November 2020

Gemischte Tüte

Früher gab es sie überall am Büdchen, diese gemischte Tüte voller Süßigkeiten. Wir hatten die diese Woche in anderer Form. Zu einem spontanen, „konspirativem Treffen“ mit Getränken brauchte ich auf die Schnelle schöne Weine. Also ab mit einem Träger in den Keller, spontan zugegriffen, und schon war die gemischte Tüte fertig. Ganz strikt nach der Corona-Verordnung haben wir uns dann mit zwei Mitgliedern eines weiteren Hausstandes getroffen und sind über die flüssigen Köstlichkeiten hergefallen. Den Anfang machte, wir hatten einen 77er am Tisch, ein 1977 Caymus Zinfandel. Der zeigte noch eine erstaunliche Frische mit kräftiger Farbe, kernig und sehr würzig im besten Sinne mit feiner Bitternote – WT93. Absolut überragend danach der 1990 Barbaresco Sori San Lorenzo von Gaja. Der zeigte sich noch so jung, so dicht und so vibrierend. Ausdrucksstark die Nase mit der Aromatik von Rosen, Rosenblättern, Veilchen, Tabak, Leder und intensiver teeriger Mineralität. Am Gaumen war er sehr kraftvoll mit enormem Tiefgang und Länge, blieb aber auch elegant und balanciert mit aristokratischer Struktur. Dürfte jetzt, nach 30 Jahren, das optimale Trinkfenster erreichen, hat aber sicher noch genügend Substanz für 20 weitere Jahre – WT98. Blutjung zeigte sich der faszinierende 2001 Montepeloso Gabbro, der nochmals deutlich zugelegt hat, mit verschwenderischer, süßer Frucht, Kräutern und der Würze der Macchia, mit enormer Kraft, Druck, aber auch Finesse – WT96. Deutlich reifer zwar als der immer noch jugendlich ungestüme Gabbro war dann der 2001 Solaia. Sehr elegant mit feiner Kirschfrucht, viel Leder und Zedernholz, minzig, druckvoll und mit der Struktur eines großen Bordeaux – WT96. An eine etwas modernere Form des 86ers erinnerte mich die 1996 Pichon Comtesse de Lalande. Das hier war ein großer, eher etwas maskulin wirkender, klassischer Pauillac mit immer noch massiven Tannine, der aber immer wieder diesen betörenden Comtesse Charme aufblitzen ließ. Hat sicher eine große Zukunft und dürfte noch deutlich zulegen – WT95+. Und wenn es als Abschluss eines Weckrufes für ermattete Gaumen bedurft hätte, der kam dann in Gestalt dieses überragenden 2001 Pride Mountain Cabernet Sauvignon. Ein muskulöses, konzentriertes Kraftpaket mit traumhafter, dunkelbeeriger Frucht und Cassis, aber nicht überladen, sondern mit viel Eleganz und Finesse. Bewegt sich immer mehr in Richtung des eigenen, perfekten Reserve und hat noch reichlich Zukunft – WT97. Die Pride Mountains der damaligen Epoche von der Mitte der 90er bis Anfang dieses Jahrtausends mit dem begnadeten Bob Foley als Winemaker sind jede Suche wert.

Ein traumhafter Abend war das. Und wenn uns der Herr Laschet nicht demnächst komplett in den Käfig sperrt, ist vor Weihnachten noch mindestens so eine gemischte Tüte fällig.

Feine Probe mit Abstand

In feiner, kleiner Runde haben wir an diesem Sonntagnachmittag eine Probe mit genialem Menü, Trüffel satt und göttlichen Weinen genossen. Unser Gastgeber, der keinerlei Risiko eingehen wollte, hatte eine große Tafel so eingedeckt, dass wir locker alle Abstandsregeln erfüllten. Und wer aufstand, weil er z.B. „wo hin“ musste, tat das selbstverständlich mit Maske. Zusätzlich gab es jede Stunde eine kurze Stoßlüftung. Hört sich alles kompliziert an, war aber ganz einfach, und Disziplin ermöglichte uns Genuss ohne Reue. Verkostet haben wir die Weine, die als Best Bottle aus unseren Kellern stammten, blind.

Gut gereift, aber nicht unbedingt alt ging es im ersten Flight los. 1945 Leoville las Cases stand gegen 1953 Leoville las Cases. Den 45er hatte ich schon häufiger im Glas, wobei die Qualität vom dürren, älteren Zeitgenossen bis zum großen stimmigen las Cases stark schwankte. Unser 45er hier hatte eine reife Farbe mit ersten Brauntönen. Mit viel Zedernholz und dem Unterholz eines Waldes nach einem Regenschauer zeigte er noch Fruchtreste und etwas sperrige Resttannine. Mit der Zeit baute er im Glas aus, wurde etwas generöser und zeigte mehr Länge, war aber aus dieser Flasche sicher deutlich über den Zenit – WT92. Ganz anders der noch so lebhafte 53er, rotfruchtig, mit Minzfrische, sehr elegant und schmeichlerisch, burgundisch wirkend und an schöne 71er Pinots erinnernd. Baute enorm aus – WT96.

