Weinleidenschaft pur

Spontan hatten wir uns bei und mit unseren Freunden Tanja und Michael im Passion du Vin in kleinem, feinem Kreise getroffen, um mit dieser grandiosen Probe spannender, unterschiedlichster Weine eben diese Weinleidenschaft auszuleben.

Sehr gute Erfahrungen habe ich bisher mit der Alterungsfähigkeit der Kellerweine gemacht. Aber gilt das auch für die einfachen Weine? Drei Flaschen des 2002 Riesling vom muscheligen Kalk konnte ich kürzlich auf einer Auktion erwerben. Zur bisherigen Lagerung der Flaschen konnte ich nichts in Erfahrung bringen, aber der Füllstand war einwandfrei. Kräftig die schon leicht ins dunklere Gold gehende, aber klare Farbe. Immer noch so frisch und voll da war der Wein mit feiner Frucht, schöner Kräuternote und erstaunlich guter Säure. Baute sehr gut im Glas aus und entwickelte im Abgang eine feine Bitternote – WT91. Für 22 Jahre sehr beachtlich. Und was ist mit großen Weinen aus sehr warmen Jahren? Das war schon irre, die Eleganz und Leichtigkeit des 2003 Hubacker GG aus meiner bisher besten Flasche und leider letzten Flasche dieses Weines in diesem sehr warmen Jahr. Nur die etwas verhaltene Säure deutete auf Alter und Jahrgang hin. Ansonsten war dieser Hubacker einfach ein Gedicht ohne die sonst häufige, barocke Fülle, einfach nur superfein mit göttlichem Schmelz – WT97.

Drei wunderbare Chardonnay kamen danach. Aus der Vor-Premox Zeit, als Weiße Burgunder noch richtig gut altern konnten, starteten wir mit einem 1988 Chassagne-Montrachet 1er Cru Les Chaumées von Michel Colin-Deléger. Der zeigte ein brillantes Goldgelb ohne Alter und eine eofach bemerkenswerte Frische. Mit feiner, gelber Frucht, feiner, nussiger, cremiger Textur, guter Säure und Mineralität zeigte er sich absolut trocken – WT95. Da ist für meine weiteren Flaschen keine Eile angesagt. Ein echtes Highlight war aus meiner Lieblingslage dieses Gutes der 2008 Chablis 1er Cru Montée de Tonnerre von Raveneau. Der war noch so jugendlich, so frisch, so würzig und so zupackend. Mit traumhafter, präziser und doch so saftiger Zitrusfrucht, mit guter Säure und mit intensiver, kalkiger Mineralität baute dieser Wein, der noch gewaltiges Potential hat, unglaublich aus und belegte alle Sinne mit Beschlag. Das war Raveneau in Grand Cru Qualität – WT96+. Schade, dass dieses Zeugs heute ein absolutes Spekulationsobjekt und so sauteuer ist. Absolut großartig und eine echte Überraschung war dann der 2021 Chardonnay Reserve du Fils von Keller. Der war natürlich noch blutjung, aber schon verdammt gut trinkbar. Er überzeugte mit feiner, präziser Frucht, mit rauchiger Barriquenote, jugendlicher Frische und war sehr würzig, enorm druckvoll und finessig mit sehr eleganten, burgundischen Konturen – WT96. Ein echtes Meisterstück des jungen Felix Keller, und wahrscheinlich der sehr gelungene Vorläufer eines baldigen Chardonnay GGs von Keller.

Und schon kam das nächste Highlight in die Gläser, ein 1926 Figeac in einer R&U Abfüllung, der 1934 auf der Bremer Schaffermahlzeit ausgeschenkt wurde. Mit 98 Jahren war dieser Figeac noch so unglaublich vital und voller Leben. Die Farbe war sehr dicht, dunkel aber voll intakt. Natürlich haben wir den Figeac dekantiert, nicht nur wegen des Depots. Die kurze Sauerstoffdusche tat ihm sehr gut, und er entwickelte sich sehr gut weiter im Glas. Er zeigte sich sehr malzig mit malziger Süße und zeigte immer noch enorme Kraft und Länge. Das war schon beeindruckend, wie der Figeac immer mehr zulegte und an Statur gewann, einfach ein großartiger, sehr gut trinkbarer, reifer Wein, der deutlich die Alterungsfähigkeit von Figeac zeigte. Der Weinbuchhalter gibt dafür WT95. Das Erlebnis, einen solch vitalen Weinsenior genießen zu dürfen, schreit eigentlich nach der oben offenen Skala. Deutlich jünger, aber inzwischen auch schon 71 Jahre alt war aus einem meiner Lieblingsjahre für reifen Bordeaux der 1953 Lanessan in einer Händlerabfüllung von A. de Luze & Fils. Der zeigte noch viel Frucht und Frische und erinnerte an einen Waldspaziergang nach einem Sommerregen. Einfach ein perfekt gereifter, sehr aromatischer, komplexer Medoc mit schöner Süße – WT94.

