Große Burgunder in Halle M

Endlich im Mai 2022 wieder Prowein, die zwar in etwas kleinerem, aber sehr aktivem und gut besuchten ahmen stattfand. Damit konnte auch meine traditionelle Probe großer Burgunderraritäten für meine Winzerfreunde wieder starten. Natürlich fand diese Probe wieder in „Halle M“ statt, dem Landhaus Mönchenwerth. Hier wurden wir bestens umsorgt von Sascha Bürgels erfahrenem Team, der Küchenmannschaft von Guy de Vries, die groß aufkochten, und Spitzensommelier Oliver Speh. Mit dabei im Kreise meiner Winzerfreunde übrigens ein veritabler Jungwinzer, Jörg Müller aus Sylt. Er hat auf Sylt Deutschlands nördlichste Rebanlage mit 2 ha übernommen, wo er selbst kräftig mit Hand anlegt. Und wer Jörg Müller kennt, weiß, dass der alles tun wird, um einen Wein zu erzeugen, der seinen eigenen, hohen Qualitätsmaßstäben gerecht wird.

Aber Jungweine waren und sind nicht das Thema dieser Probe. Hier befassen wir uns mit großen, möglichst perfekt gereiften Weinen aus einer anderen Zeit, in der Weine noch voll ausreifen durften.

Mit zwei Aperos starteten wir in den Abend. Zunächst gab es eine wieder spektakuläre, immer noch so frische Magnum 2009 Meursault Charmes Hospice Cuvée Bahezre de Lanlay vom Hospice de Beaune, abgefüllt von Lucien le Moine. Das war wieder ein richtig großer, weißer Burgunder, sehr würzig, mineralisch mit feinem, nussigem Schmelz, komplex, druckvoll und lang mit einfach traumhafter Trinkigkeit, wieder sehr nahe der Perfektion - WT98. Deutlich reifer, aber immer noch erstaunlich gut trinkbar ein 1966 Bourgogne Rouge Grand Vin von Geisweiler aus der Magnum. Der zeigte zwar etwas flüchtige Säure, aber auch eine schöne, generöse Süße – WT90.

Und dann begannen die ebenfalls traditionellen Ratespiele. Da ich diese alten Raritäten nur mit echten Kennern genießen möchte, gilt es jeweils, einen oder mehrere Weine blind zu erraten, oder zumindest ansatzweise in die Nähe zu kommen. Der erste Wein, den es zu erraten galt, war ein 1949 Chablis in einer Händlerabfüllung von Roger Lafage. Kann ein über 70jähriger Weißer Burgunder noch trinkbar sein? Der hier hatte eine dunkle, aber immer noch brilliante Farbe, zeigte Trockenfrüchte, gute Mineralität und eine unglaubliche Säure, die den Chablis frischer und deutlich jünger erscheinen ließ. Im Glas starb er auch nicht, sondern blühte richtig auf und zeigte sich als guter Speisenbegleiter. Entsprechend kletterten meine Bewertungen und landeten schließlich bei WT92. No risk, no fun. Ich hatte diesen Wein vor fünf Jahren mit gutem Füllstand auf einer Auktion gekauft. Schwer zu erraten und eine riesengroße Überraschung war auch der nächste Wein, ein 1943 Morgon, eine der 10 Cru Lagen des Beaujolais, in einer Händlerabfüllung von Henry de Boursault. Meine Freunde, alles erfahrene Weinnasen und Winzer, hielten den für einen großen Burgunder aus den 70ern. Der Morgon hatte eine dunkle, immer noch jung wirkende Farbe, superbe rotbeerige Frucht, wirkte immer noch so frisch und kräftig mit einer feinen Kaffeenote und dunkler Schokolade. Zur exzellenten Struktur kamen burgundische Eleganz und generöse Süße – WT96. Wahrscheinlich hatte dieser Wein länger im Fass gelegen und wurde erst nach dem Krieg abgefüllt.

Dritter im Bunde war dann ein 103 Jahre alter, aber immer noch lebendiger 1919 Beaune Grèves Cuvée André Gerard vom Hospice de Beaune, abgefüllt vom Guichard-Potheret & Fils. Der zeigte etwas oxidative Madeiranoten, aber auch feinen burgundischen Schmelz und schöne Süße – WT90. Für das Alter erstaunlich, wobei ich dieser Wein aus anderer Quelle, vielleicht besser gelagert, 2005 auf meiner Burgunderprobe mit unendlicher Eleganz triumphierte (WT98).

Und dann ging es mit einem grandiosen Flight zweier perfekter Weine gleich ins Eingemachte. Der 1929 Richebourg von Henri de Bahèzre hatte einfach alles, was man von einem riesengroßen, perfekt gereiften Burgunder erwartet. Erinnerte mich an zwei perfekte Flaschen 1929 Romanée St. Vivant desselben Winzers, die 2012 und 2019 auf meinen Burgunderproben für Furore sorgten (Notizen auf der Website). Dieser Richebourg hatte immer noch so eine relativ junge, intakte Farbe, so eine enorme Kraft, war sehr würzig mit geradezu aristokratischer Struktur and fantastischer Länge, einfach atemberaubend – WT100. Der 1934 Vosne Romanée Clos Frantin aus einer Monopollage von Grivelet wirkte zwar etwas reifer, war aber mit seiner grandiosen Eleganz und Finesse voll auf Augenhöhe. So unglaublich balancierend mit flüssiger Seide verwöhnte der alle Sinne. Mit verschwenderischer Süße war auch das ein perfekter, burgundischer Traum – WT100.

