjunger Frische, schöner, fruchtiger Fülle und guter Mineralität baute er enorm am Gaumen aus und gewann dabei an Präzision und Struktur – WT95+. Dazu passte das Etikett mit dem frischen Frühlingsgrün perfekt. So würzig war dieser 2022 Gantenbein Chardonnay mit toller, frischer Gelbfrucht und mit dem geilen Spagat aus präziser, tiefgründiger Mineralik mit guter Säure und burgundischer Pracht und Fülle. Wirkte einfach wie eine Top Cuvée aus einem Meursault von Coche Dury, einem Chablis von Raveneau und einem Chevalier Montrachet. Wird locker 30 Jahre altern und schon rasch gut zulegen – WT96+. Sehr elegant mit betörender Frucht und dem typischen, ersten, feinem Schmelz zeigte sich der 2022 Gantenbein Pinot Noir, der auch in diesem jugendlichen Stadium schon erstaunlich viel Spaß macht – WT95+.
Weiter ging es mit ein paar gereiften Raritäten Der vor langen Jahren als Beifang auf einer Auktion erworbene 1976 Oude Libertas Cabernet Sauvignon von den Stellenbosch Farmer Wineries war eine angenehme Überraschung. „A full-bodied sturdy dry red wine“ stand auf dem Etikett, und genau das war dieser Wein auch noch nach 48 Jahren. Die Farbe war reif und bräunlich, aber klar. Die Nase zeigte malzige Süße, Karamell, dunkle Schokolade und Kräuterlikör aber auch noch Frische. Am Gaumen war noch so viel Leben, mehr als die Farbe versprach, dazu feiner Schmelz und sehr gute Länge – WT93. Eine noch größere Überraschung war der 1947 Tejo Serradayres von Carvalho, Ribeira&Ferreira aus Portugal. Auch das war ein robuster, körperreicher Wein. Der zeigte noch erstaunlich viel Leben, war kräftig, komplex und lang – WT94. Der 1983 Clos Vougeot von Pierre Ponnelle in einer Abfüllung/Selektion für Martel in St. Gallen war ein traumhaft (an)gereifter, seidiger, eleganter Burgunder mit betörender Frucht, erster, feinster Süße, aber auch sehr guter Säure und immer noch Frische. Sollte sich über längere Zeit weiterentwickeln – WT95+.
Reif oder zumindest gereift, aber alles andere als alt war dann auch das abschließende, große Cabernet Feuerwerk. Es gibt Jahre, da kommt der Les Forts de Latour nahe an den Grand Vin heran. Dieser 1985 Les Forts de Latour zeigte durchaus Latour-Qualität. Feine Schwarze Johannisbeere, die typische Walnuss Aromatik und die Bleistift Mineralität waren gepaart mit sehr guter Struktur und einem guten Rückrat mit reifen Tanninen, die diesen sehr schön zu trinkenden Les Forts noch länger reifen lassen – WT95. Auf ähnlichem Niveau zeigte sich der 1985 Mouton Rothschild. Das war wieder „Tout Mouton“ immer noch erstaunlich frisch und voller Leben mit betörender Cassis Frucht, Minze, Satelleder und Bleistift Mineralität, ein sehr balancierter, eleganter und zeitlos harmonischer Traum – WT95. Dazwischen gemogelt hatte sich ein 1996 Harlan Estate. Das war natürlich mit dieser unbändigen Kraft und Dichte ein Kulturschock. Kalifornien trifft Premier Grand Cru aus Bordeaux. Superdicht mit puristisch schöner, süßer, dunkelbeeriger Frucht, mit Präzision, Länge und Komplexität, einfach perfekt – WT100. Zurück in Bordeaux waren wir dann wieder mit 1985 Haut Brion, meinem Lieblings-Haut Brion zum jetzt trinken. Der verwöhnte uns dann mit traumhafter Frucht, Cigarbox, Tabak, Leder und erdiger Mineralität mit samtig weichen, aber immer noch präsenten Tanninen. Potential hat der noch für 10+ Jahre, aber es fällt schwer, von den letzten Flaschen fern zu bleiben – WT96.
Und da wir den Hals wieder nicht vollkriegen konnten, kamen noch zwei Absacker ins Glas. Mein Notizbuch war zwar schon zu, aber der Mund noch auf. Aus Michaels nicht so einfachem Geburtsjahr hatte ich noch einen ungarischen 1977 Morer Chardonnay Ausbruch von den Brüdern Buchner aus Passau mitgebracht, cremig, süß und einfach lecker. Das galt auch für den feinen, eleganten Chateau Laniote Grand Cru aus St. Emilion, nicht die Süße natürlich, aber das Leckere.