Happy Prowein
Spannend war sie wieder, diese Prowein 2017. Nicht minder spannend waren die Abende, an denen ich mit guten Freunden aus der Weinwelt gereifte Gewächse (nicht nur) aus meinem Keller getrunken habe. Das war dann meine eigene „Happy Prowein“. Da war jetzt endlich wieder entspanntes Schlucken angesagt, nicht spucken wie auf der Messe.
So ging es los
Im Antichi Sapori trafen wir uns am Messe-Vorabend in kleiner, feiner Runde. Patrick Thalmann hatte aus der Schweiz die schönsten Weine seines neuen Gutes Metzge mitgebracht und Konrad Salwey vom Kaiserstuhl alte Raritäten. Alper, Bernd und ich hatten unsere Keller geplündert. Los ging es mit Patricks Weinen. Der 2015 Sauvignon Blanc mit Hollunder, Stachelbeere, aber auch Kräutern und Brennnessel war angenehm schlank und nicht aufdringlich – WT88. Der 2013 Borstig Kerl aus der Magnum war spontan vergorener Pinot, 20 Monate in zurückhaltend getoasteten Barriques ausgebaut. Jung, sehr fruchtbetont, Waldbeeren, Schattenmorellen, mollig, süffig, vom Typus her eher Blauburgunder ais Pinot – WT90. Der 2011 „R“ aus den Anfängen des Gutes wirkte eher wie Pinot mit enormer Fülle und Kraft, bei 14,5% Alkohol kein Wunder, und war ganz schön dick – WT88. Der noch viel zu junge 2015 „R“ PMG (pour ma geule) zeigte da schon eher, wo die Reise mit der Metzge hingeht. Feiner, eleganter, finessiger mit der traumhaften Fruchtsüße des Jahres, die Tannine reif, das Holz noch nicht voll eingebunden. Besser noch drei Jahre warten, da wird richtig mal was draus – WT92+. Und dann war da noch der in 50% getoasteter, amerikanischer Eiche ausgebaute 2015 WZM in moderner, sehr süffiger Stilistik, der von überall her kommen könnte. Aber solche Weine für den hemmungslosen Genuss muss es auch geben, denn der hier hat Charme, Sex-Appeal und einen genialen Trinkfluss – WT91.
Klare Ansage beim nächsten, weißen Wein: Burgund und groß! Knapp daneben ist auch daneben. Noch tiefer die Nase ins Glas. Da war diese intensive Quitte. Das konnte nur ein riesengroßer, burgundischer Chenin Blanc sein, also einer dieser großartigen Südafrikaner. Jetzt waren wir näher dran, aber doch weiter weg. Chenin Blanc war richtig, nur stammte dieser hier aus der Heimat von Chenin Blanc, von der Loire. Ein 2011 Clos Rougeard Brèze war das von Foucault, ultrarar und ultragut. Sehr mineralisch, Feuerstein, gute Säure, feiner, burgundischer Schmelz, enorme Kraft und Länge – WT96. Atemberaubend ging es weiter mit dem 2013 Morstein Spätburgunder Felix Versteigerungswein von Keller. Das war Côte de Nuits vom allerfeinsten, Finesse pur, irre Struktur, könnte man auch Musignx Vieilles Vignes dran schreiben – WT97+. Ob der in 80 Jahren noch so gut ist wie dieser unglaubliche 1937 Colcombet Réserve Privée, der danach ins Glas kam? So ein unsterblicher, immer noch jung wirkender Riese mit irrer Farbe, traumhafte Frucht, feine Himbeere und Walderdbeere, so ein irrer, aromatischer Druck, dezent portige Fülle – WT98.
