Das fängt ja gut an - Grosse Raritätenprobe
Absagen musste ich aufgrund meines Unfalls meine für den September vorgesehene Raritätenprobe mit den großen Weinen aus Jahren mit der „4“. Aber aufgeschoben war nicht aufgehoben. Schließlich lagen die Weine ja alle in meinem Keller. Also habe ich kurzerhand die Probe im Januar 2025 unter dem Motto „Das fängt ja gut an“ durchgeführt. Und das dann zum Beispiel 110 Jahre alte Weine jetzt 111 Jahre alt waren, tat dem ganzen keinen Abbruch. An einem Sonntag im Januar trafen wir uns dann im Landhaus Mönchenwerth zu dieser Probe, die von einigen meiner Freunde auch aufgrund unseres geradezu unverschämten Flaschenglücks als Jahrhundertevent bezeichnet wurde. Oliver Speh als Maître de Plaisir führte wieder gekonnt Regie und brachte die Weine absolut perfekt in unsere Gläser. Kulinarisch wurden wir mit einem feinen Menü verwöhnt. Und Jörg Müller hatte wieder seine legendäre Gänseleber mitgebracht, diesmal als göttliche Törtchen.
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Als edlen Apero gab es einen perfekt gereiften 2004 Idig GG von Christmann. Der zeigte einen derart schönen Trinkfluss, dass sich die Doppelmagnum im Rekordtempo leerte. Tiefe, goldene Farbe, immer noch so kräftig mit beeindruckender Frische, saftiger Frucht, der leicht rustikalen, noblen Pfälzer Eleganz, guter Struktur, cremiger Textur und schöner Länge – WT97.
Und dann wurde es mit offiziellem Probenstart gleich nochmal 90 Jahre älter. Kann so ein 111 Jahre alter Champagner noch trinkbar sein, und das sogar mit Genuss? Ja, das konnte er, dieser 1914 Pol Roger Extra Cuvée Réserve, und das sogar in ziemlich beeindruckender Form. Er zeigte nur wenig Oxidation, stattdessen etwas, was man als eine Art gereifter Frische bezeichnen könnte, so harmonisch mit feinem Schmelz, am Gaumen sogar noch mit leichtem Prickeln, dabei sehr elegant mit burgundischen Konturen. Blind getrunken hätte man ihn auch für einen perfekt gereiften, älteren Weißen Burgunder halten können. Bei der Qualität und dem schönen Trinkgenuss waren locker WT95 fällig, für die Einmaligkeit dieses Erlebnisses natürlich auch beliebig mehr.
Noch so frisch und geradezu knackig war der 1964 Coulée de Serrant mit noch erstaunlich rassiger Säure, seinerzeit noch von Nicolas Jolys Vater gemacht. Das war ein praktisch altersfreier Wein, kristallklar mit animierender, delikater Frucht, perfekt balanciert mit toller Länge – WT96. Dieses berühmte „Clos“ wurde im XII. Jahrhundert von den Mönchen des Saint-Nicolas aus Angers oberhalb des Loire Ufers gepflanzt und ist ein historischer Weinberg mit vielen, namhaften Verehrern über die Jahrhunderte. Für mich ist dieser Wein ein Grund, weiter auf die Suche nach gut gereiften, auch trockenen Loire Weinen zu gehen. Der 1964 Meursault Charmes von Bouchard im anderen Glas war ein perfektes Beispiel dafür, wie gut Weiße Burgunder in den Vor-Premoxzeiten alten konnten. Aus dieser sehr gut gelagertem Flasche mit gutem Füllstand war der ein Hochgenuss, so klar mit feiner Frucht, sehr würzig, nussig mit schöner Balance, feinem Schmelz und großartiger Länge – WT96.
