Oktober 2020

Gimme Five #1

Der Corona Wahnsinn treibt immer neue Blüten, Kontaktbeschränkungen, Sperrstunden, Ende nicht abzusehen. Da wird es auch schwierig mit Weinproben. Also haben wir, der Not gehorchend, ein neues Format kreiert, Gimme Five. In feiner, kleiner Fünferrunde degustieren wir schöne Weine. Vielleicht demnächst auch mal aus halben Flaschen, da kommen dann soviel unterschiedliche Weine ins Glas wie in einer 10er Runde. Hier die erste Verkostung:

Seine beiden letzten Flaschen hatte der liebe Bernd für diesen Flight aus dem großen Riesling Jahrgang 2002 geopfert. Immer noch jugendlich frisch dieser 2002 Berg Schlossberg von Breuer mit reifer, aber immer noch rassiger Säure, intensiver Mineralität und einfach genialer Struktur. Zitrusfrucht und Pfirsich, feine, erste Fülle, enormer Druck und noch großer Zukunft – WT96. Süß die Nase des 2002 Nonnenberg von Breuer mit reifem Weinbergpfirsich, absolut furztrocken der Gaumen, zeigte trotz deutlich reiferer Farbe noch schöne Frische, baute enorm im Glas aus, wurde am Gaumen cremiger und entwickelte schöne Fülle – WT94. Bei beiden Breuer Weinen ist keine Eile geboten. Paroli hätte den beiden sicher der ebenfalls noch so junge 1988 Corton Charlemagne von Maurice Chapuis geboten, der beim Dekantieren einwandfrei war, aber leider einen immer heftigeren Kork entwickelte. Schade, denn der Jahrgang 1988 ist für Weiße Burgunder sehr gut gelungen und liegt noch deutlich vor der Premox Phase. Zu feinen Nüdelchen mit großzügig gehobelten Weißen Alba Trüffeln kam dann ein 2011 Cheval Blanc ins Glas. 2011 war nicht gerade der größte aller Bordeaux-Jahrgänge, noch dazu hoffnungslos überteuert. Aber einige Weine vor allem aus Saint Emilion und Pomerol haben sich sehr schön entwickelt. Offen, sehr gut trinkbar und erstaunlich opulent war dieser Cheval. Reife, saftige dunkle und rote Beerenfrucht, Minzfrische und frische Kräuter, Röstaromatik, Mokka, Trüffel und erdige Mineralität ließen diesen verführerischen Cheval geradezu sexy erscheinen. Mit reifen Tanninen sollte er noch gut 15 Jahre weiter altern können – WT95. Deutlich maskuliner danach der immer noch sehr kräftige, edel-rustikale, kernige 1990 Pichon Baron mit enormem, aromatischem Druck. Aus etwas wärmerer Lagerung als dieser hier aus Bernds perfektem Keller mag der ja schon etwas reifer sein. Die Flasche hier hatte noch reichlich Zukunft – WT96+. Reif, zugänglich, elegant und verführerisch mit schon fast burgundischen Konturen und feinem, schokoladigem Schmelz der 1990 La Conseillante – WT97. Großartig die Gegenüberstellung von zwei Angelus. Der 1989 Angelus war ein geniales Geschoss in seiner Jugend, hat sich dann aber wie so viele der großen 89er etwas verschlossen und geht jetzt wieder auf die Überholspur. Immer noch so jung mit wunderbarer, süßer Brombeere, mit generöser Fülle und bei aller explosiver Aromatik mit exzellenter Struktur und einem intakten Tanningerüst für gute Alterung. Ein echter Klassiker, der ähnlich dem wiedererwachten 1989 Cheval Blanc die Geduldigen unter uns mit guten Kellern in den nächsten 10-20 Jahren noch häufig überraschen wird – WT97+. Der 2000 Angelus wirkte noch so jung und frisch mit guter Säure, so dicht und komplex, aber auch offen und super-sexy mit konzentrierter, getrüffelter Frucht, etwas Schokolade und intensiver Mineralität, ein Fest für alle Sinne, wird ebenfalls gut altern – WT98. Da passte jetzt gut ein moderner Kalifornien-Klassiker nach. Der 2001 Herb Lamb Vineyard von Colgin aus diesem großen Kalifornien Jahrgang zeigte sich jugendlich mit Schwarzkirsche und Cassis, Minze, Eukalyptus, dunklen Oliven, Sattelleder und großartiger Struktur. Kraftvoll, elegant und balanciert mit schöner Länge – WT97. Und dann gab es für ermattete Gaumen noch einen Weckruf vom Feinsten. Der 2000 La Mission Haut Brion, diese moderne Wiedergeburt des 82er La Mission, ist einfach ein gigantischer, kompletter, atemberaubender Wein mit großartiger Frucht, der klassische La Mission Cigar Box Aromatik und gewaltigem Druck und Länge, einfach perfekt – WT100.

Gimme Five #2

Es wird immer irrer. Statt Sperrstunde und Beschränkung auf 5 Personen macht die Gastro jetzt den kompletten November zu. Da haben wir uns im Berens am Kai am 31.10. zu feinster Küche noch eine oberaffengeile Gimme Five Probe gegönnt.

Mit einer 1969 Mertesdorfer Lorenzhöfer Mäuerchen feinsten Spätlese vom an der Ruwer gelegenen Weingut Karlsmühle starteten wir in den Abend. Ich hatte diesen Wein aus zwei Gründen ausgewählt. Da war zum einen die helle, junge Farbe verbunden mit perfektem Füllstand. Und dann war da mit am Tisch der Rainer Schönfeld, der aus diesem Jahr stammt, und seinen 50. Geburtstag im letzten Jahr noch in China verbracht hatte. Auf den Jahrgang kam am Tisch niemand. So frisch war dieser Riesling noch mit heller, brillianter Farbe. Sehr elegant mit pikanter Quitte tänzelte er auf der Zunge. Inzwischen harmonisch trocken mit Bienenwachs, leicht rauchig, mit guter Säure, feiner Mineralität und nur dezenter Petrolnote zeigte er eine fein dosierte, cremige Fülle am Gaumen – WT95.