Und damit landeten wir (danke, lieber Bernd), bei einem ganz anderen hoch spannende, sehr kontrovers dikutierten Thema: 1986. Insbesondere der 1986 Margaux wird stets heftig diskutiert. So nannte ihn ein süddeutscher Händler einen Sch…wein, der liebe René Gabriel nannte ihn 2002 „schlichtweg beschissen“ und gab auch 2010 schlappe 16/20 mit dem Kommentar „Am meisten Lustgewinn kann man hier nur erzielen, wenn man ihn auf einer Auktion verkauft.“ Ich habe stets widersprochen. Warum? Weil ich als liebhaber reifer, alter Weine weiß, wie lange tanninreiche Weine – 1928 lässt grüßen – brauchen. Und weil ich den 86er Margaux aus den Arrivageproben kenne. Damals, 1989 bei Mövenpck, notierte ich: ein Megatraum, typisches Margaux-Bouquet gepaart mit für Margaux untypischer, fast animalischer Kraft, wird mindestens 10 Jahre brauchen *****. Es wurden, und werden noch, reichlich mehr. Jetzt und hier war das ein seidiger, eleganter Wein, der auch ans rechte Ufer gepasst hätte, trotz der irren Dichte, der Bleistift-Mineralität und der immer noch massiven Tannine. Aber er kommt und bekommt heute WT97+. Und wer genügend Geduld hat, bekommt ihn in 5-10 Jahren auch noch mit WT100 ins Glas. Gleiches gilt für 1986 Lafite Rothschild, ein unglaublich dichtes Powerhouse, der sich jetzt auch ganz langsam aus seinem massiven Tanninkorsett heraus schält – WT96+. Beide Weine übrigens aus einem Keller, der ähnlich kalt ist wie meiner. Aus wärmeren Kellern könnte es schneller gehen.
Schlichtweg göttlich und deutlich offener der 1985 Cheval Blanc, ein traumhaft eleganter Schmuse-Cheval mit diesem wunderbaren, unnachahmlichen Cheval-Parfüm in der Nase. Auch diesen Wein sollte man nicht unterschätzen. Der wirkt seit 20 Jahren reif und legt immer noch zu. Deshalb WT95+. Mega-Potential hat auch der puristisch-kernige 1994 Cabernet Sauvignon von Philip Togni, der bei aller, überragender Qualität und superber Schwarzer Johannisbeere mit Minzfrische erst ansatzweise zeigt, was er drauf hat. In den USA nennt man so etwas „a legend in the making“ – WT95+.
Feiner, gereifter Abschluss und nach diesen Bomben eine Art Kulturschock (deshalb trinke ich eigentlich immer von alt nach jung) zwei schöne Kaiserstühler von Salwey. Der 2002 Kirchberg Weißburgunder Spätlese trocken war weich, süß, karamellig, opulent mit viel Kraft, aber wenig Spannung – WT88. Gut gereifter Blauburgunder pur war der feine 1999 Eichberg Spätburgunder – WT90. Dringend empfehlen kann ich, mal die aktuellen weine von Salwey zu verkosten. Was der Konrad als nächste Winzergeneration da auf die Flaschen bringt ist hoch spannend.
So ging es weiter
Viel Neues gab es am ersten Messetag auf der Prowein. Und viel Altes am ersten Prowein Abend. Traditionell hatte ich einen Tisch im Marli bei Urgestein Franz Josef Schorn gebucht. In einem kleinen Kreis Glückseeliger aus 5 Ländern machten wir uns über schöne Weinraritäten her.
Reif, weich, aber hoch aromatisch mit schöner Schiefernote als Einstieg 2007 Scharzhofberger 1G von Kesselstatt, der momentan leicht in die 2007er Breite geht und süßer wirkt. Aber das kann sich geben. Es wäre nicht die erste 2007er Wiederauferstehung – WT92. Ein perfekt gereifter Burgunder aus einem Guss der sehr elegante 1971 Clos Vougeot von George Vasseur mit feinem, süßem Schmelz – WT94. Auf dem Punkt und perfekt gereift mit immer noch gutem Mousseux war der 1990 Dom Perignon – WT95. Noch so frisch, sehr kräftig mit leicht portigen Noten und enormer Länge wirkte der faszinierende 1949 Beauséjour Becot, dem man die 68 Jahre nicht anmerkte – WT94. Speckig die Nase des 1978 Côte Rotie von Marius Chambeyron, sehr dicht mit druckvoller, würziger Aromatik, entwickelte am Gaumen immer mehr generöse Süße – WT94. Gemischter Satz nennt man das in Österreich, was Südafrikas Winzerstar Eben Sadie hier mit 9 verschiedenen Rebsorten von zum Teil über 100 Jahre