Mein lieber Freund und Kochlegende Jörg Müller hatte schon traditionell zur Probe wieder seine berühmte Gänseleber mitgebracht, diesmal als wunderbare Törtchen. Dazu stellte ich zwei große Süßweine. Nichts falsch machen kann man mit älteren Sauternes, vorausgesetzt sie stammen aus guter Lagerung. Dann altern sie spielend fast ohne Grenzen, nehmen eine immer dunklere Farbe an und werden dabei immer komplexer, harmonischer mit enormem Tiefgang. So auch dieser 111 Jahre alte Rabaud Promis aus einer perfekten Flasche. Der hatte eine tiefe, braun-goldene Farbe, karamellisierte Kumquats, Orangen Bittermarmelade, die Kruste einer Crème Brulée und zeigte eine feine, harmonische Süße, reif, aber ohne spürbares Alter – WT96. Deutlich frischer mit etwas hellerer Farbe zeigte sich die 1934 Schloß Böckelheimer Felsenberg Riesling Edelbeeren Auslese vom Weingut ÖkonomieratAugust E. Anheuser von der Nahe. Eine alterslose Schönheit, so stimmig mit feiner Süße und guter, aber reifer Säure in perfekter Harmonie und sicher noch Potential für Dekaden – WT97.
Immer wieder überraschend ist die Qualität älterer und auch sehr alter Riojas. Zwei davon zeigten sich jetzt 121 Jahre alt in überragender Verfassung. Wenig Alter zeigte der 1904 Gran Fino Enologica von den Bodeagas Rioja Santiago mit voll intakter Farbe. Der war sehr würzig, harmonisch und balanciert mit guter Säure und Länge. Das war ein zeitloser, schöner Wein, der auch als 60 Jahre jünger durchgegangen wäre – WT97. Schlichtweg sensationell war im anderen Glas die 1904 Reserva Especial von Mariano Lacort aus Haro. Das war einfach ein kompletter, immer noch sehr kräftiger Rioja mit ziemlich dichter Farbe, ausdrucksstarker Aromatik, erstaunlich guter Frucht, mit Luft immer minziger werdend und mit generöser Süße. Absolut perfekt war dieser Wein, der in unserer Runde sprachlos machte – WT100.
Dem wollten natürlich die Bordeaux aus demselben Jahrgang nicht nachstehen. Nach drei desaströsen Jahrgängen brachte 1904 in Bordeaux sehr kräftige, tanninreiche Weine, die lange Zeit zur Entfaltung brauchten und dafür perfekt alterten. Beide Flaschen hatten übrigens noch originale Korken und waren bis auf die Etiketten in sehr gutem Zustand. 1904 Montrose in einer Chateauabfüllung war ein großer Klassiker vom linken Ufer, der an die großen, modernen Montrose Jahrgänge erinnerte. Ein schier unglaublicher, einfach perfekter Montrose mit kräftiger, druckvoller Aromatik, sehr guter Mineralität und grandioser Struktur, der die große Klasse des Terroirs von Montrose zeigte. Geradezu unsterblich schien dieser perfekt gereifte Wein mit seiner tollen Statur und der großartigen Länge. Ein beeindruckender Zeitzeuge, der eine perfekte Bewertung voll verdiente – WT100. Da hatte es der eigentlich nicht minder faszinierende 1904 Cos d´Estournel in der Abfüllung eines deutschen Importeurs zu Anfang etwas schwer, wurde er doch von der schieren Power dieses Montrose fast erdrückt. Der Cos war mehr auf der eleganten Seite, wirkte etwas leichter mit einer feinen Lavendel Nase und war sehr balanciert mit guter Säure. Aber auch das ein einfach zeitlos schöner Wein, der sich enorm im Glas entwickelte, ausbaute und tolle Länge zeigte. In jeder anderen Probe wäre das ohne diesen gigantischen Montrose ein absoluter Superstar gewesen – WT99. Es gab aber mit der Zeit auch Stimmen am Tisch, die dem Cos den Vorzug gaben.