Reif, aber sehr elegant mit wunderschöner Süße und immer noch schöner Länge war der 1929 Corton von Coron Pourtet & Fils aus nicht optimaler Flasche mit 7 cm Schwund – WT94. Schier unglaublich und Perfektion dagegen wieder(!) der 1935 Hospice de Beaune Monthélie Gelicot, abgefüllt von Doudet-Naudin. Das war 1994 einer der Stars einer Drawert Probe in Berlin. Ich habe diesen Wein seitdem gut 10mal verkostet in stets überragender Qualität. Auch hier zeigte er wieder traumhafte Frucht und Frische(!), reife Waldbeeren, so elegant mit spielerischer Finesse, dabei unglaublich druckvoll mit gewaltiger Länge. Legte im Glas enorm zu und entwickelte feine, verschwenderische Süße. Ein Ausnahmeburgunder, der locker als großer 59er durchging – WT100.

Im nächsten Flight trafen zwei Weine aus dem großen, klassischen Jahrgang 1937 und aus dem schwächeren Jahrgang 1957 mit kühlem, verregnetem Sommer aufeinander. Der 20 Jahre ältere 1937 Beaune Clos du Roi der Domaine Doudet-Naudin war noch so dicht und kräftig mit fast altersfreier Farbe, generöser Fülle und fantastischer Länge. Dieser beeindruckende Wein wirkte im Vergleich deutlich jünger als der 57er und hat sicher noch Potential für 2-3 weitere Dekaden – WT97. Der 1957 Vosne Romanée aus den Caves de Reine Pedauque wirkte reifer, war dabei aber so elegant und seidig mit verschwenderischer Süße, einfach ein großartiger Erfolg für diesen Jahrgang. Auch hier besteht keine Eile, diesen wunderschönen Wein zu trinken, der eine perfekte Wahl für diesen Jahrgang darstellt. Und wir sprechen hier über einen 66 Jahre alten Wein, der wie auch der 86 Jahre alte Doudet-Naudin das beeindruckende Alterungspotential gut gelagerter Burgunder zeigte.

Damit kamen wir zum Jahrgang 1947, dem Geburtsjahr meines Freundes Jörg Müller, mit dem ich schon unzählige, traumhaft schöne 47er sowohl aus Bordeaux als auch aus Burgund getrunken habe. Der 1947 Nuits St. Georges Cailles von Morin zeigte für dieses heiße Jahr eine fantastische Balance aus Finesse und Opulenz, soviel Tiefgang, generöse, süße Fülle und sehr gute Länge, einfach ein erstaunlicher, verführerischer, altersfreier Wein in all seiner Schönheit – WT98. Absolut atemberaubend war meine bisher beste Flasche des 1947 Vosne Romanée in einer belgischen Vandermeulen Abfüllung. Geradezu explosiv und altersfrei die Aromatik, eine fantastische Kombination aus einem kraftvollen, würzigen Richebourg und einem super eleganten Romanée St. Vivant mit exzellenter Struktur. Zeigte noch so unglaublich viel Spannung und entwickelte sich fantastisch im Glas, ja, das war Perfektion – WT100.

Der elegante 1959 Charmes Chambertin von Boisseau-Estevant hatte eine sehr dichte Farbe, feine Frucht, viele Kräuter, zeigte aber im Abgang eine leichte Strenge, Jammern auf sehr hohem Niveau – WT96. Ein Ausnahmewein wieder der 1959 Clos Vougeot von Boisseaux-Estevant, der mit spielerischer Eleganz und betörender Frucht noch fast jugendlich erschien. Mit fast ewiger Länge und feinster Süße war das ein perfekter Burgundertraum – WT100.

Zum ersten Mal hatte ich diesen 1953 Corton von Doudet-Naudin vor 27 Jahren auf einer Probe von Jürgen Drawert in Berlin im Glas. Der hatte mich so begeistert, dass ich sofort auf die Suche ging. Mehrfach wurde ich fündig, zuletzt nochmal vor drei Jahren. Jetzt hier auf unserer Probe zeigte er sich als Solitär praktisch unverändert und von seiner besten Seite. Immer noch fast jung mit voll intakter, dichter Farbe, so lebendig mit delikater, animierender Frucht, mit der Struktur eines großen Corton, dazu mit generöser Süße und soviel Spannung, Tiefgang und Länge, der könnte aus guter Lagerung wie diese Flasche hier sicher noch viele Jahre altern – WT97.

Einfach nur atemberaubend schön dieser hoch elegante 1964 Romanée St. Vivant aus einer Händlerabfüllung von Naigeon-Chauveau. So seidig und samtig, aber auch nachhaltig und praktisch altersfrei war der von der genialen Nase über den Gaumen einfach betörend und Romanée St . Vivant vom Feinsten – WT98. Nicht ganz so elegant, aber deutlich kräftiger und druckvoll der 1964 Latricières Chambertin von Lionel Bruck, auch das eine Händlerabfüllung mit sicher noch langer Zukunft – WT97.

Und dann schwächelten einige in der Runde. Klar, so eine Messe ist anstrengend, insbesondere, wenn man auch bei Kollegen probiert. So blieben für mich in kleinem Kreis am Sonntag drauf zu einem wunderbaren Lunch auf der Mönchenwerth Terrasse noch zwei wunderbare Zweier Flights, die in den Weinmomenten Mai 2022 stehen.