alten Rebanlagen als 2011 T´Voetpad von Sadie Family auf die Flasche brachte. Hoch spannend mit enormem Tiefgang, burgundisch im besten Sinne, entwickelte immer mehr cremige Textur – WT94. Prächtig entwickelt hat sich der 1985 Côte Rotie in einer Berry Brothers Abfüllung. Das war vor zwölf Jahren mal ein Schnäppchen auf einer Koppe-Auktion. Jetzt zeigte sich meine vorletzte Flasche in absolut bestechender Form und gingblind bei den versammelten Experten als großer Bordeaux vom linken Ufer durch, wobei Palmer genannt wurde. Kein Wunder, hatte er doch eine wunderbare, präsente, würzige, rotbeerige Frucht und war einfach rund mit samtiger Eleganz – WT95. Noch überraschender der 1955 l´Ermitage Cuvée des Moins von Maurice Chierpe, noch so blutjung wirkend mit präziser, dunkler Frucht, sehr mineralisch mit enormem Tiefgang, minzig unmit viel Eukalyptus, gewaltige Länge – WT96. Aber das dieses Zeugs hervorragend altern kann, hatte uns erst vor sechs Jahren auf der Braui meets Schorn II ein immer noch verdammt guter 1895er Hermitage dieses Hauses gezeigt. Der Wein des Abends war danach wohl der 1959 Beaucastel, der in perfekter Weise die Würze eines großen Chateauneuf mit der Pracht und Fülle eines großen Burgunders verband – WT97. Sehr jung mit noch viel Zukunft wurde es zum Abschluss. Und dieser Flight hatte für mich eine ganz persönliche Bedeutung. 1998 auf meiner ersten Prowein hatte mir Guigal Senior die drei 94er LaLas geöffnet, die nur als sogenannte „Bückware“ unterm Tresen standen. Und da die Messe damals deutlich kleiner war, man LaLas nicht spuckt und ich Herrn Guigal in immer kürzeren Abständen wieder auf seinem Stand besuchte, war das für mich eine sehr beeindruckende Prowein, die ich dann auf einer Wolke schwebend mit seeligem Gesichtsausdruck verließ. Einfach sexy der 1994 La Turque – WT95+. Strukturierter, straffer, klassischer der 1994 La Landonne – WT94+. Und wieder das große Pfauenrad der Gewürze dieser Erde beim 1994 La Mouline, der uns in seiner unendlichen Würze auf einen großen, orientalischen Markt entführte – WT96+. Keine Eile bei allen drei Weinen, die noch enormes Potential zeigten und sich über längere Zeit weiterentwickeln dürften.
So endete es
Auch traditionell endete die Prowein wieder mit einem hochklassigen Gelage in der Casa Mattoni. Schlichtweg genialer Start die brilliante, sehr elegante 2015 Abtserde GG von Keller mit intensiver Mineralität. Macht jetzt in dieser unwiderstehlichen Fruchtphase enormen Spaß. Dürfte sich aber bald wieder etwas verschließen. Also jetzt auf WT97+ Niveau hemmungslos genießen, die anderen Flaschen dann für 5-10 Jahre wegpacken. Auf unglaublichem Niveau ging es weiter mit 1990 Haut Brion. Das war Pessac und Eleganz pur, leisere Töne als beim explosiven 89er des Gutes, aber alles so stimmig, so finessig, immer noch so jung mit unendlicher Länge, ein gewaltiger Weinriese auf Samtpfötchen, der sich über Jahrzehnte weiterentwickeln wird – WT99. Hier stellt sich nicht die Frage, welcher besser ist, 89 oder 90. Jeder von beiden ist auf seine Art perfekt. Ich möchte auf keinen davon verzichten. Sinnlichkeit pur kam danach mit 1990 Vieux Certan ins Glas, einfach geiles, Zeugs mit süßem, schokoladigem Schmelz, aber auch mit großartiger Struktur. Hatte ich noch nie so gut, denn in jüngeren Jahren war dieser wein auf hohem Niveau eher enttäuschend. Aber Vieux Certan ist schon immer ein Langstreckenläufer gewesen. Auch hier scheint also noch reichlich Zukunft angesagt – WT97. Feiner, leichtfüßiger, aber auch mit generösem Schmelz und mit feiner Beerenfrucht in Bitterschokolade auf gleichem Niveau der 1990 l´Evangile – WT97. Was würde nach diesem Feuerwerk unsere letzte Flasche machen, der ja etwas ältere 1982 Leoville Poyferré? Der hielt voll mit. Süße, dunkle Frucht, viel Zedernholz, immer noch so druckvoll und komplex mit guter Länge – WT96.