Nur wenigen Weinfreunden ist es heute noch vergönnt, die unglaublich Faszination eines großen Bordeaux aus der Vorreblauszeit zu erleben. Ich Glücklicher hatte vor allem in der ersten Zeit meines Weintrinkerlebens solch beeindruckende Erlebnisse, die sich tief in der Weinseele einprägten. Heute noch solche Flaschen authentisch und in akzeptablem Zustand zu finden ist praktisch unmöglich. Hier für diese Probe öffnete ich eine absolut authentische, 1993 bei Christies versteigerte und seitdem unberührt in meinem Keller gelagerte Flasche 1874 Mouton Rothschild. Würde dieser 151 Jahre alte Wein noch genießbar sein? Selbst dem sehr erfahrenen Oliver Speh zitterten die Hände, als er diese Flasche öffnete. Und wir hatten auch hier wieder unverschämtes Flaschenglück mit diesem immer noch so lebendigen Mouton. Dieser anscheinend unsterbliche Wein hatte immer noch eine voll intakte Farbe und zeigte diese unglaubliche Eleganz und diese legendäre Transparenz der großen Vorreblaus Weine, die den Eindruck erweckte, es würde sich die Vierte Dimension öffnen. In totaler Harmonie war dieser Mouton geradezu anschmiegsam und zeigte als Rotwein eine Art Leichtigkeit des Seins. So ein kompletter, betörender Wein, der Nase, Gaumen und vor allem unsere Seele berührte. 151 Jahre alt und immer noch voll da! Für dieses einmalige, unglaubliche Erlebnis sind selbst 100 Punkte nicht angemessen, aber mehr geht nun mal nicht, also WT100. Reichlich weitere Bilder wie zu allen Flights stehen auf Instagram in Einzelposts zu jedem Flight unter @wineterminator.
Eigentlich ist es für jeden Wein eine Strafe, nach solch einer Legende ins Glas zu kommen. Aber der schlichtweg außerweltliche 1904 Lafite Rothschild zeigte sich davon unbeeindruckt. Das war einfach perfekt gereifter Lafite vom Allerfeinsten. Gefühlt lag er für mich noch über dem legendären 1900 Lafite Rothschild, den ich 2016 zu unserem Cellar Devils Dinner mit Jeff Leve geöffnet hatte. So hoch elegant mit klarer Farbe und Null Oxidation gab dieser Wein mit seiner guten Säure den Eindruck „gut gealterter Frische“. Totale Harmonie und diese schon fast Ehrfurcht gebietende, aristokratische Lafite Struktur, dazu diese typische Bleistift Mineralität, feine Süße und großartige Länge machten auch diesen Wein schlicht und einfach perfekt – WT100. Ein monumentaler Wein, der eindrücklich die große Klasse und Alterungsfähigkeit von Lafite demonstrierte. Ich hatte diese Traumflasche in sehr gutem Zustand vor längerer Zeit aus sehr zuverlässiger Quelle erwerben können.
Auf die nächste Flasche habe ich mich seit gefühlt ewigen Zeiten gefreut. In Kalifornien wurden 1769 von Franziskanermissionaren die ersten Reben angepflanzt und vor allem als Folge des Goldrausches explodierte der kalifornische Weinbau ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Damit war dann 1919 mit der Prohibition Schluss. Mir war als großer Fan auch gereifter kalifornischer Weine nie vergönnt, mal einen Wein aus dieser Zeit trinken zu dürfen. Und seit ich vor vielen Jahren diese Flasche 1914 California Cabernet eines Bremer Importeurs namens F. Wilhelm Hadeler in sehr gutem Zustand erwerben konnte, fieberte ich diesem Moment entgegen. Was für eine großartige Überraschung, dieser Wein. Er zeigte nicht nur eine erstaunlich gute, gesunde Farbe. Da war immer noch etwas Frucht und betörende Eleganz dieses Weines,der durch gute Säure fast noch den Eindruck einer gewissen Frische erweckte. Da war keinerlei Oxidation, dafür generöse Süße und wunderbare Länge. Und der 111 Jahre Kalifornier legte mit Luft unglaublich im Glas zu – WT97+. Der musste sich hinter den großen Bordeaux nicht verstecken. Wie gerne hätte ich den über lange Stunden weiterverfolgt, aber dieses Unikat stattdessen im Kreis erfahrener Weinfreunde genießen zu dürfen, das hatte auch etwas.