Der 1983 Latour, der mit ja immerhin auch schon 41 Jahren noch perfekt die Rolle des jugendlichen Liebhabers spielte, ist einer meiner Lieblings-Latours zum jetzt trinken. Das war mal wieder ein großer, klassischer Latour mit Schwarzer Johannisbeere, Leder, Tabak, feiner, trüffeliger Fülle, der typischen, bittersüßen Walnuss Aromatik, Bleistift Mineralität und sehr guter Struktur. Obwohl voll trinkbar, dürfte diese jüngere Version des 1971 Latour ohne weiteres noch 20 Jahre und mehr altern und könnte durchaus noch zulegen – WT96.

Zwei schöne Burgunder kamen jetzt ins Glas. Das waren noch Zeiten, als man für kleines Geld bei guten Negociants Grand Cru Qualität bekommen konnte. Dieser 60 Jahre alte 1964 Nuits St. Georges von Calvet aus einer perfekt gelagerten Flasche (nur 2cm Schwund) konnte voll überzeugen. Prächtige, verführerische, rotbeerige Frucht, so elegant und balanciert, tanzte förmlich am Gaumen. War dabei immer noch so frisch mit feinem Schmelz und guter Säure, ohne viel Alter – WT95. Ein genialer, großer, frischer Burgunder, würzig, animierend, komplex mit tollem Tiefgang war der 1991 Gevrey-Chambertin Clos Saint-Jacques von der Domaine Esmonin Michel & Fille – WT95. Der Jahrgang 1991 war frisch mit kleiner Ernte. Zu Anfang völlig unterschätzt, gehen die 91er inzwischen auf die Überholspur und 1991 entwickelt sich für Burgunder zu einem großen Jahrgang.

Viermal Rot vom Feinsten war jetzt noch angesagt. Noch so ein verkanntes Jahr, das sich inzwischen für Bordeaux prächtig entwickelt ist 1988. Inzwischen einer meiner Lieblingsweine ist 1988 Mouton Rothschild. Der zeigte wieder tiefe, undurchdringliche Farbe, Cassis mit Minze pur, Bleistift, Sattelleder, perfekte Struktur, immenses Tanningerüst und gewaltige Länge am Gaumen. Das war wieder als die Kraft und die Herrlichkeit, ein gewaltiger Mouton, der sich noch länger weiterentwickeln und zulegen dürfte – WT97+. Der 1991 Caymus Cabernet Sauvignon Special Selection zeigte danach wieder perfekt, wie man traumhafte, kalifornische Frucht mit Frische und Leichtigkeit rüberbringen kann, einfach sexy, dieser Wein und so elegant – WT99. Noch eine Tick drüber war der schlichtweg atemberaubende 2001 Colgin Cariad. Das war ein schon länger sehr zugänglicher, eigentlich bereits voll trinkbarer Wein, riesengroß, komplett und mit irrer Komplexität und Länge. Sehr reife, kaum spürbare Tannine, hat in den letzten Jahren mit irrem Tiefgang nochmal deutlich zugelegt. An diesem hocharomatischen Wein stimmte einfach alles, schlichtweg Perfektion – WT100. Die könnte vielleicht irgendwann der immer noch so jugendlich frische, gigantische 1989 Palmer erreichen. Das war ein superber, flüssiger Traum mit feinem Spiel Roter und Dunkler Beeren, mit Veilchen, Minze, Tabak, Leder, Schwarzem Trüffel und guter, erdiger Mineralität. Mit Zeit und Luft explodierte dieser noch so junge, kräftige Palmer förmlich am Gaumen, behielt aber diese verführerische, seidige Eleganz und die feinen, burgundischen Konturen. Das kräftige Rückggrat garantiert Langlebigkeit, und irgendwann in den nächsten 20 Jahren könnte dieser Palmer durchaus die Perfektion erreichen – WT97+.