Sehr schwierig war der Jahrgang 1977 in Bordeaux. Da noch etwas trinkbares zu finden ist nicht ganz einfach. Dieser 1977 Ausone hatte eine Veilchennase mit feinen Kräutern, wurde mit der Zeit immer laktischer und blieb dabei Schlank. Einfach zu wenig Substanz hatte dieser Wein, der aber keine Alterstöne zeigte. Und als Essensbegleiter machte er sich sogar ganz gut – WT88. Erstaunlich schön zeigte sich der 1989 Figeac ohne diesen gerade bei Großflaschen dieses Weines schon oft erlebten, korkähnlichen Ton. Das war ein saftiger, fruchtig fülliger Bordeaux hier, eher etwas maskulin und wie vom linken Ufer wirkend, mit Cassis, Kirsche und immer mehr Minze, sehr schön und lang auch im Abgang – WT95. Übrigens meine beste, offenste Flasche dieses Figeac bisher mit sicher noch längerer Zukunft.

Schlichtweg atemberaubend der nächste Flight. Sehr fein mit süchtig machender Nase der 1990 Cheval Blanc, sehr elegant, fast filigran, einfach die Leichtigkeit des Seins, feine Minze, dazu ein großer Obstkorb mit Banane – WT100. Geradezu wie in Monster wirkte der sehr dichte, konzentrierte 1998 Cheval Blanc zu Anfang. In seiner Fruchtphase Anfang des Jahrtausends war das mehrfach Cheval Blanc in Perfektion. Seitdem deutet dieser Cheval immer sein Mörder Potential an, bleibt aber je nach Lagerung zumindest teilweise verschlossen. Dieser hier aus bester Lagerung zeigte ungeheuren aromatischen Druck und gewaltiges Potential, könnte aber bis zur Perfektion der ersten Jahre noch gut 5-10 Jahre brauchen. Trotzdem absolut faszinierend und locker auf WT97+ Niveau. Ich hatte am Vormittag dieser Probe ebenfalls vor einer verschlossenen OHK des 98ers gestanden, mich dann aber dagegen entschieden. Gut, dass der liebe Bernd seine aufgemacht hat, da kann ich meine noch ein paar Jahre zulassen.

Weiße Trüffel satt gab es zu zwei Gängen unseres hochklassigen Menüs (Danke Stevie, Du bist ein Küchengott) in perfekter Qualität mit geradezu raumfüllendem Aroma. Da musste natürlich ein Wein aus der Region zu. Und wir hatten geradezu unverschämtes Glück mit diesem 2004 Barbaresco Asili Riserva von Giacosa. Erst zwei Wochen hatte sich dieser Wein in einer anderen Best Bottle zwar mit gewaltigem Potential, aber doch stückweit verschlossen gezeigt. Diesmal packte er alles aus und zeigte beeindruckend, warum das einer der besten Weine ist, die Bruno Giacosa je gemacht hat. Sehr dicht, sehr kräftig, aber mit explosiver, hedonistischer Aromatik, süße Schwarzkirsche, karamellisierte Kräuter, das berühmte Rosenbeet auf der frisch geteerten Autobahn, ätherische Noten, einfach geiles Trinkvergnügen und Piemont vom Allerfeinsten – WT98.

Natürlich wartete jeder von uns auch gespannt, wie seine eigenen Weine performen. Ich hatte einen 1982 Mouton Rothschild mitgebracht, und gegen den setzte unser Gastgeber einen 1986 Mouton Rothschild, absolut irre und beide erstaunlich gut trinkbar. Das war zweimal Mouton in Perfektion mit unglaublichem Druck, Dichte und ewiger Länge. Beide mit reichlich Eukalyptus und Minze, ein Markenzeichen großer Mouton-Legenden, das ich vom 1945 Mouton kenne. Der 82er hier etwas feiner, eleganter, der 86er noch konzentrierter, beide ohne Zweifel WT100.

Fehlte noch einer meiner Weine, der 1974 Mayacamas. Und was machte unser Gastgeber? Der stellte 1985 Heitz Martha´s Vineyard in atemberaubender Bestform dagegen. Am Mayacamas nagt wie auch am 74 Martha´s an allen, außer den best gelagerten Flaschen stückweit der Zahn der Zeit. Dieser 74 Mayacamas war noch voll da, ein kompletter, großer Wein, sehr dichte Farbe, enorme Kraft. In der ätherischen Nase feine Minze, viel Eukalyptus und frisch gemahlener schwarzer Pfeffer. So balanciert und finessig mit viel Druck und langem Abgang – WT99. Und warum nicht WT100? Weil ihm dieser schlichtweg irre 85 Martha´s, den ich selten so gut im Glas hatte, auf klarem WT100 Niveau die Schau stahl. Das war 1974 Heitz Martha´s Vineyard nach einer Frischzellenkur, einmalig!