Aus dem Jahre 1924 kam jetzt diese ja inzwischen auch 101 Jahre alte 1924 Pichon Comtesse de Lalande ins Glas. Der Jahrgang war in Bordeaux nicht besonders, aber diese Comtesse aus einer Flasche in sehr gutem Zustand beeindruckte mit ihrer Eleganz und diesem typischen Comtesse Charme. Sehr balanciert durch die gute Säure, die ein Gefühl von Frische verlieh, überzeugte diese Comtesse mit schöner Länge und der generösen Süße eines perfekt gereiften Weines – WT97. Noch deutlich jünger als die mal gerade 10 Jahre Unterschied wirkte die 1934 Marques de Murietta Castillo Ygay Reserva Especial im anderen Glas, die auch als Wein aus den 70ern oder 80ern durchgehen könnte. Immer noch so voller Lebenund mit enormer Kraft war das großartiger Rioja, seh würzigmit Karamell, großartiger Fülle und toller Länge – WT98. Diese älteren, einzigartigen Ygays, die nur in ganz besonderen Jahren produziert wurden, wurden immer erst nach langer Fasslagerung abgefüllt. Dieser 1934er wurde Anfang der 70er abgefüllt.
In Bordeaux war 1934 ein guter, solider Jahrgang mit Weinen, die sehr gut und lang altern konnten. 91jährig machen die besseren dieser Weine aus guter Lagerung immer noch einen immensen Spaß. Mich faszinierte dieser 1934 Smith Haut Lafitte in einer Bremer Abfüllung von Ludwig von Kapff. Der wurde 1950, meinem Geburtsjahr, auf der berühmten Bremer Schaffermahlzeit ausgeschenkt. Das muss damals immer noch ein ziemlich harter Knochen gewesen sein. Jetzt, 75 Jahre später, war er immer noch kräftig mit rauchiger Nase und der typischen Pessac Aromatik mit Tabak und Cigarbox, dazu mit guter Struktur und Mineralität, gut gereift, aber nicht alt – WT96. Letzteres galt auch für diesen betörenden 1934 Domaine de Chevalier, der mit seinen 91 Jahren immer noch etwas rotbeerige Frucht zeigte, dazu diese typische Eleganz und Finesse, einfach ein sehr feiner, zeitlos schöner Wein – WT95.
Großer Zeitsprung mit dem nächsten Flight ins Jahr 1964, wobei auch diese Weine mit 60 Jahren nicht gerade Youngster waren. Einfach nur traumhaft war dieser 1964 Chateau Musar aus dem Libanon. Ich liebe diese gereiften, klassischen Musars, die im Laufe der Jahrzehnte häufig ihre Identität wechseln. Meist ähneln sie im Alter dieses 94ers hier großen, gereiften Burgundern. Der hier war wohl aus dieser Traumflasche noch nicht soweit. Der war so kräftig, so komplex und dicht mit fantastischer Länge und wirkte praktisch ohne Alter deutlich jünger. Die nördliche Rhone kam in den Sinn und 1990 Hermitage von Chave, dem er ähnelte, einfach atemberaubend – WT98. Burgund kam da eher beim anderen Wein in den Sinn, dem 1964 Domaine de Beaucastel Chateauneuf-du-Pape. Der war so eleant und voller Finesse, ähnelte einem perfekt gereiften, großen Burgunder mit feinem Schmelz und generöser Süße – WT96. Ältere Beaucastels sind schwer zu finden, aber jede Suche wert. Beide 64er entwickelten sich sehr gut im Glas.