Und dann waren da noch zwei 69er, die es an diesem Abend natürlich gegen jugendlichen Boliden aus Pauillac schwer haben sollen. Der kraftvoll kernige 1969 Chateau de Beaucastel, zu Anfang etwas funky in der Nase, wurde im Glas etwas zivilisierter und eleganter mit burgundischen Noten und feiner Süße, dazu Trüffel und Kaffeesatz – WT92. Sehr reif mit oxidativen Noten zu Anfang der 1969 Beaulieu Cabernet Sauvignon Reserve George de Latour, ein Kalifornien-Klassiker mit karamelliger Süße und feiner Minznote, der mit WT88, der bei einem bekennenden Nicht-Altweintrinker aus unserer Runde sofort im Ausguss landete. Dumm gelaufen, denn der Beaulieu wurde würziger, baute enorm aus und zeigte immer mehr Eukalyptus. Das war dann für Geduldige verdammt viel Trinkspaß auf WT93 Niveau.

Und damit waren wir in der ersten Boliden-Runde, zwei genialen 90ern in erster Reife. Der 1990 Lafite Rothschild war einfach ein sehr eleganter, immer noch so jugendlich frischer Traum, einfach Lafite vom Feinsten. Wunderbare, präzise, rotbeerige Frucht (wir hielten ihn blind erst für 1990 Leoville las Cases), so dicht, komplex und kraftvoll mit einer großartigen, geradezu aristokratischen Struktur und der typischen Bleistift-Mineralität, einfach perfekt balanciert – WT100. Da kam der ebenfalls sehr, sehr junge 1990 Leoville las Cases, der aus dieser Flasche eine deutliche Kräuternote mit feiner Herbe zeigte, auf hohem Niveau nicht mit – WT97.

In einem kleinen, italienischen Zwischenspiel überzeugte und überraschte der 2004 Massolino Vigna Rionda Reserva. Expressiv die geradezu wilde, exotische Aromatik mit viel Süße, hinter der sich aber eine großartige Statur, deutliche Tannine und kräftige Säure verbargen. Das war einfach liquid sex pur – WT97. Chancenlos dagegen der 2004 Barbaresco Asili Riserva Red Label von Giacosa, eigentlich ein Gigant, der derzeit mit verhaltener Frucht durch eine etwas verschlossene Phase zu laufen schien. Da bleibe ich von meinen Flaschen lieber mal ein paar Jahre weg – WT94+.

Nicht so ganz einfach ist der große, und vor allem im Medoc herausragende Jahrgang 1996, der als eine etwas modernere Version des tanninbeladenen Jahrgangs 1986 daherkommt. Einer der besten Weine dieses Jahrgangs ist 1996 Lafite Rothschild, ein großartiges Monument mit fantastischer Struktur, mit irrer, innerer Dichte, mit Klasse, Rasse, Präzision und gewaltiger Länge, einfach perfekt, zumindest aus dieser Flasche hier – WT100. Je nach Lagerung kann das auch etwas anders aussehen. Im anderen Glas 1998 Lafite Rothschild, der auf sehr hohem Niveau etwas fruchtiger und üppiger wirkte, aber mit ebenfalls sehr druckvoller Aromatik dem 98er kaum nach stand – WT98.

Der helle Wahnsinn dann im nächsten Flight ein 1996 Latour mit traumhafter Struktur, immer noch massivem Tanningerüst, superber, dunkler Frucht, enormer Kraft und Länge, auch das jetzt hier absolute Perfektion und genügend Substanz für mindestens 40 weitere Jahre – WT100. Dem gegenüber stand, so etwas passiert in einer nicht abgesprochenen Best Bottle, schon wieder ein 1996 Lafite Rothschild. Auch der war wieder perfekt und unterschied sich von der Flasche des Flights davor nur dadurch, dass er um Nuancen offener war – WT100. Zweimal Perfektion, was für ein Flight.

Eigentlich lässt man es danach gut sein, freut sich über einen Wahnsinnsabend und geht nachhause. Ich hatte aber noch eine Reserveflasche aus 1969 mit, und die musste es noch sein. Dieser Chambolle Musigny Charmes von Louis Latour rettete die Ehre des in Burgund sehr guten Jahrgangs. Er hatte noch so eine betörende, animierende und pikante rotbeerige Frucht, dazu feine Süße und schönen Schmelz, und wirkte noch erstaunlich frisch und balanciert – WT96. Sehr zufrieden mit seinem Glas war auch unser Altweinhasser. Möglicherweise hätte ihm zwar auch dieser ausgesprochen charmante Burgunder gefallen, aber ich hatte ihm vorsichtshalber von der Karte des Hauses einen jungen Pinot von Johner eingeschenkt. Dann griff dann auch Rainer zu seiner Reserveflasche, einem 1990 Cabernet Sauvignon von Philip Togni aus Napa. Auch der noch so jung wirkend, kräftig und im besten Sinne kernig mit puristisch schöner, dunkler Frucht, viel Holunder, Brombeere und Blaubeere mit schöner Fruchtsüße, am Gaumen enorm druckvoll und konzentriert mit präzisen Konturen, und das bei nur 12,5% Alkohol – 96/100. Ich bin seit langen Jahren großer Fan von Philip Togni, eines in Schottland aufgewachsenen, kalifornischen Urgesteins.