Und dann gab es noch einen Burgunder Nachschlag in Form zweier grandioser Magnums. Einer der besten Weine des Jahrgangs ist der damals noch ziemlich unbekannte l´Eglise Clinet, den ich schon häufiger im Glas hatte, hier aus der sehr zuverlässigen Barrière Abfüllung als Magnum. Der war noch so jung, so dicht und konzentriert mit enormer Kraft, dazu feine Beeren mit sehr dunkler (100% Kakao) Schokoladein einer perfekten Symbiose aus Kraft, Finesse und Eleganz. Dieser atemberaubende Wein mit seiner grandiosen Länge sollte aus anderen Flaschen in vergleichbarem Zustand noch eine sehr lange, große Zukunft haben – WT98. Sehr variabel kann 1964 La Mission Haut Brion sein, aber wir hatten mit dieser Magnum hier großes Glück. Bis auf das Etikett war sie in sehr gutem Zustand. Etwas reifer als der l´Eglise Clinet war das großer La Mission pur mit dieser typschen Pessac Aromatik, mit Cigarbox und teeriger Mineralität, sehr minzig mit einem Hauch Eukalyptus, ein intensiver Charmeur mit schöner Fülle und sehr guter Länge – WT97.
Und dann kam – unser Flaschenglück war schon fast unverschämt – ein Flight mit zwei der großen Kalifornien Legenden in absolutem Bestzustand. Dieser unglaubliche, einzigartige 1974 Heitz Martha´s Vineyard beeindruckte in totaler Harmonie aber auch mit Kraft und Jugend und dieser typischen Martha´s Aromatik, dieser Orgie aus Minze, Eukalyptus und Cola, so würzig, pfeffrig mit großartiger Länge, dazu mit Eleganz und dieser totalen Harmonie, bei der alle Elemente eines Weines perfekt zusammenpassen. Dieser 1974 Heitz Martha´s war lange Zeit der perfekte Zwilling des 1945 Mouton Rothschild und wurde häufiger in Proben für diesen gehalten. Würde ich gerne noch mal miteinander trinken, diese beiden Weine. Der sehr minzige 1974 Mayacamas aus einer der besten Flaschen, die ich jeh hatte war auf ähnlichem Niveau vielleicht nicht ganz so elegant, aber so unglaublich kräftig, druckvoll und dicht, so würzig mit frisch gemahlenem Schwarzem Pfeffer, auch das ein riesengroßer, kompletter Weinmit exzellenter Struktur und großartiger Länge – WT100. Die beiden in dieser Qualität nebeneinander, das war einfach der Hammer.
Auch 1984 war – ganz im Gegensatz zu Bordeaux – in Kalifornien ein großes Jahr. Und meine leider letzte Flasche des überragenden 1984 Ridge Monte Bello war der erwartete Superstar. Das war ein großer, kompletter, immer noch so jung wirkender, vibrierender Wein mit superber, saftiger kalifornischer Kirschfrucht und der perfekt balancierten, eleganten Struktur eines großen Bordeaux, dazu großartiger Länge – WT97+. Und das „+“ heißt, dass dieser brillante Monte Bello bei entsprechender Lagerung immer noch eine grandiose Zukunft hat. Da könnte durchaus noch mehr kommen. Eigentlich hatte ich in diesem Flight mit einem Kopf an Kopf Rennen mit 1984 Chateau Montelena gerechnet. Aber leider zeigte diese Flasche etwas mehr reife als vor Jahresfrist, als dieser Montelena mit dichter, junger Farbe, Schwarzer Johannisbeere mit viel Minze, guter Säure und eine genialen Struktur mit erstaunlichem Tanningerüst brillierte. Aber das war jetzt jammern auf sehr hohem Niveau, denn das hier war immer noch ein WT95 Wein. Montelenas aus dieser Periode und davor zeigen wie die Monte Bellos mit 12,5% Alkohol, dass große Weine hohen Alkohol wie viele der heutigen Wuchtbrummen nicht brauchen.
Weiter ging es mit dem nächsten 4er Jahrgang, in dem sich Bordeaux wieder nicht mit Ruhm bekleckert hat. Aber es gibt ja immer noch Ausnahmen, und die hatten wir im Glas. 1994 Lafleur war ein gewaltiges Kraftpaket, das immer noch eine gewisse, jugendliche Herbe zeigte. Aber da war auch diese typische, kräuterige, lakritzige Aromatik, etwas Minze, ein Hauch von Opulenz mit dunkler Schokolade, der sich in ferner Zukunft deutlich verstärken dürfte, und ein immer noch strammes Tanningerüst. Ein charakterstarker, durchaus jetzt schon faszinierender Wein, der in 5-10+ Jahren durchaus noch für eine große Überraschung gut sein könnte – WT96+. Was solch große Weine selbst in kleinen Jahren können, hatte Petrus selbst in 1992 und 1993 beeindruckend gezeigt. Und da legte dieser immer noch massive, sehr kräftige 1994 Petrus noch eins drauf. Der zeigte enormen Tiefgang und Komplexität, aber auch erstes Verwöhnaroma mit pflaumiger Frucht und feiner, erster Opulenz, dazu gewaltiger Länge – WT97+. Geduldige geben auch dem noch mal 10 Jahre, damit er alles zeigen kann.
1994 war in Kalifornien ein schlichtweg atemberaubend schöner Jahrgang. Zwei absolute Giganten aus diesem Jahrgang sind 1994 Harlan, der als bester Harlan jemals gilt, und 1994 Dominus. Ich habe beide Weine direkt nach Auslieferung gekauft und konnte sie jetzt aus perfekter Lagerung präsentieren. Damals, vor 27 Jahren, habe ich beide Weine neugierig gegenübergestellt. Der Harlan war da auf allerhöchstem Niveau zweier perfekter Weine eine Nasenspitze vorne. Jetzt, 27 Jahre später, lag der Dominus einen Hauch vorne, weil er einfach noch etwas mehr Frische zeigte. Beides aber überragende WT100 Giganten mit fantastischem Tiefgang, Komplexität und Struktur, beide eine Art großer Bordeaux mit kalifornischer Frucht. Der Harlan war für mich immer die Quadratur des Kreises, eine Art junger, reifer Latour. Und der minzige Dominus mit seinem immer noch kräftigen Tanningerüst war wieder mal ein großer Pauillac aus Kalifornien. Mit meinen letzten, wenigen Flaschen von beiden Weinen werde ich haushalten und freue mich auf das nächste Duell in ein paar Jahren.
Und dann gab es zum Abschluss meiner Raritätenprobe noch eine 151 Jahre alte Überraschung aus dem Jahrgang des 1974 Mouton Rothschild. Vor langen Jahren habe ich diese Flasche 1874 Madeira kaufen können, eine Händlerabfüllung eines Negociants aus Bordeaux, die aber sonst kaum näher zu identifizieren ist. 1880 hat dieser Madeira eine Goldmedaille bekommen, und ich würde sie diesem himmlischen Elixier auch heute wieder geben. Hell und klar in der Farbe ohne jede Oxidation zeigte sich dieser Madeira mit guter Säure, feiner, weicher und balancierter Leichtigkeit und süchtig machender Süße. Ich bin kein großer Madeira Experte und eigentlich auch nicht unbedingt ein Madeira Liebhaber. Aber dieser hier, den wir alle so sehr mochten, war einfach göttlich, nicht nur auf Grund des Alters, und verdiente mit diesem irren Trinkspaß mindestens WT97.
Meine bisher 30. dieser großen, jährlichen Raritätenproben müsste das jetzt gewesen sein. Mit einfach unverschämtem Flaschenglück war das meine vielleicht beste. Die letzten 20 Proben seit 2004 stehen hier auf der Website und im Archiv.